Protocol of the Session on June 28, 2018

Das hängt damit zusammen, dass sich teilweise in der Flut von arbeitsmäßigen Belastungen und sicherlich auch dem Aufwand, den sich Staatsanwaltschaft oder Gericht teilen, diese sich zu wenig mit dem Täter-Opfer-Ausgleich beschäftigen können. Das gilt in ähnlichem Maße auch für das Adhäsionsverfahren, sozusagen als die Möglichkeit, in dem der Beschuldigte nach § 403 Strafprozessordnung bereits im Strafprozess seine Schadenersatzansprüche oder seine Ansprüche auf Schmerzensgeld mit geltend machen kann. Die Prozessordnung sieht das vor. Adhäsionsanträge werden mitunter gestellt, aber meistens sieht man davon ab, weil man weiß, dass es nahezu aussichtslos ist, das im Strafverfahren durchzubekommen. Es braucht einfach Zeit.

Wenn ich den zivilrechtlichen Anspruch dem Grunde nach durchführen will, dann braucht es mehr Zeit, und die Zeit fehlt vielen Richtern und vielen Staatsanwälten im täglichen Arbeitsprozess. Es ist also keine Frage der Einstellung, sondern einfach eine Frage der Belastung.

(Martin Modschiedler, CDU, steht am Mikrofon.)

Herr Bartl, gestatten Sie eine Zwischenfrage.

Gern, Herr Präsident.

Herr Modschiedler, bitte.

Zum Täter-Opfer

Ausgleich: Sie hatten das gerade angesprochen. Wenn wir den Antrag hier konkret ansprechen – er liegt uns ja jetzt vor – und Sie diesen Kritikpunkt ansprechen: Wo würden Sie und wie wollen Sie ihn in einem solchen Antrag regeln? Sie sprachen gerade von der richterlichen Unabhängigkeit und dass es dazu Regelungen im Strafgesetzbuch schon gibt.

Herr Kollege, der Antrag regelt nicht – wenn ich den Ansatz richtig verstehe – in allen Dingen bis ins Detail, was alles gemacht werden soll, sondern er bringt eine wesentliche Qualifizierung des Rahmens für den Opferschutz im Freistaat Sachsen. Mir wäre es völlig ausreichend gewesen, wenn in der Aufzählung bestimmter Punkte dieser Hinweis auf die Notwendigkeit und die Wirksamkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs und des Blicks auf das Adhäsionsverfahren mit bezeichnet worden wäre.

Bei der Deklaration!

Ja, damit gewissermaßen die Praxisadressaten mehr oder weniger auch wissen: Hier legt das Parlament wirklich Wert darauf, dass alle Facetten, die den Opferschutz – jedenfalls in diesem Rechtspflegebereich – betreffen können, einbezogen werden.

Ich sage das nicht vordergründig als Kritik, sondern ich sage das einfach als Erwägung, auch wegen des Opferschutzberichts. Das ist eine Sache, die uns zu diesem Thema regelmäßig noch stärker befassen könnte.

Alles in allem: Es ist ein guter Antrag. Es ist inhaltlich eine gute Sache. Er hat nur einen echten Haken: Damit das funktioniert, braucht es wesentliche Voraussetzungen in der personellen und sachlichen Ausstattung; sowohl bei den Sicherheitsbehörden als auch bei den Justizbehörden, bei bestimmten medizinischen Diensten wie der Rechtsmedizin und Ähnlichem mehr. Das können wir alles machen. Ich bin auch sehr froh, dass wir das wollen. Nun kommt es darauf an, nicht nur den Mund zu spitzen, sondern in der Haushaltsdebatte auch zu pfeifen. Darauf würde wir gern unser Augenmerk legen. Ansonsten haben Sie heute unser Ja zu diesem Antrag.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Für die AfD-Fraktion spricht Herr Abg. Hütter. Sie haben das Wort, Herr Hütter.

Vielen Dank. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag soll der Opferschutz in Sachsen gestärkt werden. Der Antrag fokussiert viele Bereiche, sodass ich meinen Redebeitrag auf einige Schwerpunkte lenke.

Zunächst wollen Sie einen hauptamtlichen Opferschutzbeauftragten in jeder der fünf Polizeidirektionen einsetzen. Diese arbeiteten bisher im Nebenamt, haben aber vielfältige Aufgaben: Sie sind die Netzwerke im Hilfssystem der Opferhilfe, bilden intern die Polizeibeamten fort und helfen, den Opferschutz weiterzuentwickeln. Dass diese vielfältigen Aufgaben nur mit einer hauptamtlichen Stelle angemessen zu erledigen sind, sollte jedem klar sein. Die AfD-Fraktion unterstützt diesen Aspekt voll und ganz.

