Protocol of the Session on May 4, 2017

Im Übrigen ist die Frage am letzten Freitag entschieden worden.

Aber zur Sache. Täve Schur war und ist hier im Osten - da oben sitzt er ja auch - ein Sportidol. In meiner und in älteren Generationen wusste jeder um seine beiden Weltmeistertitel 1958 und 1959, um sein Olympiasilber in Rom 1960 mit der Mannschaft und um seine beiden Friedensfahrtsiege. Jeder wusste, dass Täve auch nach seiner Karriere Tausende von Kilometern rund um Magdeburg abspult. Ja, Täve Schur war und ist das Idol vieler Menschen hier in Sachsen-Anhalt, und dieses Idol gehört in die Hall of Fame.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Warum wurde er trotzdem nicht aufgenommen? - Als Gründe für Täve Schurs Nichtaufnahme wird erstens angeführt, er sei der Repräsentant einer Diktatur gewesen und habe sich von ihr nicht distanziert, und zweitens, er verharmlose systematisches Doping. Manchmal schwingt auch leise der Verdacht mit, er hätte selbst gedopt. Hinweise dafür gibt es ausdrücklich keine, und ich bin auch dagegen, alle Sportlerinnen und Sportler der DDR im Nachhinein unter Generalverdacht zu stellen. Die Unschuldsvermutung kennt kein Geburtsland.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Ste- fan Gebhardt, DIE LINKE)

Für die Verharmlosung des systematischen Dopings in der DDR wiederum habe ich ebenfalls kein Verständnis. Ja, es gab systematisches staatliches Doping in der DDR. Es gab die unwissentliche Einnahme von Dopingmitteln, die Minderjährigen gegeben wurden. Es gab Dopingopfer, die dieses System mit schweren gesundheitlichen Schäden bezahlt haben, und weil in einer Diktatur die Möglichkeiten von Repression und Verschleierung größer waren, als sie es in einer Demokratie sind, war das Ausmaß ein erschreckendes. Nachgewiesen ist das alles, auch durch die Akten der Täter.

Ich würde mir vom Sportsmann Täve Schur wünschen, dass er den Opfern eine Würdigung nicht verweigert; denn diese Sportlerinnen und Sportler haben wie alle anderen auch für einen gesunden Körper und einen gesunden Geist mit ihrem Sport begonnen - bekommen haben sie etwas anderes.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das, meine Damen und Herren, ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass man mit den Biografien und Äußerungen anderer Idole in der Hall of Fame einfach anders umgegangen ist.

Der Reiter Josef Neckermann war Mitglied der SA und der NSDAP. Er profitierte nach den Nürnberger Rassegesetzen 1935 vom Erwerb arisierter jüdischer Unternehmen und schuf damit den Grundstock seines später nach ihm benannten

Versandhandels. Neckermann stieg nach Kriegsbeginn zum stellvertretenden Reichsbeauftragten für Kleidung und verwandte Gebiete auf und wurde im Entnazifizierungsverfahren trotzdem nur als Mitläufer eingestuft. Er wehrte sich nach dem Krieg vehement gegen die Entschädigungsforderungen der enteigneten Unternehmer und vermutete sogar eine „jüdische Verschwörung“ gegen sich. Ich zitiere einen Artikel des Bayerischen Rundfunks:

„Neckermann selbst war zeitlebens frei von jedem Schuldbewusstsein. Man lebe nun mal nicht in einem Geschichtsbuch, lautete sein lakonischer Kommentar zu seiner eigenen Rolle in der NS-Zeit, und er bereue nichts.“

Oder nehmen wir Franz Beckenbauer, der heute noch der Meinung ist, im Fußball sei nicht gedopt worden und werde es auch nicht, das bringe ja sowieso nichts. - Zu seiner aktiven Zeit ausweislich eines Artikels im „Stern“ hat er das anders gesehen.

Was bleibt? - Der eine war Repräsentant einer Diktatur und hat sich zeitlebens nicht dafür geschämt, der andere leugnet Doping im Fußball. Die Deutsche Sporthilfe als Trägerin der Hall of Fame hat einen guten Weg gefunden, damit umzugehen. Sie zeigt in der Hall of Fame selbst die biografischen Brüche ihrer Mitglieder auf. Bei Neckermann wird auch seine Rolle im Nationalsozialismus thematisiert. Das, meine Damen und Herren, wäre auch ein guter Umgang mit Täve Schur gewesen.

(Beifall bei der SPD)

So bleibt der fade Beigeschmack, ost- und westdeutsche Sportbiografien würden mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Es bleibt der fade Beigeschmack, die Idole des Westens seien mehr wert als die Idole des Ostens. Es bleibt der fade Beigeschmack, die Lichtgestalt des Westens sei mehr wert als der Jahrhundertsportler des Ostens. Es wäre gut, diesen Geschmack loszuwerden.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich sehe keine Nachfragen. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abg. Herr Striegel das Wort.

(Zurufe von der AfD)

- Entschuldigung. Jetzt habe ich tatsächlich einen übersprungen, und zwar den Vertreter der AfDFraktion. Herr Mrosek hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Hohes Haus! Täve Schur, mit bürger

lichem Namen Gustav-Adolf Schur, wurde nicht in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen. Das war mit Sicherheit eine politische Entscheidung und keine sportliche Entscheidung.

