Protocol of the Session on December 13, 2017

Neben diesen individuellen Ursachen gibt es seit einigen Jahren ein grundsätzlich bedeutsames Problem für diesen Bereich: die Entwicklung des Wohnungsmarktes. Steigende Immobilienpreise, Privatisierung, Deregulierung führen zu steigenden Mieten, mittlerweile nicht mehr nur in den großen Städten. Das macht bezahlbaren Wohnraum mittlerweile auch für Mittelschichten zur Mangelware, und das nicht nur in großen Städten. Allerdings besteht auch hier das Problem der Deregulierung und Privatisierung. Die Entscheidungen der vergangenen Jahre sind nicht einfach einmal so eben innerhalb kurzer Zeit zu korrigieren.

Der präventive Blick, der in der Vergangenheit fehlte, muss nun mühsam durch politische Entscheidungen in

verschiedenen Bereichen wieder gehoben werden. Was uns noch fehlt, ist eine strategische Verknüpfung der Auswirkungen dieser Marktentwicklung im Bereich Wohnung mit den Bereichen Soziales und Teilhabe, die sich vor allen Dingen in gemeinsamen Strategien kommunaler und Landesebene zur Armutsvermeidung wiederfinden. Hier brauchen wir wirksame Instrumente, um Korrekturen vornehmen, um diese Entwicklung möglichst eindämmen und ein gewisses Grundniveau an Wohnungssicherheit in Sachsen für alle Menschen bieten zu können.

Neben diesem Blick zum Wohnungsmarkt möchte ich auch einen kleinen kritischen Blick auf die derzeitige Gestaltung des Sozialstaates hier in Sachsen werfen. Ich habe schon erwähnt: Ein Mensch, der seine Wohnung verliert, hat zumeist eine lange Leidensgeschichte hinter sich und ist häufig durch das Raster unseres eigentlich sehr gut aufgestellten und breit angelegten Sozialstaates gefallen. Da stellt sich doch wirklich die Frage: Warum ist das so und wie kann das passieren?

Frau Schaper, ich glaube nicht, dass es an einer allgemeinen „Ist-mir-egal“-Stimmung, einer allgemeinen Ignoranz der Verantwortlichen liegt. Ich glaube einfach, dass wir uns hier und da zu sehr in Sicherheit damit wiegen, dass wir Schuldnerberatungen, Suchtberatungen, Familienberatungen, Sozialberatungen haben. Jeder kümmert sich um irgendein individuelles Problem. Was ein bisschen aus dem Blick gerät, ist, diese Einrichtungen alle so auszustatten, dass sie auch den Menschen, die Familie als Ganzes in den Blick nehmen können. Das heißt, hier sind wir bei dem wirklich grundsätzlichen Ansatz von sozialer Arbeit, für den wir wieder die Rahmenbedingungen so gestalten müssen, dass die präventive Aufgabe vom Sozialstaat, die darin besteht, Resilienzen aufzubauen, Kinder und Jugendliche zu befähigen, auch ihrer Selbstverantwortung, die Herr Wehner beschrieben hat, nachzukommen.

Diese Aufgabe muss wieder in den Vordergrund rücken. Dazu brauchen die Beratungsstellen – die Diakonie ist genannt worden – genügend Ressourcen, um über den ganz engen Aufgabenspielraum im Konkreten hinausschauen zu können. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Sachsen brauchen Platz und Zeit, um sich dem Menschen und der Familie als Ganzes widmen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Blick ist leider in den letzten zehn bis 15 Jahren verloren gegangen, und zwar durch die Klage über zu hohe Kosten, durch die Angst vor zu vielen Strukturen auch und gerade hier in Sachsen.

Ich werbe daher immer wieder für drei Maßnahmen, die auch im Koalitionsvertrag stehen. Das sind die Wiedereinführung einer landesweiten Statistik auch im Rahmen der Sozialberichterstattung, die Erarbeitung eines Leitbildes für einen aktiven und präventiven Sozialstaat und bessere Rahmenbedingungen für die soziale Arbeit in Sachsen.

