Den Alternativantrag der LINKEN lehnen wir ebenfalls ab. Dieser konnte die Zustimmung der Koalitionsfraktionen nicht finden. - Vielen Dank.
Frau Schindler, ich sehe keine Nachfragen. Das gibt mir die Gelegenheit, eine weitere Besuchergruppe zu begrüßen. Dabei handelt es sich um Schülerinnen und Schüler des Scholl-Gymnasiums Magdeburg. Herzlich willkommen bei uns!
Wir können nunmehr in der Debatte fortfahren. Für die Fraktion DIE LINKE hat die Abg. Frau von Angern das Wort. Bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Bei dem Thema „Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende“ lohnt ein Blick in die Diskussion der Fach
öffentlichkeit und es lohnt vor allem ein Blick in die tägliche Arbeit der Jugendstrafkammern, der Jugendstaatsanwältinnen und nicht zuletzt auch der Mitarbeiterinnen der Jugendgerichtshilfe.
Ihre Aufgabe ist es, bei jedem 18- bis 21-Jährigen ganz individuell zu prüfen, ob das Jugendstrafrecht oder das Erwachsenenstrafrecht Anwendung findet. Eine Einzelfallprüfung muss dabei jeder Entscheidung vorausgehen, um genauestens zu prüfen und abwägen zu können, ob der Reifegrad des Heranwachsenden eher dem eines Jugendlichen oder eher dem eines Erwachsenen entspricht. Zudem muss bezogen auf die Tat erkennbar sein, dass diese aus einer gewissen Unreife heraus erwachsen ist.
Wer sich in der Praxis auskennt, der weiß, dass es sich nicht, wie gerade von dem Kollegen von der AfD eingebracht, um eine standardisierte Prüfung oder um standardisierte Formulierungen handelt. Bei jedem jungen Menschen wird tatsächlich individuell entschieden, ob er bereits die nötige Reife besitzt, sodass er für sein Handeln vollumfänglich zur Verantwortung gezogen werden kann oder eben nicht. Ich habe bereits Verfahren erlebt, wo genau dies abgelehnt wurde.
Auch wenn die jungen Erwachsenen volljährig sind und demnach grundsätzlich als strafrechtlich vollverantwortlich gelten, befinden sich - das hat die Frau Ministerin ausgeführt - doch viele Menschen dieser Altersgruppe noch in einer altersbedingten Entwicklungsphase. Selbst wenn die biologische Reife schon ausgeprägt sein sollte, ist dies in vielen Fällen eben nicht für die psychischsoziale Entwicklung zutreffend.
Und, meine Damen und Herren, - das hat der erste Redebeitrag nachdrücklich bewiesen - es ist gut und richtig, dass diese Entscheidung nicht durch Politikerinnen und Politiker, sondern durch die am Strafverfahren Beteiligten getroffen wird.
Meine Damen und Herren! Politik tut gut daran, sich entsprechend der Gewaltenteilung hier herauszuhalten. Bis zum Beweis des Gegenteils, der heute aus meiner Sicht absolut nicht erbracht worden ist, vertraue ich dabei auf die Entscheidungen der Justiz. Das Schöne im Rechtsstaat ist, dass eine solche Entscheidung, ist sie denn tatsächlich fehlerhaft getroffen worden, auch mit einem Rechtsmittel geheilt werden kann.
Meine Damen und Herren! Ich gehöre zu jenen Politikerinnen, die die Auffassung vertreten, dass der rechtspolitische Ansatz des JGG, namentlich ein Täterstrafrecht zu sein, im Gegensatz zum StGB, das dem Grunde nach ein Tatstrafrecht ist, der gesellschaftlich und eben auch langfristig sicherheitspolitisch vernünftigste und prädestinierte Ansatz ist.
Ich finde daher durchaus die Idee der Ausweitung der Anwendung auf die sogenannten jungen Erwachsenen sehr überdenkenswert und unbedingt diskussionswürdig, und das immer mit dem Ziel vor Augen, dass sich die Sanktionsmöglichkeiten bei jungen Menschen vorrangig am Erziehungsgedanken ausrichten sollten. Es gilt, diese zu einem straffreien Leben zu führen und einer erneuten Straffälligkeit entgegenzuwirken.
