Auch der parlamentarische Gesetzgeber hat sich stabil entwickelt, für manche ein bisschen zu stabil. Lebendige Debatten gibt es bei uns, aber es könnte sie noch öfter geben.
Meine Damen und Herren! Die Forderung nach mehr direkter Demokratie wird auch populistisch erhoben. Dann wird sie getragen von dem Vorurteil, gewählte Politiker seinen unfähig oder sie seien nicht bereit, das zu tun, was das Volk eigentlich wolle. Diese behauptete Unfähigkeit wird von 90 % der aktiven Politiker widerlegt. Auch die Resultate ihrer Politik, die sich natürlich immer der Kritik stellen muss, deuten nicht auf Unfähigkeit hin, sondern auf viele gute Ergebnisse, auch wenn es verschiedene Auffassungen über Ziele und Wege dorthin gibt. Die Behauptung, das Parlament tue nicht das, was
das Volk wolle, geht fehl. Es tut nicht das, was die wollen, die diese Behauptung aufstellen. Aber das muss bei Weitem nicht das sein, was das Volk oder auch „nur“ die Mehrheit des Volkes will.
Meine Damen und Herren! Demokratie ist anstrengend. Man muss sich um die öffentliche Sache bemühen. Man muss um Mehrheiten kämpfen, wenn man die eigenen Positionen durchsetzen will. Ich selbst bin seit 25 Jahren ein wacher Beobachter der Demokratie in Sachsen. Ich hatte das Glück, bereits als Berater im ersten Landtag mitwirken zu dürfen, und seither hat mich das Interesse nicht losgelassen. Wenn Wolfgang Thierse vor Jahren von einer spezifischen sächsischen Demokratie gesprochen hat, war das nicht immer gerecht. Wir sollten aber aufpassen, dass wir den enthaltenen Vorwurf des laxen Umgangs mit Freiheitsrechten der einen zugunsten eines unverhältnismäßigen Schutzes dieser Rechte anderer nicht nachträglich rechtfertigen. Viele außerhalb Sachsens sehen das so.
Meine Damen und Herren! 25 Jahre Parlamentarismus in Sachsen stehen für eine stabile, pluralistische Demokratie. Es gibt Reformbedarf, und es ist unsere Aufgabe, darüber in diesem Hohen Hause zu debattieren. Insgesamt haben die 25 Jahre gezeigt, dass es kein besseres System staatlicher Herrschaft und ihrer Kontrolle gibt als die Demokratie, und ich glaube, dass wir das auch am heutigen Tage feststellen können.
Nach Herrn BaumannHasske, der für die einbringende SPD gerade das Wort hatte, ergreift jetzt für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Bartl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Parlamentarismus bezeichnet laut Bundeszentrale für politische Bildung eine Herrschaftsordnung – so steht es dort –, in deren Zentrum ein vom Volk gewähltes Parlament steht, das über wesentliche Zuständigkeiten im politischen Entscheidungsprozess verfügt, insbesondere für die Gesetzgebung zuständig ist, über Einnahmen und Ausgaben des Staates gesetzlich verfügt sowie die Auswahl und die Kontrolle der Regierung besorgt. Das ist die Aufgabenzuweisung. Das ist die Messlatte seit der Wiedereinrichtung des Sächsischen Landtags im Oktober 1990.
Ob wir in diesem Hohen Haus zu allen Zeiten, in allen Situationen diesen Maßstäben gewachsen waren und heute gewachsen sind, diese Frage steht nicht nur zu Jubiläumszeiten, dann aber besonders. Hauptwertungsrichter zur Bewertung vor allem von außen ist das Volk, ist der Souverän, sind die tatsächlichen oder die sich zunehmend verweigernden Wählerinnen und Wähler. Ich
wäre der blanke Masochist, wenn ich seit 25 Jahren in diesem Hohen Haus bin, aber keine Affinität für den Parlamentarismus oder für die Arbeit dieses Hohen Hauses hätte. Daran fehlt es nicht. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir längst noch nicht dort sind, wo die Verfassung den Sächsischen Landtag nach Geist und Buchstaben hin will. Wir stehen noch längst nicht in einem fairen und gebotenen konstruktiven Wettstreit, wenn es darum geht, für dieses Land und für seine Bürger die möglichst besten Gesetze zu machen.
