Auch die Zahl der Stellungnahmen von Interessenverbänden behinderter Menschen und der Wohlfahrtsverbände sprechen Bände. Es sind in der Regel auch keine Ein- oder Zweiseitenpapiere. Auch dies ist eindeutig ein Zeichen für die Defizite in diesem Gesetz.
Dies alles kann man ignorieren, den gegenwärtigen Stand begrüßen und würdigen und den Bundestag bitten, Änderungen herbeizuführen. Ob dies im Interesse von behinderten Menschen ist, ihren individuellen Ansprüchen tatsächlich Rechnung trägt und damit ihre Teilhabemöglichkeiten verbessert, ist für uns mehr als fraglich.
Dies will der Alternativantrag der regierungstragenden Fraktionen, der daher nicht unsere Zustimmung findet. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Alternativantrag von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ebenso hinter der Erwartungshaltung von Menschen mit Behinderung, ihrer Interessenverbände und -vereine zurückbleibt wie der Gesetzentwurf selbst.
Ein Bundesteilhabegesetz ist wichtig und richtig; dazu stehen auch wir. Der Maßstab - dabei bleiben wir - ist die UN-Behindertenrechtskonvention. Eine Ablehnung oder eine Stimmenthaltung bei der Abstimmung zu diesem Gesetz im Bundesrat beerdigt nicht das Vorhaben, sondern lediglich diese Variante, und das auch nur, wenn die Zahl der Ablehner höher ist als die der Zustimmenden. Wir bleiben bei unserem Antrag und bitten um Zustimmung. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Zoschke. Ich sehe keine Anfragen. - Für die Landesregierung spricht die Ministerin Frau Grimm-Benne. Sie haben das Wort, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Frau Zoschke, das Gesetz ist noch nicht verabschiedet. Also eine Beerdigungsrede brauchen wir noch nicht zu halten. Vielmehr sollte kämpferisch aus dem Landtag herausgehen, was wir noch daran verändern wollen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Bundesteilhabegesetz die Teilhabechancen für Menschen mit Behinderungen in den kommenden Jahren ganz maßgeblich prägen und deutlich verbessern wird. Davon bin ich überzeugt.
Ich bin auch davon überzeugt, dass an dem Gesetz im Bundestag noch gearbeitet werden muss, natürlich beim Gesetzgeber. Wo denn sonst?
Wir haben hier schon deutlich gemacht, welche Erwartungshaltungen die Länder haben und was noch passieren muss. Das haben wir im ersten Durchgang im Bundesrat sehr deutlich gemacht.
Ich habe die wesentlichen Kritikpunkte bereits in der letzten Sitzung des Landtages im Oktober benannt. Aber ich möchte sie heute auch im Lichte der Gegenäußerungen der Bundesregierung
Erstens. Der Kreis der Leistungsberechtigten soll zwar weder eingeschränkt noch wesentlich erweitert werden, die Formulierung bezüglich des leistungsberechtigten Personenkreises im Gesetz löst aber bei vielen Betroffenen - das haben Sie zu Recht gesagt - die Befürchtung aus, dass ihnen künftig Leistungen verwehrt werden. Deshalb haben die Länder die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, wie im weiteren Gesetzgebungsverfahren sichergestellt wird, dass alle, die bisher Anspruch auf Eingliederungshilfe hatten, dies auch zukünftig haben werden.
Die Bundesregierung hat diese Bitte aufgegriffen. Sie wird sich darum bemühen, dass noch im Gesetzgebungsverfahren die einschlägige Vorschrift überarbeitet und eine Ex-ante-Evaluierung der neu beschriebenen Zugangsvoraussetzung bis zu ihrem Inkrafttreten im Jahr 2020 durchgeführt und finanziert wird.
Zweitens. Das Bundesteilhabegesetz enthält noch keine Regelung zum Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung, der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe, die jetzt, wie Sie auch gesagt haben, als gelungen bezeichnet werden kann. Hier sehen die Länder dringend Nachbesserungsbedarf. In der nächsten Woche wird die Arbeits- und Sozialministerkonferenz stattfinden. Auch dazu soll es eine Verbesserung geben.
