Das Jugendstrafrecht ist übrigens keine Erfindung unserer Zeit; das wurde auch schon herausgestellt. Tatsächlich geht die Anwendung des Jugendstrafrechts zurück bis ins Mittelalter. Der erste Entwurf eines Jugendgerichtsgesetzes wurde im Jahr 1923 in der Weimarer Republik verabschiedet. Das wurde auch schon erwähnt. Aber damals ist man wahrscheinlich nicht davon ausgegangen, dass man Erlebnis- und Klettertouren oder Abenteuerreisen macht.
Unser heutiges Jugendstrafrecht macht das Erziehungsstrafrecht zum Grundsatz. Das wurde auch herausgestellt. Übrigens erinnere ich einmal die Pädagogen und Sozialpädagogen daran, dass auch die Strafe ein Mittel der Erziehung ist und neben dem Positiv- und dem Negativverstärken einen Grundsatz der Pädagogik darstellt. Daran möchte ich noch einmal erinnern. Das wird immer komplett ausgeblendet.
Im Übrigen möchte ich in Richtung der Linken sagen, der Täter-Opfer-Ausgleich, der vorhin angesprochen worden ist, erfordert die Einwilligung von beiden Seiten. Das kann also auch nicht die Erfolgsgeschichte sein. Oftmals ist das auch eine Zumutung für die Geschädigtenpartei.
Anfang der 70er-Jahre fand eine tiefgreifende Strafrechtsreform in diesem Bereich statt. Danach hat über Jahre hinweg die Sozialpädagogik-Juristerei die Oberhand gewonnen. Der Blick wurde vom Opfer und dem gesellschaftlichen Schaden, der angerichtet worden ist, weg und hin auf den Täter gerichtet.
Bei Urteilsfindungen scheint sinnbildlich die kriminalpsychologische Analyse wichtig zu sein, ob der Täter vielleicht in seiner Kindheit die gebrauchten Schlüpfer seines Vaters oder seiner Mutter auftragen musste. Das ist wahrscheinlich von hauptsächlicher Bedeutung.
Die Ergebnisse, was dabei herauskommt, sehen wir heute nach Jahrzehnten im Alltag. Trotz immer mehr hinzugezogener Sozialpädagogen und
Psychologen, trotz mehr sozialpädagogischer Erlebnisangebote wie Wandern und Abenteuerreisen sind die Zahlen nicht besser geworden.
Dabei ist das zugrunde liegende JGG, hier der § 105, in seiner Auslegung auch kein Dogma. Es gibt tatsächlich Unterschiede von Bundesland zu Bundesland in Bezug auf die Anwendung des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden.
Während in Sachsen-Anhalt die Verurteilung eines Heranwachsenden nach dem Erwachsenenstrafrecht die Ausnahme ist und umfangreich begründet werden muss - Staatsanwälte und Richter schreiben sich da oftmals die Finger wund -, ist die Verurteilung eines Heranwachsenden nach dem Jugendstrafrecht zum Beispiel in Bayern oder in Baden-Württemberg eher andersherum die Ausnahme. Dabei meine ich natürlich das Bundesland Baden-Württemberg vor der Machtübernahme durch Rot-Grün.
Das JGG geht davon aus, dass es jungen Tätern an dem erforderlichen Unterscheidungsvermögen zwischen Recht und Unrecht, dem sogenannten Unrechtsbewusstsein fehlt. Was hat aber dieser Aspekt bei einem Jugendlichen ab dem 18. Lebensjahr für eine Bedeutung, der, wie der Vorredner meiner Fraktion sagte, das Wahlrecht hat, Verträge abschließen, Panzer fahren darf usw. Die juristischen Rechte sind hier riesengroß, die Pflichten und Sanktionen hingegen mikroskopisch klein.
Die größere Formbarkeit junger Täter im Gegensatz zum Erwachsenen wird hier noch ins Feld geführt. Dies stellt an und für sich keinen Widerspruch dar zur Anwendung des Jugendstrafrechts. Aber mit etwas Menschenverstand kann man sagen, dass es bei 18- bis 21-jährigen Wiederholungstätern keinen Sinn macht, Sitzkreise und Ballspiele zu veranstalten. Das muss man einmal deutlich so sagen.
Erschreckend kommt hinzu, dass die Jugendgerichte es überwiegend mit Tätern zu tun haben, deren Bildungsabschluss unter dem Niveau eines Hauptschulabschlusses liegt. Mit Tätern, die über höhere Schulabschlüsse verfügen, hat ein Jugendrichter oder ein Jugendstaatsanwalt im Alltag in der Regel kaum etwas zu tun.
Demzufolge ist das zurückliegende, vom Justizministerium als großer Wurf propagierte Modell der Schülergerichte auch kein Erfolgsrezept für die breite Masse der Fälle.
Das medial ebenfalls groß aufgeblasene System des Warnschussarrests ist in seiner Wirkung und Umsetzung in Sachsen-Anhalt auch nur homöopathisch spürbar. Es ist wieder kein Einzelfall, dass zügig angeordnete Jugendarreste nicht umgesetzt werden, weil diese aufgrund der einjährigen Vollzugsverjährung verfallen. Denn die Justiz ist nicht in der Lage, hierfür Kapazitäten freizustellen. Das muss man auch einmal sagen.
