Protocol of the Session on April 20, 2016

Damit komme ich zur dritten Frage: Was hat die Staatsregierung, insbesondere das SMWA, in den vergangenen 25 Jahren seit der Wiedervereinigung getan, um gerade den ostsächsischen Raum attraktiv für Unternehmen zu machen? Wie viele Bahnstrecken sind in dieser Region elektrifiziert worden? Bisher nicht elektrifiziert wurden bisher jedenfalls die Strecken Dresden – Görlitz und Cottbus – Görlitz. Welche Autobahnzulieferer und Staatsstraßen wurden saniert oder neu gebaut? Laut „SZ“ vom 19.04.2016 weisen mehr als 40 % der Staatsstraßen gravierende Mängel auf: Flickstellen, Abbrüche, Spuren oder Risse in der Fahrbahn – allesamt Schäden, welche die Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigen.

Wie viele Haushalte und Unternehmen verfügen über einen Breitbandzugang von mindestens 50 Megabit? Laut Breitbandatlas befinden wir uns in der „grauen Zone“ – also weit weniger als 50 %. Die Staatsregierung sollte die

mit den Fragen aufgeworfenen Probleme möglichst schnell angehen, um den ländlichen Raum in Sachsen für Unternehmen und junge Familien endlich wieder attraktiv zu machen. Dann kommen in Zukunft Unternehmen in Sachsen auch ohne Direktinvestitionen und Stellenabbau aus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Herr Beger sprach für die AfD-Fraktion. Jetzt erhalten die GRÜNEN das Wort; Herr Dr. Lippold, Sie werden es ergreifen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Wirtschaft sind immer wieder Strukturanpassungen erforderlich. Das einzig Beständige ist der permanente Zwang, auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Eine nachhaltige Strategie, die auf Verbesserungen im Unternehmen und auf den Erhalt und die Verbesserung des Standortes, der der Nährboden für die Unternehmen ist, gerichtet ist, ist dabei allerdings keineswegs selbstverständlich. Zu oft wird für den Moment, für heute und morgen, zur zweckdienlichen Umschiffung gerade entstehender Probleme so gehandelt, dass dadurch für übermorgen Existenzbedrohungen in Kauf genommen oder gegebenenfalls sogar verursacht werden.

Auch die Ausrichtung auf kurzfristige Shareholder-ValueForderungen aus der Eigentümerschaft von Unternehmen kann durchaus für Standorte Abwärtsspiralen in Gang setzen. Mit Instrumenten der Standortentwicklung und der Förderpolitik muss sich Wirtschaftspolitik deshalb systematisch und bereits im Vorfeld von Ansiedlungsentscheidungen gegen solche Fehlentwicklungen stellen. Jedes Start-up legt heute detaillierteste Businesspläne vor und wird hinsichtlich Strategie, Management und Marktchancen bis in den letzten Winkel durchleuchtet, bevor auch nur ein Euro an öffentlichen Geldern fließt.

Ja, ist denn ein großes Unternehmen automatisch resistenter gegen Fehler? Vielleicht. Aber auch die Auswirkungen sind wesentlich gravierender, wenn Fehler gemacht werden.

Wir fordern seit Langem Nachhaltigkeitskriterien bei öffentlichen Förderungen und Unterstützungen für Ansiedlungen, Investitionen und Forschung und Entwicklung. Ein zukunftsfähiges, gesellschaftlich dienliches Verhalten ist ein entscheidendes Kriterium dafür, ob sich auch die Gesellschaft im besonderen Maße für ein Unternehmen engagieren kann.

Wenn aber hier wiederholt der rasche Ruf nach dem Eingreifen des Staates ertönt, um sozusagen als Vollkaskoversicherung zu agieren, wenn Unternehmen dabei nicht erfolgreich sind, dann springt uns das deutlich zu kurz, meine Damen und Herren. Bombardier hat erhebliche Fördersummen erhalten, um damit einen profitablen und stabilen Produktionsstandort zu entwickeln – genau

genommen zwei Produktionsstandorte in der Lausitz. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Entscheidungen zulasten dieser Standorte unmittelbar nach Ablauf der Fördermittelbindefrist fallen. Ist das nun Anzeichen einer Tendenz, öffentliche Förderung einfach als selbstverständlich einzupreisen und einfach mitzunehmen?

