Protocol of the Session on October 28, 2016

(Unruhe - Sebastian Striegel, GRÜNE: Das macht es nicht besser!)

Ich will das nur der Vollständigkeit halber sagen, weil sonst der Eindruck entsteht, es gibt zwei verschiedene Welten. Dass es einer tieferen Diskussion bedarf, ist unbestritten. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Es hat aber nichts damit zu tun, dass es jetzt in der Gesellschaft ausgeblendet wird. Es haben auch die ausgeblendet, die den Antifaschismus als Monstranz vor sich hergetragen haben.

Herr Borgwardt, ich will trotzdem darauf antworten, obwohl Sie das vielleicht gar nicht hören wollen, völlig egal.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Erstens. Ich bin wirklich weit davon entfernt zu akzeptieren, dass, wenn vor 1989 Fehler gemacht wurden, diese Fehler heute wieder gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Sieg- fried Borgwardt, CDU)

Zweitens. Das Problem der DDR mit Antisemitismus ist ein sehr differenziertes, aber auf jeden Fall existent. Das Problem ist weitestgehend an den Rand der gesellschaftlichen Wahrnehmung geschoben worden. Allerdings - das muss man sagen - gab es schon zu DDR-Zeiten die entsprechende Gedenkplatte, eingelassen in die Erde, die sich mit der sogenannten Judensau auseinandergesetzt hat. Das heißt, auch in der DDR war die Reflexion durchaus differenzierter, als sie heute manchmal dargestellt wird. Eines sollte uns aber einen: Fehler, die damals gemacht wurden, entschuldigen nicht die heutigen.

Insofern glaube ich übrigens, so intensiv die Debatte über den Antisemitismus aufgekommen ist - allerdings von außen, eher von außen -, so erfolgreich kann sie auch geführt werden. Ich glaube sehr wohl, dass es auf einem guten Weg ist.

Aber die Auseinandersetzung über die soziale Frage ist bis heute vollständig ausgeblendet worden. Das ärgert uns möglicherweise mehr als andere. Das ist so. - Danke.

Herr Gallert, es gibt noch drei weitere Anfragen. Zuerst Herr Dr. Tillschneider, dann Herr Krull und danach Herr Scheurell. - Bitte, Herr Dr. Tillschneider.

Eine Intervention, keine Nachfrage, aber Sie können ja darauf antworten. - Sie haben jetzt zehn Minuten zum Thema Reformation gesprochen. Einiges war vernünftig, etwa die Kritik an der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Luther, anderes war fragwürdig bis amüsant, etwa die Anklänge an die DDR, an das DDR-Geschichtsbild und das DDR-Lutherbild.

Was mich aber verwundert hat, ist, dass hier jemand lang und breit über Luther sprechen kann, ohne seine wichtigste Leistung auch nur in einem Nebensatz zu erwähnen. Das war die Übersetzung der Bibel in unser geliebtes Deutsch,

die für unsere deutsche Identität so überaus wichtig ist.

(Beifall bei der AfD)

Herr Tillschneider, ich kann darauf kurz antworten. Es gibt so viele, die pausenlos und nichts anderes über Luther gesagt haben, dass das bei mir heute wirklich nicht notwendig war. Ich glaube, wir kommen in der Debatte keinen Schritt weiter, wenn wir in dieser Art der sehr profanen Würdigung und Reflexion über diese Person reden.

Es ist übrigens umstritten, ob er überhaupt der Erste war, der diese Bibelübersetzung ins Deutsche gemacht hat. Es gibt andere Historiker, die sagen, dass es Müntzer gewesen ist.

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Das ist doch Quatsch!)

- Na ja, so einfach ist es eben nicht. Das ist eben das wilhelminische Geschichtsbild des großen Helden Luther. Die Wahrheit ist sehr viel differenzierter. Sie wissen auch, keiner weiß, ob er die 95 Thesen wirklich selbst angeschlagen hat. Auch das ist typisch wilhelminisches Lutherbild. Deswegen können wir uns ruhig auch historisch damit auseinandersetzen. Der Schwerpunkt meiner Debatte war allerdings, was bedeutet das für hier und heute. Das gebe ich gern zu.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Krull, Sie haben das Wort.

Ein kurzer Hinweis: Am 25. Februar dieses Jahres fand in Magdeburg eine Veranstaltung statt „Luther und die Juden“, hier durchgeführt im Evangelischen Kirchenkreis und der DeutschIsraelischen Gesellschaft. Auch Ihre Fraktion hatte eine Einladung bekommen. Ich habe leider keinen aus Ihrer Partei gesehen. Es wäre gut gewesen wäre, wenn jemand da gewesen wäre, um vielleicht einige der hier gemachten Äußerungen zu verdeutlichen und klar zu machen, dass und wie sich die evangelische Kirche damit auseinandersetzt.

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der CDU und von der AfD)

Herr Krull, mein Problem ist überhaupt nicht - - Ich habe, wenn Sie genau zugehört haben, die evangelische Kirche ausdrücklich gelobt. Sie hat eine hervorragende Position auf ihrer Synode 2013 - glaube ich, aber ich bin mir nicht 100-prozentig sicher - zu der Frage der Distanzierung vom Anti

semitismus Luthers gehabt und eine Entschuldigung gegenüber den Anhängern der jüdischen Religion zum Ausdruck gebracht.

Mein Problem ist, dass die öffentliche Hand massiv Geld für dieses Jubiläum gegeben hat, ohne selbst dieses Problem aufzugreifen. Ich sage noch einmal klar: Ich habe gesagt, das hätte thematisiert werden müssen, vor allen Dingen nach dieser Vorgeschichte, bei der Wiedereinweihung der Schlosskirche.

