Protocol of the Session on October 27, 2016

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Striegel, vorab eine kurze Bemerkung: Es ist fantastisch, dass Sie in Ihrer Rede mindestens dreimal das Wort „populistisch“ verwendet haben.

Zu meiner Frage. Sie gehen darauf ein, dass der Heranwachsende, der 18- bis 21-Jährige, das Recht auf eine - in Anführungsstrichen - Bestrafung hat, die pädagogisch wertvoll ist, also auf eine pädagogische Sanktionierung beispielsweise. Die Frage dazu: Hat denn nicht die Bevölkerung das Recht, vor dem 20- oder 21-jährigen Schwerstverbrecher geschützt zu werden? Es ist nämlich auch Sinn einer Haftstrafe, dass die Bevölkerung - -

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

- Lassen Sie mich doch einmal ausreden, da drüben. Das kann doch nicht möglich sein.

(Swen Knöchel, DIE LINKE: Doch! - Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

- Nicht die geringsten Umgangsformen. Das kommt wahrscheinlich durch so etwas.

Hat nicht die Bevölkerung auch das Recht, vor dem 20- oder 21-jährigen Schwerstkriminellen ge

schützt zu werden? Ist dieses Recht nicht höher zu bewerten als das Recht dieses Einzelnen? Oder geht Ihr Minderheitenschutzgebaren wirklich so weit, dass Sie sagen: Das Recht dieser einzelnen Person steht über dem Schutzrecht der Bevölkerung? - Danke.

(Zustimmung bei der AfD)

Herr Poggenburg! Erstens. Der Heranwachsende, von der Vollendung des 18. Lebensjahres bis zum 21. Lebensjahr, hat nicht das Recht, sondern es gibt die Möglichkeit, abhängig von seinem Reifegrad eine entsprechende Geschichte überhaupt in Betracht zu ziehen. Es geht also nicht um ein Recht, sondern es geht um etwas, das in der Persönlichkeit des Täters liegt. Es geht darum zu entscheiden, ob er die notwendige Reife hat. Das ist zunächst ein Ausnahmetatbestand.

Zweitens. Wir müssen schon den Begriff der öffentlichen Sicherheit von der Frage eines Gerichtsprozesses trennen. Wenn jemand eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, dann muss entsprechend gehandelt werden. Das ist aber nicht in einem Gerichtsprozess zu klären - es sei denn, wir reden über Sicherungsverwahrung -, sondern das ist an anderer Stelle zu klären.

Insofern geht es nicht darum, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung gegen die jungen Leute in Aufrechnung zu bringen, sondern es geht darum zu schauen: Was ergibt auch auf Dauer Sinn? Ich habe in meiner Rede darauf Bezug genommen, indem ich gesagt habe: Der Aufenthalt in Haftanstalten macht in der Regel keine guten Menschen, sondern verschärft häufig die Probleme.

Mein Eindruck ist: Wenn jemand eine Reifeverzögerung hat, über 18 Jahre alt ist, das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, dann muss es im Einzelfall möglich sein, eine seinem Reifezustand angemessene Bestrafung zu finden. Dafür ist das JGG ein gutes Mittel. Das sichert am Ende tatsächlich auch die Sicherheit unserer Bevölkerung. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Striegel. - Als Nächster erhält für die Fraktion der CDU der Abg. Herr Gürth das Wort. Herr Gürth, bitte.

Danke schön. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der AfD möchte mit Ihrem Antrag erreichen, dass die Landesregierung aufgefordert wird, sich dafür einzusetzen, dass die

Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende aufgehoben wird, indem die §§ 105 ff. des Jugendgerichtsgesetzes ersatzlos gestrichen werden.

Nach dem Jugendgerichtsgesetz ist Heranwachsender, wer zur Tatzeit das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat. Wenn ich mir die Begründung zu dem Antrag anschaue, erkenne ich drei wesentliche Begründungen für diese Forderung, die Sie zur Abstimmung stellen.