(Widerspruch des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Das wäre eine fatale Entwicklung, denn dann würden die Fördermittel jegliche Lenkungswirkung im Sinne des Gemeinwohls verlieren.

Sollte der Freistaat nun zur Abwendung standortschädlicher Unternehmensentscheidungen mit zusätzlichen

Fördermitteln etwa im Technologiebereich winken, sobald global operierende Unternehmen existenzbedrohenden Druck auf Standorte und Beschäftigte ausüben, so wäre das in der Tat ein hilfloses Agieren, denn es würde Schule machen und fatale Signale setzen.

Insofern kann ich Herrn Minister Dulig nur unterstützen, wenn er klare Bedingungen für die weitere Förderfähigkeit setzt, und ihn nur auffordern, dabei auch sehr konsequent zu bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Fördern kann bedeuten, entwicklungsfähigen Unternehmen bei der Krisenbewältigung zu helfen. Fördern heißt aber auch, Anreize zu setzen, um Unternehmensstrategien in Richtungen zu lenken, die im gesamtgesellschaftlichen Sinne Win-win-Situationen entsprechen. Ein Beispiel für eine solche Win-win-Situation, Herr Minister Dulig, möchte ich Ihnen benennen: Wenn Sie mit wirksamen Ressourcen an die Verbesserung der Qualität des schienengebundenen öffentlichen Personenverkehrs gehen würden, entstünde auch ein attraktives Geschäftspotenzial auf dem Heimatmarkt für die Oberlausitzer BombardierProdukte.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Staatsministers Martin Dulig)

Jeder Unternehmer wird verstehen, dass es für die Ausgangsposition bei entsprechenden attraktiven Ausschreibungen nur von Vorteil sein kann, ein standorttreuer heimischer Produzent mit heimischen Produkten zu sein.

(Staatsminister Martin Dulig : Da sind wir beieinander, das fordere ich von den Zweckverbänden auch ein!)

Das wären tatsächlich doppelt sinnvoll eingesetzte Mittel für einen modernen schienengebundenen öffentlichen Verkehr in Sachsen und für einen stabilen Fahrzeugproduktionsstandort.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn sich das Unternehmen um die Zukunft des Standortes kümmert, dann kümmert sich auch der Standort bei seiner Entwicklung in besonderem Maße um das Unternehmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Herr Kollege

Dr. Lippold hat die erste Rederunde beschlossen. Die einbringende Fraktion DIE LINKE hat bereits eine zweite angekündigt und jetzt ergreift Herr Schultze das Wort für seine Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Görlitzer und jemand, der in den letzten Wochen sehr oft Kontakt zu den Beschäftigten von Bombardier hatte und auch an zahlreichen Diskussionsrunden im Betriebsrat teilnehmen konnte, durfte oder in diesem Fall sogar musste, möchte ich noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen.

Herr Baum, manchmal ist es halt so, dass Politik nicht nur Tageslage ist, sondern dass es Ursachen für Politik gibt. Dass die Deutsche Bahn – einer der größten Abnehmer bei Bombardier, einer der größten inländischen Besteller – heutzutage faktisch nicht mehr im eigenen Unternehmen nach Görlitz fahren kann, hat auch etwas damit zu tun, wie wir Ausschreibungen im Nahverkehr gestaltet haben, wie sozusagen eine Streckenentwicklung vonstattengegangen ist. Es hat auch etwas damit zu tun, wie die Ausschreibungsbedingungen formuliert sind.

(Staatsminister Martin Dulig: Wer macht das?)

Und wenn es immer darum geht, dass man den billigsten Anbieter – auch wenn man es dann den „wirtschaftlichsten“ nennt – nehmen muss, dann sieht es nun einmal so aus, und das sind die Rahmenbedingungen.

Eine Rahmenbedingung ist unter anderem – das haben wir gerade erfahren: 500 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter werden da freigesetzt; 500, die das Unternehmen übrigens nicht ankündigen muss, sondern die sie einfach nur freisetzen müssen. Dass sie das angekündigt haben, zeigt im Übrigen, dass sie darauf geschielt haben, dass dabei vielleicht der Aktienkurs ein bisschen steigt; denn üblicherweise klettert gern der Marktpreis des Unternehmens am Aktienmarkt, wenn man Entlassungen ankündigt. Aber diese 500 – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Kollege Nowak. Mikrofon 6.

