Protocol of the Session on November 16, 2017

über viele Jahre prägen, und Sie als grüne Partei haben vor diesem Mehrheitswillen Angst. Sie haben Angst vor Bürgerentscheiden, weil Sie genau wissen, dass Sie Ihre politischen Ziele damit niemals umsetzen könnten.

(Beifall des Abg. André Wendt, AfD)

Das war eine Kurzintervention. Auf die kann jetzt reagiert werden. Bitte, Kollege Zschocke.

Herr Kollege Urban, das Problem ist, dass Sie nicht entscheiden können, was der Volkswille ist. Niemand vertritt den Volkswillen und den Mehrheitswillen allein. Die Rhetorik, mit der Sie Ihre Programmatik vortragen, wie Sie deutlich machen, was im Interesse der deutschen Bevölkerung ist, trägt genau diese Gefahr, dass am Ende diejenigen, die anderer Meinung sind, ausgegrenzt und stigmatisiert werden, möglicherweise auch zu Volksfeinden erklärt werden. Wozu das führt, haben wir in der deutschen Geschichte schon erlebt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, den LINKEN und der SPD – Jörg Urban, AfD: Das ist eine infame Unterstellung!)

Gibt es in der dritten Rederunde weiteren Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Damit erteile ich der Staatsregierung das Wort. Herr Staatsminister Dr. Jaeckel, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es hat eben eine sehr interessante interfraktionelle Diskussion stattgefunden. Auf die werde ich mich jetzt nicht beziehen, weil sich das für ein Mitglied der Staatsregierung auch nicht gehört, sondern ich werde mich auf die Stellungnahme der Staatsregierung zu diesem Antrag beziehen.

Mit Ihrem Antrag, an die Fraktion DIE GRÜNEN gewandt, evozieren Sie den Gegensatz zwischen einer modernen Bürgergesellschaft und dem Obrigkeitsstaat, wobei sich die Fraktion GRÜNE nach ihren Vorstellungen auf der Seite der Bürgergesellschaft wähnt und die Koalition, wie sollte man das sonst verstehen, im Obrigkeitsstaat wähnt. Dem haben sich auch andere angeschlossen. Die Koalition müsse sich vom obrigkeitsstaatlichen Denken entfernen. Bevormundung, Kapitulation und Rückzug der Bürger sei die Folge.

Das kommt so dreist daher, meine Damen und Herren, dass der Antrag zu einer verfassungsrechtlichen Dekonstruktion geradezu aufruft.

(Beifall bei der CDU)

Artikel 1 der Sächsischen Verfassung stellt fest: „Der Freistaat Sachsen ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland. Er ist ein demokratischer, sozialer Rechtsstaat.“ Die Beschreibung des Landes Sachsen als Teil der

Bundesrepublik Deutschland und die Bezugnahme auf die Republik ist eine klare Absage an jegliche obrigkeitsstaatliche oder diktatorische Herrschaft. Deshalb kann ich es nicht nachvollziehen, dass die Staatsregierung oder auch die CDU-Fraktion bzw. die SPD-Fraktion mit einem „aufgeklärten Absolutismus oder obrigkeitsstaatlichen Denken“ assoziiert wird.

(Beifall bei der CDU)

In zwei Jahren, 2019 also, können wir übrigens der Weimarer Reichsverfassung, dieser epochalen Errungenschaft der Staatsrechtslehre, gedenken. Welches politische Denken hat Sie dazu bewogen, 98 Jahre später in einem laut klarem sächsischen Verfassungstext demokratischen Rechtsstaat einen Obrigkeitsstaat auszumachen? Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Und der LINKEN, Herr Richter, halte ich entgegen, dass der letzte Obrigkeitsstaat auf sächsischem Boden 1989 sein Ende gefunden hat.

(Beifall bei der CDU)

Aus diesem Grunde bitte ich bei diesen Begriffen auch in der demokratischen Auseinandersetzung vielleicht etwas mehr Klarheit walten zu lassen, denn der Obrigkeitsstaat ist Akteur in allen öffentlichen Belangen, er bezieht die Bevölkerung politisch nicht ein und drängt sie in eine Untertanenrolle. Wie geschichtsvergessen muss man sein, wenn man das mit unserem Land zusammenbringt, und das vor allem, weil die Präambel unserer Sächsischen Verfassung gerade darauf hinweist, dass sich das Volk im Freistaat Sachsen dank der friedlichen Revolution im Oktober 1989 diese republikanische, und ich ergänze, demokratische Verfassung gegeben hat.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Sie werfen uns vor, dass wir die Demokratie nicht leben würden, womit wir beim Volk wären. Dem Freistaat Sachsen ist ab 2014 von Externen attestiert worden, dass wir in unglaublich vielen Veranstaltungen Bürgerdialoge, Bürgerbeteiligungen und Bürgerversammlungen durchgeführt haben. Hier wird immer von dem Staat gesprochen, aber es sind auch die Kommunen, die Landkreise und Vereinigungen, die Bürgerversammlungen machen. Es hat nach meinem Eindruck noch nie so viele Bürgerforen und Bürgerveranstaltungen gegeben. Die haben nicht nur der Freistaat und die Staatsregierung organisiert, sondern viele Partner.

Wir haben Bürgerdialoge des Ministerpräsidenten begonnen. Ich will das hier nicht wiederholen, weil es auch schon Gegenstand von Aktuellen Debatten war. Der Titel „Miteinander in Sachsen für eine starke Zukunft im Land“ ist nicht nur plakativ gemeint, er ist so. Gerade in den letzten Tagen hat die Landeszentrale für politische Bildung mit dem Bundespräsidenten und dem Ministerpräsidenten zusammen eine Veranstaltung durchgeführt. Da will ich mal den Titel vortragen: „Unterschiede aushalten, Streit wagen, Demokratie leben“.

(Zuruf von den LINKEN)

Wer von der Opposition da war? Es war eine öffentliche Veranstaltung. Da hätten Sie hingehen können.

(Martin Modschiedler, CDU: Ihr seid ja nicht zu

der Veranstaltung gekommen. Es war ja keiner da

von Euch! – Sarah Buddeberg, DIE LINKE:

Wir waren nicht auf dem Podium. Soll ich mich

unten hinsetzen und Euch zuhören? –

Glocke des Präsidenten –

Ihr wollt keine Debatte!)

Ich verweise – –

(Unruhe im Saal – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Gebhardt, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, machen Sie von der Kurzintervention Gebrauch. Stellen Sie Zwischenfragen. Lassen Sie unseren Herrn Staatsminister bitte weiter zu Wort kommen. Bitte.

Ich gehe auch zu Veranstaltungen, bei denen ich nicht auf dem Podium bin. Das kann ja jeder frei entscheiden.

(Beifall bei der CDU – Susanne Schaper, DIE LINKE: Ja, wir lassen ihn auch allein auf dem Podium sitzen!)

Meine Damen und Herren! Sachsen ist eine Bürgergesellschaft und der Freistaat befördert dies. Mehr als 200 000 Menschen sind im sächsischen Landessportbund engagiert. Wir haben Freiwillige und Ehrenamtler in Vereinen. Wir unterstützen das mit dem Programm „Wir in Sachsen“. Wir haben das Programm „Weltoffenes Sachsen“, das Frau Köpping, meine Kollegin, administriert, und das Demokratiezentrum Sachsen ins Leben gerufen, auch in den letzten zwei Jahren. Ich glaube, das ist ein guter Weg. Das werden wir auch weiter praktizieren; denn mithilfe dieser Maßnahmen erreichen wir, dass die Bereitschaft gefördert wird, öffentlich zu handeln.

An die AfD möchte ich mich zum Schluss wenden, Herr Urban. Wer eine demokratisch gewählte Regierung als „obrigkeitsstaatlich“ bezeichnet und dabei ohne Selbstreflexion übergeht, dass er in den Mehrheitsverhältnissen unterlegen geblieben ist, der offenbart selbst obrigkeitsstaatliches Denken,

(Beifall bei der CDU)

und zwar – ich will das auch begründen – weil er sich anmaßt, für eine Mehrheit zu sprechen, die er gar nicht hat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Eine Kurzintervention, Herr Urban. Eine Zwischenfrage geht jetzt nicht mehr.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Eine Kurzintervention. – Sehr geehrter Herr Staatsminister, ich möchte noch einmal klarstellen: Der Begriff „Obrigkeitsstaat“ ist von der GRÜNEN-Fraktion eingebracht worden. Ich habe mich mit diesem Begriff in meinen Redebeiträgen heute nicht gemeingemacht.

Herr Minister, wollen Sie noch einmal darauf reagieren? – Nicht.

Meine Damen und Herren! Damit ist die zweite Aktuelle Debatte geschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2

Befragung der Staatsminister

Für die Staatsregierung berichtet zunächst die Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz, Frau Barbara Klepsch, zum Thema „Die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessern – das Bundesteilhabegesetz und seine landesrechtliche Umsetzung“. Es stehen zehn Minuten Redezeit für die Einbringung zur Verfügung. Sie kennen das Prozedere. Im zweiten Teil behandeln wir das Thema „Medizinische Versorgung im ländlichen Raum stärken – wohnortnahe stationäre medizinische Versorgung bei der Krankenhausplanung sichern“, eingebracht von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Ministerin, Sie haben jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mehr Selbstbestimmung, mehr Möglichkeiten, weniger Behindern, das waren und sind bundesweite Ziele der Politik für und mit Menschen mit Behinderungen.

Ich darf noch einmal kurz daran erinnern: Im Jahr 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten. Mindestens ebenso lange diskutieren wir über die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe.

In den Jahren 2014 und 2015 beschäftigte sich damit auf Bundesebene eine Arbeitsgruppe mit vielen beteiligten Interessentengruppen. Ende 2015 lag dann ein Arbeitsentwurf zum BTHG vor.