Protocol of the Session on May 18, 2017

Gestatten Sie die Zwischenfrage? – Bitte, Kollege Schiemann.

Lieber Herr Kollege, sind Sie heute in einer Theaterveranstaltung?

(Lachen und Beifall bei der CDU)

Das war die Frage? – Kollege Schiemann, ich könnte salopp darauf antworten: Wer hat denn damit angefangen?

(Heiterkeit und Beifall bei den LINKEN)

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, es geht wirklich um Europa. Es geht allmählich ums Eingemachte, und Sie lassen sich hier feiern – also von sich selbst. Ich meine,

Ihre Fraktion macht ja nicht einmal richtig mit. Haben Sie gesehen, wie viele Leute nicht applaudieren? Ich habe großes Verständnis dafür.

(Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

Ich mache weiter.

Bitte.

Sie, Herr Schiemann, fordern, wir sollen auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger Antworten geben. Sind Sie eigentlich in der Lage, die Antworten zu geben? Kennen Sie die? Ich gebe zu, ich bin so weit noch nicht, im Übrigen die EU-Kommission auch nicht. Sie hat sich eine Meinung gebildet, aber sie stellt mit ihrem Weißbuch und ihren Szenarien Diskussionsbeiträge, Reflexionspapiere zur Diskussion. Ich bin der Auffassung, dass wir in Europa, dass wir in Sachsen in Europa einen viel breiteren Diskussionsprozess brauchen, nicht nur hier im Parlament, nicht nur im Europaausschuss. Wir müssen den mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit den Verbänden, mit der kommunalen Ebene führen, um überhaupt eine sinnvolle Antwort, eine Meinungsbildung für uns herbeizuführen. Das wäre erforderlich, nicht die obrigkeitsstaatliche Attitüde, wir beantworten die Fragen der Bürger, die sie berechtigterweise haben.

Nein, Europa muss anders gehen. Das haben im Übrigen auch andere Vorredner – Herr Baumann-Hasske, Frau Dr. Maicher – schon ausgeführt. Europa muss anders gestaltet werden. Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten, auch als Sächsischer Landtag. EU ist mehr als eine Fördermittelverteilmaschine. Wenn es denn wirklich um europäische Werte geht, dann geht es vor allem um Beteiligung. Das war, glaube ich, das große Manko der Vergangenheit, und deshalb wird der EU so viel Misstrauen entgegengebracht.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein „Weiter so“ kann es nicht geben! Die EU-Kommission hat jetzt die Säule der sozialen Rechte zur Diskussion gestellt, das Reflexionspapier. Damit sollten wir uns intensiv befassen. Kollege Baumann-Hasske, ich bin da völlig bei Ihnen. Wir müssen der Konkurrenz und vor allem den Ungleichgewichten in Europa die soziale Säule nicht entgegenstellen, aber wir müssen mit der sozialen Säule, mit der sozialen Dimension Europa stärken und absichern. Ansonsten fliegt uns das irgendwann um die Ohren.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir – – Dabei geht es nicht um Waschbärenanträge. Im Übrigen, wenn Sie Subsidiarität sagen, Kollege Schiemann, frage ich mich: Haben Sie das System überhaupt verstanden? Sie sollten sich bemühen, endlich zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Anträge zu stellen, damit man als Landtag eine richtige Positionierung vornehmen kann. Dann wären wir auf der richtigen – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Kollege Stange! Eine Frage, weil Sie Subsidiaritätsbedenken und die Anträge immer wieder thematisieren: Sind Anträge zu Subsidiaritätsbedenken hier im Europaausschuss für Sie ein Instrument sächsischer Europapolitik, oder ist die Anzahl von Subsidiaritätsbedenken oder Rügen ein Selbstzweck?

Nach meinem Dafürhalten ist es eben kein Selbstzweck, sondern es ist sehr wohl Teil von Europapolitik. Aber der Instrumentenkasten ist breiter gestrickt. Es geht nicht nur um Subsidiarität im engen Sinne, sondern auch um die Beteiligung im politischen Dialog. Seit Jahren – Ihre Fraktion genauso, liebe Kollegin Maicher – versuchen wir, den Kollegen Schiemann – er ist der hartleibigste Vertreter –

(Steve Ittershagen, CDU: Herr Kollege, bitte!)

zu überzeugen, doch endlich aus diesem Topf herauszukommen und zu sagen, jawohl, lasst uns Positionierungen zu wichtigen Fragen vornehmen, die uns als Sächsinnen und Sachsen bewegen, aber auch im europäischen Konzert als Region interessieren und bewegen.

Lasst uns dann – das haben wir mehrfach angeboten – der Sächsischen Staatsregierung – wir liegen ja nicht immer über Kreuz – auch starke Voten mit an die Hand geben für Europa! Das wäre, so glaube ich, geboten, und deshalb müssen wir das gesamte Instrumentarium der Europapolitik bei uns im Hause nutzen.