Ich hätte sagen können, der Ratsvorsitzende Bedford-Strohm hätte das machen können. Aber ich sitze nicht in der Synode. Ich sitze hier im Landtag. Deswegen sage ich, der Ministerpräsident hätte es tun müssen. Mein Vorwurf geht nicht an die Kirche, mein Vorwurf geht an diejenigen, die sich als öffentliche Geldgeber in die inhaltliche Debatte hätten einmischen müssen. Das ist nicht passiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Scheurell, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Gallert, Sie haben in Ihrer Ihnen eigenen Art viel Richtiges zur politischen Debatte heute beigetragen. Aber, sehr geehrter Herr Gallert, ganz am Ende - da hatte ich mich schon gemeldet - haben Sie richtig darauf reflektiert, dass 1987 in einem ökumenischen Akt die Kirchen des Kreises Wittenberg die Bronzeplatten an der „Judensau“ befestigt haben, die aufquellen, um zu zeigen: Alle Platten, alle Deckel dieser Welt können es nicht schaffen, das Unrecht, das an den jüdischen Mitbürgern in Deutschland verübt wurde, zuzudecken. Das war damals eine von vielen Interpretationen.

Wir haben uns als Christen in unserer Stadt sehr wohl damit auseinandergesetzt. Es war schön, dass Sie das auch noch gesagt haben. Es war mir sehr, sehr wichtig, dass das noch einmal gesagt wurde. Es gehört nämlich in die Debatte. Wir haben es nicht einfach so stehen lassen. Auch im Magdeburger Dom ist eine Judensau. Es werden viele nicht wissen, dass sie überall ist.

(Zuruf von der CDU: Aber man sieht sie nicht so deutlich!)

- Ja, sie ist etwas versteckter, ganz genau. Man sieht sie nur von innen.

(Zuruf von der CDU: Sie ist nicht genau zu sehen!)

- Ganz genau. - Ich will sagen, man muss alles immer im Kontext zur damaligen Zeitgeschichte sehen. Denn auch die Debatte, die Sie heute führen, sehr geehrter Herr Gallert, die Sie zu Recht

angestoßen haben - und wir müssen uns damit auseinandersetzen -, ist immer in dem zeitlichen und geschichtlichen Kontext zu sehen. - Danke.

(Zustimmung bei der AfD)

Danke, Herr Scheurell, noch einmal ausdrücklich für Ihre Wortmeldung. Die entsprechende Installation dieser Platte war eine kirchliche Initiative vor Ort. Aber Sie wissen ja mindestens genauso gut und noch viel besser als ich, dass in der DDR nichts passierte, wenn nicht Staat und Partei gesagt haben: Okay, es geht. Zumindest an der Stelle war die DDR dann etwas differenzierter, als wir sie heute in der Frage wahrnehmen. Darauf wollte ich hinweisen.

Ansonsten, Herr Scheurell, haben Sie völlig richtig gesagt: Die Leute müssen in ihrem historischen Kontext betrachtet werden. Das führt aber dazu, dass man sie auf der einen Seite auch für den Antisemitismus, den zum Beispiel Luther gebracht hat, nicht aus der heutigen Perspektive der Erfahrung des Holocaust verurteilen darf. Das darf man nicht. Auf der anderen Seite gehört aber auch dazu, dass man aus historischen Personen keine Helden machen darf, weil man dann diese kritische Distanz verliert. Das gilt übrigens für Luther wie für Müntzer. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Ich würde jetzt die Debatte weiter fortführen. Für die Landesregierung spricht Herr Minister Tullner in Vertretung von Herrn Minister Robra.

Bevor Sie aber beginnen, Herr Tullner, habe ich noch die ehrenvolle Aufgabe, Damen und Herren des Sozialen Dienstes vom Diakonischen Werk Halberstadt recht herzlich bei uns im Hohen Haus begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Tullner, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, man merkt, eine strenge Hand führt hier vorn die Geschäfte. Es gibt kein Wasser mehr auf der Regierungsbank und man wird erst auf Nachfrage zugelassen.

Das ist auch so okay.

Ich füge mich natürlich brav diesem Diktum. - Bevor ich jetzt dazu komme, Ihnen die Rede in

Vertretung von Herrn Robra kundzutun, gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Die Debatte hat sich schon deswegen gelohnt, weil es ein intellektueller und sonstiger Genuss war, dass sich DIE LINKE mit dem Thema Religion, Luther und Reformation auseinandersetzt, was so nicht zu erwarten war.

Ich bin ein wenig enttäuscht, Herr Gallert, dass Sie, aus meiner Sicht ein-, vielleicht gerade einmal zweidimensional die alten Muster wieder aufgeworfen haben: Ja, Thomas Müntzer, den kennen wir noch aus DDR-Zeiten. Dass die Landrätin und unsere verehrte Exkollegin Angelika Klein nun aus Ihrer Sicht am fortschrittlichsten bei diesem Thema ist, ist auch zu erwarten gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ansonsten sollten wir uns voller Freude und Erwartungen dem kommenden Tun widmen und die Dinge, die noch fehlen, in die Debatten einbringen.

Jetzt zum Text von Herrn Robra. Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE hat eine Aktuelle Debatte zum Reformationsjubiläum beantragt mit der programmatischen Aussage im Antragstitel „Reformationsjubiläum im Interesse aller Menschen in Sachsen-Anhalt gestalten“. Diese Befassung im Landtag reiht sich ein in eine Reihe von Befassungen mit dem Thema Reformationsjubiläum, die in den nächsten Wochen in verschiedenen Fachausschüssen anstehen.