Was bei den Gesetzesdebatten und Beschlüssen über Anträge, die der politischen Willensbildung in diesem Haus dienen, herauskommt, ist zuallererst parteiinteressengeleitet. Mitnichten entscheidet und obsiegt immer der gesunde Menschenverstand. Allzu oft obsiegt die Arithmetik der parlamentarischen Mehrheit. Es ist ein Unding, dass es bis heute so ist, dass Gesetzesvorschläge und Anträge aus den Reihen der Opposition keine Chance haben, durchzukommen. In den zurückliegenden
25 Jahren hat die PDS bzw. DIE LINKE einen Antrag durchbekommen. Er hatte das Thema „Nichtverwendung von afrikanischen Regenhölzern in öffentlichen Einrichtungen des Freistaates Sachsen“. Den haben wir in der Dreikönigskirche einmal zur späten Nachtzeit gezogen, und siehe da, die CDU war schon etwas schläfrig, und wir hatten das historisch einmalige Zeitfenster, diesen Antrag durchzubekommen. Wir haben drei Tage gefeiert. Danach ist uns ein solcher Treffer nicht mehr gelungen. Das ist ein demokratisches Unding!
Doch, das ist ein demokratisches Unding! Kollege Baumann-Hasske hat es gesagt, unsere Verfassung sieht einen zweiten gleichberechtigten Gesetzgeber vor. Aber wir wissen alle, dass das Volk keine Chance hat, sich dieses Rechts tatsächlich zu versichern und dieses Recht durchzusetzen. Wir tun nichts, um das zu ändern. Jedes Gesetz auch nur zur sanften Änderung von Quoren fällt hier durch.
Es ist eine sächsische Eigenheit, dass die Staatsregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen unter regelmäßiger Führung der CDU selbst in kompliziertesten gesellschaftlichen Situationen den öffentlichen Anschein eines Schulterschlusses mit der demokratischen Opposition mehr scheut als der Teufel das Weihwasser. Nur nicht gemeinsam mit der Opposition etwas machen. Das ist absurd. Es ist ebenso absurd, wenn in diesem Hohen Hause gerade bei einer solchen Debatte jemand Fragen stellt und man nicht auf die Fragestellung eingeht. Man lässt sie nicht zu. Das ist keine parlamentarische Kultur.
Wir haben das Problem, dass wir nach wie vor einen verbisseneren Parlamentarismus haben als die Preußen.
Das ist auch ein Unding. Sachsen ist in den 25 Jahren seit der konstituierenden Sitzung des 1. Sächsischen Landtags nach der Wende beachtlich vorangekommen. Wir haben in Sachsen in manchen gesellschaftlichen Bereichen eine Entwicklung genommen, um die uns andere beneiden. Dafür sind auch Entscheidungen maßgeblich gewesen, die wir als Opposition eigentlich anders haben wollten. Aber hier hatte die Mehrheit recht. Das gab es natürlich. Selbstverständlich.
In Sachsen und damit nicht zuletzt vor diesem Parlament stehen aber jetzt Herausforderungen, die ein anderes demokratisches Koordinatensystem brauchen. Dass der Resonanzboden – dieses Bild wird oft bemüht – zwischen Volk und Politik, zwischen Volk und Volksvertretungen weithin verloren gegangen ist, dass sich in diesem Land viele Menschen in einer inzwischen ruppigen Art und Weise artikulieren und damit alles konterkarieren, –
– was Kultur der Wende- und Nachwendezeit war, muss zuallererst uns bewegen, muss uns zu neuen Überlegungen führen und auch zu anderen Herangehensweisen.
Herr Kollege Bartl sprach für DIE LINKE. Jetzt ergreift erneut Frau Wilke für die AfD das Wort. Bemühen Sie sich bitte um die freie Rede.
– Nur Stichworte. Freiheit und Selbstbestimmung. – Sehr geehrte Damen und Herren! Vor 25 Jahren ging die DDR nicht nur an ökonomischer Erschöpfung zugrunde. Es war ebenso eine politische und eine moralische Krise. Das kennzeichnet auch unsere gegenwärtige Situation. Sie ist nicht nur eine menschliche Herausforderung. Trotzdem wird versucht, mit flapsigen Sprüchen wie „Wir schaffen das schon“ die Bevölkerung „hinter die Fichte“ zu führen. Dagegen schützt nur ein Blick auf die Realität.
Noch immer gehören Deutschland und Mitteleuropa zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt. Noch funktionieren unsere Wirtschafts- und Sozialsysteme. Noch bekommen wir jeden Tag neue Kinder, und das ist gut so. Es sind allerdings nicht genug, um den Sozialstaat nachhaltig zu sichern, was uns zeigt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen können. Ein hinkender Generationenvertrag zum Beispiel kann nicht funktionieren.