Ich denke, eine können wir ganz schnell überspringen. Sie stellen die Behauptung auf, dass 18- bis 21-Jährige in dieser Altersgruppe immer die entsprechenden - so Ihre Wortwahl - tatsächlichen geistigen Horizonte und somit die Einsichtsfähigkeit nachweisen. Ich würde behaupten - ich bin mir nicht ganz sicher, ob das nicht auch in diesem Hause schon einmal eine Frage war oder anderswo -, ich würde diese zwei Fragen gar nicht von der Altersgruppe abhängig machen. Die stelle ich mir auch manchmal bei Erwachsenen, vielleicht sogar bei mir.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE, und Seba- stian Striegel, GRÜNE, lachen)

- Ich mache mich darüber nicht lustig, ich nehme das Thema ernst. Ich wollte es nur erwähnen.

Dann bleiben noch zwei Gründe übrig. Das eine ist die Tatsache, die Sie ansprechen, dass man bereits mit 18 den Pkw-Führerschein machen kann oder einen Jagdschein erwerben kann.

Das kann kein treffender Grund sein; denn wenn man einen Jagdschein erwerben möchte, bekommt man diesen nicht geschenkt. Die Ausbildung dauert gut ein Jahr, und das aus gutem Grund. Am Ende der umfangreichen Ausbildung steht eine Reihe von praktischen und theoretischen Prüfungen und es muss ein polizeiliches Führungszeugnis beigebracht werden. Erst danach wird abschließend geklärt, ob man alle Prüfungen bestanden hat und ob es verantwortet werden kann, diesen Jagdschein und somit auch die Waffenbesitzerlaubnis zu erteilen. Dass das nicht jeder schafft, können Sie in den Statistiken nachlesen. Das ist aus gutem Grund so.

Sollte es jemand geschafft haben und bis zum vollendeten 21. Lebensjahr diese Prüfung bestanden haben, aber andere Lebensreifeprüfungen nicht und straffällig geworden sein, können Sie davon ausgehen, dass er nicht nach dem Jugendstrafrecht verurteilt oder strafbemessen wird, sondern nach dem Erwachsenenstrafrecht. Das ist nach geltendem Recht der Regelfall; aber der Richter entscheidet bei jedem Vorgang im Einzelfall.

Bleibt noch ein weiteres Argument. Sie sagen, der Grund für Ihre Initiative ist, dass dieses Anwenden

des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende ein Relikt jener Zeit sei, als die Volljährigkeit noch mit der Vollendung des 21. Lebensjahres eintrat. Das ist falsch. Die Begründung zieht nicht. Dem ist nicht so; denn bereits das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 lehnte sich seinerzeit an das französische Recht an und führte Lebensaltersgrenzen für eine unterschiedliche Strafbemessung für gleiche Tatsachverhalte ein. Damals war die Lebensaltersgrenze das vollendete 16. Lebensjahr.

Jetzt muss man sich einmal vor Augen führen, was das vollendete 16. Lebensjahr im Jahr 1851 bedeutete. Das war eine Zeit, in der Eheschließungen mit 14 keine Kinderehen, sondern Alltag waren. Bereits damals haben die nicht für ihre Milde bekannten Preußen dem Richter die Strafmilde erlaubt und Erziehungs- und Reifefragen bei der Urteilsbemessung eingeführt. Ich selbst habe gestaunt, als ich das gelesen habe, aber so war es.

Man kann noch weiter zurückgreifen, um nicht der falschen Vermutung aufzusitzen, das sei eine laxe Handhabung der Bundesrepublik von milden 68er-Richtern gewesen, die meinten, man müsste Heranwachsende einfach weniger hart für ihre Taten zur Verantwortung ziehen. Nein, die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 enthielt ebenfalls bereits Sonderregelungen für jugendliche Straftäter. Zur Erinnerung: Damals traten anstelle der Todesstrafe Leibesstrafen und die lebenslange Landesverweisung.

Dann gab es entscheidende Impulse für die Schaffung eines Jugendstrafrechts, insbesondere in den 20er-Jahren. Frau Ministerin erwähnte bereits das Jugendgerichtsgesetz, welches im Jahr 1923 eingeführt wurde.

Was ist der große Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht? - Der große Unterschied liegt beim materiellen Strafrecht im Bereich der Rechtsfolgen der Tat.

