Protocol of the Session on March 10, 2010

In Abs. 4 werden schlichtweg Blockaden als Gewalttaten definiert, unabhängig davon, ob Gewalttätigkeiten stattfinden, Veranstalter zur Gewaltfreiheit aufrufen, Eskalationen vermieden werden und der Sinn eindeutig darauf abzielt, an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben.

Meine Damen und Herren, auch wenn es Ihnen nicht passt: Sitzblockaden sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes von der Versammlungsfreiheit umfasst. Das ist die schlichte Wahrheit.

Artikel 8 Grundgesetz und Artikel 23 der Sächsischen Verfassung schützen die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe bis zur Grenze der Unfriedlichkeit. Unfriedlichkeit ist dabei nicht der Definition des Entwurfsverfassers überlassen, sondern liegt nach gefestigter Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung erst vor, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit durch aggressive Ausschreitungen durch Personen oder Sachen stattfinden. Dieser Maßstab soll nach dem Willen der NPD in Zukunft nur noch für die Ausgangsveranstaltung – man ergänze: die eigene Ausgangsveranstaltung – gelten. Zitat: „Maßnah

men gegen eine friedliche, die öffentliche Sicherheit nicht gefährdende Ursprungsveranstaltung sind nur aufgrund polizeilichen Notstands zulässig.“ – So § 15 Abs. 3 Satz 2 des Entwurfes.

Ihr Änderungsantrag ändert nichts daran, dass dieser Entwurf abzulehnen ist. Er entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen; seine Absichten sind durchsichtig. Sie wollen sich selbst mithilfe der Polizei und des Rechts die Straße freikämpfen, und wenn Sie dafür keine Unterstützung bekommen, dann sind Sie bereit, auch das mit körperlicher Gewalt zu tun.

(Jürgen Gansel, NPD: Da sind Sie der Richtige!)

Dem werden wir uns entgegenstellen, und deswegen werden wir den Gesetzentwurf selbstverständlich ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion, der FDP und der SPD)

Herr Abg. Storr.

Herr Lichdi, Herr Biesok, Ihre ganze Argumentation ist natürlich an der Sache vorbei. Sie arbeiten mit Unterstellungen, mit unbegründeten Behauptungen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Mit Beweisen!)

Eine dieser falschen Behauptungen ist, dass wir Gegendemonstrationen nicht zulassen wollen. Natürlich sind wir als NPD der Meinung, dass es bei einer Demonstration Gegenmeinungen, auch Gegendemonstrationen geben darf, geben soll; aber diese Gegendemonstrationen dürfen selbstverständlich nicht dazu führen, dass eine Demonstration oder ein Demonstrationszweck unmöglich wird. Dagegen wehren wir uns.

Im Übrigen, die Behauptung, dass Blockaden legal seien, ist ein Irrtum, eine falsche Behauptung, die hier zwar immer wieder genannt wird, die aber unzutreffend ist. Im Grunde genommen geht es Ihnen eben nicht um Freiheit. Ihre Sympathie, die Sie für die Blockierer nach dem 13. Februar parteiübergreifend geäußert haben, zeugt ja davon, wie wenig Sie eigentlich die Versammlungsfreiheit wertschätzen. Insoweit ist die NPD tatsächlich die einzige politische Kraft, die in diesem Land noch die Versammlungsfreiheit garantieren will. Deshalb haben wir heute diesen Gesetzentwurf vorgelegt.

Dass diese ganze Diskussion so geführt wird, ist kein Zufall, denn die real existierende repräsentative Demokratie der Bundesrepublik Deutschland entwickelt sich immer mehr zu einer Demokratie unter Vorbehalt, nämlich dem Vorbehalt der richtigen Meinung, die, von oben verordnet, bitte von allen zu befolgen ist. Im „Neusprech“ wird dieses Phänomen mit dem Begriff political correctness oder auf gut Deutsch mit politischer Korrektheit beschrieben. Daraus folgt ganz selbstverständlich, dass es eine echte Diskussion auch und besonders über grundsätzliche Fragen gar nicht geben darf und kann, denn die politische Korrektheit ist in Wirklichkeit eine Doktrin, die

man durch Diskussionen nur infrage stellen und damit ihrer Wirksamkeit berauben würde.