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass nicht die Sächsische Staatsregierung Ausschreibungen veranstaltet, sondern die damit beauftragte kommunale Ebene?

Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Rahmenbedingungen für Ausschreibungen Gesetze sind, und die werden in den Parlamenten gemacht, und dass die kommunale Ebene dann diese Rahmenbedingungen sozusagen im Zuge der Gesetze umsetzt?

Ich gehe einmal davon aus, dass Ausschreibungen – gerade das Sächsische Vergabegesetz und andere Dinge – nicht von der kommunalen Ebene gestaltet werden, sondern dass sich die kommunale Ebene an die Vorgaben des Gesetzgebers hält. Danke.

Ich möchte noch einmal auf die 500 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zurückkommen. Können Sie sich vorstellen – Sie waren ja auch lange genug Teil der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmervertretung –, in diesem Betrieb hätte die IG Metall die Schlagkraft, dass es sich sozusagen um weitere 500 richtige Beschäftigte des Betriebs und nicht um Leiharbeiter handeln würde? Die Gewerkschaft hätte einen ganz anderen Druck bei der Unternehmensmitgestaltung, als sie es heute hat, indem das Unternehmen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter gegen die eigenen Beschäftigte ausspielen kann und sich einfach hinstellt und sagt: Ja, dann lassen wir die Leiharbeiter eben gehen, obwohl sie für die Produktion eigentlich dringend gebraucht werden.

Drei gleichzeitig laufende Projekte! Zum Teil wird etwas in einem Monat noch entwickelt, aber am anderen Ende des Zuges wird schon gebaut. Sie waren bei Bombardier und Sie werden mit Sicherheit erfahren haben, dass sie zurzeit drei gleichzeitig laufende Projekte haben – für ungefähr sechs Jahre Tätigkeiten. Zumindest ist es das, was der Betriebsrat verkündet, und ich gehe davon aus: zu Recht.

Wenn man Kolleginnen und Kollegen hat, die beim Waggonbau arbeiten, dann werden sie Ihnen sagen, sie seien in den letzten Monaten sehr oft gebeten worden, auch sonnabends zur Arbeit zu kommen, um Rückstände in der Auftragslage auszubessern.

Dann gehen wir hin und das Unternehmen sagt: Wir haben nicht genügend Gewinne. Ein Rentenfonds übernimmt große Teile der Aktien. Es führt dazu, dass man rationalisieren muss. Dann gehen wir zu Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern, die tatsächlich etwas zu tun hatten, und sagen: Ihr müsst jetzt gehen. Es mag vielleicht sein, dass es die Ursache nicht direkt im sächsischen Regierungshandeln hat, es hat aber Ursachen im Handeln von Politik, im Setzen von Rahmenbedingungen usw. – allgemein gesagt: wie es dazu gekommen ist, dass die Situation bei Bombardier heute so ist, wie sie ist. Dann müssen wir auch ehrlicherweise zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hingehen und darüber reden, was die Ursache ist. Es ist dann eben kein Klassenkampf. Es bringt auch überhaupt nichts, hinzugehen und zu sagen: Vielleicht kommen wir über eine Durststrecke hinweg.

Ja, Bombardier hat schon manchmal vor harten Entlassungen gestanden. Viele haben miteinander dafür gekämpft, dass diese harten Entlassungen verhindert wer

den. Jetzt wird aber an die Substanz des Unternehmens gegangen. Es wird das Engineering abgezogen. Es werden keine Zukunftsprojekte gestaltet. Es wird sozusagen nicht darauf geachtet, dass, wenn die jetzigen Projekte abgearbeitet sind, tatsächlich neue Projekte da sind. Alle Signale stehen darauf, dass das große Weltunternehmen Bombardier gerade dabei ist, sein neu gegründetes Sachsenwerk mittelfristig zu schließen. Ich erwarte, dass man das so deutlich sagt und dass wir den Widerstand – dabei gebe ich Herrn Ursu recht; an vielen Stellen nicht, aber an dieser Stelle gebe ich ihm recht – gemeinsam organisieren. Das geht aber nicht, wenn uns einige vorwerfen, dass das nur Polemik sei, zeitgleich am Rednerpult aber nur Polemik loslassen und keinen einzigen Lösungsvorschlag haben.

Die Redezeit geht zu Ende.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN)