Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte sich deshalb mancher Oberschlaue einmal in die Oberlausitz begeben. Dort gibt es nämlich viele kluge Köpfe. Dort leben viele fleißige Menschen, die gern dort arbeiten und die ihre Heimat trotz der bestehenden Strukturschwäche auch nicht verlassen wollen.
Natürlich haben wir in der Region – auch dank der Hochschule Zittau-Görlitz – in den letzten Jahren viele kluge Köpfe dazubekommen. Und – das ist ganz wichtig – im Gegensatz zu Prof. Ragnitz wollen und werden wir in der Koalition und mit der Staatsregierung die Oberlausitz in ihrer jetzigen Strukturschwäche nicht belassen. Wir
müssen uns aber auch selbst in Verantwortung begeben und uns dieser stellen, denn diese regionale Strukturschwäche ist nicht in Stein gemeißelt.
Wir müssen handeln, und zwar gemeinsam, für eine bessere Erreichbarkeit, für eine bessere Verkehrsinfrastruktur, für einen ländlichen Raum, in dem Familien gern leben. Unsere Fraktion hat dazu im Juni ein Strategiepapier zur Oberlausitz beschlossen.
Es ist Zeit zum Handeln für uns alle, sowohl in der Politik als auch in den Unternehmen wie Siemens und Bombardier. Die Botschaft lautet daher: Wir geben die Oberlausitz nicht auf! Wir geben Siemens und wir geben Bombardier nicht auf!
Kollege Thomas Baum sprach für die einbringende SPD-Fraktion. Jetzt spricht für die Fraktion DIE LINKE Kollege Brünler, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte auch ich sagen: Ich halte es für ein wichtiges und gutes Signal, dass wir hier heute – ich denke geschlossen – als Parlament unsere Solidarität gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Siemens in Sachsen und auch gegenüber den Betriebsräten, die für den Erhalt ihrer Arbeitskräfte kämpfen, zum Ausdruck bringen.
Meine Damen und Herren! Es ist schon fast ein zynischer Witz, wenn der Siemens-Vorstand Kaeser unmittelbar nach der Bundestagswahl sagt: Na ja, das Ergebnis könne ja auch damit zu tun haben, dass wir hier ein Versagen der Wirtschaftseliten haben, denn es mögen möglichst alle Menschen von einer florierenden Wirtschaft profitieren.
Was passiert nur wenige Wochen später? Der gleiche Mann meldet einen Gewinnsprung von 11 % auf ein Rekordergebnis von 6,2 Milliarden Euro und verkündet gleichzeitig die Streichung von 7 000 Arbeitsplätzen und Werkschließungen vor allem in Ostdeutschland. Er stellt gültige Vereinbarungen mit dem Betriebsrat und der IG Metall infrage, wonach betriebsbedingte Kündigungen auch als Massenkündigungen in Deutschland in Zukunft wieder denkbar wären.
Der Konzern sagt ganz lapidar: Diese Einschnitte sind notwendig, um unser Know-how bei der Kraftwerkstechnologie, bei Generatoren und bei großen elektrischen Motoren wettbewerbsfähig halten zu können.
Dafür schließen wir das Motorenwerk in Leipzig und das Görlitzer Werk, welches Leitwerk im Bereich Industrieturbinen ist? Hier ist das Know-how zu Hause, meine Damen und Herren. Das Werk in Görlitz ist voll ausgelastet. Das Werk in Görlitz erwirtschaftet eine Umsatzrendite von knapp über 10 %! Aber das scheint den RenditeErwartungen der Anteilseigner nicht zu genügen. Dazu
muss man aber auch sagen: Den Rekordgewinn von 6,2 Milliarden Euro haben nicht die Anteilseigner erwirtschaftet, sondern den haben die Siemens-Mitarbeiter erwirtschaftet, die jeden Tag zur Schicht gegangen sind, auch hier in Sachsen, meine Damen und Herren.
Vor allen Dingen haben ihn die Siemens-Mitarbeiter erwirtschaftet, die in den Krisenjahren Einschnitte hingenommen und zu ihrem Unternehmen gestanden haben, während der Vorstand mit Korruptions- und Schmiergeldskandalen beschäftigt war. So interpretiert der Siemens-Vorstand gesellschaftliche Verantwortung und
Umgekehrt ist man großzügiger. So hat Siemens – auf Kosten der Steuerzahler, wenn man so will – in den letzten vier Jahren allein aus Bundesmitteln Aufträge und Förderzusagen in Höhe von 275 Millionen Euro und Exportgarantien von fast 5,1 Milliarden Euro bekommen. Weitere 3 Milliarden Euro sind bereits in Aussicht gestellt worden. Über weitere 6,1 Milliarden Euro an Exportgarantien wird derzeit mit der Bundesregierung verhandelt.
Lassen Sie mich kurz noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen. Es ist vor rund einem Monat eine Studie der Bundesregierung über die Arbeit der Treuhandgesellschaft in den Neunzigerjahren öffentlich gemacht worden. Dabei kam es nicht ganz überraschend: Das Bild der Arbeit der Treuhandgesellschaft wird von vielen in Ostdeutschland vor allem mit Deindustrialisierung ganzer Landstriche in Verbindung gebracht und ist durchaus negativ besetzt. Wir hatten in vielen Regionen trotz Massenabwanderung, vor allem der jungen Generation, über Jahrzehnte hinweg eine verfestigte Arbeitslosigkeit von über 20 %. Das hat bis heute Auswirkungen. Ich erinnere nur an das, was wir immer als demografischen Wandel besprechen.
