Solche Urteile haben aber weder die Polen noch wir Deutsche verdient; denn wir sind alles andere als ein demokratisches Musterland. Unsere Demokratie hat durchaus ihre Schattenseiten, wie man auch an den zunehmenden Vorurteilen der Deutschen gegenüber den Polen beweisen kann.
Solche Vorurteile fallen nicht vom Himmel, sondern werden über uns ausgeschüttet, versendet oder gedruckt. Wir werden regierungsamtlich von Spezialisten aus dem Kanzleramt genudget, also auf gut Deutsch geschubst oder gelenkt.
Die Verantwortlichen für die Barometer-Studie, also das Warschauer Institut für öffentliche Angelegenheiten, die Bertelsmann-Stiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung, meinen in der Pressemitteilung zu den Ergebnissen beschönigend, die Studie mache Hoffnung, sei aber zugleich ernüchternd; denn während 20 Jahre lang ständig bessere Bewertungen für das Nachbarland abgegeben worden seien, zeige sich nun bei den deutschen Befragten eine größere Skepsis. Das macht keine Hoffnung, sondern ist eigentlich ein Desaster. Was ursprünglich als Blumenstrauß zu den Feierlichkeiten gedacht war, ist ein Reflex auf die anmaßende, mitunter sogar tollpatschige Politik und auf deren Vermittlung in der deutschen Öffentlichkeit.
Wie immer in der Geschichte nützen die besten Absichten und Verträge nichts, wenn es an Ehrlichkeit, Respekt und Verständnis fehlt. Auf der Strecke bleiben dann die redlichen Bemühungen der vielen Akteure des Verständigungsprozesses.
Warum ist in der deutschen Öffentlichkeit das Meinungsbild gegenüber Polen so massiv eingebrochen: weil der etablierten europäischen und deutschen Politik der Erdrutschsieg der PiS nicht ins Konzept passte.
Das Selbstbestimmungsrecht des polnischen Volkes, das sich einer ungeliebten, nicht ganz sauber agierenden Regierung entledigen wollte, spielte dabei überhaupt keine Rolle. So begleiteten vorrangig Deutsche, EUFunktionäre und Regierungspolitiker die ersten Reformschritte der polnischen Nationalkonservativen mit großem Theaterdonner und unsachlichen Unterstellungen.
Dass es der EU nicht wirklich oder nicht nur um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ging, offenbarte sich dann schlagartig in der sich zuspitzenden Flüchtlingskrise. Polen blieb standhaft bei seinen Positionen und ist bis heute ein unbequemer Partner.
Aber die seit 25 Jahren beharrlich und erfolgreich geleistete Arbeit wurde um Jahre zurückgeworfen und viel aufgebautes Vertrauen zerstört. Unsere Köpfe wurden derartig mit Propaganda vernebelt, dass nun fast ein Drittel der Deutschen glaubt, Polen sei keine Demokratie mehr. 35 % glauben, in Polen seien die Bürgerrechte nicht gewährleistet. Jeder Zweite glaubt, Polen sei ein korruptes Land. Entsetzlich bis peinlich ist, dass fast 40 % glauben, in Polen würden die Rechte der Minderheiten nicht respektiert.
Trotzdem gibt es Hoffnung. Unsere Völker emanzipieren sich von der Politik. Sie praktizieren gute Nachbarschaft im Konkreten.
Ich zitiere eine der Autorinnen der angeführten Studie, Agnieszka Lada, die feststellt: Die Zahl derer, die sich einen Deutschen oder Polen als Kollegen, Nachbarn oder Schwiegersohn oder als Schwiegertochter vorstellen können, ist weiterhin groß. – Was wollen wir mehr?
Das war Frau Wilke für die Fraktion AfD. Jetzt spricht für die Fraktion GRÜNE Frau Kollegin Schubert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte, die wir heute führen, wird an einem europäisch bedeutsamen Tag geführt; denn sie steht nicht nur im Zeichen des Referendums in Großbritannien, sondern auch im Zeichen des Gedenkens an den 75. Jahrestag des Überfalls deutscher Truppen auf die Sowjetunion und im Zeichen der Erinnerung an 25 Jahre deutsch-polnischer Freundschaftsvertrag und an die Gründung des DeutschPolnischen Jugendwerkes.
Das gibt uns Anlass und auch Zeit, den Fokus auf die Träger der europäischen Zukunft zu setzen, nämlich die Jugend, und es gibt Anlass, einen Ausblick zu wagen und über das zu sprechen, was allen Menschen in diesen Zeiten besonders am Herzen liegen sollte: Versöhnung und Frieden. Die deutsch-polnischen Beziehungen stehen dafür besonders exemplarisch.