Drittens. Die Abgrenzung der fachlichen Leistungen der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden Leistungen des Lebensunterhalts ist ebenfalls in der Diskussion. Zum einen muss sichergestellt sein, dass Menschen mit Behinderung, die in Wohnstätten leben und die künftig aus unterschiedlichen Systemen Leistungen zur Existenzsicherung bzw. zur Teilhabe erhalten, im Ergebnis nicht schlechter gestellt werden als heute. Das sagen wir ja auch.
Zum anderen müssen die existenzsichernden Leistungen im Rahmen der Grundsicherung in voller Höhe vom Bund finanziert werden. Eine Verschiebung von Teilen der existenzsichernden Leistungen zulasten der Eingliederungshilfe, das heißt zulasten der Ländern und Kommunen darf eben nicht erfolgen.
Viertens. In der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ist das Recht auf selbstbestimmte Lebensführung und die volle Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft festgeschrieben. Das bezieht auch das Recht auf die Wahl des Wohnortes und der Wohnform mit ein.
Die Frage, in welchem Umfang das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfe eingeschränkt werden kann, ist äußerst umstritten. Ein uneingeschränktes Wunsch- und Wahlrecht ist mit Blick auf die Kostenfolgen für Kommunen und Länder im Bundesrat zurzeit nicht konsensfähig. Allerdings verlangen auch die Länder eine Veränderung der Bestimmung zugunsten des Vorrangs inklusiver Wohnformen.
Fünftens. Die Regelungen, die im Rahmen der Zumutbarkeit einer gemeinsamen Inanspruchnahme von Leistungen der sozialen Teilhabe, insbesondere von Assistenzleistungen zur Bewältigung des Alltags, der Haushaltsführung und der Freizeitgestaltung von mehreren Leistungsberechtigten vorsieht, ist Gegenstand der Kritik. Die gemeinsame Inanspruchnahme wird in der Diskussion pointiert auch als Zwangspoolen bezeichnet.
Aktuell werden in Einrichtungen der Behindertenhilfe Assistenzleistungen von mehreren Leistungsberechtigten gemeinsam in Anspruch genommen. Mit dem Wegfall der Unterscheidung zwischen der stationären und der ambulanten Leistungserbringung ist zu entscheiden, ob auf die gemeinsame Leistungserbringung vollständig verzichtet oder eine Regelung gefunden werden kann, die sowohl das Wunsch- und Wahlrecht nicht über die Grenzen der UN-Behindertenrechtskonvention hinaus einschränkt als auch die Belastung der Haushalte von Ländern und Kommunen eingrenzt.
Als wichtigen weiteren Punkt möchte ich noch nennen, dass der Bund bisher eine Beteiligung an den Kosten der Eingliederungshilfe ablehnt. Dies ist allerdings mit Blick auf die erheblichen Finanzierungsrisiken, die mit dem Bundesteilhabegesetz für die Länder und die Kommunen verbunden ist, nicht hinnehmbar.
Aber bei allem, was wir noch an Kritikpunkten haben, sehen wir, dass die Demonstrationen und die Beteiligung Wirkung gezeigt haben. Es ist Ihnen auch nicht verborgen geblieben, dass da noch einmal Bewegung hineingekommen ist, dass
Sie haben die Vorteile alle schon benannt. Dem will ich nichts hinzufügen. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass da noch einmal etwas passieren wird. Ich finde, wir sollten das weiter vorantreiben, wir sollten die Kritikpunkte ausräumen, die auch von mir hier skizziert worden sind.
Wir haben es mit dem Beirat und den anderen Gremien sehr offen diskutiert. Wir haben Stellungnahmen an den Bundesrat und an die Bundesregierung abgegeben. Ich bin mir ganz sicher, dass da noch eine Menge in Bewegung ist. Deshalb sehe ich das nicht so pessimistisch. Das Gesetz ist noch nicht beschlossen und wir können daran noch eine ganze Menge verändern. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich sehe keine Anfragen. - Wir können in die vereinbarte Fünfminutendebatte eintreten. Als erste Rednerin spricht Frau Gorr für die CDU-Fraktion. Bitte, Frau Gorr.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz ist seit Langem in der Beratung. Ebenso lange ist er mit großer Hoffnung auf Verbesserung von den und für die Betroffenen ersehnt worden.
