Protocol of the Session on December 13, 2017

Sie ist beantragt von der Fraktion DIE LINKE zum Thema

Zweite Aktuelle Debatte

Wohnungslose in Sachsen –

Opfer von Kälte, Gewalt und staatlichem Desinteresse

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Als Antragsstellerin hat zunächst die Fraktion DIE LINKE das Wort. Das Wort ergreift Frau Kollegin Schaper für die einbringende Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was sind das für Zeiten, in denen, wie in der letzten Woche in der Zeitung zu lesen war, Obdachlose in Altpapiercontainern übernachten müssen, um vor Kälte zu fliehen, sie dann von der Müllabfuhr im Container entleert werden und sich in schwerster Weise verletzen? Es sind verdammt kalte Zeiten, die Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung sind. Davor darf sich keiner der hier Anwesenden aus der Verantwortung schleichen. Wir dürfen die mittlerweile über 3 500 Menschen in Sachsen, die sich im Jahr 2016 in Wohnungsnot befanden, weder ignorieren noch im Stich lassen.

Die Diakonie Sachsen, die sich im Gegensatz zu anderen auf ihre christlichen Werte besinnt, fordert zu Recht: Schaut endlich hin! Eine Gesellschaft ist nur so stark wie ihr schwächstes Mitglied. Nicht nur der Genosse Brünler kann ehemalige schwergewichtige CDU-Mitglieder

zitieren, sondern auch ich möchte das tun: „Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht.“ Das sagte kein Minderer als Helmut Kohl.

Von Ihrem Desinteresse werden die Zahlen der Betroffenen leider nicht kleiner. Allein eine Sozialberichterstattung, die schon für 2016 von Ihnen angekündigt war und an der jetzt, 2017, doch schon gearbeitet wird, wird an der Situation recht wenig ändern. Auch wenn Sie überlegen, die Wohnungslosen und die von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen einzubeziehen – von einem bloßen Aufführen der Zahlen in einem Bericht wird sich kein

einziger Wohnungsnotfall klären lassen und kein einziger Obdachloser ins Warme bringen lassen.

Wir müssen die Ursachen kennen, um effektiv und aktiv etwas dagegen unternehmen zu können. Eine Verweigerung des Lebenslagenreports sowie einer Wohnungsnotfallberichterstattung entbehrt daher jeglicher Vernunft, und angesichts der stetig steigenden Zahlen, die sich in den letzten 13 Jahren verdoppelt haben, ist es schlichtweg verantwortungslos, so etwas nicht als Anlass für politisches Handeln zu nehmen.

(Beifall bei den LINKEN)

In den letzten 26 Jahren sind fast 300 Wohnungslose in ganz Deutschland erfroren. Brauchen wir erst einen solchen Fall in Sachsen, damit endlich offensiv etwas getan wird?

Mein Dank gilt an dieser Stelle ganz besonders der Diakonie und allen Einrichtungen, die dies bislang in Sachsen verhinderten und sich ehren- sowie hauptamtlich der Menschen angenommen haben, ihnen vor Ort mit Unterkunft, Sachspenden, Essen und anderweitig helfen und dazu beitragen, deren Leid zu mindern.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Diakonie sei deshalb namentlich erwähnt, weil sie sich immer wieder die Arbeit macht, die Zahlen und die Ursachen übersichtlich aufzuarbeiten. Diese reichen von persönlichen Lebenskrisen wie Krankheiten und Todesfällen, Überschuldung durch beispielsweise krankhaftes Suchtverhalten bis hin zu Mietschulden durch Vollsanktionierung von Sozialleistungen. Doch eines haben alle Fälle gemeinsam: Sie rutschen durch das soziale Netz, verbunden mit dem Verlust der eigenen vier Wände.

Besonders erschreckend ist zudem, dass unter diesen 3 533 Wohnungsnotfällen in Sachsen 566 Kinder unter 18 Jahren waren. In einem der reichsten Länder der Welt sind Kinder von Wohnungsnot bedroht, weil der Sozialstaat nicht mehr funktioniert, weil niemanden zu interessieren scheint, ob das soziale Netz an dieser Stelle Lücken hat oder nicht.

