Protocol of the Session on September 29, 2016

Für uns als CDU-Fraktion ist dieser Tag ein Tag der Freude und Dankbarkeit. Ich möchte das noch einmal aus vollem Herzen betonen. Das wird auch immer so bleiben.

Wir wissen, dass der Tag der Deutschen Einheit ein Nationalfeiertag ist. Er ist aber für uns Sachsen auch ein Tag des Föderalismus. Wir als Sachsen sind jetzt ein gleichberechtigtes Land im Bund. Wir können uns mit unserer Geschichte einbringen. An diesem Tag im Jahr 1990 wurde auf der Albrechtsburg in Meißen der Freistaat Sachsen wiedergegründet. Diese Tradition wurde aufgenommen. Dementsprechend sind wir erstens seitdem im Föderalismus im Land unterwegs. Wir bringen uns in Deutschland in die Diskussionen ein. Wir schlagen auch Brücken der Einheit, und zwar in vielen Bereichen.

Das betrifft nicht nur die Politik. Es gibt unendlich viele Kirchgemeinden und unendlich viele Kommunen, die Partnergemeinden haben, in denen die Menschen bis heute teilweise in der zweiten Generation aktiv sind, sich die Dinge erklären und die Einheit Deutschlands mit befördern. An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Dankeschön an diese Partnerschaften aussprechen, die bis heute für unsere deutsche Einheit wichtig sind und dies auch bleiben.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Unsere Aufgabe ist aber auch, im größeren Maßstab zu denken. Wir liegen in der Mitte zwischen Ost und West. Es gibt teilweise Traditionen im Land, die auch in Polen und Tschechien gegenwärtig sind. Insofern sind wir

ebenso mit der Aufgabe betraut, zu vermitteln und für Verständnis zu werben. Insofern ist es eine gute Zeit, dass unser Ministerpräsident, Stanislaw Tillich, zurzeit Bundesratsvorsitzender ist und genau mit diesem Thema unterwegs ist. Ich denke, dass wir damit auch in Deutschland für Deutschland, für Europa und die europäischen Diskussionen einen wichtigen Beitrag leisten.

Ich hatte erstens vom Föderalismus gesprochen. Zweitens komme ich nun zur Demokratie. Die westlichen Demokratien müssen und können zeigen, dass sie sich auf Basis ihrer Vielfalt, ihrer Diskussionsfreude und der Freiheit hier einbringen und mitmachen können. Das muss auch in schwierigen Zeiten bei schwierigen Entscheidungen der Fall sein, um unsere Demokratie zu erhalten und dieses Land und Europa zusammenzuhalten.

Ich sehe immer wieder ganz deutlich die Stärke von Vielfalt, Dynamik und Verbesserungs- und Veränderungswillen in unserem Land. Wenn wir eine Entscheidung gefällt haben, dann stellen sich immer folgende Fragen: Bleibt es so? Wie wird es evaluiert? Wie wird es kontrolliert? Wie kommen wir mit den Entscheidungen weiter? Sind wir auf dem richtigen Weg? Diese Veränderungsbereitschaft hat die Demokratien in Deutschland, aber auch in Europa vorangebracht. Diese Stärke ist wichtig. Darauf müssen wir immer wieder hinweisen, gerade in den Zeiten, in denen das hinterfragt wird, in denen von Verkrustungen und staatlicher Allmacht geredet wird.

Die Aufgabe dieses Hauses ist es ebenfalls, immer wieder darauf hinzuweisen, welche wichtige Rolle die Politik hat. Wir vertreten die Bürger. Wir vertreten nicht den Staat. Der Staat soll durch die Bürger in politischen Entscheidungen kontrolliert und teilweise bestimmt werden. Mit diesem Selbstbewusstsein sind wir unterwegs, gerade aus diesem Landtag heraus, aus der Koalition und Opposition. Wir leisten damit einen wichtigen Beitrag für unser Land, und dies auch weiterhin.

