Unser Kollege Octavian Ursu sprach für die CDU-Fraktion. Jetzt kommt Herr Kollege Baumann-Hasske. Er spricht für die einbringende SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wir sind davon überzeugt, dass das gegenseitige Verstehen der jungen Generation von grundlegender Bedeutung ist, um der Verständigung und Versöhnung zwischen den Völkern einen dauerhaften Charakter zu geben.“ Diese Formulierung ist ein Auszug aus Artikel 30 des Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrages, der vor 25 Jahren, wie der Kollege Ursu schon gesagt hat – also am 17. Juni 1991, fast zwei Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs –, geschlossen wurde.
In dieser Zeit ist viel geschehen. Meine Fraktion und ich – und ich glaube, ich kann das auch für die übrigen Fraktionen sagen – möchten all denen Dank aussprechen, die in diesem Vierteljahrhundert dazu beigetragen haben, diesen Vertrag mit Leben zu füllen.
Mehr als 2,7 Millionen Jugendliche sind in dieser Zeit zusammengekommen, haben sich erst über Grenzen hinweg, später dann über mentale Grenzen hinweg, getroffen und kennengelernt. Das sind im Schnitt Jahr für Jahr über 100 000 Jugendliche zwischen zwölf und 26 Jahren, jedes Jahr die Einwohnerschaft einer kleinen Stadt. Nicht nur die deutschen und polnischen Geschäftsstellen und Mitarbeiter des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes in Warschau und Potsdam, sondern auch die Jugendlichen selbst haben dazu beigetragen, dass die Völker sich kennenlernten, dass Vorurteile abgebaut wurden durch persönliche Erfahrungen miteinander.
Sie haben diese Erfahrungen mitgenommen in ihre Familien, in ihre Schulen, zu ihren Freunden. Sie sind Multiplikatoren der Völkerverständigung geworden. Man kann heute feststellen, dass der Umgang selbstverständlicher geworden ist. Die Frage, ob Deutsche eigentlich immer noch die Idee hegen, ihre ehemaligen früheren Besitztümer in Polen zurückzubekommen, ist einer großen Neugier aufeinander gewichen. Auch die Tatsache, dass man gleichberechtigt Bürgerin und Bürger der Europäischen Union ist, hat über lange Zeit eine Augenhöhe entstehen lassen, die über viele historische Ressentiments hinweghalf.
Beide Staaten lassen sich das auch etwas kosten. Der Etat beläuft sich auf circa 9 Millionen Euro jährlich, von denen circa 5 Millionen Euro aus Deutschland kommen, und circa 4 Millionen Euro werden von Polen getragen. Auch der Freistaat Sachsen beteiligt sich an diesen Kosten. Noch ein paar Zahlen: Im Jahr 2014 wurden 1 608 Projekte in Polen durchgeführt, 1 427 in Deutschland. An den Projekten nahmen 54 729 deutsche und 56 092 Beteiligte aus Polen teil, 3 803 Teilnehmer kamen aus anderen Ländern. Etwa drei Fünftel der Projekte fanden
Meine Damen und Herren! Das sind alles große Zahlen, die aber nur eine ungefähre Vorstellung davon geben können, was diese Begegnungen auf persönlicher und menschlicher Ebene verändern. Der heutige Anlass kann aber nicht verstreichen, ohne dass wir die Augen öffnen für die Gefährdungen der Völkerverständigung. Wir erleben auch in Polen eine beispiellose Nationalisierung der Politik bei gleichzeitig scharfer Abgrenzung gegenüber Europa, aber auch gegenüber Deutschland und den Deutschen. Die Frage drängt sich auf, ob das in 25 Jahren Gewachsene durch diese Veränderung ernsthaft gefährdet werden kann, denn dass diese Bewegung, die auf Abgrenzung und Ausgrenzung von Andersdenkenden setzt, Völkerverständigung und europäische Einigung gefährden kann, liegt auf der Hand. Hinzu kommt die Krise der Europäischen Union, der am heutigen Tage drohende Brexit, der mögliche Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.