Besondere Bedeutung kommt dem Opferschutz bei Sexualstraftaten zu. Betroffene sind meist traumatisiert und stellen weder Strafanzeige, noch suchen sie medizinische Hilfe oder psychologische Unterstützung. Kommt es zu Verfahren, wird die Mehrzahl wieder eingestellt, weil es an Beweisen mangelt oder fehlt. Wir brauchen auch hier dringende Verbesserungen, gerade vor dem Hintergrund steigender Zahlen von Sexualdelikten. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist leider für 2017 einen Anstieg von über 17 % gegenüber 2016 aus. Auch eine Anhörung im Sozialausschuss hat eindeutig die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit des Ausbaus der anonymen und verfahrensunabhängigen Beweissicherung gezeigt. Opfer sollen die Möglichkeit haben, Beweise für spätere Verfahren sichern zu können, ohne dass zunächst eine Anzeige erstattet werden muss oder weitere Schritte notwendig sind. Das Opfer kann so eher die traumatischen Erfahrungen überwinden.

Jetzt aber genug des Lobes für Ihren Antrag! Nun möchte ich auch einiges aufzeigen, das nicht in Ihrem Antrag steht, mir aber sehr notwendig erscheint. Betrachten wir zunächst das Thema häusliche Gewalt. Wir brauchen ein wohnortnahes und erreichbares Angebot an Schutzeinrichtungen für die Opfer häuslicher Gewalt. Das sind nicht nur Frauen, sondern ein Drittel der Opfer sind Männer: 1 693 pro Jahr in Sachsen. Schutzeinrichtungen existieren in Sachsen aber leider nicht in jedem Landkreis. Im Erzgebirge und in Nordsachsen gibt es keine Einrichtung. Für Männer existieren nur Angebote in Leipzig und Dresden mit jeweils nur drei Plätzen; der Bedarf ist aber wesentlich höher.

Auch die Angebote für Frauen sind mittlerweile ausgelastet. Seit 2014 hat sich der Anteil der Frauen mit Migrationshintergrund in den Frauenhäusern verdoppelt. Mittlerweile werden 41 % der Plätze von ihnen belegt. Diese Angebote müssen dringend ausgebaut werden.

Ein weiterer Punkt ist die Entschädigung der Opfer. Der Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz zeigte dies sehr deutlich. Kritik von Opfern und Hinterbliebenen war, dass Unklarheit über Ansprüche aus den Entschädigungsquellen – Härteleistungen, Opferentschädigungsge

setz und Verkehrsopferhilfe – besteht. Es dauerte fast ein Jahr, bis man den Opfern Hilfe zukommen ließ.

Ein weiterer Kritikpunkt war die Höhe der Entschädigung: Für den Verlust der Eltern, Ehegatten oder Kinder gab es 10 000 Euro, für die Geschwister 5 000 Euro. Die Rentenzahlungen betrugen teilweise beschämende

141 Euro monatlich für Personen, die dauerhaft an einer psychischen Erkrankung leiden werden. Hier kann man schon einmal die Frage stellen, ob das Leid der Betroffenen angemessen berücksichtigt wurde.

Die Bundespolitik reagierte erst spät auf den aufgebauschten öffentlichen Druck und ernannte beispielsweise einen Opferbeauftragten als zentralen Ansprechpartner. Auch dieser schlägt in seinem Abschlussbericht finanzielle Verbesserungen bei Entschädigungen vor. Sie merken: Es ist noch viel Luft nach oben und es gibt noch viel zu verbessern. – Zu dem Antrag werden wir uns in der Abstimmung enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abg. Meier. Bitte sehr, Frau Meier, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im modernen Strafrecht stehen die Täterin und der Täter und der soziale Rechtsfrieden im Mittelpunkt. Straftaten werden verfolgt, um eine Wiederholung zu vermeiden und dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Die Opfer von Straftaten spielen leider eher eine Nebenrolle, was sich in Polizei- und Justizstrukturen sowie im Strafrecht widerspiegelt. Wir haben es von Herrn Bartl gehört. Hier, denke ich, brauchen wir eine andere Haltung. Opfer von Straftaten, und seien sie auch noch so geringwertig, dürfen mit dem Erlebten und oft auch mit seelischen und körperlichen Verletzungen nicht alleingelassen werden. Wir müssen hier unbedingt Hilfe anbieten, und die Opfer müssen Hilfe erfahren. Deshalb bin ich froh, dass die Koalition diesen Antrag vorgelegt und die entsprechenden Probleme erkannt hat. Ich sehe auch deutlich die Handschrift der SPD; daher noch einmal vielen Dank an Herrn Baumann-Hasske, dass Sie hier hartnäckig verhandelt haben!

