Protocol of the Session on May 5, 2017

Das erste moderne Kirchenasyl wurde im Jahr 1983 in Berlin gewährt. Seitdem haben Kirchen

asyle mehreren tausend Menschen das Leben gerettet. Kirchenasyle waren in und außerhalb der Kirchen nie unumstritten. Sie sind und müssen Steine des Anstoßes - der Innenminister hat sie als „Zumutung“ bezeichnet - sein. Ihre Anstößigkeit macht Umkehr möglich, und, ja, Kirchenasyle weisen auf Defizite des Rechts hin, wo es unmenschlich geworden ist. Das ist im Bereich des Asylrechts von bitterer Notwendigkeit, weil Bescheide hier schnell zu Entscheidungen über Leben und Tod der Betroffenen werden können und weil in der Tendenz das Recht auf Asyl zunehmend entkernt wurde.

Kirchenasyle speisen sich aus biblischer Quelle. Sie sind Ausdruck echter gelebter christlicher Tradition. Jesus spricht im Evangelium nach Matthäus, Kapitel 25, Vers 35 bis 36: Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu Essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu Trinken gegeben. Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen. Ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben. Ich war krank, und ihr habt mich besucht. Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.

(Zuruf von der AfD)

Wer deshalb das Institut des Kirchenasyls grundsätzlich infrage stellt, ist zunächst ignorant; denn er ist nicht bereit, das Kirchenasyl als Sonderfall zum allgemeinen Recht zu verstehen. Er ist vor allem aber unmenschlich, und er will im Fall der AfD einen Kulturkampf gegen die Kirchen führen.

Die asylgebenden Kirchengemeinden machen es sich nie einfach. Die Entscheidung über ein Kirchenasyl will gut vorbereitet sein. Ein Kirchenasyl braucht viel Kraft aufseiten der Betroffenen, der asylgebenden Gemeinde und der Unterstützer und Unterstützerinnen. Es ist nicht damit getan, eine Tür aufzuschließen. Es müssen über Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre Betreuung und Begleitung abgesichert werden. Es braucht finanzielle Ressourcen. Die Schwierigkeiten medizinischer Behandlung müssen bedacht und ausgeräumt werden. Schulische Betreuung muss abgesichert werden. Rechtlicher Beistand wird gebraucht. All dies verhindert schon aus Ressourcensicht, dass das Kirchenasyl ein Massenphänomen werden kann. Es geht hier um den einzelnen Menschen.

Darauf weisen auch die Zahlen hin. Bundesweit wurden sie genannt. In Sachsen-Anhalt sprechen wir aktuell über sechs Fälle von Kirchenasyl. Einen Höchststand gab es im Jahr 2016 mit 25 Fällen über das gesamte Jahr. Über die Jahre lag diese Zahl im einstelligen Bereich.

Die von uns GRÜNEN mitgetragene Landesregierung wird diese einzelnen Fälle unter Beachtung der Vereinbarung, die zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

getroffen wurde, weiterhin dulden. Wir bauen darauf, dass auch in Zukunft keine Kirchgemeinde leichtfertig mit dem Institut des Kirchenasyls umgeht. Wir meinen, dass der Rechtsstaat gut daran tut, wenn er sich in Zweifelsfällen korrigieren lässt; denn in Anlehnung an das Evangelium nach Markus, in dem Jesus in Kapitel 2, Vers 27, zur Einhaltung des Gebotes des Sabbat spricht, sagt er: Es ist das Gesetz um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Gesetzes willen.

Kirchenasyl will im extremen Ausnahmefall dem Gesetz erneut zur Geltung verhelfen. Es will das Gesetz nicht brechen. Deshalb muss es weiter möglich sein. Ich danke allen, ganz ausdrücklich allen, die Menschenwürde sichern, indem sie Kirchenasyle in diesem Land ermöglichen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Es gibt keine Fragen. - Herr Schulenburg, möchten Sie reden, weil hier „eventuell“ steht? - Für die CDU spricht dann Herr Schulenburg. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Mit unserem Alternativantrag beabsichtigen wir, das Kirchenasyl nicht grundsätzlich infrage zu stellen. Die evangelische Kirche in Mitteldeutschland beschreibt das Kirchenasyl in einer Handreichung wie folgt:

„Kirchenasyl im rechtlichen Sinne gibt es im modernen Rechtsstaat nicht, weil der sakrale Ort kein rechtsfreier Raum mehr ist. Da nur der Staat Flüchtlinge anerkennen und insbesondere Asyl gewähren kann, nimmt die Kirche ein solches Recht auch nicht in Anspruch.“

Weiter heißt es:

„Es gibt eine christliche Beistandspflicht. Beistand ist kein Widerstand gegen die Rechtsordnung. Nicht die Kirche, nur der Staat kann Asyl gewähren. Beistandshandlungen zielen auf die Überprüfung von Abschiebeentscheidungen in konkreten Einzelfällen, und Beistand ist Abhilfe im einzelnen Notfall, nicht Mittel zur Änderung der Rechtsordnung.“

Ich glaube, mit diesen Zitaten wird deutlich, welchen Stellenwert das sogenannte Kirchenasyl für die evangelische Kirche hat. Sie selbst spricht von einer langen Tradition.