(Beifall bei der AfD)

Seine sportlichen Erfolge und Leistungen sind unstrittig. 1958, in meinem Geburtsjahr, wurde Täve Schur erstmalig Weltmeister. Weitere, viele nationale und internationale Erfolge krönten seine sportliche Laufbahn. Täve Schur wurde ein Vorzeigesportler der DDR; aber von denen gab es auch viele. Ich selbst war über viele Jahre hinweg Leistungssportler; ich selbst weiß, welche Entbehrungen ein Leistungssportler auf sich nehmen muss, welche Kraft, welchen Fleiß, welche Ausdauer, welchen Willen er investiert, um auf den obersten Treppchen der Welt zu stehen.

Auch ich stand viermal als Welt- und viermal als Europameister ganz oben. Sie werden es nicht glauben, es ist so. Als ich ganz oben stand, hörte ich auch mit Stolz unsere deutsche Nationalhymne, und da lief mir etwas über die Haut. Man steht dort oben, still, und die Hymne wird gespielt. Aus diesem Grund weiß ich, was Täve Schur geleistet hat.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Das ist jetzt nicht wahr, oder?!)

Der Herr Innenminister Stahlknecht hat wunderbar geschildert, wie es Sportlern in der DDR erging, die im Leistungssport nach vorn kommen wollten und mussten.

Die DDR hat sehr viel Wert auf internationale Anerkennung gelegt. Sport war ein Mittel zum Zweck, um das zu erreichen. Ich möchte deswegen gar nicht auf Täves politische Vergangenheit eingehen, weiß aber aus dem Sportkuratorium, dass er sich noch heute für den Breitensport einsetzt, und das in einem stolzen Alter. Das verdient aus meiner Sicht auch heute noch Lob und Anerkennung.

(Beifall bei der AfD)

Ich persönlich bin der Meinung, man sollte Politik und Sport voneinander trennen, obwohl das, Herr Minister

(Holger Stahlknecht, CDU: Ich bin noch da!)

- da ist er -, nicht immer einfach ist. Es darf meiner Ansicht nach keine Gratwanderung zwischen Sportlerherzen und ideologischen Einstellungen geben; denn ideologische Einstellungen obliegen der Meinungsfreiheit. Diesbezüglich kann jeder das machen, was er möchte, vorausgesetzt, es ist gesetzeskonform.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Aber doch nicht folgenlos!)

Ob sich die Jury davon hat beeinflussen lassen, das kann ich nicht sagen; das weiß ich nicht. Auf alle Fälle hat die Nominierung des DDR-Radsportidols Täve Schur sowohl Zustimmung als auch Kritik hervorgerufen, vor allem nach seinen Aussagen in einem Zeitungsinterview, die als Verklärung des DDR-Unrechts und als Verharmlosung des erwiesenen DDR-Dopings von Minderjährigen ausgelegt wurden. So wurden sie ausgelegt.

Ich selbst war jahrelang als Ringkämpfer an der Kinder- und Jugendsportschule in Halle. Ich kann ruhigen Gewissens behaupten, dass wir dort als Jugendliche nicht mit chemischen Substanzen versorgt worden sind. Es mag andere Beispiele geben. Aber ich kann es dort nicht bestätigen.

Ich persönlich - die Frage ist in der Fraktion der AfD strittig, ob ja oder nein - stimme dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zu. Aber bei mir stimmt das Sportlerherz zu. Die sportliche Leistung wird anerkannt. Ich trenne Politik und Sport ganz klar voneinander. Meine Kollegen werden für sich selbst entscheiden, wie sie sich in der Abstimmung verhalten. - Danke.

(Zustimmung bei der AfD - Siegfried Borg- wardt, CDU, meldet sich zu Wort)

Das habe ich nicht übersehen. Herr Borgwardt hat eine Frage. Bitte.

Ich wollte mich einfach vergewissern, ob ich es richtig verstanden habe. Sie argumentieren so, weil Sie das bei Ihnen nicht festgestellt haben. Welche Relevanz hat das mit Blick auf das Doping, das hundertausendfach vorgekommen ist? Was ist das für ein Argument?

Das Argument ist, dass ich von mir spreche, wie ich den Sport erlebt habe, Herr Borgwardt.

Sie verallgemeinern das. Aber mit welchem Ziel denn? - Ich kann Ihnen Turner nennen, von denen ich es selbst weiß. Das ist kein Argument.

Doping ist das Geheimnis eines Sportlers selbst. Niemand wird sich hinstellen und wird sagen, ich habe etwas genommen, ich habe nichts genommen.

(Zuruf von Jens Kolze, CDU)

Ich war in der DDR als Jugendlicher in der Kinder- und Jugendsportschule. Ich kann nicht bestätigen,

dass wir etwas bekommen haben. Ich habe auch gesagt, es mag sein, dass es andere Fälle gegeben hat. Aber ich als Jugendlicher habe es nicht erlebt, und dazu stehe ich.

Gut. Sie haben nicht verstanden, was ich gemeint habe.

Frage gestellt - Frage beantwortet. Weitere Fragen sehe ich nicht. Damit ist dieser Debattenbeitrag beendet. - Jetzt kommen wir zum Abg. Striegel von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Gustav-Adolf, genannt Täve, Schur wird nicht in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen. Das ist das Ergebnis einer unabhängigen Juryentscheidung. Diese Entscheidung fiel in Kenntnis der unbestrittenen und herausragenden sportlichen Erfolge von Schur, aber eben auch mit Blick auf seine staatstragende und das System stabilisierende Rolle in der DDRDiktatur und wohl vor allem aufgrund der bis heute ungebrochenen Akzeptanz, ja, Sympathie, die Täve Schur der DDR und dem Sport in der Diktatur des Proletariats entgegenbringt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Jens Kolze, CDU)

Ich halte es für einen Fehler, wenn der Landtag von Sachsen-Anhalt sich zum Richter aufschwingen will,

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der CDU)