Protocol of the Session on November 25, 2016

Auch beim zweiten Termin des Allgemeinen Behindertenverbands Sachsen-Anhalt am 12.10. unter dem Motto: „Segen und Fluch - wie selbstbestimmt lässt dich das Bundesteilhabegesetz teilhaben?“ wurde aus der Sicht verschiedener Verbände das Bundesteilhabegesetz betrachtet. Herr Peter Pischner, hauptamtlicher Behindertenbeauftragter unserer Landeshauptstadt, fand dazu klare und kritische Worte.

Leider muss ich bei der Teilnahme an diesen wichtigen Veranstaltungen eines bemängeln: Es fand neben mir nur ein Landtagsabgeordneter der CDU, nämlich Herr Krull, den Weg zu diesen Veranstaltungen. Gerade bei diesem wichtigen Thema hätte ich mir gewünscht, Landtagsabgeordnete der GRÜNEN, der LINKEN oder auch der SPD auf der Anwesenheitsliste entdecken zu können. Es hätte der Sache gedient.

(Beifall bei der AfD)

Verschweigen möchte ich nicht, dass bei jeder Veranstaltung zumindest ein Bundestagsabgeordneter zugegen war, nämlich Tino Sorge von der CDU, unter dessen Schirmherrschaft der erste Termin stattfand, und bei der zweiten Veranstaltung Petra Sitte von der LINKEN.

Ich muss aber auch sagen, dass bei der zweiten Veranstaltung unter dem Motto „Segen und Fluch - wie selbstbestimmt lässt dich das Bundesteilhabegesetz teilhaben?“ unsere Ministerin Frau Grimm-Benne sich mit einem kurzen Redebeitrag zu Wort meldete, was absolut zu begrüßen ist. Der Redebeitrag fiel leider relativ kurz aus, weil aus der Sicht der Ministerin ihr Arbeitspensum an diesem Tag noch sehr hoch sei.

Als ich ca. 45 Minuten später, nach Beendigung der Veranstaltung, sah, dass das Arbeitspensum unserer Ministerin darin bestand, an der Elbpromenade bei Werder einen Fototermin im Sportanzug und mit Nordic-Walking-Stöcken zu absolvieren, musste ich mich ernsthaft fragen, wie poli

tisch nachhaltig diese beiden Termine gegeneinander abzuwägen sind.

(Beifall bei der AfD)

Alles in allem bleibt für unsere AfD-Fraktion festzuhalten, dass dieses Bundesteilhabegesetz dringend einer Überarbeitung bedarf. Wir fordern, den aktuellen Gesetzentwurf im Bundesrat zu überarbeiten und ein Gesetz zu verabschieden, das Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen zu dem macht, was sie sein müssen: einem gleichberechtigten Teil unserer Gesellschaft.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Richard von Weizsäcker schließen:

„Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Danke schön.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kirchner. Ich sehe keine Anfragen. - Somit kommen wir zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abg. Frau Lüddemann.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Vielleicht eines vorausgeschickt: Herr Kollege Kirchner, wenn Frau Ministerin Grimm-Benne oder ich nicht an allen Veranstaltungen teilgenommen haben, die Sie jetzt aufgezählt haben - ich sehe ihn gerade gar nicht -, will ich dann nur zu Protokoll geben: Dann mag das daran liegen, dass wir uns in Berlin dafür engagieren, dass an dem Gesetz die Dinge, die wirklich wichtig sind, geändert werden.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

Da kann es dann auch einmal passieren, dass wir nicht an jeder Veranstaltung hier im Land teilnehmen.

Inhaltlich hat die Kollegin Zoschke das Wesentliche zum Bundesteilhabegesetz vorgelesen. Frau Ministerin hat noch einmal ergänzt. Ich will nicht verhehlen, dass auch wir Bündnisgrüne vom derzeitigen Stand enttäuscht sind. Es ist vielleicht nicht gerade ein Offenbarungseid, aber es ist auf keinen Fall zufriedenstellend; das muss man konstatieren.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE, und von Swen Knöchel, DIE LINKE)

Es ist aber auch nicht alles schlecht, und das macht die Sache so schwierig. Gerade in unse

rem Land muss man konstatieren, haben wir nicht diese massenhaften Demonstrationen. Selbst die Stellungnahmen der Liga oder der Volkssolidarität sind ambivalent. Das ist genau das, was es so schwierig macht.