Auch ohne hellseherische Fähigkeiten weiß ich jetzt schon, dass die Gazetten und Medien morgen fast nur über die Neubesteigung des sächsischen Throns berichten werden. Dennoch ist es uns ein besonderes Anliegen, das gerade heute in unserer Aktuellen Debatte zum Thema zu machen und die Menschen, die von Wohnungsnot betroffen sind, in den Fokus zu rücken, –

Die Redezeit ist zu Ende; danke.

– die Opfer von schweren Schicksalsschlägen, von sozialer Kälte, Gewalt und staatlicher Ignoranz geworden sind. Hinsichtlich des Wiegenfestes sollten wir nicht weiter die Augen davor verschließen.

Die Redezeit, Frau Kollegin.

Das ist sehr schade, Herr Präsident.

Sie können noch einmal sprechen. Sie haben noch genug Redezeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war die einbringende Fraktion DIE LINKE. Sie eröffnete diese Aktuelle Debatte. Als Nächstes kommt die CDU-Fraktion zum Zuge, Kollege Oliver Wehner, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schaper, so düster, wie Sie das Bild malen, so düster ist es in Wirklichkeit nicht.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Nein?!)

Um ein, zwei Dinge aus Ihrer Rede herauszugreifen: Das eine ist neben dem Zitat von Helmut Kohl das Lob an die Verbände, die eine wichtige und hervorragende Arbeit machen, was die Betreuung von Wohnungslosen, aber auch Obdachlosen hier vor Ort betrifft. Neben der Diakonie sind auch das Deutsche Rote Kreuz oder der ASB und viele andere gemeinnützige Arbeiten zu nennen.

Ich will – um auf Ihren Beitrag einzugehen – einmal zwei Punkte herausnehmen. Das sind die Sozialpolitik und die Wohnungspolitik. Was die Sozialpolitik betrifft, würde ich drei Stufen beleuchten. Zum einen: Wie viele Chancen hat man überhaupt in Deutschland? – Das sollte vorangestellt werden. Welche Hilfen gibt es bei schwierigen Lebensla

gen, und welche Hilfen gibt es beim Fall der Obdachlosigkeit?

Zum Ersten, was die Chancen betrifft: Wenn Sie in Deutschland leben, haben Sie die Möglichkeit, eine Berufsausbildung oder ein Studium zu absolvieren. Sie haben die Möglichkeit, mit Fleiß und guter, harter Arbeit einen Arbeitsplatz zu bekommen.

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Sie haben darüber hinausgehend noch die Möglichkeit, Fördermaßnahmen des Staates in Anspruch zu nehmen. Diese sind für Familien, für Menschen mit Behinderung, aber auch für viele andere. Das ist der erste Aspekt. Also nehmen Sie Ihr Leben in die Hand und machen Sie etwas daraus.

Aber es gibt auch schwierige Lebenslagen. Das ist ganz klar. Bei diesen Lebenslagen – damit komme ich zum zweiten Punkt – hilft der Staat, zum Beispiel bei Arbeitslosigkeit oder schwerer Krankheit. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen – das will ich auch noch einmal ins Plenum führen –, gibt es bei der schwierigen Lebenslage, bei Arbeitslosigkeit für einen Alleinstehenden Hartz IV aktuell einen Betrag von 416 Euro, den der Staat überweist und mit dem er unterstützt, und ein zusätzliches Wohngeld von 390 Euro. Hier wird den Menschen erst einmal geholfen.

Wenn Sie sich die Armutsquote anschauen – Sie haben auch Statistiken bemüht –, haben Sie von 2010, als wir noch 430 000 Menschen mit SGB-II-Bezug hatten – –

(Susanne Schaper, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich möchte erst einmal ausführen. Wir kommen in der zweiten Runde sicherlich noch dazu.