Was wurde in 25 Jahren erreicht und was nicht? Haben wir Anlass zum Glückwunsch oder zur Befürchtung? Wenn denn das Glas nicht voll ist, ist es wenigstens halb voll oder halb leer?
Wir haben in 25 Jahren über viele persönliche Beziehungen, Freundschaften und Ehen so viele solide Grundlagen geschaffen, dass wir nicht fürchten müssen, dass Deutschland und Polen sich wieder voneinander trennen.
Das waren die einbringenden Fraktionen. Herr Kollege Baumann-Hasske sprach für die SPD-Fraktion. Jetzt folgt für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Schultze.
haben mir die einreichenden Fraktionen eine schlaflose Nacht bereitet, ich habe immer überlegt, was wollen sie eigentlich mit dem Tagesordnungspunkt 25 Jahre Deutsch-Polnisches Jugendwerk.
Das, was drauf steht. Ich habe in der Rede von Herrn Ursu gehört, dass es darum geht zu sagen, was wir alles prima gemacht haben, und ich bin meinem Vorredner sehr dankbar, dass er wenigstens auf den Kern zurückgekommen ist: das im Antrag stehende Deutsch-Polnische Jugendwerk. Es ist tatsächlich eine 25-jährige Erfolgsgeschichte, die wohl kaum jemand von den demokratischen Fraktionen in diesem Hause infrage stellen wird.
Da gibt es so ein altes Sprichwort, das heißt „Getroffene Hunde bellen“. Ich will zumindest sagen, dass die AfDFraktion gerade geraunt hat, als ich die demokratischen Fraktionen nannte und sie sich augenscheinlich nicht dazuzählt. Aber das ist ihre Selbstdefinition. Getroffene Hunde bellen.
Ich werde einfach weitermachen. Am 17. Juni 1991, als wirkliche Europäer – die beiden Außenminister waren Europäer, wie wir sie heute viel dringender bräuchten – auf Anregung des damals schon existierenden DeutschFranzösischen Jugendwerkes das Deutsch-Polnische
Es geht letztlich darum, tatsächlich Millionen von Jugendlichen das Nachbarland näherzubringen. Es ist gelungen – die Zahlen sind gerade genannt worden –, Hundertausende von Jugendlichen in das jeweilig andere Land zu bringen. An dieser Stelle sage ich es sehr deutlich: Wenn Jugendliche – ich habe als junger Mensch in Görlitz durchaus auch von diesem Deutsch-Polnischen Jugendwerk profitiert – das Nachbarland mit Fahrrädern erkunden, dann ist das allemal besser, als wenn sie es mit Panzern erkunden.
Ich glaube, dass wir mit diesem Jugendwerk einen Beitrag leisten wie mit anderen Initiativen auch, die nicht in einen Fördergenuss gekommen sind, die sich aber seit Jahren damit beschäftigen, wie man es hinbekommt, dass wir miteinander und nicht nur übereinander reden, dass vielleicht der eine oder andere Polenwitz auf deutscher Seite am Stammtisch verschwindet, weil er schlicht plump und rassistisch ist und eigentlich nicht mehr an den Stammtisch gehört, und dass Vorurteile abgebaut und nicht bekräftigt werden. Viele kleine Initiativen haben das tagtäglich in ihrer Arbeit gemacht. Das Deutsch-Polnische Jugendwerk hat seinen Teil dazu beigetragen.
Heute brauchen wir diese Grundlage, heute, wo Europa tatsächlich gerade einen Rechtsruck erlebt, wo das Modell
Europa infrage gestellt wird und wo Nationalisten tatsächlich wieder die Oberhand zu gewinnen scheinen.