Ich möchte auf einige Punkte eingehen, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben. Beginnen möchte ich mit dem polizeilichen Opferschutz. Ich finde es sehr gut, dass jetzt das Nebenamt des Opferschutzbeauftragten zum Hauptamt ernannt werden soll. Aber trotz sinkender Deliktzahlen ist ein Anstieg der Arbeitsbelastungen der Opferschutzbeauftragten und damit auch ein Bedarf an zusätzlichen Sachmitteln und an Sachpersonal vorhanden, und ich hoffe, dass Sie die entsprechenden Mittel in den Haushalt eingestellt haben.

Die Opferschutzbeauftragten müssen auf dem aktuellsten Wissensstand hinsichtlich vorhandener Hilfeangebote und der Rechtslage sein. Deshalb ist für mich etwas schleierhaft – Herr Baumann-Hasske, vielleicht können Sie es in der zweiten Runde aufklären –: Bei den Fortbildungsmaßnahmen haben Sie auf das 2. Opferrechtsreformgesetz abgehoben, aber 2015 wurde bereits das 3. Opferrechtsreformgesetz verabschiedet. Warum haben Sie dieses nicht mit aufgenommen? Das frage ich mich.

Ich frage mich auch, warum, nachdem auf Bundesebene nach zähem Ringen im Oktober 2017 die IstanbulKonvention verankert wurde, diese nicht auch in die Fortbildungsmaßnahmen eingegliedert wird. Hier besteht meines Erachtens noch etwas Nachbesserungsbedarf.

In Punkt 4 Ihres Antrages fordern Sie einen schnellen, kostenlosen und transparenten Zugang zu Hilfsangeboten – absolut richtig. Aber was heißt das wirklich konkret? Wie soll zum Beispiel in einer akuten Gefährdungssituation ein schneller Zugang zu Frauenhäusern, zu Interventionsstellen sichergestellt sein, wenn es – wir haben es gehört – im Erzgebirge und in Nordsachsen keine Frauenhäuser und Interventionsschutzeinrichtungen gibt? Wie soll Opfern geholfen werden, wenn sie zum Beispiel in Breitenbrunn im Erzgebirge Opfer einer Straftat werden und der nächste polizeiliche Opferschutzbeauftragte erst 50 Kilometer entfernt anzutreffen ist?

Opfer sexueller und sexualisierter Gewalt bedürfen einer besonders sensiblen Handhabung und Betreuung. Wir haben es gehört: Die Sachverständigenanhörung zum Antrag der LINKEN zur verfahrensunabhängigen Beweissicherung war hierzu wirklich erhellend, deshalb bin ich froh, dass Sie das relativ zügig und schnell in Ihrem Antrag aufgegriffen haben. Wir begrüßen das Vorhaben, ein landesweites Netzwerk aus Praxen, Kliniken und Instituten zu etablieren, in denen verfahrensunabhängige Beweissicherung durchgeführt wird.

Allerdings habe ich trotzdem den Eindruck, Sie haben bei der Sachverständigenanhörung nicht genau hingehört; denn unabhängig von den fehlenden Strukturen ist dort nämlich ein weiterer Missstand zutage getreten: Die Ärztinnen und Ärzte, die Opfer von Sexualstraftaten versorgen, Befunde erheben und Beweise sichern, können das nirgendwo abrechnen. Sie tun dies pro bono. Um Ärztinnen und Ärzte für das Netzwerk zu gewinnen, muss auch sichergestellt werden, dass sie entsprechend dafür entlohnt werden. Auch dazu findet sich in Ihrem Antrag leider nichts. Daher pfeife ich dann gern im gleichen Konzert wie Herr Bartl, wenn es darum geht, in den Haushaltsverhandlungen die entsprechenden Mittel

einzustellen.