Ich möchte als dritten Punkt kurz die Toleranz ansprechen. Prof. Wöller hatte gestern dies im ökonomischen Zusammenhang dargestellt. Ich sehe aber auch den Gesamtzusammenhang. Die Vielfalt der Diskussionen und des Einbringens kann nur fruchtbar sein, wenn wir ebenfalls tolerant gegenüber andern sind. Es gibt zwei Seiten einer Medaille. Thomas Colditz hatte dies bereits angesprochen. Ich kann nur tolerant sein, wenn ich auch weiß, wer ich bin. Insofern spiegeln die Diskussionen, die zurzeit im Land stattfinden, genau das wider. Der Erinnerungstag zur Deutschen Einheit trägt ebenso dazu bei, dass wir uns wieder vergewissern, wer wir sind, wo wir stehen und wohin wir wollen. So empfinden wir die Diskussionen am heutigen Tag.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Herr Kollege von Breitenbuch sprach für die CDU-Fraktion. Nun wäre die

ebenfalls einbringende Fraktion SPD an der Reihe. Wird das Wort gewünscht? – Es besteht kein Redebedarf. Somit ist die Fraktion DIE LINKE an der Reihe. Als Nächstes spricht Herr Kollege Gebhardt, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Zschocke. Ihre Rede macht es mir einfacher, mit meiner Rede zu beginnen. Sie haben mir mit Ihrer Rede, die Sie heute hier gehalten haben, gezeigt, dass ich von Ihnen und Ihrer Partei in den letzten 26 Jahren viel gelernt habe. Ich habe eine Sichtweise auf die DDR kennengelernt, die nicht immer meine ist. Ich habe gelernt, wie man mit Demokratie umgeht und was Opposition bedeutet. Dass Sie nicht stehengeblieben und mit irgendeinem Pathos in den heutigen Tag gegangen sind, verdient meinen Respekt. Ich möchte mich dafür ausdrücklich bedanken.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich möchte mit folgendem Zitat beginnen: „Viele Menschen haben das Gefühl, dass etwas ganz grundsätzlich nicht mehr stimmt. Dass wir darüber nachdenken müssen, ob die derzeitige Gesellschaftsordnung noch in der Lage ist, die Probleme zu meistern. Leben wir tatsächlich in einer Demokratie? Oder zeigen sich nicht vielmehr feudale Züge in unserer sozialen Verfasstheit?“ Ich zitiere weiter: „Die Aufbruchshoffnungen von 1989 sind der Düsternis unserer krisengezeichneten Gegenwart gewichen. Es herrscht eine seltsame Stimmung, viele Menschen flüchten sich in Nischen, Angst, Verzagtheit, Opportunismus herrschen, Depression. Hoffnung auf eine gute Zukunft, auf blühende Landschaften erscheint als Illusion. In vielem erinnert mich diese dunkle Windstille an die Stimmung der späten DDR.“ Das ist am 3. Oktober 2012 von Uwe Tellkamp gesagt worden, einem der bekanntesten Schriftsteller aus Dresden. Ich glaube, dass er von vielen in der CDU für sein Buch „Der Turm“ hochgelobt wird.

Uwe Tellkamp beschreibt meiner Meinung nach damit eine Situation, bei der ich vor allen Dingen die CDU bitte, ein bisschen in Demut zu verfallen. Er beschreibt das, was wir nicht nur seit vielen Jahren beobachten. Sie sollten einfach einmal infrage stellen, ob das, was wir getan haben, tatsächlich richtig ist. Ja, wir haben schöne Straßen. Ja, wir haben viele neue Häuser. Wir haben sie saniert, sie glänzen, sie sind bunt.

Es stellt sich aber folgende Frage: Was ist mit den Menschen dahinter? Ist es uns wirklich gelungen, die Brücken in den letzten 26 Jahren zu der Mehrzahl der Menschen zu bauen? Ist es uns gelungen, „Brücken abzureißen“ und viele in die Emigration zu drängen?

Ich kenne die Debatten aus dem Jahr 2014 und warum so viele Menschen nicht zur Wahl gegangen sind. Die eine Hälfte meinte, dass sie zufrieden seien, die andere Hälfte sagte, sie seien unzufrieden. Die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler ist nicht zur Wahl erschienen. Es muss unsere Aufgabe sein, einige der Wählerinnen und Wähler wieder zu erreichen. Es fühlen sich viele Menschen in diesem

Land fremd. Es ist uns nicht gelungen, sie mitzunehmen. Wenn man sich im eigenen Land fremd fühlt, dann kann man natürlich nicht bereit sein, Fremde freundlich zu begrüßen und sie herzlich aufzunehmen. Man hat selbst Sorgen und eigene Nöte, die man in den Mittelpunkt rückt.