Das deutsche Jugendstrafrecht gehört nach mehr als 40 mehr oder weniger erfolgreichen Jahren wirklich auf den Prüfstand; das steht außerhalb jeder Diskussion. Der Anwendung von Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden gebührt hierbei ein besonders kritisches Augenmerk. Ich erinnere noch einmal an das, was ich eingangs gesagt habe. Aristoteles sagte, jede Gesellschaft bekommt die Verbrecher, die sie verdient, und das, was wir zulassen.
Die AfD-Fraktion beantragt die Überweisung in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung. - Vielen Dank.
Herr Kollege Lehmann, ich habe Ihnen jetzt durchaus interessiert zugehört. Sie haben viel behauptet und wenig, nein, gar nichts belegt. Das ist das Problem. Sie haben hier Dinge in den Raum gestellt, zu denen ich Sie gern fragen würde, wel
che Quellen bzw. welche Statistiken Sie für Ihre Behauptungen in Bezug auf das JGG und auf die Täterstrukturen insbesondere in Sachsen-Anhalt heranziehen.
Ich kann aus den Informationen, die mir vorliegen, nicht herauslesen, dass unsere Jugend in besonderer Weise kriminell ist. Die Zahlen sind vielmehr rückläufig. Das gilt übrigens auch für den Anteil der jugendlichen Täter im Vergleich zur Gesamtkriminalität und die Zahl der Straftaten.
Wir haben vor allem auch keinen Zuwachs bei den schweren Verbrechen zu verzeichnen, sondern deutliche Rückgänge. Aufwüchse gibt es im Bereich der leichten Kriminalität. Das will ich nicht in Abrede stellen. Aber ich möchte gern von Ihnen wissen, auf welche konkreten Statistiken und Erkenntnisse Sie sich beziehen. Legen Sie Ihre Quellen offen. An welchen Stellen wird das JGG quasi exzessiv angewendet? Ich hätte gern von Ihnen eine Auskunft dazu, woher Sie Ihre Zahlen haben.
Warten Sie bitte kurz, Herr Lehmann, bevor Sie antworten. - Ich erinnere einmal daran, dass Sie sich bei Fragen und Antworten bzw. Interventionen bitte auf eine Redezeit von zwei Minuten beschränken sollten. - Herr Lehmann, Sie haben das Wort.
Meine Vorgeschichte kennen Sie. Das spricht einfach aus dem Leben. Als Kriminalhauptkommissar habe ich damit jahrelang zu tun gehabt. Ich habe Jugendstraftaten bearbeitet. Bei mir reicht ein Anruf und ich habe Kontakt zu Staatsanwälten und Gerichten. Das sind die nackten Zahlen aus dem Leben, die wir hier haben. - Herr Striegel, im Gegensatz zu Ihnen wahrscheinlich.
Ansonsten muss ich sagen, rufen Sie einmal Staatsanwaltschaften und Gerichte an. Dann werden Sie hören, dass die Qualität der Ermittlungsakten in den letzten Jahren, nach der letzten Polizeireform enorm gelitten hat.
Halten Sie Kontakt zum Leben. Besuchen Sie Staatsanwälte und Richter; von ihnen bekommen Sie die Aussagen, die ich auf dem Tisch habe und die das bestätigen. Das ist das nackte reale Leben. Wir können uns gern auf dem parlamentarischen Abend darüber unterhalten.
Herr Lehmann, es gibt möglicherweise noch eine Nachfrage von Herrn Striegel. Bitte, Herr Striegel, Sie haben das Wort.
Ich bin sehr interessiert zu hören, dass Sie offensichtlich exklusiven Zugang zur dritten Gewalt in Sachsen-Anhalt haben. Ich würde unsere Justizministerin bitten, bei Ihren Staatsanwältinnen und Staatsanwälten nachzufragen, ob es üblich ist, dass einzelne Abgeordnete Statistiken bekommen, die andere nicht bekommen. Das scheint doch ein sehr merkwürdiges Vorgehen zu sein. Es würde mich sehr irritieren, wenn es so wäre.
Herr Lehmann, niemand zwingt Sie zu antworten. Das ist eine Intervention. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Landesregierung, die hier allerdings nicht gefragt werden konnten, weil sie nicht geredet haben, hat keiner die Pflicht, darauf zu antworten.
Damit ist die Debatte beendet. Wir kommen nunmehr zum Abstimmungsverfahren. Die AfD-Fraktion hat eine Ausschussüberweisung beantragt. Ich weiß zwar jetzt nicht, in welchen Ausschuss, ich könnte mir aber den Rechtsausschuss vorstellen. - Nehmen wir einmal an, die AfD-Fraktion hat beantragt, den Antrag in den Rechtsausschuss zu überweisen, dann würde dies auch für den Alternativantrag der Fraktion DIE LINKE gelten.
Wer einer solchen Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Fraktion der AfD. Wer ist dagegen? - Das sind alle anderen Fraktionen im Hause. Deshalb ist der Überweisungsantrag abgelehnt worden.
Damit kommen wir nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der AfD-Fraktion in der Drs. 7/483. Wer dem Antrag der AfD-Fraktion die Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um ein Kartenzeichen. - Das ist die Fraktion der AfD. Wer ist dagegen? - Das sind alle anderen Fraktionen im Hause. Damit ist dieser Antrag abgelehnt worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Alternativantrag in der Drs. 7/507. Wer diesem Alternativantrag der Fraktion DIE LINKE zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer ist dagegen? - Das sind alle drei anderen Fraktionen.