Protocol of the Session on May 4, 2017

Wir haben heute die Chance, es anders zu machen. Diesen Worten vom Präsidenten des Landessportbundes habe ich nichts hinzuzufügen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie können den Worten eventuell etwas hinzufügen, und zwar aufgrund von zwei Anfragen, die ich bisher gesehen habe. - Herr Heuer.

Sehr geehrter Herr Kollege Gebhardt, vorweg: Ich kenne Täve Schur persönlich, weil ich Mitglied des RSV Osterweddingen bin. Aus unserem Verein kommt ein Juniorenweltmeister und Täve war bei der Verleihung des Grünen Bandes des DOSB für den RSV zugegen.

Mit Blick auf seine sportlichen Leistungen haben wir als Kinder mitgefiebert und wir haben uns an der Tankstelle Autogramme geholt. Das haben wir alles durch.

Aber eines ist Fakt: Eine Jury, die zu entscheiden hat, ob jemand in die Hall of Fame kommt, ist unabhängig. Oder sehe ich das falsch? Darf eine Jury Sätze von Täve, die er erst vor Kurzem gesagt hat, beispielsweise „Wir hatten in der DDR keine Dopingtoten, anders als im Westen.“ berücksichtigen oder nicht?

Das war es?

Das war es.

Herr Gebhardt, bitte.

Herr Heuer, diese Frage ist ganz einfach zu beantworten. Ich kenne bei keinem anderen Sportler eine ähnliche Debatte und ein ähnliches Suchen nach Zitaten, von denen man sagen könnte, dass sie ein Grund seien, dies zu verhindern.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, dass man bei den sechs nachweislich ehemaligen NSDAP-Mitgliedern nach irgendwelchen Zitaten gesucht hat und dann darüber öffentlich eine Debatte geführt hat?

Ihre Frage, ob die Jury unabhängig entscheiden sollte, kann ich an dieser Stelle klar mit ja beantworten. Wenn ich jedoch merke oder wenn die Politik feststellt, dass von Jurymitgliedern aufgrund einer Nominierung, die von den Sportbünden einstimmig vorgenommen wurde, eine sportpolitische Debatte geführt wird, dann muss es dazu auch im öffentlichen Raum eine sportpolitische Debatte geben und dann eben auch im Landtag von Sachsen-Anhalt, ohne dass man die Entscheidung selbst trifft.

Aber wir haben schon viele Entscheidungen getroffen, bei denen wir keine Handhabe und kein direktes Mitspracherecht hatten. Deshalb war es richtig, dass wir uns politisch positioniert haben. Genauso hält es meine Fraktion für wichtig, dass wir als Landtag eine politische Positionierung vornehmen.

Herr Heuer hat eine Nachfrage. Die kann er jetzt stellen.

Diese Äußerung, die ich gerade zitiert habe, stammt aus dem April. Sie wurde kurz vor den Äußerungen von Herrn Silbersack, die Sie zitiert haben, getätigt. Geben Sie mir darin recht, dass Täve mit dieser Äußerung diese sportpolitische Debatte angeheizt hat?

Das weiß ich nicht. Ich weiß wirklich nicht, was der Auslöser gewesen ist. Fakt ist, dass sich alle darüber beschwert haben, dass er es zurückgewiesen und es als Quatsch bezeichnet hat, dass der DDR-Sport kriminell war. Ich habe mir das Interview heute noch einmal durchgelesen.

Es wurde die Frage gestellt, ob er diese Auffassung teile, und er hat geantwortet, dass dies aus seiner Sicht Quatsch sei. Diese Auffassung teile ich ausdrücklich. Ich muss aber auch sagen, selbst wenn ich die Auffassung nicht teilen würde, dann stehen an dieser Stelle die sportlichen Leistungen, die bei Täve Schur unbestritten sind - im Übrigen auch im gesellschaftlichen Raum - im Mittelpunkt.

Darin sind wir uns einig.

Ich kenne viele Mitglieder der CDU, die sich vor Wahlen sehr gern mit Täve Schur auf Fotos haben ablichten lassen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist ein schlechtes Argument!)