Der deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991 ist ein Meilenstein, der maßgeblich zur gelebten Versöhnung beigetragen hat. Die Beziehungen haben sich in den letzten 25 Jahren beeindruckend entwickelt und eine Tiefe erlangt, die 1991 noch als Utopie erschien. Dieser Vertrag hat auch die vor Jahrzehnten begonnene Aussöhnung und Normalisierung zwischen beiden Ländern auf eine feste Grundlage gestellt und zu einem intensiven politischen Dialog und zu vielfältigen gesellschaftlichen Kooperationen beigetragen.
Wir Deutschen sind dankbar dafür, dass die polnische Bevölkerung uns die versöhnende Hand gereicht hat. Wir sollten nie vergessen, welch unermessliches Leid Millionen von Menschen im Vernichtungskrieg in Polen angetan wurde. In der mehr als fünfjährigen Besatzung des Landes wurden fast sechs Millionen polnische Staatsbürger ermordet, darunter drei Millionen polnische Juden. Warschau wurde 1944 nahezu komplett zerstört – als „Vergeltungsmaßnahme“ für den Aufstand gegen die Besatzung. Das hat in der polnischen Gesellschaft schmerzhafte Spuren hinterlassen, die bis in unsere heutige Zeit hinein beiderseits der Grenze im kollektiven Gedächtnis verankert sind.
Das Engagement zahlreicher Bürgerinnen und Bürger hat die Normalisierung des Verhältnisses und auch die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen maßgeblich gefördert. Das spiegelt sich insbesondere in der gegenseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Polen wider. Das Bild vom anderen hat sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt, auch wenn – das ist heute schon zur Sprache gekommen – hier natürlich noch Luft nach oben ist.
Das gemeinsame Zuhause beider Nationen ist die Europäische Union als Raum des Friedens, der Demokratie, des Rechts, der Vielfalt, der Solidarität und Offenheit.
Ein entscheidender Punkt für das weitere Gelingen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, aber auch für den versöhnenden Charakter Europas ist die Intensivierung des Jugendaustausches, denn mit der Jugend beginnt es. In diesem Alter kann die Erfahrung des interkulturellen Miteinanders dafür sorgen, dass tolerante Erwachsene eine europäische Gesellschaft mitgestalten, für die das interkulturelle Miteinander über Grenzen hinweg zum alltäglichen Selbstverständnis wird.
Das Deutsch-Polnische Jugendwerk wurde zeitgleich mit der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags ins Leben gerufen und ist ein wichtiger Eckpfeiler der deutsch-polnischen Verständigung. Das Interesse der Jugendlichen ist auch nach 25 Jahren unge
brochen. Das Deutsch-Polnische Jugendwerk verfolgt die Aufgabe, das gegenseitige Kennenlernen und Verstehen der Jugend Deutschlands und Polens zu fördern. In den vergangenen 25 Jahren fanden mehr als 7 000 Jugendbegegnungen statt, an denen 2,7 Millionen Jugendliche beider Länder teilnahmen.
Natürlich – so ist es immer –, die zur Verfügung stehenden Mittel reichen bei Weitem nicht aus, um den vielen Förderanträgen zu entsprechen. Darum hat die grüne Bundestagsfraktion am 9. Juni einen eigenen Antrag eingebracht, der zum Inhalt hat, die Mittelausstattung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks zu erhöhen. Auch der Bundesrat hat die Bundesregierung aufgefordert, die finanziellen Zuwendungen zu erhöhen.
Abschließend möchte ich einen Ausblick wagen, den ich auch mit der eigenen Biografie verbinden kann, denn ich bin biografisch verwurzelt im Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien. So wünsche ich mir, dass die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern selbstverständlicher Teil des Alltags bleiben, sich noch intensivieren und zum Vorbild werden für gelebte Versöhnung in Europa.
Die heutige Debatte sollten wir zum Anlass nehmen, ganz individuell den polnischen Nachbarn zu entdecken und – jeder für sich – Zeichen zu setzen gegen den wachsenden Nationalismus. Nicht nur die Europäische Kulturhauptstadt Breslau lädt dazu ein, sondern das Ziel, das uns alle einen sollte, ist doch: Versöhnung und Frieden zwischen den Menschen jeden Tag aufs Neue zu leben.
Mit Frau Kollegin Schubert, die für die Fraktion GRÜNE sprach, sind wir am Ende der ersten Rederunde angekommen, und ich eröffne eine weitere. Für die einbringende CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Dierks.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Wilke – ich spreche mit Ihnen –, ich war schon einigermaßen verwundert, dass Sie die Debatte zum 25. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags und der Gründung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks nutzen, um in einer wirklich verschwurbelten Art und Weise Ihr merkwürdiges Weltbild zur Schau zu stellen.