Ein wesentlicher Aspekt des JGG ist also der Ansatz des Täterstrafrechts und die damit einhergehende breite Fülle von Reaktionsmöglichkeiten, die das StGB so eben nicht vorsieht. Dabei möchte ich ausdrücklich nicht vom Jugendarrest, den meine Fraktion als gescheiteres Sanktionsmittel letztlich ablehnt, und von der Jugendstrafe reden. Nein, mir geht es um die tatsächlichen Möglichkeiten, erzieherisch tätig zu werden. Dabei ist unbedingt der Umgang mit den Opfern zu beleuchten. Das Jugendgericht kann im Rahmen einer Auflage eben auch das Opfer einbeziehen.
Das ist eine sehr, sehr wesentliche Komponente, die gleich zwei positive Effekte beinhaltet: Der Jugendliche muss sich tatsächlich mit dem Opfer auseinandersetzen, muss sich dem Opfer stellen, also auch mit seiner Tat, und damit sehr wohl Verantwortung tragen, und das Opfer kann einen gewissen Ausgleich, beispielsweise durch Zahlung einer Geldsumme, erhalten. Letzteres ist für den Rechtsfrieden, aber auch für die individuellen Interessen des Opfers von wesentlicher Bedeutung.
Das sind ausdrücklich Möglichkeiten, die das Erwachsenenstrafrecht verwehrt. Nicht ohne Grund gibt es auch nicht selten den Vorwurf an das Erwachsenenstrafrecht, dass sich das Strafverfahren vor allem mit den Tätern beschäftigt. Dies ist im JGG anders und das ist äußerst positiv zu bewerten. Wir sehen auch überhaupt keinen Grund, dort Abstriche zu machen.
Vielleicht an dieser Stelle und abschließend noch ein paar Bemerkungen zu dem Antrag der AfD. Klar, man kann es sich ganz einfach machen und bei seinen politischen Konkurrenten - hier der CDU - Themen aufgreifen und ihnen damit das politische Leben schwer machen, aber man sollte auch wissen, worüber man redet. Sie haben heute in Ihrem Debattenbeitrag ganz klar gezeigt: Sie wissen das nicht. Sie haben den Sinn und das Leitmotiv des JGG nicht verstanden oder Sie wollen es ganz bewusst nicht verstehen.
Wir müssen uns vor allem der Frage stellen: Was nützt es dem Einzelnen und auch der Gesellschaft, wenn wir einen jungen Menschen - dafür haben Sie massiv geworben - mit 19 Jahren trotz fehlender Reife in eine JVA stecken? Dient das wirklich seiner Besserung in Richtung eines künftig straffreien Lebens? Was würde es dem jungen Menschen und auch der Gesellschaft bringen,
wenn wir eine der Erziehungsmöglichkeiten, die das JGG vorsieht, anwenden? Damit sind wir wieder bei der Einzelfallprüfung - siehe oben.
Ich sehe keine Fragen oder Interventionen. Das gibt uns die Gelegenheit, in der Debatte weiter fortzufahren. Für die Fraktion DIE GRÜNEN hat jetzt der Abg. Herr Striegel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Erwachsen werden und damit am Ende die volle Verantwortung für sich selbst und das eigene Tun zu übernehmen, ist ein Prozess und kein Umlegen eines Schalters.
Die zentrale Frage der heutigen Debatte lautet deshalb: Wie wollen wir als Gesellschaft mit einem straffällig gewordenen 19- oder 20-jährigen jungen Menschen umgehen? Kann die Abschaffung der §§ 105 ff. JGG ein geeignetes Mittel sein, um jemanden von einer kriminellen Karriere abzuhalten? Ich meine: nein. Daher ist dieser Antrag abzulehnen.
Gerade wenn es um jugendliche Täter und Heranwachsende geht, darf nicht automatisch die Bestrafung im Mittelpunkt stehen. Stattdessen muss in jedem Einzelfall abgewogen werden, ob und wie erzieherische Mittel wirken können. Denn nicht Bestrafung per se, also Sühnung der Tat durch Haft, sondern Resozialisierung kennzeichnet die juristische Aufarbeitung von Straf- und Gewalttaten im modernen Rechtsstaat. Unser Ziel sind nicht möglichst gut gefüllte Gefängnisse, sondern unser Ziel ist, dass Menschen nicht delinquent werden, dass sie gut heranwachsen und dass sie zu guten Mitgliedern dieser Gesellschaft werden können.