Ich will kurz noch etwas erwähnen, auch wenn das vielleicht die Redezeit sprengt. Der Schüler Leonhard Schmidt, ein Neuntklässler aus Dresden, der sich im

Rahmen eines Praktikums bei uns mit dem Thema beschäftigte, hat geschrieben: „Viele Wohnungslose lehnen Hilfen ab. Dieses Neinsagen muss verhindert werden. Man muss erreichen, dass Menschen Ja sagen und Hilfe annehmen. Das meint nicht nur, dass die Betroffenen die Hilfe annehmen, sondern auch, dass der Staat diese Hilfen zur Verfügung stellt.“ – Genau das ist richtig!

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Frau Kollegin Neukirch sprach für die SPD-Fraktion. Für die AfD spricht jetzt Herr Kollege Hütter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch der AfD-Fraktion ist selbstverständlich grundsätzlich bewusst, wie dramatisch dieses Problem in Deutschland ist. Deswegen haben wir Anfang dieses Jahres durch die AfD-Fraktion das Thema Obdachlose hier im Plenum eingebracht. Damals kam übrigens von Ihnen der Vorwurf, die AfD wolle mit dieser Thematik nur Stimmung machen.

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Wenn DIE LINKE das Thema Wohnungslose/Obdachlose einbringt, dann ist das selbstverständlich ein ganz anderer Fakt.

Der gesamte Problemkomplex inklusive der beklagenswerten Kältetoten wurde bereits von Frau Sabine Zimmermann im Januar 2017 im Deutschen Bundestag vorgetragen. Nun soll es am richtigen Ort debattiert werden, auf Landesebene.

Die Wohnungslosigkeit spitzt sich zu. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Insbesondere sind das der Mangel an preiswertem Wohnraum in den Ballungsräumen und die starke Zunahme der Zahl von Asylbewerbern und Zuwanderern. Genau hier ist DIE LINKE Teil des Problems.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Was?)

Denn Ihre Forderungen zur Flüchtlingsaufnahme und zum Familiennachzug verschärfen letztendlich das Problem der Wohnungslosigkeit. Geschätzt sind 50 % der Wohnungslosen in Deutschland anerkannte Flüchtlinge.

(Zuruf der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Diese Zahlen sind von der BAG Wohnungslosenhilfe. Dementsprechend halte ich diese Zahlen für realistisch.

Die Situation mit Gewalt, Kälte und teilweisem staatlichen Desinteresse bei der Thematik ist klar anzuprangern. Das sehen wir genauso.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Frau Schaper.

Sind Sie der Meinung, dass Flüchtlinge kein Obdach brauchen? Meinen Sie mit Ihrer Hilfestellung für Obdachlose Ihren sinnlosen Antrag, bei dem Sie hier WLAN für Obdachlose gefordert haben, um damit das Thema irgendwie zu besetzen?

Die Problematik ist letztendlich eine ganz andere. Die Problematik ist zum Beispiel, dass fast 50 % der Sozialwohnungen fehlbelegt sind. Das ist zum Beispiel ein Problem, bei dem die Politik einschreiten muss.

Sind Sie der Meinung, Flüchtlinge sind keine Menschen?

Letztendlich geht es um die Problematik, dass wir Flüchtlinge haben, die abgeschoben werden müssen. Auch dadurch wird Wohnraum frei. Das muss man ganz klar benennen.

Brauchen Flüchtlinge kein Obdach? Sind Flüchtlinge für Sie keine Menschen?

Das habe ich doch mit keinem einzigen Wort behauptet. Was erzählen Sie denn hier?

Das ist eine Frage.

Ich führe weiter fort.

Bitte hier keine Dialoge. Bitte keine weiteren Zwischenfragen.

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Das ist interessant, … wirklich!)