Ich kenne viele Mitglieder der CDU, die ihm für das Friedensfahrtmuseum und auch sein Engagement als Ehrenpräsident des Landessportbundes heftig auf die Schulter geklopft haben. Das alles ist ehrenamtliches Engagement, bei dem es eine sportpolitische Betätigung von ihm gibt. Ich bin nicht bereit, diese Aspekte bei der gesamten Debatte auszublenden und sie nur auf ein Interview zu richten.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt hat Herr Poggenburg die Gelegenheit.

Sehr geehrter Herr Gebhardt, ich habe eine Frage. Zur Einleitung: Ich persönlich, das sage ich extra, teile auch die Ansicht, dass sportliche Leistungen und politische Aussagen getrennt werden müssen und nur die sportlichen Leistungen bei dieser Aufnahme on die Hall of Fame herangezogen werden sollten.

Aber jetzt Folgendes: Sie haben gerade nicht ganz unrichtigerweise gesagt, dass sich ein direkter Vergleich des DDR-Regimes mit dem NaziRegime verbietet und dass das den Nationalsozialismus im Grunde verharmlost. An dieser Stelle gehe ich mit, das ist vollkommen richtig. Aber ist nicht Ihre Partei immer ganz vorn mit dabei, wenn heutzutage beispielsweise eine AfD,

(Eva von Angern, DIE LINKE: Es geht heu- te ausnahmsweise nicht um die AfD!)

eine Partei, die in Sachsen-Anhalt mit knapp 25 % gewählt wurde, in einer Tour mit dem Nationalsozialismus in irgendeinen Kontext gesetzt wird? Wird nicht auch damit der Nationalsozialismus verharmlost? Wie können Sie mir diese Doppelmoral erklären?

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Es geht ein- mal im Leben nicht um Sie!)

Herr Poggenburg, solange nicht wir, sondern Sie nationalsozialistisches Vokabular wie „Wucherung am deutschen Volkskörper“ benutzen, stellen Sie den Kontext zum Nationalsozialismus her, nicht wir.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich sehe keine weiteren Nachfragen. - Zu Beginn der Debatte spricht der Herr Innen- und Sportminister.

Bevor allerdings Herr Stahlknecht das Wort bekommt, begrüßen wir ganz herzlich auf unserer Besuchertribüne Damen und Herren des Sozialverbandes Wanzleben mit unserer ehemaligen Kollegin Frau Tiedge. Das darf ich jetzt so sagen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ebenfalls angemeldet ist bei mir die Gruppe Damen und Herren der Wirtschaftsjunioren aus Magdeburg. Wer eine Brille aufhat, kann die Gruppen wahrscheinlich voneinander trennen. Herzlich willkommen bei uns!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Stahlknecht, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich dem Thema vielleicht etwas allgemeiner von einer Gesamtbetrachtung her nähern und dann am Ende eine Bewertung äußern.

Sport, Spitzensport und Politik haben immer eine Nähe zueinander; sie haben in ihrer Geschichte eine problematische Nähe gehabt und haben in Demokratien eine normale Nähe. In einer Demokratie gehört es dazu, dass Politik den Sport und den Spitzensport sucht, um jemandem, der eine Spitzenleistung erbracht hat, stellvertretend für das Land die Ehrerbietung zu erbringen.

Diktaturen, egal welche, nutzen den Sport und den Sportler, benutzen den Sportler, brauchen den Sportler, und teilweise missbrauchen sie den Sportler auch. Das gilt in Diktaturen nicht nur für Spitzenleistungen im Sport; das gilt für Künstler und für andere herausgehobene Persönlichkeiten in der Zeitgeschichte. Wir alle sollten uns davor hüten, jedenfalls grundsätzlich, einen Sportler deshalb zu verurteilen, weil er sich möglicherweise in einer Diktatur gebrauchen oder sogar missbrauchen ließ. Wir sollten uns davor hüten.