Ein ausgleichender Import von Entwurzelten, die in ihren Heimatländern dringender gebraucht werden als bei uns, wo sie für ein bis zwei Generationen überwiegend nur Beschäftigung in sogenannten Sweatshops, in Ausbeutungsbetrieben finden können, verschärft unsere eigenen
Probleme nur noch. Außerdem ist unsere Wohlstandsstruktur noch nicht auf dem Niveau von Bangladesch. Die wenigen noch produktiven Teile unserer alternden Gesellschaft können beim besten Willen nicht für Millionen zusätzlicher Transferleistungsempfänger den nötigen Mehrwert erwirtschaften.
Zusätzlich verlor Deutschland im letzten Jahr Hunderttausende hoch qualifizierte Fachkräfte. Unsere gut ausgebildete Jugend wandert zunehmend aus. Geben und Nehmen müssen sich wieder balancieren lassen. Das ist unsere wirkliche, unsere gemeinsame Herausforderung in Sachsen, Deutschland, Europa und der Welt.
Das Millenniumsziel der UN, das Wohlstandsgefälle in der Welt zu senken, lässt sich nicht durch die Verelendung der funktionierenden Gesellschaften erreichen – im Gegenteil. Die nachhaltige Sicherung der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten verlangt nach einem Fortschritt auf höchstem Niveau. Das geht nur auf der Basis intakter und demokratischer Solidargemeinschaften in Freiheit und Selbstbestimmung. Was wir aber im Moment versuchen und aktiv befördern, ist die Feigheit, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen.
Die Fraktion GRÜNE hätte jetzt das Wort. – Kein Redebedarf. Wir könnten jetzt eine dritte Rednerrunde eröffnen. – Ich sehe, für die einbringende Fraktion erhebt sich Kollege Schiemann und eröffnet damit die dritte Rederunde. Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube schon, dass es ein großes Glück gewesen ist, dass es auch im Freistaat Sachsen wieder zu einer Volksvertretung gekommen ist. Volksvertretung heißt ja auch Vertreter des Volkes zu sein. Dies für sich in Anspruch zu nehmen ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Es wäre unredlich zu sagen, dass wir immer in der Lage sind, die Ansprüche des sächsischen Volkes auch so wahrzunehmen, wie das jeder Einzelne im Land wahrnimmt. Aber diesen Anspruch anzunehmen und das täglich wieder von Neuem zu versuchen, das ist die Aufgabe, die sich der Sächsische Landtag auch für die Zukunft vornehmen sollte und der er sich stellen muss.
Vertreter des Volkes zu sein, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedeutet auch, dass wir Fragen, Sorgen und Gesetzesthemen, die im Volk diskutiert werden, ernst nehmen und dass wir auch bereit sind, uns selbst immer wieder in unseren Meinungen zu korrigieren, damit das Parlament eben nicht nur eine Tribüne zur Darstellung von politischen Überzeugungen ist, sondern dass es eine Institution wird, wo Themen des Volkes sehr ernst genommen werden, die dann in die Sachdebatte mit einbezogen werden können. Wir dürfen ein Parlament nicht nur den Lobbyisten überlassen. Wir dürfen ein Parlament nicht nur denen überlassen, die die stärkste Kraft in einem Land haben – vielleicht durch den Geldbeutel, vielleicht durch die Möglichkeit, auch Einflüsse auszuüben –, sondern wir müssen allen Teilen des Volkes eine Chance geben. Das bedeutet aber auch: Sachsen muss weltoffen bleiben.
Sachsen hat immer davon gelebt, dass es weltoffen war, und das ist eine Grundlage für die jahrhundertelange gute Entwicklung hier in Sachsen. Das bedeutet gleichsam aber auch: Weltoffenheit kann niemals eine Einbahnstraße sein. Wer dem Volk des Freistaates Sachsen angehören möchte, hat sich genauso unter die Sächsische Verfassung zu stellen wie die Bürger, die hier im Freistaat Sachsen als Bürger leben und arbeiten.
Es kann keine Ausnahmen geben. Wer sich die Verfassung in ihren Bestimmungen anschaut, sieht, dass es viele Bestimmungen gibt, die mit religiösen und politischen Überzeugungen anderer Völker nicht übereinstimmen. Das eine ist die Gleichheit von Frauen und Männern.
Wir können in Sachsen als Abgeordnete nicht zulassen, dass Frauen von einigen Menschen in unserem Land, die Gäste sind, anders behandelt werden als die sächsischen Frauen.