Mit einem Punkt im Antrag habe ich allerdings wirklich ein Problem: Das ist Punkt 8. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir darüber dann eine getrennte Abstimmung durchführen. Sie fordern darin einen sächsischen Ombudsmann für die Opfer von Straftaten. Man kann hierzu sagen, es ist gut gemeint; aber ob es am Ende wirklich gut gemacht ist, das steht in den Sternen, da eine

zentrale Anlaufstelle nicht nur die Gefahr eines unnötigen Wasserkopfes und unnötiger, kontraproduktiver Parallelstrukturen birgt, sondern auch die Gefahr besteht, dass die Opfer einen länger werdenden Weg zur konkreten Hilfe haben; denn leider haben Sie in Ihrem Antrag nicht wirklich klar dargelegt, wie das Verhältnis zwischen dem Opferschutzbeauftragten bei der Polizei und der Ombudsperson aussehen soll: Sollen sich die Opfer als Erstes an die Polizei wenden, und dann werden sie an die Ombudsperson weitervermittelt, die sie dann wiederum an ein Frauenhaus weitervermittelt? Ich glaube, das kostet einfach extrem viel Zeit, und diese Zeit haben die Opfer in der Regel nicht. Wenn man mit Fachleuten aus der Praxis spricht – dies sollte man an der einen oder anderen Stelle öfter tun –, dann wird klar, dass der Erstkontakt zwischen der Tat und dem Hilfesystem innerhalb von drei bis maximal fünf Tagen nach der Tat geschehen muss.

Es muss also sehr schnell konkrete Hilfe angeboten werden. Mit einer weiteren Zwischenstation in Form der Ombudsperson sehe ich das eher kritisch. Deswegen werden wir diesem Punkt nicht zustimmen, aber ansonsten gibt es von uns absolute Zustimmung zu Ihrem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Dr. Muster, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Stärkung der Opferrechte ist den Abgeordneten der blauen Partei ein besonderes Anliegen. Opferschutz ist genauso wichtig wie die Verfolgung von Straftaten. Wir werden dem Antrag der CDU und SPD daher zustimmen.

Die einzelnen Forderungen sind grundsätzlich richtig. Mich wundert jedoch die Überschrift des Antrags „Gemeinsam für wirksamen Opferschutz in Sachsen“. Wissen Sie schon jetzt, wie wir später abstimmen werden?

Nun zu den einzelnen Antragspunkten. Die Einführung eines hauptamtlichen Opferschutzbeauftragten ist richtig. Es gibt nur noch an fünf Standorten Polizeidirektionen in Sachsen. Die Kollegen dort sind heillos überlastet. Ein Opferschutzbeauftragter im Nebenamt kann die Aufgabe schon wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht ausreichend wahrnehmen.

Auch über die Grundausbildung und Qualifikation der Opferschutzbeauftragten müssen wir reden. Ein Psychologe oder ein geschulter Sozialarbeiter sind wünschenswert, aber nicht unbedingt eine Besetzung mit einem Polizeivollzugsbeamten. Die Aufgaben des hauptamtlichen Opferschutzbeauftragten sind im Antrag sehr detailliert geregelt. Sie sind nicht neu, sondern werden schon heute von den Opferschutzbeauftragten der Polizeidirektion wahrgenommen. Das Tätigkeitsspektrum sollte der Antrag aber auf keinen Fall abschließend regeln.

Punkt 2. Für Sexualstraftaten gibt es schon jetzt Sonderzuständigkeiten bei der Polizei und auch bei der Staatsanwaltschaft. In den einzelnen Polizeidirektionen gibt es spezialisierte Fachkommissariate für Sexualstraftaten, bei denen direkt Anzeige erstattet werden kann.

Punkt 3. Wer legt die Inhalte für die verbindlichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen fest? Auch hierbei sollten die hauptamtlichen Opferschutzbeauftragten nach unserer Auffassung einbezogen werden. Das fehlt.

Punkt 4. Schon heute haben wir einen schnellen, kostenlosen und transparenten Zugang zu Hilfsangeboten. Das ist gut so. Wo sehen Sie hier Optimierungsbedarf? An welchen Stellen hakt es noch? Die auskömmliche Finanzierung der psychosozialen Beratungsstellen ist richtig, gerade auch im Hinblick auf das 3. Opferrechtsreformgesetz.

Punkt 5 des Antrages. Die Schaffung von separaten Zeugenschutzräumen ist positiv. Der Präsident des Amtsgerichtes Leipzig hat der Opferhilfe Sachsen unmittelbar im Gericht einen geschützen Raum für Zeugen und Opfer zur Verfügung gestellt. Dieses Angebot sollte auch an allen anderen Gerichtsstandorten geschaffen werden.