Nicht nur die Machthaber in der DDR fürchteten das Volk, wenn es sich ihrer Kontrolle entzog; auch heute fürchtet man das Volk, das sich aus der Vormundschaft linksextremer Meinungsmacher und komplexbeladener Schuldneurotiker befreit und seine Rechte als der eigentliche Souverän in einer echten Demokratie für sich einfordert.

(Beifall bei der NPD)

So wie die Genossen der SED und ihrer Blockparteivasallen vor 1989, so fürchten auch heute die Volksverräterparteien von der CDU bis zur Linken die Macht und die Wut des Volkes,

Ich bitte Sie, sich zu mäßigen!

die sich mangels anderer Alternativen nur auf der Straße artikulieren kann.

Denn auch Fernsehen, Rundfunk und Tagespresse sind nicht frei, auch wenn Sie für sich selbst gern die Pressefreiheit in Anspruch nehmen, aber gleichzeitig dem Volk die Meinungsfreiheit vorenthalten wollen. Stattdessen soll das Volk durch die Meinungsmacher bevormundet, belehrt und zu den scheinbar richtigen – das heißt heute: linken – Ansichten bekehrt und umerzogen werden.

Die Versammlungsfreiheit unterläuft diese Bevormundung unseres Volkes und die politische Zensur, die tagtäglich von der gleichgeschalteten Presse durch Totschweigen, Skandalisierung und Verächtlichmachung praktiziert wird. Es ist kein Zufall, dass die Meinungen in unserem Volk, die sich eben nicht im Fernsehen, im Radio oder in der Tagespresse artikulieren können, weil sie keinen Zugang zu den Medien haben, sich bevorzugt in öffentlichen Versammlungen auf der Straße artikulieren.

(Stefan Brangs, SPD: Oder in Hinterzimmern!)

Die NPD verwirklicht mit dem heutigen Entwurf die Maßgabe des Artikels 3 Grundgesetz, nach der vor dem Gesetz jedermann gleich ist und niemand wegen seiner politischen oder sonstigen Anschauungen benachteiligt werden darf.

(Beifall bei der NPD)

Einmal mehr erweist sich damit die NPD als die eigentliche Hüterin der Verfassung, während Sie Ihre Verfassungsfeindlichkeit umso deutlicher herausstellen. Während Sie linksextremen Störern, Blockierern und Randalierern das Wort reden, setzt der NPD-Entwurf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um, nach der friedliche Versammlungen vor Störern zu schützen sind und nicht, wie in Dresden am 13. Februar, der linksextreme Straßenpöbel unter den Augen der Polizei Recht und Gesetz bricht. Während Sie die Befugnisse der Polizei weitgehend reduzieren wollen, setzt der NPD-Entwurf sowohl auf Sicherheit und Ordnung als auch auf die

Polizei als deren Garanten, dessen oberste Maßgabe die Gewährleistung der verfassungsmäßigen Grundrechte ist, aber nicht die Verhinderung der Grundrechtsausübung.

Während Sie Straßen und Plätze von unerwünschten Meinungen säubern wollen, verwirklicht der NPD-Entwurf das oberste Gebot der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, einen lebendigen Pluralismus der Meinungen zu schaffen und zu schützen. Sie verbieten, schalten gleich und selektieren. Wir dagegen achten auch den politischen Gegner und seine Rechte.

Während die Versammlungsbehörden als verlängerter Arm der Blockparteien die faktische Möglichkeit, zu verbieten bzw. zu beauflagen, bis zum groben Rechtsbruch anwenden, wollen wir der Verwaltung und der Polizei Vorschriften an die Hand geben, mit denen das vom Bundesverfassungsgericht postulierte Gebot der Versammlungsfreundlichkeit der Versammlungsbehörden erst mit Leben erfüllt werden kann.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich beantrage übrigens namentliche Abstimmung.

Meine Damen und Herren! Gibt es weiteren Redebedarf? Ich frage zuerst die Fraktionen. – Das ist nicht der Fall.

Dann bitte ich Herrn Minister Dr. Martens, für die Staatsregierung das Wort zu nehmen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der letzte Wortbeitrag war wahrscheinlich ein sehr wertvoller; denn er hat gezeigt, welchem politischen Hintergrund und welchem Weltbild dieser Gesetzentwurf entspringt: Alle anderen seien linksextremistische Schuldneurotiker; nur die NPD kümmere sich als volkstreue Opposition um die wahren Volksrechte. Wahrscheinlich wird man das in pathologischer Hinsicht als ausgeprägte Paranoia bezeichnen müssen. Aber es ist hilfreich, dass dies hier so deutlich gezeigt worden ist.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Beifall der Abg. Rico Gebhardt und Dr. Volker Külow, Linksfraktion)

Das ist die Geisteshaltung, die Extremisten – nicht Radikale – in ihrer eingeschränkten Wahrnehmung der Wirklichkeit auszeichnet.