In der Bundesrepublik Deutschland obliegt es dem Staat, über die Gewährung von Asyl zu ent

scheiden. Mit rechtsstaatlichen Mitteln wird ein rechtsstaatliches Verfahren gesichert, an dessen Ende letztlich Asyl gewährt wird oder nicht. Eine Entscheidung im behördlichen Verfahren ist gerichtlich überprüfbar und am Ende für alle bindend.

Vor dem Hintergrund, dass für das Kirchenasyl eine rechtliche Grundlage nicht vorhanden ist, erfordert dies umso mehr einen restriktiven Umgang. Anhaltspunkte hierfür bietet in den begründeten Ausnahmefällen die zwischen der Kirche und dem Bundesamt getroffene Vereinbarung. Solche Ausnahmefälle sind zum Beispiel individuelle Härten, wobei an dieser Stelle auch festzuhalten ist, dass mit Schaffung der Härtefallkommission in unserem Bundesland das Kirchenasyl nahezu ins Leere läuft.

Wir sprechen also von Einzelfällen. Kirchliche Räumlichkeiten sind, wie erwähnt, kein rechtsfreier Raum. Der Zugriff durch die Exekutive und somit eine Räumung des Kirchenasyls ist rechtlich möglich und hat in der Vergangenheit auch schon stattgefunden, sollte aber Ultima Ratio bleiben. Ich darf Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Alternativantrag bitten.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es gibt keine Fragen. Als letzter Redner spricht für die AfD Herr Dr. Tillschneider. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte noch kurz auf das eingehen, was Herr Gallert gesagt hat. Mich schreckt der Rassismusvorwurf aus seinem Munde nicht; denn die LINKEN sind sehr schnell bei diesem Vorwurf. Aus ihrer Sicht bin ich sowieso alles, was bei ihnen auf „-phob“ endet, und damit kann ich leben.

Jetzt zum Thema Kirchenasyl: Das sogenannte Kirchenasyl, also die rechtswidrige Vereitelung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, wird üblicherweise mit dem Gebot der christlichen Nächstenliebe gerechtfertigt. So predigen es Pfarrer, Flüchtlingsräte und Politiker. Ich will zum Abschluss der Debatte etwas näher darauf eingehen; denn das Ganze ist ein Musterbeispiel für eine jener Begriffspervertierungen, mit denen sich die herrschende Politik abzusichern pflegt.

Zunächst einmal kann Nächstenliebe als Gefühl nicht Grundlage eines politischen und somit sittlichen Gebotes sein.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Nächstenlie- be ist kein Gefühl! Nächstenliebe ist ein Auftrag!)

Gefühle kommen und gehen. Man hat sie, oder man hat sie nicht.

(Zurufe von der LINKEN)

Sie lassen sich aber nicht gebieten. Immanuel Kant deutete die Nächstenliebe deshalb um in ein - wie er sagt - Wohltun aus Pflicht. Das passt schon in das System der Kantischen Moralphilosophie, hat aber nur noch wenig mit der christlichen Nächstenliebe zu tun. Die Nächstenliebe im Neuen Testament ist nämlich gerade keine Pflicht. Was die Nächstenliebe ist, hat niemand so klar und tiefgründig erfasst wie der große evangelische Theologe Rudolf Bultmann. In seinem Aufsatz „Das christliche Gebot der Nächstenliebe“ lesen wir:

„Die Liebe sagt nichts darüber aus, wie sittliches Handeln im Allgemeinen beschaffen sein müsse, um als sittliches bezeichnet werden zu können. Sie ist ebenso wenig das Materialprinzip einer Ethik; denn sie sagt nichts aus über ein zu verwirklichendes Ideal, über ein zu erreichendes Ziel. Sie gibt keine Grundsätze des Handelns an, gemäß denen ich mich dann, wenn ich sie weiß, verhalten kann. Die Liebe ist vielmehr ein ganz bestimmtes Verstehen der Verbundenheit von ich und Du, nicht im Allgemeinen, sondern sie versteht je meine Verbundenheit mit meinem Nächsten in der jeweiligen Situation.“