Ja, Frau Kliese hat es gesagt. Es mag vielleicht sein, dass es in Dresden, Leipzig oder der einen oder anderen Stadt in Sachsen nicht der Fall ist. Sie hat ein Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern genannt. Wir können sicherlich alle ähnliche Beispiele aus Sachsen benennen. Schaut man einmal nach Clausnitz und redet mit den Menschen – man muss nicht unbedingt den neuesten und aktuellsten „SPIEGEL“ lesen –, dann weiß man, wie sich die Menschen fühlen. Man kann auch nach Bautzen schauen, selbst wenn es Herrn Schiemann schwerfällt. Seine Rede gestern war der Beweis dafür, dass es der falsche Ansatz ist. Er redete über die Stadt. Wir müssen aber über die Menschen reden, die in dieser Stadt wohnen und leben. Um diese Menschen müssen wir uns kümmern und nicht um die Häuser, Gebäude und die Stadt. Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die dort wohnen.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Es gab schon einmal einen viel zitierten Satz. Aktuell wird ein Satz der Kanzlerin viel zitiert: „Wir schaffen das.“ Ebenso hat ein anderer Kanzler, der Kanzler der deutschen Einheit, einmal einen Satz geprägt, der auch so ähnlich lautete wie „Wir schaffen das“: Wir schaffen blühende Landschaften.

(Andreas Nowak, CDU: Die sind es auch geworden!)

Ja, an vielen Stellen sehe ich diese blühenden Landschaften, aus denen Menschen vertrieben wurden, nicht mehr arbeiten können und nicht mehr ihren Lebensmittelpunkt haben. Wir haben sie in die Flucht gejagt.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Sie haben doch den Nachholprozess erzeugt! – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Herr Piwarz, wir haben sie in die Flucht gejagt. Das Problem ist folgendes: Zum damaligen Zeitpunkt wollte niemand hören, dass das nicht so einfach geht. Die Menschen glauben es nicht mehr. Damals haben sie es mehrheitlich geglaubt.

(Zurufe von der CDU)

Heute glauben sie es dieser Kanzlerin eben nicht mehr. Deswegen ist unsere wichtigste Aufgabe, dass wir die soziale Sicherheit wieder herstellen müssen.

(Ines Springer, CDU: Sie sind ein Ignorant! – Christian Piwarz, CDU: Schwarzmalerei!)

Die Redezeit ist zu Ende.

Wenn wir soziale Sicherheit wieder herstellen, dann können wir auch von Freiheit und Einheit in diesem Land reden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Kollege Gebhardt für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt ergreift erneut für die AfD-Fraktion Kollege Urban das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! 27 Jahre friedliche Revolution, 26 Jahre deutsche Einheit. Die Bürger im Osten Deutschlands haben sich 1989 Freiheit und Demokratie auf den Straßen erkämpfen müssen. Die Bürger im Westen Deutschlands bekamen Demokratie und Freiheit nach der Nazi-Diktatur zurück, ohne kämpfen zu müssen. Für die Bürger im Westen sind heute Sprüche wie „Nie wieder Deutschland“ immer noch salonfähig und akzeptiert. Für die Bürger im Osten dagegen ist die deutsche Nation eine eigene Errungenschaft und ein Bekenntnis zugleich. Begriffe wie Freiheit, Vaterland oder Heimat werden im Osten und Westen Deutschlands immer noch unterschiedlich interpretiert, zum Glück mit abnehmender Tendenz.

Viele Bürger der ehemaligen DDR arbeiten und leben heute in den alten Bundesländern und umgekehrt. Ossis und Wessis kennen inzwischen nicht nur ihre Schwächen, sondern sie haben inzwischen auch ihre Stärken schätzen gelernt.