Schuld an Vorurteilen sind selbstverständlich die anderen, das heißt die Medien, die etablierte Politik, das Bundeskanzleramt. Die Bürger, aus Ihrer etwas wirren Weltsicht heraus repräsentiert durch die AfD als sogenannte Alternative, leisten sozusagen trotz des Versagens der Politik einen wichtigen Beitrag zur Aussöhnung und dazu, die deutsch-polnische Partnerschaft mit Leben zu füllen. Das fand ich, offen gestanden, ein bisschen merkwürdig. Darüber, wer sich hier wen als Nachbarn vorstellen kann,
Sehr geehrter Kollege! Können Sie sich vorstellen, dass wir sowohl in unserer Partei als auch in unserer Jugendorganisation Kinder und Jugendliche haben, die entweder sowohl die polnische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder die ausschließlich die polnische Staatsbürgerschaft besitzen? Dass das wunderbar funktioniert, passt offensichtlich nicht in Ihr Weltbild. Meine Frage, wie gesagt: Können Sie sich so etwas vorstellen?
Vorstellen kann ich mir das, wissen müssten Sie es. Ich denke, die Realität sieht ein ganzes Stück anders aus.
Ich glaube, den Rahmen für eine Freundschaft zwischen Ländern, zwischen Nationen, zwischen Völkern können möglicherweise Politiker bilden, können Verträge bilden. Wir alle kennen die großen Aussöhnungsgesten der Vergangenheit: 1970 Willy Brandt vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Gettos, Mitterand und Kohl 1984 in Verdun – alles große Gesten, die diese – auch aufgrund der deutschen Geschichte sehr gut erklärbar – sehr langwierigen Aussöhnungsprozesse mit unseren Nachbarländern in Gang gesetzt haben. Letzten Endes sind aber der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag und das zeitgleich gegründete Jugendwerk sehr gute Beispiele dafür, dass sie mit Leben gefüllt werden müssen. Diese Freundschaften müssen von Menschen, von den Bürgern mit Leben gefüllt werden.
Das Jugendwerk ist eines der Herzstücke der deutschpolnischen Freundschaft. Es ist mehrfach gesagt worden: In den letzten Jahren haben in diesem Rahmen 2,7 Millionen Menschen in über 7 000 Begegnungen Kontakt miteinander aufgenommen. Jährlich werden 3 000 Projekte gefördert, und zwar in allen denkbaren Bereichen der Zivilgesellschaft: im Sport, in der Kultur, in der Ökologie. Das Interesse füreinander und gegenseitige Begnungen sind die besten Mittel, um sich gegenseitig besser zu verstehen und um vielleicht auch gegen Vorurteile vorzugehen, die möglicherweise noch bestehen.
Der internationale Austausch ist aber viel mehr als das Reisen über Grenzen von Staaten hinweg. Er ist auch eine ganz wichtige Säule der Jugendhilfelandschaft in unserem
Land. Er vermittelt interkulturelle Bildung, trägt zur Charakterbildung junger Menschen bei und zeigt, dass die Internationalisierung bereits heute den Alltag junger Menschen bestimmt. Auch der persönliche Lebensweg macht immer öfter an nationalen Grenzen nicht mehr halt.
Dass Sachsen diese Freundschaft wichtig ist, zeigt die Bundesratsinitiative, die der Freistaat gemeinsam mit fünf anderen Bundesländern, darunter Thüringen und Brandenburg, in den Bundesrat eingebracht hat. Sie wurde mit großer Mehrheit beschlossen und sieht eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks vor.
Auch im Haushalt des Freistaates Sachsen spielt die internationale Jugendarbeit eine wesentliche Rolle. So haben wir im laufenden Haushalt 2015/2016 für beide Jahre jeweils circa 470 000 Euro eingestellt, die sowohl direkt als auch über freie Träger jungen Menschen die Möglichkeit geben, in die Nachbarländer oder darüber hinaus zu reisen, sich zu begegnen, sich zu verstehen und vielleicht auch Freundschaften fürs Leben zu knüpfen.
Im Freistaat Sachsen bestehen darüber hinaus 87 Schulpartnerschaften zwischen deutschen und polnischen Schulen. Innerhalb der letzten 13 Jahre hat sich die Zahl der Polnisch lernenden Schüler verfünffacht. All das sind Zeichen dafür, dass die deutsch-polnische Freundschaft eben kein Papiertiger ist, sondern von den Menschen gelebt wird. Für meine Generation – ich bin 1987 geboren – sind diese guten Beziehungen zwischen unseren Nachbarstaaten fast schon selbstverständlich.
Ich glaube, dass die hohe politische Priorität, die diese Freundschaften genießen, auch der Garant dafür ist, dass das in Zukunft selbstverständlich bleibt.