Protocol of the Session on May 27, 2016

In Ordnung. Dann, bitte.

Herr Kollege Schultze, ich hätte gern von Ihnen gewusst, ob die PKK für Sie eine terroristische Vereinigung ist.

Die PKK ist für mich ein Teil der kurdischen Selbstverteidigungskräfte, die wir, ähnlich,

(Zurufe von der AfD: Super! Wunderbar!)

wie wir es bei den Peschmergakräften tatsächlich machen, unterstützen sollten. Und, ja, wenn Sie das hören wollen: Ich bin dafür, dass wir im Jahr 2016 das Verbot der PKK in Deutschland aufheben.

(André Barth, AfD: Jetzt haben Sie sich selbst enttarnt! – Weitere Zurufe von der AfD)

Ich halte das für eine legitime Forderung, die den Kurdinnen und Kurden helfen würde.

(Beifall bei den LINKEN)

Die SPD-Fraktion; Herr Baumann-Hasske, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Petry, Sie haben vorhin einleitend gesagt, die Bundesregierung habe uns hier in diesem Hohen Hause eine Debatte aufgezwungen. Also, wenn hier jemand diesem Hohen Hause eine Debatte aufgezwungen hat, dann ja wohl Sie.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN und den GRÜNEN – Beifall bei der Staatsregierung – Zuruf der Abg. Frauke Petry, AfD)

Wir wollen auch gar nicht die Zuständigkeitsdebatte weiterführen – das ist ja vorhin schon ausführlich geschehen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass sich hier niemand der Debatte verweigert. Ich glaube, es hat noch keinen Redner in dieser Runde gegeben, der sich nicht zum Thema eingelassen hätte.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Dann lassen Sie das doch einfach!)

Wir führen doch die Debatte gerade, wer verweigert sie denn? Dann lassen Sie sie uns doch führen!

(Uwe Wurlitzer, AfD: Dann mach doch!)

Die Überschrift über das Thema lässt uns stutzen, denn sie bringt Armenier und Kurden in einen Zusammenhang mit der Frage, ob den Türken die Visafreiheit gewährt werden sollte.

Zutreffend ist, dass die Visafreiheit im Rahmen der Vereinbarungen mit der Türkei an Bedingungen geknüpft wurde. Das sind 72 Bedingungen und davon sind – nach wechselnden Angaben – zwischen 57 und 67 Bedingungen schon erfüllt.

Streitpunkt bleibt vor allem – und das ist auch Gegenstand des Themas, über das wir hier diskutieren – die Antiterrorgesetzgebung der Türkei, die nach europäischen Maßstäben und nach der Menschenrechtskonvention weit schärfer ist, als dies eigentlich zulässig sein sollte. Der Vorwurf von Herrn Erdoğan, die EU mache sich zur Verteidigerin der Interessen kurdischer Terroristen, ist absurd, sieht man davon ab, dass natürlich auch kurdische Terroristen Menschen sind. Bei Weitem nicht alle Menschen, die der türkischen Antiterrorgesetzgebung unterliegen – insbesondere Journalisten oder Politiker der HDP oder anderer Parteien –, können nach europäischen Maßstäben als Terroristen bezeichnet werden. – So weit, so richtig; ich glaube, darüber sind wir uns einig.

Was aber hat dieser Umstand bitte mit den Armeniern, mit der Armenienresolution des Bundestages – möglicherweise – oder mit dem Genozid an den Armeniern zu tun? Man hat den Eindruck, Sie nutzen dieses Thema zur puren Provokation. Es geht Ihnen eigentlich nur darum, Aufmerksamkeit durch die Presse zu gewinnen; denn hier werden Zusammenhänge hergestellt, die, wenn sie denn bestünden, brandgefährlich wären.

(Uwe Wurlitzer, AfD: … und die Sie nicht erkennen!)

Will die AfD allen Ernstes den 72 Kriterien für die Visafreiheit das 73. hinzufügen, dass die Türkei ihre historische Schuld anzuerkennen habe? Das wäre dann eine Aufarbeitung historischer Schuld mit der Brechstange und damit ein Widerspruch an sich.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Das ist eine gute Idee!)

