Jetzt kommen wir zur allgemeinen Aussprache und zuerst kommt die einbringende Fraktion DIE LINKE zum Zuge. Das Wort ergreift Herr Kollege Jalaß.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren und AfD! Unser Gesetzentwurf zum Hochschulselbstverwaltungsgesetz steht heute zur Abstimmung. Was bisher geschah: Zur Landtagswahl 2014 sind SPD, GRÜNE und LINKE mit der Forderung angetreten, das Hochschulfreiheitsgesetz zu novellieren. Auch die Staatsministerin hat dieses Vorhaben 2016 noch einmal bekräftigt und eine Novellierung angekündigt. Bis auf kleinere Anpassungen nach Änderungen auf Bundesebene ist nichts passiert. Fast zwei Jahre liegt unser Gesetz nun vor und auch die GRÜNEN hatten einen eigenen Entwurf eingebracht. Von der Koalition kam nichts, und das wird wohl auch bis zum Ende der Legislaturperiode nicht passieren.
Aber zum Glück haben Sie ja uns. Was wollen wir? – Unser Gesetzentwurf ist wegweisend und eröffnet den Hochschulen die Möglichkeit, wirklich selbstverwaltet ihre Aufgaben wahrzunehmen und ihre Entwicklung eigenständig zu gestalten. Wir schaffen endlich wieder die im sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz suggerierte Autonomie und stärken die Idee der Gruppenuniversität. Unser Gesetzesvorschlag orientiert sich nicht an wirtschaftlichen Effizienzzwängen, im Gegenteil, wir wollen das Mantra der unternehmerischen Hochschule überwinden, wir wollen demokratischere, offene, freie und vielfältige Hochschulen. Grundsätzlich muss sich das Verständnis von Hochschule von ihren Aufgaben, von ihrer internen Struktur und von den Mitbestimmungsmöglichkeiten her ändern. Unser Gesetz gibt dafür den Anstoß.
Die Diskussion über den Gesetzentwurf in den Rektoraten, mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Studierendenvertretungen und vielen weiteren Akteuren haben uns in unserem Vorhaben grundsätzlich ermutigt. Vor allem haben uns die Reaktio
nen gezeigt, dass es unbedingt notwendig ist, die Abhängigkeitsverhältnisse im akademischen Betrieb zwischen wissenschaftlichen Mitarbeitern und den Lehrstühlen aufzuheben. Es bedarf vielmehr eines kollegialen Verhältnisses. Dies wird beispielsweise schon an der Uni Leipzig praktiziert. Klar ist, dass dies nicht von heute auf morgen umsetzbar ist, aber das muss es auch nicht. Wichtig ist vielmehr, dass Sachsen hier überhaupt aktiv wird.
Eine Umwandlung der sogenannten Ordinarien-Universität hin zum Department-Modell lehnt die Koalition strikt ab. Dabei ist das längst internationaler Standard. Antiquiert und rückschrittlich ist folglich nicht die in diesem Gesetzentwurf angestrebte Strukturreform, sondern das Beharren auf herkömmlichen Formen.
Für die Hochschulen bietet das die Möglichkeit, unbefristete Arbeitsverhältnisse als Regel und nicht als Ausnahme zu schaffen. Dass dies gewollt und notwendig ist, zeigen vielfältige Kampagnen der Mittelbauinitiativen und der Gewerkschaften in Sachsen und auf Bundesebene. Für diejenigen unter Ihnen, die mit dem Internet mehr anfangen können als es kaputtzureformieren, sind Hashtags wie „Frist ist Frust“, „unbezahlt“ oder „Ausstieg Hochschule“ – ein guter Anfang. Schauen Sie dort einmal hinein. Oder gönnen Sie sich die wenigen Minuten und sehen sich das neueste Video meiner Fraktion an. Das finden Sie bei Facebook, Twitter und auf YouTube. Dort erklären wir auch Ihnen die ausbeuterische Situation im akademischen Mittelbau.