Es gibt ein Buch - ich will um Gottes willen niemanden mit dieser Persönlichkeit vergleichen -, geschrieben von einem ehemaligen Oberst der Staatssicherheit, der in der Runden Ecke in Leipzig gearbeitet hat; es heißt „Ende der Schweigepflicht“. Der Anfang dieses Buches beginnt damit, dass er sagt, Leben sei anders als im Theater nicht probbar und einige Stücke seien eben auch nicht wiederholbar.

Das gilt für jeden von uns; das gilt möglicherweise auch für Sportler, die sich in einer Diktatur gebrauchen oder missbrauchen ließen. Selbst wenn sie für sich, aus dem Rückspiegel des Lebens betrachtet, zu dem Ergebnis kämen, sie hätten sich besser nicht gebrauchen oder missbrauchen lassen sollen, wäre dieses Stück des Lebens - anders als im Theater -, weil nicht probbar, eben auch nicht wiederholbar. Weil das so ist, wie es ist, sollten wir uns alle in Bezug darauf, was jeder in seiner Zeit persönlich vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte zu verantworten hat, mit Beurteilungen oder gar Verurteilungen ganz vornehm zurückhalten.

Dann kommt der zweite Teil, dass jemand irgendwann in seinem Leben, in einer bestimmten Lebensstufe, einen Rückblick auf sein Leben wagt und dann für sich entscheiden muss, ob er jene Zeit, in der er gebraucht oder missbraucht wurde,

in der er gelebt hat, kritisch sieht, ob er sich von ihr distanziert oder eben auch nicht distanziert. Es ist am Ende eine ganz individuelle Entscheidung eines Menschen, die man eigentlich so akzeptieren muss.

Nun stellt sich an dieser Stelle die Frage: Wem obliegt es, wer ist zuständig, diese Beurteilung von Herrn Schur wiederum zu beurteilen? - Zunächst einmal, und dies abschließend, obliegt das aus meiner Sicht in der Tat diesem Kuratorium des Sportes, das darüber zu entscheiden hat, weil aus den Gründen, die ich Ihnen genannt habe, nämlich dass in Diktaturen die Gefahr besteht, dass Politik Menschen gebraucht oder missbraucht, der Sport sich bei uns ganz bewusst die Autonomie gegeben hat und in dieser Autonomie über Lebensleistungen entscheiden will, soll und kann.

Wir erliegen jetzt wieder der Versuchung, jemanden politisch für eine Debatte zumindest zu nutzen und ihn vielleicht auch, obwohl er es gar nicht will, schon wieder politisch zu gebrauchen. Insofern bin ich aus den genannten Gründen der Auffassung, dass es hier einmal ein gutes Zeichen wäre, wenn Politik sich vornehm zurückhalten würde, wenn wir - jeder von uns - die Entscheidung dieses Kuratoriums beurteilen würden, wir aber nicht am Ende einer großen Sportlerkarriere nochmals der Versuchung erliegen sollten, hieraus eine gesamtpolitische Debatte zu machen, wobei sich dann am Ende auch fragt: Wer ist der moralische Richter, um zu entscheiden, was gut und richtig war? - Das ist meine Überzeugung. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich sehe keine Nachfragen. Deswegen kommen wir nunmehr zur Debatte der Fraktionen. Wir haben eine Fünfminutendebatte vereinbart. Für die SPD-Fraktion spricht der Abg. Herr Dr. Grube.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Ich halte es für verständlich, dass wir die Frage der Aufnahme von Täve Schur in die Hall of Fame des Sports hier diskutieren. Es ist ein Thema, das Menschen in Sachsen-Anhalt berührt. Es ist aber - da schließe ich mich den Worten des Innenministers an - kein Thema, bei dem die Politik in die Autonomie des Sports eingreifen sollte. Es ist gut, dass der Sport selbst entscheidet, wer in die Hall of Fame gehört, unabhängig davon, ob man selbst einzelne Entscheidungen für richtig oder falsch erachtet. Der Landtag ist hierbei nicht Akteur und sollte es auch nicht sein.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Im Übrigen ist die Frage am letzten Freitag entschieden worden.