Mit der Brechstange kann man keine Aufarbeitung betreiben.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Doch, das geht!)

Es geht erst um die Armenier, nun um die Kurden. Also, wollen Sie jetzt eine Gleichstellung der Schuld gegenüber den Armeniern mit der Terrorismusbekämpfung gegenüber Kurden herstellen? Das erscheint mir doch zutiefst unhistorisch und ist vor allem brandgefährlich. Unhistorisch, weil an den Kurden – bei aller Sympathie für Kurden, die sich nicht am Terrorismus beteiligen und schweres Unrecht erleiden – wahrhaftig kein Völkermord begangen wird; und gefährlich, weil damit das historisch viel schwerer wiegende Unrecht an den Armenieren relativiert wird. Umgekehrt könnte diese Gleichstellung dazu führen, dass man über das Argument der Bekämpfung von Terrorismus irgendwann auch große Verbrechen wie Völkermord rechtfertigt.

Meine Damen und Herren von der AfD, eine solche Gleichstellung ist schlicht verantwortungslos.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN – Beifall bei der Staatsregierung)

Die Fraktion GRÜNE hat leider keine Redezeit mehr. Wird eine nächste Runde gewünscht? – Frau Dr. Petry, bitte. – Die Redezeiten sind jetzt alle etwas verkürzt; ich bitte das zu beachten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Diskussion zeigt eines: dass wir uns offenbar darüber einig sind, dass der aktuell beschleunigte Prozess zur Visafreiheit problematisch zu sehen ist.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Das ist nicht problematisch!)

Man könnte das einfach mal zugeben; das würde in der Tat auch für den Bürger zeigen, DIE LINKE versteht das noch nicht, aber viele andere vielleicht doch. Das würde dem Bürger zeigen, dass hier Politiker die Relevanz und die Problematik dieses Abkommens erkannt haben. Dass dadurch eine verfehlte Politik der Bundesregierung zugedeckt werden soll, ist bei weiten Teilen der Bevölkerung bereits angekommen.

Herr Baumann-Hasske, dass Sie Schwierigkeiten damit haben, die Parallelen oder die Problematik der Verfolgung ethnischer Gruppen in der Türkei zu erkennen, ist eher Ihr Problem als unseres. Wir haben nicht gleichgestellt, im Gegenteil, wir setzen uns sehr dafür ein, dass die Proble

matik des Genozids der Armenier von der deutschen Bundesregierung sehr selbstbewusst gegenüber der Türkei vertreten wird. Und dass eine große Anzahl von Kurden auch durch die Verfolgung durch den türkischen Staat bedroht ist, darüber sind wir uns offenbar auch einig. Also tun Sie doch nicht so, als sei das nicht notwendigerweise in einen Zusammenhang zu bringen. Das wäre total blind. Ich spreche von Parallelen – nicht von Gleichstellung, weil das sowieso nicht unser Ding ist, aber vielleicht Ihres. Wir halten es für nötig, darüber zu reden.

Nun noch eine Anmerkung zu dem aktuellen Status, weil einige so tun, als hätten wir große Probleme in der Zusammenarbeit, im wirtschaftlichen Austausch mit der Türkei. Wir wissen, dass das nicht der Fall ist, denn es gibt bereits das sogenannte Soysal-Urteil von 2009, wonach Visaerleichterungen für Dienstleister in der Türkei erbracht wurden. Es gibt eine Zollunion mit der Türkei. Insofern ist die Frage, ob weitergehende Abkommen, eine komplette Visafreiheit überhaupt notwendig sind. Wir sind der Meinung, dass die Türkei nicht zu Europa und deshalb folgerichtig auch nicht in die EU gehört. Die aktuellen Ereignisse in der Türkei zeigen, dass sich der Weg der Türkei auch gar nicht in Richtung Europa und EU bewegt, sondern durch die diversen Verschärfungen, durch die Abkehr vom säkularen Staat eben eher in die entgegengesetzte Richtung.