Neben den Beschäftigten im Mittelbau bringt unser Gesetzentwurf den Studierenden die Möglichkeit, gleichberechtigt mitzubestimmen und mitzugestalten. Nicht nur das Kreuzwahlrecht, sondern auch die Einführung eines studentischen Prorektors, einer studentischen Prorektorin, die Erweiterung des hochschulpolitischen Mandates der verfassten Studierendenschaft sowie die Abschaffung der unsäglichen Austrittsoption stärken die studentische Vertretung auf allen Ebenen der Hochschule. Man muss sich einmal vor Augen führen, wer eigentlich die größte
Mitgliedergruppe an den Hochschulen ist. Das sind nicht die Professoren und Professorinnen, sondern die Studierenden. Aber genau diese Gruppe hat die geringsten Mitbestimmungsmöglichkeiten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir für die Hochschulen die Möglichkeit schaffen, sich eigenständig eine Zivilklausel zu geben. Das ist mitnichten realitätsfern, wie eine aktuelle Umfrage unter den Studierenden an der Uni Leipzig gezeigt hat. Ein Blick in andere Bundesländer oder in die Grundordnung einiger weniger sächsischer Hochschulen zeigt, dass Zivilklauseln schon Realität sind. Um ein anderes Beispiel zu nennen, die JohannWolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt am Main: Laut Beschluss des Senats im März 2013 dienen – Zitat: „Lehre, Forschung und Studium an der GoetheUniversität zivilen und friedlichen Zwecken“.
Was in Sachsen als Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit gilt – die Forschung zu friedlichen Zwecken –, ist in anderen Ländern längst gang und gäbe. Die Hochschulen können Friedensbeauftragte benennen, die sicherstellen sollen, dass die Annahme von Drittmitteln, die eine nicht zivile Nutzung von Forschungsergebnissen zum Inhalt haben, transparent gemacht wird. Dann kommt das Argument, dass beispielsweise an der TU Dresden 5 000 Anträge zu prüfen wären. Ich halte dem einmal die These entgegen, dass sich bei einer angemessenen Grundfinanzierung der Hochschulen die traurige Abhängigkeit von Drittmitteln und damit der Prüfaufwand vielleicht in einem überschaubaren und der Wissenschaftsfreiheit zuträglicheren Rahmen bewegen würden.
Im Ausschuss wurde so gern darauf hingewiesen, dass in der Anhörung ganz tolle Kritik geäußert wurde und Sie deshalb ganz und gar nicht zustimmen könnten, weil diese Kritikpunkte nicht ausgeräumt wären. Vielleicht können Sie – aber nur, wenn Sie wirklich mögen und wenn Sie diese Position ernsthaft und nicht nur nach Thema vertreten – gleich noch dazu Stellung nehmen. Interessant ist nämlich, ob Sie die gleiche Position nach den vernichtenden Kritiken in den Anhörungen heute auch einige Tagesordnungspunkte weiter beim Polizeigesetz beziehen. Oder ist das nicht so wichtig, weil es dabei nur um einige Grundrechte geht?
Meine Damen und Herren! Wir wollen gute Hochschulen für alle. Die angebliche Balance des bestehenden Hochschulsystems fußt auf der Ausbeutung, auf fehlender Mitbestimmung und auf der Ignoranz gegenüber Problemlagen der Mitgliedergruppen, vor allem gegenüber denen, die sich nun mal nicht Hochschullehrerin oder Hochschullehrer nennen. Unser Gesetz bietet noch etliche andere Vorteile und Verbesserungen, wie beispielsweise das Promotionsrecht für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.
Wir wollen mit diesem Gesetz die Rahmenbedingungen für eine solidarische und fortschrittliche Hochschule in Sachsen schaffen. Wir sind heute bereit, dies mit Ihnen anzupacken. Sie sind herzlich eingeladen. Nutzen Sie die Chance und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Pressemitteilung aus dem Wissenschaftsministerium von letzter Woche heißt es: Die Anzahl der Studienanfänger in Sachsen ist stabil trotz sinkender sächsischer Abiturienten. Der Anteil der ausländischen Studenten steigt auf rund 25 %, und rund 20 % unserer Studenten kommen aus anderen Bundesländern. Das spricht für gute und vor allen Dingen für gut aufgestellte Hochschulen im Freistaat Sachsen.
Studienanfänger können heute weltweit ein Studium aufnehmen. Aber die rund 108 000 Studenten in Sachsen haben sich sehr bewusst für unseren Freistaat entschieden. Das tun sie, weil sie in Sachsen gute Studienbedingungen vorfinden, Qualität in Lehre und eine gute Betreuung. All das ermöglichen ihnen die Strukturen unseres Hochschulfreiheitsgesetzes.
