Protocol of the Session on September 20, 2012

Allerdings - das war wiederum der Witz - hat Herr Schröder die Sache völlig umgekehrt. Er hat gesagt: „Wir sind mit der Situation nicht zufrieden“, hat aber klar gemacht, worin der Unterschied der CDU-Fraktion zur Thüringer Mindestlohninitiative besteht.

(Zuruf von der CDU)

Er sagte nämlich: Wir wollen nicht, dass mit diesem gesetzlichen Mindestlohn Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden, in denen Stundenlöhne vereinbart worden sind, die unter diesem gesetzlichen Mindestlohn liegen.

(Frau Take, CDU: Das ist falsch! In Baden- Württemberg - - Herr Borgwardt, CDU: Die noch laufen! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Das ist völlig richtig. Wir haben uns verstanden, Frau Take. Es ist in Ordnung.

Das ist der eindeutige, klassische Unterschied: Wir wollen keine Tarifverträge mehr haben, in denen eine Lohn von 3 € oder 4 € pro Stunde steht. Wenn der Mindestlohn festgelegt ist, dann gilt er überall.

(Beifall bei der LINKEN)

Das stärkt die Tarifpartner, das stärkt die Gewerkschaften, indem gesagt wird: Das ist die Basis. Darunter geht es nicht mehr. Jetzt verhandeln wir über das Plus.

(Beifall bei der LINKEN)

Dadurch erhöhen wir die Lohnsumme insgesamt im Land. Dadurch bekommen wir eine Dynamisierung der Einnahmen für die Kaufkraft und für die sozialen Sicherungssysteme. Denn Sie, Herr Haseloff, haben Recht: Weder mit 8,50 € noch mit 10 € noch mit 12 € lösen wir das Rentenproblem.

Das können wir nur lösen, indem wir die Lohnentwicklung endlich so dynamisieren, dass die Menschen den Anteil am Wachstum der Arbeitsproduktivität in der Tasche haben, und zwar in der Rentenkasse, bei der Krankenkasse und zu Hause bezüglich der Kaufkraft.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen ist es völlig blödsinnig, zwischen der Stärkung der Tarifpartner und dem gesetzlichen Mindestlohn einen Widerspruch zu sehen. Der gesetzliche Mindestlohn hilft, vernünftige Tarife auszuhandeln.

Deswegen sagen wir: Wir lassen an dieser Stelle keinen Keil hineintreiben. Wir haben die Gewerkschaften bei dieser Forderung auf unserer Seite. Nach Ihrer Logik müssten sie die Ersten sein, die dagegen sind. Das sind sie aber nicht. Deswegen

glaube ich ausdrücklich: Unsere Position ist richtig. Der Alternativantrag lässt eine Menge Interpretationen zu. Diese sind falsch. Deswegen werden wir ihn ablehnen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt noch zwei Wortmeldungen. Als Nächster wird Herr Schröder eine Intervention machen. Zudem hat sich Frau Fraktionsvorsitzende Budde zu Wort gemeldet.

Herr Kollege Gallert, Sie haben zu Recht auf einen elementaren Unterschied in unserer Argumentation aufmerksam gemacht. Jetzt formuliere ich einmal die Gretchenfrage wie folgt: Wer findet den richtigen Lohn?

Sie sagen, dass es Leute gibt, die vor Ort in einer Branche, in einer Region für sich eine Antwort gefunden haben, und dass das etwas ist, dem man nicht folgen könne und bei dem man eine Vorgabe machen müsse, die in diese Vereinbarung, und zwar in geltende Verträge, eingreift.

Wir meinen, dass wir dort eine Antwort finden müssen, wo es keine Tarifbindung gibt, dort, wo es diese weißen Flecken gibt und wo Lohndumping praktisch Tür und Tor geöffnet ist.

Ich betone: Tarifautonomie zu wahren - das ist die Formulierung in unserem Alternativantrag - bedeutet, nicht in geltende Tarifverträge einzugreifen. Die Tarifkommission ist keine politische Lohnfindung, sondern sie setzt sich aus Tarifpartnern zusammen.

Die allererste Bemerkung, die Sie gemacht haben, ist ein konstruierter Widerspruch, den ich ausdrücklich nicht teile. Es ist der angebliche Widerspruch zwischen dem, was der Ministerpräsident gesagt hat, und dem, was ich ausgeführt habe.

Der Ministerpräsident - das wissen Sie - hat in den Bereichen Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftspolitik herausragende Kompetenzen und ist einer derjenigen, die in den vergangenen Jahren die existenzsichernden Löhne in unserer Landespartei immer wieder - bei allen Flügeln - angesprochen und thematisiert haben.

Ich bitte Sie, das anzuerkennen und auch anzuerkennen, dass der Hinweis, die Tarifautonomie zu wahren, etwas ist, das überhaupt nicht im Dissens dazu steht, und er zu Recht darauf hingewiesen hat, weil die Bundesratsinitiative Thüringens hier - das ist die Stelle, an der die Weiterentwicklung ansetzen muss - zu weit geht.

Das ist der Unterschied, der bleibt. Sie meinen, dass die Tarifpartner die richtigen Löhne gar nicht finden werden und wir es ihnen deshalb vorschreiben müssen. Das ist Ihre Antwort.

Ich bewerte das einmal als Frage. Zwischendurch hatten Sie sogar eine Frage gestellt.

Ich will jetzt über das, was an Unterschieden von Ihnen, Herr Schröder, und von Herrn Haseloff gesagt worden ist, nicht weiter philosophieren. Ich habe Sie beide nur zitiert und habe beide Aussagen gegenübergestellt.

