Bevor wir in die weitere Rederunde einsteigen mit den einbringenden Fraktionen CDU und SPD, den LINKEN, der AfD, den GRÜNEN und der Staatsregierung, wenn gewünscht, sehe ich jetzt am Mikrofon 1 eine Kurzintervention. Bitte, Frau Kollegin Dr. Pinka.
Vielen Dank, Herr Landtagspräsident. Wenn es gestattet ist, auf die erste Rede unseres neuen Ministerpräsidenten eine Kurzintervention abzuhalten, würde ich das gern tun. Ich finde es schon sehr interessant, dass der Herr Ministerpräsident jetzt ans Pult tritt und diese Aktuelle Debatte mit einer ersten Rede eröffnet.
Ich glaube, er muss noch stärker die Dinge im Blick haben, die wir in den letzten Jahren geleistet haben. Wir hatten hier im Landtag eine Enquete-Kommission, die sich insbesondere mit der Innovationspolitik im Freistaat Sachsen befasst hat. Wir müssen die Dinge verfolgen, die wir dort im Mehrheitsvotum, aber auch im Minderheitsvotum festgehalten haben. Ich würde mir wünschen, Sie würden sich mit dieser wichtigen Unterlage, die jetzt schon fast in die Jahre gekommen ist, beschäftigen und Ihre Sicht der Dinge stärker in die Koalitionsfraktionen hineintragen, damit wir das, was wir vereinbart haben, auch umsetzen.
Das war die Kurzintervention von Frau Kollegin Dr. Pinka. Auf diese kann man reagieren. Dies tut unser neu gewählter Ministerpräsident nun von hier vorn aus.
Dr. Pinka, ich bin in den letzten 15 Jahren intensiv mit der Bildungs- und Forschungspolitik beschäftigt gewesen und weiß daher, dass dieses Land, der Freistaat Sachsen, eine der ausgeklügeltsten und umfassendsten Strategien für Forschung, Entwicklung und Wissenschaft hat. Das hat auch sehr viel damit zu tun, dass wir immer Ministerinnen und Minister hatten, denen das besonders wichtig war, aber natürlich auch Ministerpräsidenten, die das unterstützt haben.
Ich möchte Ihnen nur Folgendes sagen: Zu dem Thema Siemens – sowohl in Leipzig als auch in Görlitz – wird derzeit so viel Unfug erzählt, dass man nur froh sein kann, dass auch in dieser Debatte einmal mehr die Fakten auf den Tisch kommen können und man am Ende klarer sieht, was hier Sache ist. Wir müssen dafür sorgen, dass deutlich wird, dass dieses Produkt, das gerade auch in Görlitz hergestellt wird, nichts mit der Kraftwerkssparte zu tun
hat, sondern ein internationales Produkt ist, das in Görlitz selbst, auch vom Engineering, von der Entwicklung her betrieben wird.
Görlitz ist das Leitwerk. Dieses Thema ist ein Beispiel dafür, wie Forschung und Entwicklung funktioniert haben und dass wir ein Headquarter, von dem viel die Rede war, in den neuen Ländern haben. Deshalb, meine Damen und Herren, es ist auch so wichtig, dass man darum kämpft und die Erfolge dort nicht einfach so kaputtgehen lässt.
Das war die Reaktion auf die Kurzintervention – ein ganz interessantes und eigentlich auch wirkmächtiges parlamentarisches Instrument, das wir sehr häufig anwenden. – Nun kommen wir zur einbringenden CDU-Fraktion. Das Wort ergreift Kollege Octavian Ursu. Bitte, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es von Anfang an klarzustellen: Unsere Fraktion setzt sich für eine solide soziale Marktwirtschaft in Sachsen und in Deutschland ein.
Das heißt aber nicht, dass ein Konzern, in dem einzelne Manager aufgrund fragwürdiger wirtschaftlicher Analysen dabei sind, falsche Entscheidungen zu treffen, einfach so in Sachsen Standorte schließen kann. Unabhängig von der besonderen gesellschaftlichen Verantwortung eines
deutschen Konzerns in Deutschland stellt sich an dieser Stelle die Frage der wirtschaftlichen Kompetenz derjenigen Manager, die solche Maßnahmen auf den Weg bringen. Es liegt uns fern, gut überlegte wirtschaftliche Entscheidungen, auch wenn sie sich manchmal als schwierig erweisen, infrage zu stellen. Es geht uns auch nicht um Gut und Böse: die kleinen fleißigen Arbeiter einerseits und der große böse Konzern andererseits; aber im Falle des Siemens-Werkes in Görlitz ist die geplante Schließung schlicht und einfach nicht nachvollziehbar. Herr Kaeser, wo sind die legendären Tugenden des Siemens-Konzerns, die weltweit geschätzt werden? Wo sind die Fachkompetenz und die gesellschaftliche Verantwortung geblieben?