Nun bringen die LINKEN heute einen zwei Jahre alten Gesetzentwurf ein, den wir vor rund eineinhalb Jahren im Ausschuss angehört haben, der dort deutliche Kritik hervorgerufen hat, aber nun unverändert hier vorliegt. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Äußerungen des Juristischen Dienstes – gefühlt zu jedem Paragrafen – zu beachten.
Der Titel lautet: „Gesetz zur Einführung der Selbstverwaltung der Hochschulen im Freistaat Sachsen“. Nun ja. Bislang war mir nicht bekannt, dass unsere Hochschulen nicht der Selbstverwaltung unterliegen. Aber was heißt Selbstverwaltung von Hochschulen? Mit Sicherheit nicht Anarchie. Selbstverwaltung ist auch kein Selbstzweck, um seine politische Klientel zu bedienen, sondern Bedingung dafür, dass unsere Hochschulen ihre Aufgaben erfüllen und ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten können.
Die zentralen Aufgaben von Hochschulen sind herausragende Lehre, Weitergabe von Wissen und exzellente Forschung. Darüber hinaus gehören dazu ebenso Transfer, Wirkung in die Region und in die Gesellschaft hinein, internationale Zusammenarbeit und zunehmend auch das Thema lebenslanges Lernen. Das sind die Kernaufgaben von Hochschulen. Diese müssen sie in einem sehr dynamischen Umfeld bei stets neuen Herausforderungen und in einem internationalen Wettbewerb erfüllen. In Sachsen kommt mit dem demografischen Wandel noch eine besondere Herausforderung hinzu.
Unsere Hochschulen brauchen also Handlungsfreiheit, Flexibilität und Planungssicherheit, um im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe zu bestehen. Das heißt aber nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung – personell, finanziell und strukturell. Dies auszufüllen
obliegt der Hochschulleitung. Wem auch sonst? Deshalb haben sie eine starke Stellung mit umfassenden Befugnissen, aber auch klare Vorgaben über Wahlen, eine begrenzte Amtszeit und persönliche Rechenschaftspflicht.
Daneben erfüllt der Erweiterte Senat als Vertretungsorgan der Mitgliedergruppen der Hochschulen eine wichtige Rolle. Aber den wollen Sie gleich ganz abschaffen. Im Senat wollen Sie die besonderen Rechte der Hochschullehrer beschneiden, obwohl diese vom Bundesverfassungsgericht besonderen Schutz genießen. Die Professoren prägen nun einmal die Wissenschaft an den Hochschulen in entscheidendem Maße, und deshalb stehen ihnen auch besondere Entscheidungs- und Mitwirkungsrechte zu.
Unabhängige Beratung negierend, fordert DIE LINKE die Abschaffung des Hochschulrates. Dieses Gremium hat sich als guter Ratgeber bewährt. Es unterstützt mit der Expertise seiner Mitglieder anerkannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft oder Wirtschaft, damit die Hochschulen im deutschlandweiten oder internationalen Wettbewerb mit einem eigenen Profil mithalten können.
Ihr Vorschlag in Form eines Kuratoriums schwächt die Bedeutung dieses Gremiums und gibt ihm eher eine lokale Ausrichtung. Dafür wollen Sie gern neue zahlreiche Beauftragte und Posten schaffen, beispielsweise den eines studentischen Prorektors, der dann nicht mehr studiert, sondern die Hochschule organisiert, oder Sie stellen die Forderung zur Mitgliedschaft in der Verfassten Studierendenschaft.
Ich würde mich freuen, wenn die studentische Mitwirkung und Demokratie nicht in erster Linie durch die Schaffung neuer Posten oder Pflichtmitgliedschaften zum Ausdruck kommen würde, sondern durch die Mitwirkung der Studenten bei der Wahl ihrer Gremien. Ich zitiere die TU Dresden zur Uni-Wahl 2018: „Mit einer leichten Steigerung auf 24 % konnten wir die beste Wahlbeteiligung seit 2009 erzielen.“ Die Uni Leipzig veröffentlichte für die Fachschaftsratswahl 2018 15,6 %. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
So richtig hat sich mir noch nicht erschlossen, warum wir eine Mitgliedschaft in einem Gremium verbindlich erklären sollen, das von den eigenen Leuten mit solch einer geringen Wahlbeteiligung bedacht wird.