Es gibt ein paar Punkte, die ich noch einmal hervorheben will, obwohl sie bereits genannt worden sind. Zum Beispiel der Einstieg, und mehr kann es an dieser Stelle auch nicht sein, in die Verbesserung hinsichtlich Einkommens- und Vermögensanrechnung, die Aufnahme der Leistung Elternassistenz, die regelhafte Einführung eines Budgets für Arbeit, die Schaffung einer unabhängigen Beratungsstruktur, wenn auch befristet, aber als Einstieg, die Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen. Dann hört es eigentlich im Grunde schon fast auf, das muss man sagen.

Wir haben große Sorgen, was das Bundesteilhabegesetz betrifft. Das sieht man auch an meiner mündlichen Anfrage, die ich in der letzten Plenarsitzung stellte, die sehr umfänglich von Frau Ministerin beantwortet wurde. Wir können an dieser Stelle nur versichern, dass wir alles dafür tun, mit den Bundestagsfraktionen - das sind diejenigen, die zunächst zu entscheiden haben, unsere Beratung im Bundesrat kommt erst danach - noch Verbesserungen zu erwirken.

Der Bundesrat, den ich eben nicht umsonst erwähnt habe, hat eine sehr fundierte, sehr umfangreiche Stellungnahme vorgelegt. Es gibt eine horrende Anzahl von Änderungsanträgen; darauf ist vom Kollegen Kirchner schon hingewiesen worden. Sehr ausführlich verweise ich jetzt noch einmal auf die Fragestunde in der letzten Sitzung. Da ist das alles dargestellt worden.

In der Erwiderung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates sind davon auch einige Punkte aufgegriffen worden. So stellt die Bundesregierung etwa eine Überarbeitung der sogenannten 5-von-9-Regelung hinsichtlich der

grundsätzlichen Anspruchsberechtigung in Aussicht. Aus meiner Sicht ist dies auch eine dringend notwendige Sache, denn eine Schlechterstellung von derzeitig Leistungsbeziehenden darf es nicht geben. Ich sage einmal: Hinter den Status quo zurückzufallen wäre natürlich völlig absurd.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Auch ist auszuschließen, dass künftig Sinnesbehinderte oder seelisch Behinderte aus dem System herausfallen; hier bedarf es Korrekturen.

Immerhin stellt die Bundesregierung auch eine Überprüfung zur Wahlfreiheit der Wohnform in Aussicht. Hier ist abzuwarten, ob die Überprüfung zur Änderung des Gesetzentwurfs führt. Die Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung im Rahmen der Pflegeversicherung

muss notfalls per Normenkontrollklage erstritten werden, wenn der Bundesgesetzgeber daran festhält. Das ist jedenfalls meine Auffassung dazu.

Denn ich habe erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität der bisherigen Regelung nach § 43a. Fachlich kann ich mich in diesem Punkt nur der Stellungnahme der Liga anschließen, die in diesem Punkt sehr klar ist und sagt: Diese Regelung ist aus Ihrer Sicht ebenfalls nicht tragbar.

Weiterhin ist - das finden Sie im Änderungsantrag auch dezidiert - es aus der Sicht des Landes mehr als ärgerlich, dass eine verbindliche, dauerhafte Beteiligung des Bundes, die immer in Aussicht gestellt wurde, an den Kosten der Eingliederungshilfe - so steht es auch im Koalitionsvertrag der großen Koalition - nicht in das Gesetz eingeflossen ist. Hier braucht es den Einsatz der Landesregierung, hier brauchen wir Nachbesserungen.

Der Gesetzentwurf - darauf ist hingewiesen worden - ist tatsächlich noch im Fluss. Wie zu hören ist, wird es vonseiten der Regierungsfraktionen auf Bundesebene im Rahmen der Befassung im Arbeits- und Sozialausschuss Änderungsanträge geben. Am 29.11. werden wir mehr dazu wissen.