Bei der Produktion von Industrieturbinen wirkt im Geschäftsjahr 2017 eine Marge von 5 % niedrig. Diese hat sich im Vergleich zum Vorjahr allerdings verdoppelt und weist auf einen deutlich wachsenden Geschäftsbereich hin, und genau über diesen sprechen wir, wenn wir uns das Siemens-Werk in Görlitz mit seiner mehr als 100jährigen Tradition, seiner hohen Innovationskraft und seiner leistungsfähigen Fachkompetenz anschauen.
Hier werden unter modernsten technischen Bedingungen kleine bis mittelgroße Dampfturbinen hergestellt, beispielsweise für die chemische Industrie, die Lebensmittel- und Metallindustrie, die sich großer Nachfrage erfreuen. Die Nutzung erneuerbarer Energien und die Tendenz zu dezentralen Lösungen lassen diese Technologie in den Vordergrund rücken. So ist Görlitz aktuell Weltmarktführer in der Ausrüstung dezentraler Biomassekraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung und solarthermischer Kraftwerke.
Die immer weniger gefragten Großturbinen für Kraftwerke werden übrigens in Mülheim, Nordrhein-Westfalen, produziert. Dorthin möchte der Siemens-Konzern mit der angekündigten Standortschließung des zukunftsträchtigen Görlitzer Werkes die Produktion der Industrieturbinen verlegen, und er argumentiert unter anderem mit der deutschen Energiewende. Auch dieses Argument ist bei näherer Betrachtung nicht haltbar; denn weltweit gibt es bereits seit einiger Zeit eine schwächer werdende Nachfrage nach Großturbinen. Diese werden aber in Mülheim und nicht in Görlitz produziert. Die geplante Schließung des Siemens-Werkes setzt über 700 Arbeitsplätze für hoch qualifizierte und motivierte Fachkräfte aufs Spiel.
Dazu kommen zahlreiche Stellen bei rund 200 Zulieferern, Speditionsunternehmen und Dienstleistern allein in der Region Ostsachsen. Diese Region ist bereits seit 1990 in besonderer Weise von einer negativen demografischen Entwicklung und ihren Folgen für die Infrastruktur betroffen. Anders als in Ballungszentren wie Mülheim oder Erlangen ist der hiesige Arbeitsmarkt nicht in der Lage, die freigesetzten Arbeitskräfte wieder aufzunehmen. Ich bin mir sicher, dass wir uns alle einig sind, dass die geplanten Schließungen inakzeptabel sind und wir alternative, zukunftsfähige Konzepte seitens des Konzerns erwarten.
Wir glauben, dass es im Siemens-Konzern auch fähigere Manager gibt als jene, die solch wirtschaftlich fragwürdige Lösungen vorgeschlagen haben. Herr Kaeser, setzen Sie bitte die richtigen Leute ein, die mit Fachkompetenz tragfähige Alternativen erarbeiten können! Lassen Sie die historisch gewachsene gesellschaftliche Verantwortung des Siemens-Konzerns wieder zur Geltung kommen!
Kollege Octavian Ursu sprach für die einbringende CDU-Fraktion. Nun gibt es eine Kurzintervention von Herrn Urban, AfD-Fraktion, von Mikrofon 7. Sie wollen gleich von hier vorn reagieren, Herr Kollege? – Bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Ursu! Ich muss Ihnen widersprechen. Sie sagten, der weltweite Trend bei Großkraftwerken gehe in
eine andere Richtung. 2012 waren weltweit noch 120 Kohlekraftwerke im Bau oder geplant, 2017 sind es bereits 190 Kohlekraftwerke, die im Bau oder geplant sind. Der weltweite Trend geht in Richtung Großkraftwerke. In Europa ist dieser Trend nicht so. Ich glaube, Sie machen es sich sehr einfach, wenn Sie sagen, das Werk in Görlitz könnte funktionieren, weil der Turbinentyp ein anderer sei. Das ist ein großer Gesamtkonzern, und die Werke in Görlitz und Leipzig gehören zur Kraftwerkssparte von Siemens, und Siemens baut in dieser Sparte ab und verlegt Produktion.