(Beifall bei den LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht also nicht um Partikularinteressen, sondern es geht insgesamt um eine gemeinsame Gestaltung europäischer Politik im gemeinsamen europäischen Haus.

Für mich heißt aber die Diskussion auf eine breite Grundlage zu stellen, dass wir mit diesen Diskussionen aus diesem Haus hinausgehen müssen und dass wir mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Deshalb gestatten Sie mir, hier einen Vorschlag zu machen, dass wir als Europaausschuss gemeinsam mit der Sächsischen Staatskanzlei bzw. mit der Sächsischen Staatsregierung Europa-Foren in Sachsen durchführen, bei denen wir mit Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich gemeinsam ins Gespräch kommen, Fragen austauschen und Problemlagen miteinander diskutieren können, um uns dann als Sächsischer Landtag, als Europaausschuss und als Plenum insgesamt auf breiter Grundlage mit gemeinsamer Willens- und Meinungsbildung zu Europa sowie zu den wichtigen Herausforderungen zu positionieren, die anstehen. Denn die Herausforderungen sind groß – Sie haben das umrissen, Herr Kollege Baumann-Hasske. Aber lassen Sie uns bitte die Diskussion führen. Ansonsten fahren wir Europa vor den Baum. Das können wir uns nicht leisten, und das wollen wir uns nicht leisten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Jetzt möchte Herr Kollege Urban vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen.

Herr Stange, ich möchte Ihren letzten Satz noch einmal aufgreifen. Sie sagten, wenn wir die Probleme nicht anfassen und mit den Bürgern besprechen würden, würden wir Europa vor den Baum fahren. Es sind viele Probleme zwar richtig dargestellt worden, aber eine ganz wichtige Klarstellung ist: Wenn wir die Probleme nicht lösen – und momentan sieht es dafür nicht sehr gut aus –, dann fahren wir vielleicht die EU, wie sie heute konstruiert ist, an den Baum. Europa aber fahren wir ganz sicher nicht an den Baum.

(Beifall bei der AfD – Zurufe von der CDU)

Wollen Sie reagieren, Herr Kollege? – Das ist nicht der Fall. Dann kommt jetzt in der zweiten Rederunde für die AfD-Fraktion der Kollege Barth zu Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch unser Herz schlägt für Europa, aber eben nicht für die Institution „Europäische Gemeinschaft“ – das ist der entscheidende Unterschied. Denn was wir brauchen, ist ein Europa der Vaterländer.

(Au! bei SPD und den LINKEN – Vereinzelt Lachen bei der CDU – Zuruf von der Staatsregierung: Und was ist mit den Müttern?)

Herr Baumann-Hasske, die südeuropäischen Länder müssen ihre Währungen wieder selbstständig abwerten können, denn das ist der einzige Weg, wie sie wettbewerbsfähig werden können.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Unsinn!)

Die Eurozone ist in der derzeitigen Form zum Scheitern verurteilt.

(Widerspruch bei der SPD)

Denn eine Währungsunion kann nur zwischen Staaten funktionieren, die aus eigener Kraft ihre Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten können und auch wollen.

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD – Zurufe des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Das war Herr Barth. Jetzt könnten die GRÜNEN erneut das Wort ergreifen. – Das wird nicht verlangt. Damit sind wir am Ende der zweiten Rederunde und könnten jetzt die dritte eröffnen. Möchte die CDU-Fraktion das Wort ergreifen? – Das ist nicht der Fall. Herr Kollege Baumann-Hasske? – Auch nicht. Gibt es Redebedarf in einer dritten Runde aus den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Damit hat jetzt die Staatsregierung das Wort. Herr Staatsminister Jaeckel, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Sächsischen Landtags! Im März dieses Jahres haben wir 60 Jahre Römische Verträge gefeiert. Wir haben damit die Wertegemeinschaft der Europäischen Union auch in diesem Landtag behandelt. Es wurde davon gesprochen, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen. Dies, meine Damen und Herren, ist kein Selbstzweck. Nach meiner Einschätzung ist es auch so, dass wir vielleicht zu häufig zu ökonomistisch und zu funktional über die Europäische Union gesprochen haben.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Es ging um zu viel Volkswirtschaft und um zu viele Institutionen. Es ist wichtig, diese Debatte vielleicht einmal von den Werten her zu beginnen. Daher möchte ich auf die Bemerkungen eingehen, die einige Abgeordnete hier in ihrem Redebeitrag angesprochen haben, dass der Beitrag und der Titel zu viel Pathos hätten. Aber auch die Kritiker der EU brauchen Empathie. Es geht also nicht um Pathos, sondern um Empathie für die europäische Idee. Diese Empathie muss alle Regionen Europas umfassen – auch alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere die Jugendlichen in Europa, die im Süden unserer europäischen Regionen unter hoher Arbeitslosigkeit leiden und wo die Europäische Union mit verschiedenen Maßnahmen und Programmen versucht, Hilfe zu leisten.

Der zweite Teil des Titels bezieht sich auf die sächsische Europapolitik. Ich möchte aus Sicht der Staatsregierung einige grundsätzliche Prinzipien zur landespolitischen Position darstellen: Europa muss wieder eine Gemeinschaft des gemeinsamen Willens und Wollens werden. Wir brauchen jetzt nach dem Brexit und nach dem Frankreich-Votum eine Zeit gemeinsamer Willensbildung. Es wurde bereits auf die Weißbuch-Debatte der Europäischen Kommission hingewiesen. Bedeutsam ist, dass Emmanuel Macron zwei sehr bedeutsame Persönlichkeiten in den letzten Tagen in sein Kabinett berufen hat, und zwar Philippe Étienne – der französische Botschafter in Berlin, der in den Elysée-Palast wechselt – sowie Sylvie Goulard, von der heute Morgen bekannt wurde, dass sie neue Verteidigungsministerin in Frankreich wird. Beide Personen zeichnen sehr enge Beziehungen zu Deutschland aus. Neben anderen Fremdsprachen sprechen beide auch fließend Deutsch. Deswegen ist es richtig, Herrn Macron gerade nicht Einhalt bei seinen europapolitischen Maßnahmen zu gebieten, sondern im Gegenteil wieder die deutsch-französische Achse und den deutsch-französischen Motor in Gang zu bringen.

Meine Damen und Herren, das bietet eine riesengroße Chance: Frankreich hat in den letzten zehn Jahren 500 000 Industriearbeitsplätze verloren. Es besteht die Gelegenheit, dass wir mit Frankreich wieder in einen Dialog darüber eintreten, wie Volkswirtschaften und Gesellschaften – auch die sozialen Fragen – in der Europäischen Union zukünftig gestaltet werden können. Da

erhoffe ich mir,aufgrund der engen Beziehungen, die zwischen Deutschland und Frankreich bestehen, insgesamt in Kerneuropa einen neuen Antritt.

Ein zweites Prinzip der Europapolitik ist folgendes: Die Regionen haben eine starke Stimme. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Marko Schiemann hat auf den Visegrád-Prozess hingewiesen. Die Sächsische Staatsregierung hat Überlegungen, wie man diesen Visegrád-Prozess auch mit deutschen Bundesländern verbinden kann. Auch Bayern hat eine lange Landesgrenze zur Tschechischen Republik. Vielleicht ist es angezeigt, eine bayerischsächsische Initiative in Richtung Visegrád-Staaten zu unternehmen, damit wir als Region insgesamt in Brüssel wirksamer dargestellt werden können.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Das dritte Prinzip, das die Europapolitik in Sachsen aus Sicht der Staatsregierung mitbestimmen sollte, ist, keine Entscheidungen zulasten künftiger Generationen zu treffen. Das war auch ein Thema beim Besuch des EUHaushaltskommissars Oettinger letzte Woche. Der Ministerpräsident hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Generationen jeweils ihre Entscheidungen zu den anstehenden Fragen treffen müssen. Das bedingt, dass wir Probleme, über die unsere Generation entscheiden muss, nicht zulasten junger Generationen – wir haben heute viele junge Menschen als Gäste im Plenum, die uns zuhören – verlagern dürfen. Dazu gehört auch, keine Vergemeinschaftung von Schulden von Mitgliedsstaaten zu betreiben, denn auf diese Weise würden wir Schulden, die jetzt gemacht werden, nur auf die künftigen Generationen verlagern. Das ist etwas, wofür die Sächsische Staatsregierung sehr deutlich einsteht. Es obliegt uns, diese Entscheidung zu treffen und nicht zu delegieren.

Was bedeutet das jetzt konkret? Wir sollten das institutionelle Gefüge verbessern. Ich bin auch dafür, es demokratischer zu machen und sich noch einmal die Beteiligungsformen anzuschauen, Frau Maicher. Wenn man sich das entsprechende Dokument im AEUV anschaut, dann gibt es diese schon; sie haben nur sehr hohe Hürden. Das liegt natürlich daran, dass wir 27 Mitgliedsstaaten haben mit einer Bevölkerung von rund 500 Millionen Menschen.

Auch bei der Währungsunion sollte genau nachgedacht werden, diese im Euroraum zu vertiefen, und zwar dann, wenn die volkswirtschaftlichen Eckpunkte dies angezeigt erscheinen lassen. Darüber ist zu reden. Hier gibt es eine unmittelbare Beziehung zwischen der volkswirtschaftlichen Entwicklung der Regionen und der Währungsunion.