Unsere Lösungsansätze sehen vor allem gute Löhne für ein selbstbestimmtes Leben vor, dazu die Unterstützung des ländlichen Raumes, Verringerung von Baukosten, Beendigung der fehlgeleiteten Asylpolitik und der Politik der offenen Grenzen, wodurch mehr Wohnraum durch die Abschiebung von mehr als 10 000 ausreisepflichtigen Asylbewerbern allein hier in Sachsen entsteht.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Schwache gegen Schwache ausspielen, das können Sie!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD – Carsten Hütter, AfD: Sie kommen mit Fakten nicht klar, das ist Ihr Problem! – Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE – Glocke des Präsidenten)

Ich möchte Sie noch einmal auf das Instrument der Kurzintervention verweisen. Dann könnten Sie auf den Redebeitrag reagieren. – Keine Kurzintervention. Dann machen wir weiter. Herr Kollege Zschocke, Sie sprechen jetzt für die Fraktion der GRÜNEN.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat ist die zuneh

mende Zahl alarmierend. Deshalb ist es gut, dass die Linksfraktion heute hier den Blick darauf lenkt.

(Beifall der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Gerade im Winter spitzt sich die Situation für die Betroffenen zu. Sie dürfen nicht Opfer von Kälte werden. Da ist eine Vielfalt an Angeboten wichtig: Tagestreffs, Unterkünfte. Ich war erst am Montag in einer Chemnitzer Einrichtung und habe dort mit den Bewohnern gesprochen. Mobile Kältehilfen sind wichtig, warme Getränke, Essen an den Treffpunkten, zusätzliche Schlafplätze.

In den Wintermonaten, meine Damen und Herren, sind viele Haupt- und Ehrenamtliche im Einsatz, um zu helfen, weil niemand gezwungen sein soll, auf der Straße zu schlafen. Es gibt einen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten.

Für die Bereitstellung solcher Hilfen sind zunächst die Kommunen verantwortlich. Trotzdem ist es richtig, dass wir hier im Landtag darüber sprechen, meine Damen und Herren. Der Freistaat kann und darf sich hier nicht aus der Verantwortung ziehen. Wenn wir uns die Gründe für Wohnungslosigkeit anschauen, dann werden wir feststellen, dass sie sehr vielfältig sind und viele Menschen in ihrem Leben treffen können. Das ist zum Beispiel ein geringes Einkommen, das nicht mehr für die Miete reicht. Vor allem in den Ballungsräumen steigen die Mieten auch in Sachsen. Zu den Gründen zählen auch der Arbeitsplatzverlust, Schulden, Krankheiten, körperliche Krankheiten genauso wie psychische, Lebenskrisen wie Trennung und Scheidung, auch Diskriminierung, zum Beispiel von Migrantinnen und Migranten auf dem Wohnungsmarkt. Vieles von den Ursachen bleibt allerdings im Dunkeln, da Personen mit unbekanntem Wohnsitz aus dem Meldesystem fallen und schnell vergessen werden.

Die Diakonie hat aus ihrer Arbeit mit Wohnungslosen in Sachsen sehr umfassend berichtet. Sie informierte, dass die Zahlen steigen. Die meisten der Wohnungslosen sind 25 bis 35 Jahre alt oder noch jünger. Gerade bei den U 25 sind es die harten Sanktionen des Jobcenters, die oft dazu führen, dass Wohnungslosigkeit entsteht. Minderjährige in den Bedarfsgemeinschaften sind von der Wohnungslosigkeit der Bedarfsgemeinschaften zunehmend betroffen. Wohnungslosigkeit betrifft auch alte Menschen, darunter über 75-Jährige. Mehrere Familien mit Kindern sind unmittelbar von Zwangsräumung und Wohnungsverlust bedroht. Das sind Familien, die bei Wohnungslosigkeit die Trennung befürchten. Das führt zu schlimmen seelischen Problemen. Die Umstände sind wirklich dramatisch.

Man kann deshalb nicht auf die Kommunalpolitik abstellen. Hier kann und muss auch die Landespolitik helfen.

Die Forderungen der Sozialverbände und der Opposition sind dabei nicht neu. Sachsen braucht eine landesweite Wohnungsnotfallberichterstattung. Der Prüfauftrag steht zwar im Koalitionsvertrag, Frau Neukirch, aber ich gehe davon aus, dass er still und heimlich beerdigt wird, da es