DIE LINKE fordert weiterhin die Abschaffung von Langzeitstudiengebühren. Zur Verdeutlichung: Wir reden hier über 500 Euro bei einer Überziehung der Regelstudienzeit um mehr als vier Semester. Rund 1,5 Milliarden Euro an Steuergeldern stehen den Hochschulen 2019 und 2020 zur Verfügung, Steuern, die von vielen Menschen – auch ohne Hochschulabschluss, beispielsweise in der Pflege, in Kindertageseinrichtungen, im Verkauf, am Fließband – erwirtschaftet werden. Ich weiß nicht, wie DIE LINKE diesen Leuten erklären möchte, dass es eine Gruppe im Land gibt, die so lange, wie sie möchte, auf Kosten der Steuerzahler leben darf.
Das ist erstens ungerecht den vielen Studenten gegenüber, die sich an die vorgegebene Studienzeit halten, und es ist zweitens ungerecht den Menschen gegenüber, die mit ihrem Einkommen ein Leben finanzieren, das von ihrer Lebenswirklichkeit, nämlich derjenigen dieser hart arbeitenden Bevölkerung, sehr weit entfernt ist.
Ich bin dafür, bei der Inanspruchnahme von Erziehungszeit, der Pflege von Angehörigen oder bei Gremienarbeit Ausnahmen zuzulassen. Aber es ist ein Unterschied, ob ich das als Möglichkeit für alle eröffne oder auf den berechtigten Einzelfall eingehe. Wir haben uns für die zweite Variante entschieden.
Der Freiheit von Wissenschaft entgegenstehend, will DIE LINKE die Zivilklausel einführen, das heißt, das Verbot von militärischer Forschung. Wahrscheinlich schlagen Sie uns demnächst vor, das Internet und den Computer wieder abzuschaffen, da diese wesentliche Impulse aus der militärischen Forschung erhalten haben.
Wir halten unsere Hochschulen für selbstbewusst genug, mit Augenmaß zu entscheiden, welche Aufträge sie annehmen.
Zum Schluss lassen Sie mich noch einmal sagen, dass die Koalition in dieser Legislaturperiode viel für die Hochschulen getan hat: Stellenabbau gestoppt, zusätzliche Stellen für die Lehrerausbildung, das Programm „Gute Lehre – Starke Mitte“, bessere Bezahlung von Lehrbeauftragten an Musik- und Kunsthochschulen, mehr Mittel für die Studentenwerke. Die Mittel für die Landesforschungsförderung und die Forschung an unseren Fachhochschulen haben wir deutlich erhöht und Tenure-Track als eigenständigen Karriereweg ermöglicht. Ich könnte noch andere Maßnahmen nennen.
All das nützt den Hochschulen und insbesondere den Studenten und Wissenschaftlern mehr als das von den LINKEN vorgeschlagene Gesetz. Wir werden es ablehnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst spontan Folgendes sagen: Mir ist zumindest schon einmal aufgefallen, dass sich Kollegin Fiedler intensiver und detailgetreuer mit dem Gesetzentwurf auseinandergesetzt hat als Herr Jalaß.
Vielleicht halten wir das in der Debatte jetzt auch so, auch wenn ich sagen muss: Ich bin nicht deiner Meinung, was
die Wahlbeteiligung an Hochschulen betrifft; denn wenn wir hier zur sächsischen Landtagswahl nur die Fachausschüsse wählten, dann würde ich mich aber sehr wundern, wenn die Wahlbeteiligung höher wäre. Aber zurück zum Gesetz.
Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Ende der Legislatur haben wir erneut Gelegenheit, über das sächsische Hochschulrecht zu debattieren. DIE LINKE stellt heute einen zwei Jahre alten Gesetzentwurf zur Abstimmung, der schon bei der Sachverständigenanhörung im August 2017 nicht gerade Jubelstürme auslöste, sondern im Gegenteil auf breite Skepsis stieß und zum Nacharbeiten aufforderte.