Heute, 27 Jahre nach der friedlichen Revolution, demonstrieren wieder Bürger auf den Straßen und Plätzen dieses Landes. Viele Demonstranten fühlen sich gerade heute an die DDR und an die Wochen und Monate der friedlichen Revolution erinnert, und das nicht ohne Grund. Das Stasi-Spitzelsystem der SED-Genossen von damals und die heutige Überwachung der Bürger haben viele Parallelen. Wir haben heute eine Komplettüberwachung der gesamten E-Mail- und Telefonkommunikation durch NSA und andere Geheimdienste. Wir haben inzwischen eine Bespitzelung der sozialen Netzwerke durch eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin mit einer eindeutig politischen Zielsetzung, in Arbeit gebracht durch den SPD-Genossen und Bundesjustizminister Maas.

Viele Bürger fühlen sich auch an die Zeit vor der friedlichen Revolution erinnert. Berufliche Nachteile für eine bestimmte politische Gesinnung sind leider wieder Alltag in unserem Land. Lehrer in Nordrhein-Westfalen, Landesbeamte in Rheinland-Pfalz oder auch die Angestellten der Arbeiterwohlfahrt in ganz Deutschland müssen sich vor ihren Arbeitgebern für ihre Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei, der AfD, rechtfertigen. Eine neueste Umfrage zeigt, dass ein Drittel der Bürger inzwischen Angst hat, öffentlich ihre politische Meinung zu äußern.

Kamen in der DDR die Anweisungen für unsere Regierung aus Moskau, so scheint es heute, dass die Anweisun

gen unserer Regierung oft aus Brüssel oder aus Washington kommen. Sie wissen, wovon ich rede, egal, ob es die Euro-Rettungsschirme sind oder die Russland

Sanktionen, ob es die Kriegsbeteiligungen Deutschlands ohne UNO-Mandat sind oder ganz aktuell CETA und TTIP.

(Zuruf von der CDU: Das ist lächerlich!)

Dieses Déjà-vu-Erlebnis beschreibt die bekannte DDRBürgerrechtlerin aus Thüringen, Vera Lengsfeld, folgendermaßen: „Wenn die Abgeordneten zulassen, dass die Regierung Informationen zurückhält, sie auch nach mehrmaliger Mahnung nicht zugänglich macht und das Parlament trotzdem so stimmt, wie es die Regierung vorgibt, hat es seine Kontrollfunktion aufgegeben und gleicht immer mehr der Volkskammer der DDR, die nichts zu sagen hatte.“

Auch Medienumfragen zeigen oft deutlich, dass die Entscheidungen der Bundesregierung und des Bundestages oft nicht mehr dem Willen der Bürger entsprechen. Ob es die bewusste Missachtung der Dublin-Verträge ist oder der Bruch der Maastricht-Vereinbarungen, die Forcierung von TTIP und CETA durch die Bundesregierung, die Bestätigung der Kriegsbeteiligungen der Bundesrepublik ohne UNO-Mandat durch den Bundestag oder eben die fortgesetzte Überwachung von E-Mail und Telefon, all das entspricht nicht dem Bürgerwillen, aber es zeigt deutlich, dass sich die politischen Eliten dieses Landes nicht mehr am Bürgerwillen orientieren.

Ja, die Mängel unseres etablierten politischen Systems erinnern viele ehemalige DDR-Bürger an den untergegangenen sozialistischen Staat und an sein Ein-ParteienSystem Nationale Front. Aber auch junge Menschen, die in der BRD groß geworden sind, merken inzwischen, dass es so nicht weitergeht, dass man dem schleichenden Abbau von Demokratie und Freiheitsrechten nicht tatenlos zuschauen darf.

(Sebastian Fischer, CDU: Findet nicht statt!)

Heute, 27 Jahre nach der friedlichen Revolution, sind wir überzeugt, dass sich die Bürger in Ost und West ihrer Macht besinnen, sich nicht wie damals manipulieren lassen, sich nicht erpressen lassen wie damals und von der Politik ohne Gnade einfordern, was im Interesse dieses Landes und im Interesse seiner Bürger ist.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Was heißt denn ohne Gnade?)

In diesem Sinne feiern wir nicht nur den Jahrestag der deutschen Einheit, nein, wir feiern ganz besonders auch den Jahrestag der friedlichen Revolution in Sachsen.