Insofern bitte ich dieses Hohe Haus – und hoffe, dass es auch in der Bevölkerung ankommt – zu erkennen, dass hier schlichtweg die Diskussion verweigert werden soll; sonst würde man nicht immer wieder darauf hinweisen, dass sie angeblich nicht in dieses Hohe Haus gehört. Wir glauben, dass es notwendig ist, dies anzusprechen.

Wir weisen deswegen abschließend noch einmal darauf hin, dass die Argumente für eine Visafreiheit einfach unschlüssig sind; denn von 200 000 gestellten Visaanträgen wurden 90 % bewilligt; aber die Visa wurden vor allem von denjenigen beantragt, die wussten, dass sie eine relativ große Chance auf diese Visa haben. Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund, diese Art von Reisefreiheit noch weiter zu vergrößern. Es gibt bereits gute Kontakte mit der Türkei und wir glauben nicht, dass die Vorteile einer Visafreiheit deren Nachteile aufwiegen würden.

Im Übrigen sind wir der Meinung, dass die damit verbundenen Probleme – gerade, was den Terrorismus angeht – eine derart große Belastung für Europa und insbesondere für Deutschland darstellen würden, dass es notwendig ist, die Bevölkerung hierüber aufzuklären. Eine selbstbewusste Haltung gerade gegenüber einem autoritären Staat wie der Türkei ist dringend notwendig.

Das ist das Verständnis von Demokratie und Pluralismus, und ich glaube, das hat niemand besser verstanden als die AfD.

(Beifall bei der AfD)

Wünscht die CDU-Fraktion noch einmal das Wort? – Herr Hartmann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In aller gebotenen Kürze; aber ich möchte das am Ende so nicht stehen lassen. – Wir sind an der Stelle selbstbewusst und souverän, aber in Anerkennung des Partners. Man mag es mögen oder nicht mögen, Frau Petry, aber die Türkei ist seit Jahren ein Partner Deutschlands. Wir haben klar zum Ausdruck gebracht, dass wir zu der innenpolitischen Situation in der Türkei, insbesondere in den letzten Jahren, kritisch Position beziehen. Aber eine partnerschaftliche Regelung – dazu gehört die Frage der Visafreiheit – bemisst sich an der Erfüllung von Kriterien. Es ist ein Ausdruck von Selbstbestimmtheit und Selbstbewusstheit, die Visafreiheit an die Erfüllung eines Katalogs von 72 Punkten zu binden. Das alles geschieht übrigens nicht losgelöst, sondern einvernehmlich als Teil des Kompromisses, den die Europäische Union geschlossen hat. Wir erwarten, dass die Türkei als Erstes die 72 Kriterien erfüllt und dass daran nicht gedeutelt wird. Das ist der Maßstab. Wenn diese Kriterien erfüllt werden, dann ist doch die Frage geklärt, und zwar selbstbestimmt und selbstbewusst.

Eines möchte ich Ihnen auch noch sagen: Wissen Sie, warum ich die Verknüpfung mit der Armenierfrage so hochproblematisch sehe? Wir alle wissen, wann der Genozid an den Armeniern stattgefunden hat. Ich zitiere an dieser Stelle aus den Akten der Reichsregierung aus dem Jahr 1915, konkret aus einem Brief des damaligen Reichskanzlers:

„Die … Koramierung eines Bundesgenossen während laufenden Krieges wäre eine Maßregel, wie sie in der Geschichte noch nicht dagewesen ist. Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht. Wir werden die Türkei in der Zukunft brauchen.“

Anmerkung des deutschen Kaisers an Reichskanzler Bethmann-Hollweg: „Es gibt keine Armenierfrage mehr.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie mit so etwas spielen, dann beachten Sie bitte auch die deutsche Verantwortung, die wir in solchen Prozessen mittragen. Deswegen ist die Diskussion über die Frage der Visafreiheit zulässig, die Verquickung mit der Armenierfrage dagegen problematisch.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD – Dr. Frauke Petry, AfD, meldet sich zu einer Kurzintervention.)

Geht leider nicht mehr.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Hallo? Wir haben noch zwei Kurzinterventionen frei!)