Eigentlich umschreibt die Überschrift des Antrags der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 7/587 - ich zitiere: „Ein klares Zeichen für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft setzen!“ - diesen Wunsch, den wir im Land Sachsen-Anhalt von Beginn an teilen. Allein der zweite Teil der Überschrift: „Ablehnung des aktuellen Gesetzentwurfs zum BTHG im Bundesrat“ ist aus der Sicht der Koalitionsfraktionen zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv.
Von Beginn an haben wir im zuständigen Ausschuss den Prozess begleitet und immer wieder unsere Forderungen schon über den damaligen Minister Bischoff nach Berlin weitergeleitet. Damit haben wir uns einerseits deutlich dazu bekannt, mit dem Bundesteilhabegesetz einen Weg zu beschreiten, der die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung im Sinne von gleichberechtigter Teilhabe verbessert.
Andererseits haben wir die Wünsche und Bedenken, die von vielen Menschen in unserem Bundesland an uns herangetragen wurden, klar formuliert und ebenfalls im Sinne von aktiver politischer Teilhabe an die verantwortlichen Gremien als Forderungen aus Sachsen-Anhalt weitergereicht.
Unser Änderungsantrag enthält einige wichtige Punkte, bei denen wir noch Klärungsbedarf sehen. Diese sind unter Punkt 3 benannt. Es geht um das Rangverhältnis zwischen Leistungen der Eingliederungshilfe und Pflege, die Definition des leistungsberechtigten Personenkreises, die Prüfung der Zumutbarkeit und Angemessenheit, die Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Leistungserbringung sowie um die Auswirkungen der Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen. Frau Ministerin hat dazu schon ausgeführt.
Wir hoffen, dass die von vielen Betroffenen geteilte Befürchtung, dass ihnen zukünftig Leistungen verwehrt werden, so nicht eintritt und dass alle, die bisher Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, diesen auch zukünftig haben werden.
Die unter Punkt 1 unseres Antrags formulierte Bitte an die Landesregierung, sich für eine bessere Evaluierung der Mehrkosten, die durch das Bundesteilhabegesetz entstehen, sowie für eine Kostenerstattungsklausel des Bundes gegenüber den Ländern einzusetzen, möchte ich ebenfalls hervorheben.
Klar gegen eine Ablehnung des aktuellen Gesetzentwurfs sprechen für uns die eindeutigen Schritte - ich möchte sagen: Fortschritte - in Richtung einer echten Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Wir haben immer für Leistungen aus einer Hand gekämpft, um den Benachteiligungen nicht noch neue Hürden hinzuzufügen. Ebenso war im Ausschuss immer der Wunsch präsent, einen eigenen Tatbestand für die Elternassistenz einzuführen, um ein Beispiel zu nennen. Viele von uns werden sich noch daran erinnern.
Ein weiteres Problem besteht in der Regelung zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei der Finanzierung von Teilhabeleistungen. Diese wird schrittweise verbessert und stärkt hoffentlich die frei gewählte Lebensplanung von Menschen mit Behinderung. Für die Union ist es besonders wichtig, dass die Einkommen der Lebenspartner nicht länger für die Finanzierung der Eingliederungshilfe herangezogen werden, was für viele Paare einer Heirat entgegensteht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch den Übergang für Schwerbehinderte auf den ersten Arbeitsmarkt und damit die Thematik der Werkstätten für Menschen mit Behinderung werden durch das Bundesteilhabegesetz angefasst. Das Bundesteilhabegesetz wird mit seiner Verabschiedung einen Systemwechsel in der Wahrnehmung und in der Ausführung herbeiführen.