Das heißt, Nächstenliebe öffnet uns die Augen für das, was uns der Nächste, mit dem wir in konkreten Lebenssituationen immer schon verbunden sind, bedeutet. Sie ist eine Erkenntnis, aber garantiert kein Gebot, mit jedem x-beliebigen auf dieser Welt solidarisch zu sein, und erst recht lässt sie sich nicht delegieren, sodass wir sie schon verwirklicht hätten, wenn wir die von Angela Merkel und den großen Kirchen betriebene Masseneinwanderung gutheißen würden oder umgekehrt gegen die Nächstenliebe handeln würden, wenn wir diese Politik verurteilen und bekämpfen. Die Kirchen verkaufen gegen die Zustimmung zur Politik der Bundeskanzlerin das Gefühl, in der Nächstenliebe zu leben und ein guter Mensch zu sein. Das ist nichts anderes als eine moderne politische Form des Ablasshandels.

(Beifall bei der AfD)

Im Grunde bräuchten wir gegen die Ablassprediger unserer Zeit eine neue Reformation, also ein neues Wieder-in-Form-Bringen eines völlig deformierten Kirchenglaubens. Mein Nächster ist nicht der Syrer, der sein Land im Stich lässt.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das merken wir!)

Es ist nicht der Afghane, der denkt, dass es sich in Deutschland besser leben lässt. Nein, mein

Nächster ist der Obdachlose am Hasselbachplatz. Mein Nächster ist der Rentner im Haus nebenan, der nicht weiß, wie er über die Runden kommen soll. Mein Nächster ist der Billiglöhner, der das Kaufhaus bewacht, in dem ich einkaufe, der 40 Stunden und mehr die Woche arbeitet und gerade genug hat, um nicht zu verhungern.

(Beifall bei der AfD)

Wer die Not des Obdachlosen in seiner Stadt und des Rentners in seiner Nachbarschaft nicht sieht, weil er sich mit der Not in Syrien und Afghanistan beschäftigt, der handelt gerade ohne Nächstenliebe.

Dietrich Bonhoeffer hat die schon zu seiner Zeit aufkommende permissive Vergebungstheologie der Kirche als billige Gnade scharf kritisiert. Ich würde so ähnlich die von der Kirche unserer Tage propagierte Nächstenliebe als billige Übernächstenliebe bezeichnen wollen.

Während recht verstandene Nächstenliebe auf eine gesunde Selbstliebe, ein gesundes Selbstbewusstsein und eine Verteidigung des Eigenen bezogen ist, verbirgt sich hinter der billigen Übernächstenliebe der Selbsthass, die Unterwerfung unter das Interesse der Fremden zum Schaden derer, die tatsächlich unsere Nächsten wären. Dies ist eine eklatante Verletzung des Prinzips der Nächstenliebe.

Wer Kirchenasyl mit der Nächstenliebe begründet, der verhöhnt das Christentum. Deshalb kann ich Armin-Paul Hampel nur beipflichten, der auf dem zurückliegenden Bundesparteitag der AfD in Köln zum Kirchenaustritt aufgerufen hat. Nicht der Widerspruch gegen die AfD ist erste Christenpflicht, wie das ein Bischof Dröge aus Brandenburg erklärt hat. Nein, der Austritt aus einer vom Christentum abgefallenen Kirche ist im Jahre 2017 in Deutschland die erste Christenpflicht.

(Beifall bei der AfD)

Dr. Tillschneider, es gibt von Frau Lüddemann eine Frage oder eine Kurzintervention.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Als Frak- tionsvorsitzende!)

- Dann danke ich Ihnen. - Frau Lüddemann, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. Herr Tillschneider, ich habe mir zwar vorgenommen, nicht mehr auf Ihre Reden zu reagieren, aber mir ist es jetzt ein tiefes Bedürfnis, insbesondere weil wir Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen im Raum haben, für meine Fraktion und für alle demokratischen Parteien - das erlaube ich mir an dieser Stelle zu sagen - heraus

zustellen, dass wir uns dezidiert abgrenzen von dem, was Sie hier vortragen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU, bei der LINKEN und bei der SPD - Zustimmung von der Regierungsbank)

Wenn Sie die Bibel lesen, dann finden Sie Folgendes bei Paulus: Denn alle Gesetze werden in einem Wort erfüllt - liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist das, was das christliche Menschenbild in diesem Land ausmacht. Darauf bin ich stolz. Das ist das, was dem Grundgesetz zugrunde liegt. Darauf bin ich stolz.