Heranwachsende Delinquenten haben häufig große Defizite, daher sind vor allem erzieherische Elemente gefragt. Es muss darum gehen, dass sie ihr Verhalten und ihre Lebenseinstellung ändern. Das schafft man nicht durch Wegsperren oder die automatische Anwendung des Erwachsenenstrafrechts ab der Volljährigkeit.
Das Jugendstrafrecht ist ein Sonderstrafrecht für junge Täter, die sich zur Zeit ihrer Tat in dem kritischen Übergangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsenenalter befinden. Das Erwachsenenstrafrecht knüpft seine Strafen nach Art und Gewicht ganz überwiegend an die schuldhafte Tat an; die Kollegin von Angern hat dazu ausgeführt.
Wie der Sanktion für eine Tat nicht durch deren Schwere, sondern stärker als im Erwachsenenstrafrecht durch die dem Täter nach seiner Persönlichkeit zu stellende Prognose bestimmt. Um es klar zu sagen: Es ist und es bleibt und es soll eine Einzelfallentscheidung bleiben. Das ist richtig so. Es geht immer nur um die individuell richtige Entscheidung.
Unmissverständlich orientiert sich das JGG deshalb in allen Bereichen am Erziehungsgedanken. Der Reifestand eines Täters ist, wie das Gesetz es in § 105 Abs. 1 Nr. 1 fordert, nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters festzustellen.
Die AfD macht es sich dann wieder einmal - das sind wir hier im Hohen Hause schon ein wenig gewohnt - zu einfach mit ihrer saloppen Begründungsformulierung. Zitat:
„Wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, besitzt die nötige Reife, zwischen Recht und Unrecht unterscheiden zu können.“
Das Leben ist wieder einmal differenzierter, als es die AfD wahrhaben will. Für viele junge Menschen mag diese Aussage zutreffen, bei manchen ist solche Reife aber noch nicht gegeben. Ihnen im Einzelfall eine Strafe zumessen zu können, die vor allem erzieherisch wirken kann, und ihnen damit einen Weg zurück in die Gesellschaft zu eröffnen, das ist unser Ziel.
Populistische Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts und der Ruf nach härteren Urteilen sind kontraproduktiv und werden die Probleme lediglich verschärfen. Es wissen doch alle: Der Knast macht einen nicht zum guten Menschen, sondern sorgt eher dafür, dass kriminelle Karrieren erst richtig Schwung bekommen.
Das JGG gibt auch jungen Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, eine Chance, künftig ein Leben in sozialer Verantwortung zu führen. Statt mehr Repression und härtere Strafen zu fordern, brauchen wir ein Mehr an Prävention. Junge Menschen brauchen Perspektiven, damit sie gar nicht erst zu Straftätern werden. Wo sie es geworden sind, müssen Prozesse zügig stattfinden und Urteile schnell gesprochen werden. Hierin liegt der Schlüssel. Hier sind weitere Verbesserungen nötig. Das dauert oft noch viel zu lange.
Wenn tatsächlich ein erzieherischer Gedanke wirken soll, dann muss auf eine Handlung, die ich ausübe, auf eine Tat, die ich begehe, tatsächlich nicht irgendwann ein Gerichtsverfahren folgen, sondern das muss sehr zügig gehen. Denn dann
Ich glaube, wir sollten unser Engagement darauf richten zu sagen: Wie schaffen wir es, dass es gerade im Bereich der Jugendlichen, der Heranwachsenden, zügige juristische Prozesse gibt? Nicht besonders harte, das ist nicht das Ziel.
Dass zügig nach der Tat die Sanktion erfolgen kann, das wäre die Aufgabe. Drakonische Strafen helfen am Ende niemandem. Das bedient allenfalls den Populismus, den Sie hiermit auf den Weg bringen wollen. Dabei machen wir nicht mit. - Herzlichen Dank.