Sie fragen sich vielleicht, warum ich das an dieser Stelle sage. Was hat das mit den aktuellen Profitmaximierungsplänen bei Siemens zu tun? Ganz einfach: Die persönliche Situation ist für alle Siemensianer, die von der Entlassung betroffen sind, hart und es ist vollkommen egal, ob in Leipzig, in Görlitz, in Erfurt oder auch in Mülheim an der Ruhr. Aber es gibt Regionen in Ostdeutschland, die vor einer erneuten Deindustrialisierung stehen. Wenn man sich die Lausitz und speziell Görlitz anschaut, wo es nicht nur um Siemens geht, sondern wo auch die Situation bei Bombardier nach wir vor eine äußerst kritische ist, dann steuert man hier im Extremfall auf eine Arbeitslosigkeit von über 25 % in einer ganzen Region zu. Das müssen Sie sich einmal überlegen: über 25 % Arbeitslosigkeit in Deutschland in einer Region in dieser Zeit.
Was heißt das für viele Menschen? Für viele Menschen ist das ein Erlebnis Treuhand 2.0. Nun kann man sagen, die
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind andere. Aber die persönliche Auswirkung ist die gleiche geblieben. Marktwirtschaft heißt für viele im Lande eben schlicht, dass sie vom allerorts beschworenen Wirtschaftsaufschwung als Letzte profitieren, dass sie womöglich heute gut verdienen, aber schon morgen um ihre Existenz fürchten müssen, weil sie Manager mit für sie nicht nachvollziehbaren Argumenten einfach aussortieren.
Über die konkrete Situation vor Ort wird in einer zweiten Runde mein Kollege Schultze noch genauer eingehen.
Kollege Brünler hat gerade für die Fraktion DIE LINKE gesprochen. Für die AfD spricht jetzt Kollege Urban.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wieder einmal debattieren wir über den Rückzug eines großen Unternehmens weg aus Sachsen. Wieder einmal stehen Tausende Arbeitsplätze hier in Sachsen auf dem Spiel – zuerst Vattenfall, danach Bombardier und jetzt Siemens. Geht morgen vielleicht Volkswagen aus Sachsen weg?
Der Erhalt und die Sicherung von Arbeitsplätzen ist eben nicht Aufgabe eines Unternehmens. Ein Unternehmen soll neue Produkte auf den Markt bringen und Gewinn erwirtschaften, und das tut Siemens sogar vorbildlich. Ob Siemens für diesen Zweck Roboter einsetzt oder ob die Produktionsstätte in Polen, in China oder in Sachsen ist, das ist für den Unternehmenszweck zweitrangig.
Der Erhalt und die Sicherung von Arbeitsplätzen ist Aufgabe der Politik. Was tut unser ehemaliger Ministerpräsident Herr Tillich?
Sie kündigen wieder einmal politischen Druck an, auch vor dem Siemens-Werk in Görlitz am 11. September. Ich zitiere: „Ihr seid nicht allein. Ich stehe hier auch für Ministerpräsident Tillich.“
„Gemeinsam werden wir Druck entwickeln, damit Siemens als größtes Industrieunternehmen der Republik seiner sozialen Verantwortung gerecht wird.“
Auch unser neuer Ministerpräsident, Herr Kretschmer, spricht hier schon wie ein sozialdemokratischer Gewerkschaftsfunktionär.
Ausstieg aus der Kernkraft, Ausstieg aus der Kohleverstromung und eine Überlastung der europäischen Netze mit Überschutzstrom aus Solar- und Windkraft aus Deutschland, übrigens hochsubventioniert vom deutschen Steuerzahler.
CDU und SPD zerstören den europäischen Markt für Dampf- und Gasturbinen in Europa. Das ist Ihr politischer Druck. Exportverbote für Turbinen oder für Kraftwerkstechnik in den Wachstumsmarkt Russland – das ist der Druck, den Sie ausüben.
(Andreas Nowak, CDU: Davon sind Görlitz und Leipzig überhaupt nicht betroffen! Haben Sie vorhin nicht zugehört?)
Politischen Druck bauen die Staatsregierung und insbesondere CDU und SPD nur in eine Richtung auf: auf die sächsischen Arbeitsplätze. Ihre industriefeindliche Wirtschaftspolitik, liebe CDU und liebe SPD, führt perspektivisch zu der Deindustrialisierung von Sachsen. Sie führt zu Unternehmensentscheidungen, wie sie gestern Vattenfall und heute Siemens getroffen haben.
Versuchen Sie nicht den Schwarzen Peter der sozialen Verantwortung den Unternehmen zuzuschieben! Tun Sie als politisch Verantwortliche etwas für den Industriestandort Sachsen! Machen Sie endlich eine industriefreundliche Politik!
(Beifall bei der AfD – Staatsminister Martin Dulig: Applaus der AfD für die Verstaatlichung in Sachsen!)
Herr Urban sprach für die AfD-Fraktion. Jetzt gibt es eine Kurzintervention. Bitte, Herr Kollege Homann, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! An dieser Stelle kann man ein paar Dinge nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen, die hier von der AfD vorgetragen wurden. Ich möchte deutlich widersprechen; denn ich finde, es ist die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern und insbesondere von Ministerinnen und Ministern, da zu sein, wenn es irgendwo Probleme gibt, und sich nicht zu drücken.