2010 hatten wir 430 000 Menschen, die auf diese Leistungen angewiesen waren, und 2015 nur noch 335 000. Hier ist die Armutsquote rückläufig. Das heißt, wir haben in unserem Staat gute Bedingungen.

Der dritte Punkt ist die Frage der Hilfe bei Obdachlosigkeit. Hier sind die Kommunen in der Pflicht, den Menschen, die ein Obdach benötigen, entsprechend zu helfen. Das heißt, wir haben verschiedene Angebote. Sie haben die Diakonie angeführt. Ich kann von meinem Wahlkreis das DRK anführen, bei dem ich ehrenamtlich engagiert bin. Dort werden neben den Angeboten für die eigentliche Wohnung, die kurzzeitige oder langzeitige Unterbringung, entsprechende Angebote zur Wiedereingliederung, zur Integration gemacht. Auch das ist besonders wichtig; denn sie haben bei den Hilfebedürftigen andere einhergehende Probleme, was zum Beispiel die Drogenproblematik, Alkoholkonsum etc. betrifft. Da ist natürlich Hilfe notwendig.

An dem Vorschlag der Diakonie in ihrer Stellungnahme, nämlich die Verbesserung der Zusammenarbeit der Akteu

re vor Ort – zum Beispiel das Jobcenter, das Landratsamt oder die Kommune an sich –, ist etwas dran. Das kann man schon verbessern. Das ist eine Frage, die vor Ort unterschiedlich beantwortet werden muss.

Auf den zweiten Punkt, den wohnungspolitischen Aspekt, gehe ich nur kurz ein. Der Freistaat hat mehrere Förderrichtlinien, wenn Sie zum Beispiel an die Förderrichtlinie von 2016 denken, gebundener Mietwohnraum. Das bedeutet, von 2016 bis 2019 sind 140 Millionen Euro in die geförderten Wohnungen gegangen. Das sind über 4 000 mietpreisgebundene Wohnungen. Auch hier ist es wichtig, dass der Staat Anreize setzt, dass Wohnungen günstig zur Verfügung stehen. Der Staat hilft, wo Hilfe notwendig ist, aber unser erklärtes Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Kollege Wehner sprach gerade für die CDU-Fraktion. Frau Dagmar Neukirch spricht jetzt für die SPD-Fraktion. Bitte, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit, Obdachlosigkeit betrifft leider immer mehr Menschen in Deutschland und auch in Sachsen. Das ist besorgniserregend. Die Zahlen wurden genannt. Insbesondere die Entwicklung bei jungen Menschen, bei Familien und die Zunahme bei Frauen sollte uns hier ein Auftrag sein, uns näher damit zu beschäftigen.

Die Diakonie versucht, weiterhin landesweit für Sachsen Zahlen zu erheben, und beschreibt, dass sich in den vergangenen zehn bis 13 Jahren die Zahl der Hilfesuchenden in den Beratungsstellen fast verdoppelt hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Mensch, der in einer Beratungsstelle Hilfe sucht, ein Mensch, der seine Wohnung verliert, hat meist einen sehr langen Leidensweg mit sozialen oder familiären Einschnitten, mit gesundheitlichen Einschränkungen oder psychischen Erkrankungen hinter sich. Meist kommen hier mehrere Faktoren zusammen: Arbeitslosigkeit, Trennung, Verschuldung,

Sucht, physische und psychische Erkrankungen.

Neben diesen individuellen Ursachen gibt es seit einigen Jahren ein grundsätzlich bedeutsames Problem für diesen Bereich: die Entwicklung des Wohnungsmarktes. Steigende Immobilienpreise, Privatisierung, Deregulierung führen zu steigenden Mieten, mittlerweile nicht mehr nur in den großen Städten. Das macht bezahlbaren Wohnraum mittlerweile auch für Mittelschichten zur Mangelware, und das nicht nur in großen Städten. Allerdings besteht auch hier das Problem der Deregulierung und Privatisierung. Die Entscheidungen der vergangenen Jahre sind nicht einfach einmal so eben innerhalb kurzer Zeit zu korrigieren.