Auch wenn klar ist, eine Ablehnung des Teilhabegesetzes wäre sehr unglücklich und die Forderung nach einer umfassenden Ablehnung war bei uns im Land die Ausnahme, so ist meiner Fraktion aber genauso klar für eine Zustimmung - - Es gibt noch etwas zwischen Ablehnung und Zustimmung, es gäbe auch noch den Vermittlungsausschuss etc. Für eine Zustimmung sind noch deutliche Verbesserungen nötig, das will ich ganz klar sagen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich kann auf die gemeinsame Pressemitteilung des Sozialministers aus Baden-Württemberg, der stellvertretenden Ministerpräsidentin aus NRW und der Sozialsenatorin aus Bremen verweisen, die eine Zustimmung zum Gesetz in seiner jetzigen Form im Bundesrat für - ich zitiere - „äußerst unwahrscheinlich“ halten. Das ist keine grüne Blockadehaltung aus Prinzip, sondern das entspricht den Interessen der Betroffenen und auch - ich habe es ausgeführt - dem Interesse der Länder.

Im Übrigen lief Anfang September die sehr kritische Positionierung der CSU zum Bundesteilhabegesetz durch die Medien, woran man sieht, dass hier eine sehr kritische bis ablehnende Betrachtung über, wenn man so will, alle Lager hinweg vorhanden ist.

Wir werden sehr genau hinschauen müssen, wie das Gesetz aus dem Sozialausschuss des Bundestags herauskommt. Der Ball liegt zunächst beim Bundestag - ich habe es erwähnt - und das müssen wir uns ganz genau angucken. Da bin ich

wieder bei Ihnen, Kollegin Zoschke. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüddemann. Sie haben etwas überzogen. Aber ich denke, das kommt den letzten beiden Rednerinnen sicherlich zugute. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abg. Frau Dr. Späthe. Sie haben das Wort, bitte.

Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Selten wurde ein Gesetz von so vielen und so hohen Erwartungen begleitet wie das Bundesteilhabegesetz. In der Arbeitsgruppe Teilhabegesetz haben viele Vertreter, vor allem von Vereinen und Verbänden, und natürlich auch Experten in eigener Sache mitgearbeitet und es wurden weitreichende Forderungen erhoben. Ja, es wurden nicht alle diese Erwartungen in dem Gesetzentwurf verankert. Ja, es muss bis zum Inkrafttreten unbedingt einige Weiterentwicklungen und Präzisierungen geben.

Aber auch: Ja, es wurden zahlreiche grundlegende Verbesserungen im Gesetzentwurf bereits verankert. Das ist die Neuausrichtung der Eingliederungshilfe von der einrichtungszentrierten zur personenzentrierten Hilfe. Das trägerübergreifende Gesamtplanverfahren soll Hilfe aus einer Hand absichern und die Servicestellen ablösen, die eigentlich nie so richtig ans Laufen kamen. Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen etc. ist auch hier schon mehrfach erwähnt worden.

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf des Bundesteilhabegesetzes mit seinen 26 Artikeln greift außerordentlich umfassend in das gesamte System der Sozialgesetzbücher ein. Die Umsetzung dieses Gesetzes wird uns alle in den kommunalen Strukturen erreichen, insbesondere wird es eine außerordentlich große Herausforderung für die Jugendämter und Sozialämter der Landkreise werden.

Genau deshalb wird für die Umsetzung des Gesetzes ein gestuftes Verfahren vorgesehen, von der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag voraussichtlich im Frühjahr 2017 bis zum endgültigen vollständigen Inkrafttreten im Jahr 2020. Diese Zeit kann und soll genutzt werden, um die nach wie vor in der Diskussion befindlichen strittigen Punkte zu evaluieren und zu klären.

Im Artikel 25 des Gesetzentwurfs - Bekanntmachungserlaubnis und Umsetzungsunterstüt

zung - heißt es - ich zitiere -:

„Das Bundesministerium … kann im Einvernehmen mit den Ländern die Ausführungen der Leistungen nach Artikel 1 Teil 2“

- das ist der Bereich Eingliederungshilfe -

„untersuchen und die Träger der Eingliederungshilfe bei der Umsetzung der neu eingeführten Regelungen begleiten. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung und der Umsetzungsbegleitung sollen ab dem

1. Januar 2020 mit den Erkenntnissen der Evidenzbeobachtung in die Eingliederungshilfe zusammengeführt werden.“