Auch wenn es an dieser Stelle vielleicht abwegig klingt, aber auch mein Vorredner hat es gesagt: Ich hoffe, dass wir heute in England, in Großbritannien eine Entscheidung finden, die proeuropäisch ist, die Ja zur Europäischen Union sagt, und ich hoffe – das gebe ich auch offen zu –, dass die Kräfte in Polen, die unter anderem in meiner Nachbarschaft, in Zgorzelec, erst vor Kurzem demonstriert haben, nämlich mit Europafahnen in der Hand, für ein demokratisches und freies Europa, tatsächlich gewinnen.
Alles andere, das Zurück zum Nationalstaat, wie es in Polen gerade von der polnischen Regierung trotz Bekundungen zum jetzigen Besuch der Kanzlerin immer wieder hervorgebracht wurde, wie wir es in der alltäglichen Praxis erleben, wollen wir nicht.
Herr Ursu hat die positiven Dinge erwähnt und gesagt, wir dürfen die anderen nicht vergessen. Wir erleben aber gerade, wie Menschen abgezogen werden, die sich für die deutsch-polnische Versöhnung eingesetzt haben. Wir sehen gerade, wie auf polnischer Seite ganze Führungsebenen bei Polizei, Verbänden und Ähnlichem ausgetauscht werden, und das nicht nur, weil das Parteibuch das Falsche ist, sondern auch weil der politische Ansatz falsch ist.
Es ist unsere Verantwortung, dass wir jetzt die Kräfte stärken, die dagegenhalten. Gerade die jungen Menschen, denen es mittlerweile egal ist, ob es ein polnischer oder ein deutscher Freund ist, die selbstverständlich die gemeinsame Sprache sprechen und die selbstverständlich ihre Freizeit gemeinsam gestalten, genau diese Jugendlichen sind die Basis, auf die wir aufsetzen können, wenn es darum geht, –
Das war Herr Kollege Schultze für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt kommt Frau Wilke. Sie spricht für die AfD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Herr Schultze, als demokratische Abgeordnete habe ich schon wieder die Ehre und die Freude, zu einem Jubiläum das Wort zu ergreifen. Ich tue das sehr gern, weil der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag in Verbindung mit dem Jugendwerk ein Höhepunkt der Nachwendezeit war. Er normalisierte das belastete Verhältnis zwischen dem polnischen Volk und uns. „Normalisieren“ meint dabei nicht, dass alles verge
ben und vergessen ist, sondern nur, dass wir vor 25 Jahren die Chance bekamen, mit den Aufräumarbeiten zu beginnen. Rückblickend kann man wohl sagen, dass die Stimmung auf dieser Baustelle besser ist, als manche aktuelle Schlagzeile vermuten lässt.
Mehr als 2,7 Millionen Schüler- und Studentenbewegungen wurden initiiert und unzählige gemeinsame Projekte entwickelt und umgesetzt, wie wir schon gehört haben. Sachsen fördert in 31 Schulen vorbildlich den polnischen Sprachunterricht. Der Freistaat mit seinem Verbindungsbüro in Breslau verfolgt eine ebenso pragmatische wie erfolgreiche Strategie und konzentriert seine Mittel auf die Förderung seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Unserem Ministerpräsidenten sind Beziehungen zu Polen ganz offensichtlich eine Herzensangelegenheit, und das ist gut so und auch notwendig – notwendig, weil die gegenseitigen Einschätzungen zur aktuellen politischen Situation zwischen Deutschen und Polen doch sehr unterschiedlich sind.
Das vor wenigen Tagen vorgestellte deutsch-polnische Barometer des Jahres 2016 spiegelt das auf geradezu erschreckende Weise wider. Demnach hält ein großer Teil der Deutschen Polen für ein undemokratisches und korruptes Land ohne freie Medien; ganz im Gegensatz zu den Polen. Diese halten Deutschland für ein demokratisches Musterland.
Solche Urteile haben aber weder die Polen noch wir Deutsche verdient; denn wir sind alles andere als ein demokratisches Musterland. Unsere Demokratie hat durchaus ihre Schattenseiten, wie man auch an den zunehmenden Vorurteilen der Deutschen gegenüber den Polen beweisen kann.