Teilhabe an Bildung, Teilhabe an Mobilität und soziale Teilhabe werden mehr Selbstbestimmung ermöglichen. Genau dieses Ziel bildet sich in unserem Landesaktionsplan ab, der sich im Prozess der Weiterentwicklung befindet.
Ich hoffe, dass wir in den nächsten Jahren resümieren können, dass das Bundesteilhabegesetz ein Start in die richtige Richtung gewesen ist. Ich bitte um Zustimmung zum Alternativantrag der Fraktionen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Vielen Dank, Kollegin Gorr. - Als nächster Debattenredner spricht Herr Kirchner für die Fraktion der AfD. Sie haben das Wort, Herr Kirchner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Liebe Gäste auf den Tribünen! Hohes Haus! Wem nützt das bestgemeinte Gesetz, wenn es in weiten Teilen fehlerhaft ist? - Niemandem wirklich.
Menschen mit wesentlicher oder schwerer Behinderung haben in Deutschland einen Anteil an der Bevölkerung von ca. 10 %. Die berufliche und gesellschaftliche Teilhabe sowie die Rehabilitation spielen für diese Menschen eine eminent wichtige Rolle. Die Bedeutung des Bundesteilhabegesetzes spiegelt sich auch in einer enormen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe wider, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für den Rest der Bevölkerung.
Die schwierige Aufgabe, die Interessen der Betroffenen widerzuspiegeln, ist deutlich zu sehen an den mehr als 100 Änderungsanträgen aus den verschieden Bundesländern. Es wurde ein relativ gutes Gesetz auf den Weg gebracht, welches aber dennoch Grund für den Unmut nicht nur bei uns, bei der AfD-Fraktion, sondern vor allem auch bei den Behindertenverbänden gibt.
Wir können bei allen Dingen sparen, bei uns selbst, bei der Infrastruktur unseres Landes, bei Rentenansprüchen von Politikern, bei automatischen Diätenerhöhungen zum Beispiel, aber wer anfängt, bei behinderten oder benachteiligten Menschen zu sparen, hat unserer Meinung nach wirklich eine rote Linie überschritten.
Hierbei gilt es auch, die sechs Kernforderungen des Deutschen Behindertenrates mit einzubeziehen und zu beachten. Diese sind: Menschen mit Behinderungen sollen mehr selbst entscheiden können. Menschen mit Behinderungen sollen ihr Einkommen und Vermögen behalten dürfen. Die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen sollen nicht gekürzt werden. Die Unterstützung soll es schnell geben, sie soll nicht schlechter sein. Unterschiedliche Unterstützungen sollen abgestimmt werden und sie sollen aus einer Hand kommen. Mehr Menschen mit Behinderungen sollen eine Arbeit bekommen, und sie sollen bes
ser wählen können, welche Arbeit sie machen können. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen dürfen nicht eingeschränkt werden, damit notwendige Hilfen nach dem neuen Gesetz trotzdem weiter bezahlt werden können.
Ich selbst habe im Oktober dieses Jahres zwei Veranstaltungen des Allgemeinen Behindertenverbandes Sachsen-Anhalt besuchen dürfen. Am 5. Oktober den Workshop „Alt, behindert und gesund“, bei dem ich eine Langzeitstudie über Probleme behinderter Menschen im täglichen Leben vorgestellt bekam. Wobei ich sagen muss: Gerade bei Menschen mit Behinderungen müssen Verbesserungen vorangetrieben werden, um es diesen Menschen im täglichen Leben zu erleichtern, ihre Probleme, die vom Arztbesuch bis zum Berufsleben reichen, verbessern zu können.
Auch beim zweiten Termin des Allgemeinen Behindertenverbands Sachsen-Anhalt am 12.10. unter dem Motto: „Segen und Fluch - wie selbstbestimmt lässt dich das Bundesteilhabegesetz teilhaben?“ wurde aus der Sicht verschiedener Verbände das Bundesteilhabegesetz betrachtet. Herr Peter Pischner, hauptamtlicher Behindertenbeauftragter unserer Landeshauptstadt, fand dazu klare und kritische Worte.