Wir wissen, dass es in Görlitz eine ganz moderne Produktion mit kleinen und mittelgroßen Turbinen gibt. Das sind nicht die Turbinen, die für Kohlekraftwerke benutzt werden. Sie werden, wie ich vorhin erwähnt habe, in ganz anderen Industrien und Bereichen benutzt, deshalb ist das nach unserer Information möglich. Wir brauchen andere Konzepte, und der SiemensKonzern ist fähig, andere Konzepte zu erarbeiten. Er ist fähig, er muss nur wollen.
Das waren eine Kurzintervention und die Reaktion darauf. Die Kurzintervention bezieht sich ja immer auf den vorangegangenen Redebeitrag. Sie war also korrekt. – Wir setzen in der Rednerreihe fort. Kollege Thomas Baum ergreift nun für die einbringende SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun, die Fakten und Zahlen zu den Siemens-Schließungsabsichten bezüglich Görlitz und Leipzig sind, denke ich, hinlänglich bekannt und ich will darauf jetzt nicht im Detail eingehen.
Wir, die SPD-Fraktion und ich ganz persönlich, haben überhaupt kein Verständnis dafür, dass der SiemensVorstand bei einem Jahresgewinn von 6,2 Milliarden Euro Schließungspläne überhaupt entwickelt hat und gewillt ist, diese auch durchzupeitschen.
Um einmal mit falschen Behauptungen aufzuräumen: In den von der Schließung betroffenen Werken in Görlitz und in Leipzig werden Produkte hergestellt, die von der Energiewende explizit nicht betroffen sind. Es gibt kein Exportverbot der Bundesregierung für Dampfturbinen aus Görlitz. Dieses Werk ist auch nicht von den RusslandSanktionen betroffen.
Klar ist auch, dass der Rückgang bei Power and Gas nichts direkt mit den Werken in Leipzig und Görlitz zu tun hat. Deren Auftragsbücher sind gut gefüllt, weil sie in ihren Segmenten nun einmal zu den Weltmarktführern gehören. Klar ist auch, dass wir für den Erhalt aller Standorte kämpfen, nicht nur für die in Sachsen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf den Standort Görlitz wären die Auswirkungen in der Tat besonders schwierig. Dort sind neue Perspektiven für die Beschäftigten nur schwer zu finden. Eine SiemensSchließung von Görlitz hätte gravierende Folgen für die gesamte Oberlausitz wegen der bestehenden Strukturschwäche.
Apropos Strukturschwäche: Ich möchte Ihnen zwei Zitate aus den vergangenen Wochen und Tagen vorlesen. Erstes Zitat: „Es scheitert ja häufig nicht am Geld, sondern es scheitert daran, dass man entsprechendes Personal hat und auch Ideen hat. In weiten Teilen dieser ostdeutschen Regionen“ – gemeint ist die Oberlausitz – „ist es so, dass in der Vergangenheit die klügsten Köpfe abgewandert sind, und wenn die fehlen und andere bleiben, die es nicht drauf haben, ist das auch negativ für die gesellschaftliche Entwicklung in so einer Region.“
Übersetzt heißt das für mich: Die Klugen sind alle weg, und nur die weniger Klugen sind noch da. Der Mann setzt noch einen drauf: „Das muss man“ – also die Politik – „den Leuten dann auch sagen. Ihr werdet hier auf lange Sicht eine strukturschwache Region sein.“
Gesagt hat das der allseits bekannte Prof. Ragnitz vom Ifo-Institut Dresden in der ARD-Sendung „Kontraste“ am 07.12. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht mich wütend!
machte es im MDR-Interview vom 17.11. nicht besser: Wir sollen aufhören, immer zu jammern, wenn wieder ein Großkonzern eine verlängerte Werkbank bei uns zugemacht hat. Sie meinte damit, der sächsische Mittelstand sei stark genug, die in Görlitz wegbrechenden Arbeitsplätze dann an andere Orte zu verlagern.
Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte sich deshalb mancher Oberschlaue einmal in die Oberlausitz begeben. Dort gibt es nämlich viele kluge Köpfe. Dort leben viele fleißige Menschen, die gern dort arbeiten und die ihre Heimat trotz der bestehenden Strukturschwäche auch nicht verlassen wollen.