Jetzt muss man sich einmal anschauen, was das Ziel der Anwendung des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden ist. Der Richter steht vor einer ganz wichtigen Frage, die nicht nur die Sicherheit oder die gesamte Gesellschaft betrifft, sondern auch das Mitglied dieser Gesellschaft, welches eine wichtige Rechtsnorm gebrochen hat und sich dafür verantworten muss.

Die Frage ist, mit der Anwendung welchen Strafrechts kann ich ein wichtiges Ziel erreichen, nämlich dass sich der Beschuldigte das Unrecht der Tat und die Einstandspflicht, die er hat, bewusst macht. Deswegen muss die Strafbemessung nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht diese beiden Dinge in Betracht ziehen.

Das ist eine hohe Verantwortung, die jeder Richter und jede Richterin hat. Ich denke, die Richterinnen und Richter in einem wirklich - -

Herr Gürth, es ist eine komplizierte Sachlage.

Ich komme zum Ende, Herr Präsident.

Das wäre außerordentlich freundlich von Ihnen.

Ich denke, es ist eine sehr wichtige Entscheidung für jeden Richter und jede Richterin, dies abzuwägen. Ich glaube nicht, dass dies bei uns in Deutschland leichtfertig geschieht.

Ich will zum Abschluss nur noch darauf hinweisen, dass wir, wenn wir uns in der Sache ein Urteil des Parlaments bilden wollen, auch in andere Länder schauen können, in denen es kein Jugendstrafrecht gibt wie in den USA, wo man zumindest in zwei Bundesstaaten bereits mit 14 Jahren zum Tode verurteilt werden kann.

Mhm!

(Heiterkeit bei der CDU)

Wenn Sie sich einmal anschauen, welche Folgen das hat, dann, denke ich, weiß man unser Strafrecht zu würdigen und wird dabei bleiben. Deshalb müssen wir Ihren Antrag ablehnen.

(Zustimmung bei der CDU - André Poggen- burg, AfD: Wir wollen keine Extreme!)

Ich habe jetzt keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Redebeitrag gesehen. Deshalb beschließen wir die Debatte mit dem Redner der Fraktion der AfD, dem Abg. Herrn Lehmann.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Gesellschaft bekommt immer die Verbrecher, die sie verdient.

(Lachen bei der CDU und bei der SPD - Sebastian Striegel, GRÜNE: Was will uns das sagen?)

Aristoteles - da braucht man nicht zu lachen -, ein alter griechischer Philosoph, hat das gesagt. Was an diesem knapp 2 500 Jahre alten Satz eines

griechischen Philosophen dran ist, das wird sich noch herausstellen. Man kann ihn als den ersten Kriminologen der Geschichte unserer Zeit bezeichnen.

Die Kriminologie ist die wissenschaftliche Lehre vom Verbrechen. Sie befasst sich mit dem Täter, dem Opfer, mit Sanktionen usw. Ein Teilgebiet der Kriminologie ist die Pönologie - manche haben das Wort noch nie gehört, denke ich -, welche die Wirkung von Strafen betrachtet. Damit sind wir auch schon bei des Pudels Kern.

Alle Vorreden, die ich hier heute gehört habe, von Linken, Grünen, SPD und CDU, sind eine Verhöhnung der Geschädigten von Jugendlichen- und Erwachsenenstraftaten. Die konsequente Anwendung des Jugendstrafrechts bei Tätern im Alter zwischen 14 und 18 Jahren spottet übrigens auch bei uns jeder Beschreibung. Wenn die Justiz dort, ordentlich ausgestattet, ihrem Auftrag nachkommen würde, müssten wir uns auch nicht über die Problematik der Heranwachsenden im Alter zwischen 18 und 21 Jahren unterhalten.

Erstaunlich ist, dass man am laufenden Band immer nur leere Phrasen hört vom wehrhaften Rechtsstaat. Das liest und hört man jeden Tag. Mir klingeln jetzt noch spontan ein paar Bewährungsurteile nach Jugendstrafrecht aus den vergangenen Tagen in den Ohren, die für Vergewaltigungsstraftaten, für Antanzen, wie es verniedlichend genannt wird, usw. verhängt worden sind.