Ich sage noch einmal ausdrücklich: Herr Ministerpräsident, ich gestehe Ihnen wirklich zu - das tue ich nicht bei jedem, der hier im Raum sitzt -, dass Sie die Niedriglohnrealität und die Situation in Bezug auf Dumpinglöhne wirklich als politisches Problem begreifen.

Wir unterhalten uns hier nicht darüber, ob der eine das will und der andere das nicht will; vielmehr unterhalten wir uns hier darüber, aus welcher Sicht welche Instrumente dafür notwendig sind und welche nicht. Dazu haben wir unterschiedliche Positionen.

Herr Haseloff, ich glaube, dass Sie genauso wie ich Leidensdruck haben. Nur unsere politischen Schlussfolgerungen unterscheiden sich. Ich sage das auch deshalb, weil ich ansonsten diesen Widerspruch zwischen dem Interview in der „Welt“ und dem, was dabei jetzt herausgekommen ist, viel mehr thematisiert hätte. Aber ich glaube, das wäre langweilig und interessiert nur hier im Raum.

Herr Schröder, noch einmal zu Ihrer Frage: Ja, wir wissen, wie die Tarifverträge, in denen Löhne von 3,78 €, 4,20 € und 5,30 € stehen, zustande gekommen sind. Da hat sich ein Arbeitgeberverband oftmals mit nur einer Gewerkschaft hingesetzt und beide wussten, dass das, was sie machen, für die Masse der Beschäftigten im Gartenbaubereich, im Friseurgewerbe etc. völlig irrelevant ist.

Denn jeder Tariflohn, der etwas über das hinausgeht, was die Arbeitgeber individuell bereit gewesen wären zu bezahlen - individuell, nicht als Verband -, hätte sofort dazu geführt, dass die Arbeitgeber - so wie sie es massenhaft getan haben - den Verband verlassen hätten. Und die Gewerkschaft konnte sich hinsetzen und sagen: Wir fordern … Sie wussten genau, dass sie von der Gegenseite nur ein müdes Lächeln bekommen würden, weil die Gewerkschaften in diesem Bereich faktisch keinerlei Organisationskraft haben.

Dann haben sie sich hingesetzt und gesagt: Dann lassen wir wenigstens irgendetwas dabei herauskommen, damit irgendwo ein Signal an die anderen geht. Dann sind solche Tariflöhne von 3,56 € usw. usf. zustande gekommen.

Ich möchte die Gewerkschaft sehen, die empört darüber ist, dass Tarifverträge in diesen unteren Bereichen durch einen gesetzlichen Mindestlohn abgelöst werden. Die werden Sie mir nicht zeigen können, es sei denn, es handelt sich um die

Scheingewerkschaften, die an verschiedenen Stellen gegründet worden sind, um normale Tarifverhandlungen zu unterlaufen,

(Zustimmung bei der LINKEN)

und von denen wir inzwischen wissen, dass ihnen nicht selten von der Geschäftsführung entweder „lustige“ Reisen finanziert oder sie gleich richtig mit Geld bezahlt worden sind.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Das ist der Unterschied. Deswegen, glauben wir, ist es legitim, solche Tarifverträge außer Kraft zu setzen. Ja, das ist so.

Herr Gallert, es gibt noch eine Frage des Abgeordneten Steppuhn. - Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Gallert, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass die DGB-Gewerkschaften in Deutschland mittlerweile eine Beschlusslage haben, keine Tarifverträge unterhalb eines Stundenlohnes von 8,50 € mehr abzuschließen, und dass es in der Folge nur noch solche anderen Tarifverträge gibt, die sich sozusagen in der Nachwirkung befinden,

(Herr Borgwardt, CDU: Richtig! So ist es!)

sodass sich die Übergangsfristen, die sich daraus ergeben, von selbst erledigen werden.

Das ist so, Herr Steppuhn. Aber wir müssen ehrlicherweise dazu sagen, dass diese Beschlusslage relativ neu ist.

Frau Thiel-Rogée hat hier im Hause und in der Fraktion umfangreich ausgeführt, wie viele Tarifverträge es bundesweit noch immer gibt, die einen so niedrigen Stundenlohn, wie ich Ihnen eben genannt habe, enthalten.

Ich kann übrigens überhaupt nicht wissen, wie lange die Auslauffristen für verschiedene Tarifverträge sind. Ich bin kein Tarifexperte. Es mag sein, dass Sie mir diesbezüglich etwas voraus haben.

Das Problem ist nur: Wenn es denn so ist, dass das Problem überhaupt nicht existiert, warum beharrt Ihr Koalitionspartner dann so dringend darauf, dass diese Verträge weiterhin gelten, und wirkt nicht darauf hin, dass diese durch einen Mindestlohn abgelöst werden? Das macht mich stutzig, Herr Steppuhn.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Wir haben auch eine gewisse Skepsis bei dieser Geschichte. Ich kann das FDP-Bashing gern wei

ter betreiben. Das ist in Ordnung; denn sie kann sich nicht mehr wehren.

Aber wissen Sie - das richtet sich auch an die Kollegen der SPD und der CDU -: Solange Sie in einer Bundesregierung gewesen sind, waren Sie möglicherweise für einen Mindestlohn - nur umgesetzt haben Sie ihn alle nicht. Deswegen glauben Sie mir: Ein bisschen Skepsis ist aus unserer Sicht durchaus angebracht.