Aber lassen Sie mich zum Gesetzentwurf und seiner rechtlichen Dimension zurückkommen. Ein Gesetzentwurf muss sich bei seiner rechtlichen Prüfung an zwei Maßstäben messen lassen: erstens, inwieweit für ihn ein tatsächliches Regelungsbedürfnis besteht, zweitens, ob er mit den verfassungsrechtlich verankerten Grundsätzen einer freiheitlich-rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung in Einklang steht. Anders ausgedrückt: Ein Entwurf, der keinem anerkennenswerten Bedürfnis nach gesetzgeberischem Tätigwerden entspringt oder der gar

die Gebote der Verfassung missachtet, verdient nur eines: massive Ablehnung.

Meine Damen und Herren! Demzufolge ist die Ablehnung des hier von der NPD aus propagandistischen Motiven vorgelegten Gesetzentwurfs zwingend. Denn zum einen hat der Sächsische Landtag bekanntermaßen jüngst das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge im Freistaat Sachsen beschlossen. Zum anderen hat selten ein Gesetzentwurf bei genauerem Hinsehen der Verfassung in einem solchen Maße widersprochen wie der jetzt vorliegende.

Wie weit dieser Gesetzentwurf vom geltenden Recht tatsächlich entfernt ist, mögen einige Beispiele verdeutlichen.

Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 des derzeit geltenden Versammlungsgesetzes, der übrigens der bisherigen Norm im Bundesversammlungsgesetz entspricht, sind Versammlungen verboten, welche die Ziele einer vom Verfassungsgericht verbotenen Partei oder ihrer Ersatzorganisationen fördern. Der Entwurf der NPD-Fraktion enthält dieses Verbot nicht. Wir alle können davon ausgehen, dass es sich hierbei nicht um ein Redaktionsversehen der Antragsteller handelt. Welcher Art die Ziele sind, die auf Versammlungen gefördert werden sollen, wie sie sich die NPD vorstellt, muss hier auch nicht weiter vertieft werden, weil es offenkundig ist.

In diesem Licht zu betrachten ist auch, dass das in § 3 des Versammlungsgesetzes geregelte Uniformierungsverbot ersatzlos gestrichen werden soll. Ich brauche nicht zu betonen, dass diese zentrale Vorschrift des Versammlungsrechts – es ist schon gesagt worden – vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen der Weimarer Republik gewachsen und zu verstehen ist. Das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder gleichartigen Kleidungsstücken als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung ist in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – ich zitiere – „geeignet, suggestiv-militante Effekte in Richtung auf eine einschüchternde uniforme Militanz auszulösen“. Genau das, so behaupte ich, wollen die Antragsteller bei diesem Gesetzentwurf nicht nur in Kauf nehmen, sondern sich dafür erst die Möglichkeit schaffen.

Auf der Grundlage des geltenden Versammlungsrechts hat dann auch das Oberverwaltungsgericht in zahlreichen Entscheidungen das durch Versammlungsbehörden verhängte Verbot des Tragens von Bomberjacken, Springerstiefeln und anderen gleichförmigen Bekleidungsstücken für rechtmäßig erklärt. Das uniformierte Marschieren von Veranstaltungsteilnehmern in geordneter Formation gehört zum Standardausdrucks- und auch -einschüchterungsrepertoire aller Rechtsextremisten; das ist nicht eine einsame Erfindung der NPD.

Bemerkenswert ist auch die Regelung in § 4 Abs. 1 des Gesetzentwurfs, nach dem es jedermann verboten sein soll, öffentliche Versammlungen durch Lärm zu beeinträchtigen. Hier wird Verfassungsrecht sehenden Auges gebrochen. Nach dieser Bestimmung wäre beispielsweise auch das Läuten von Kirchenglocken untersagt, sofern sich die Teilnehmer einer Veranstaltung hierdurch beein

trächtigt fühlen. Angesichts der Häufigkeit, mit der sich die Verfechter des Gesetzentwurfs auf Artikel 8 Grundgesetz berufen, wäre anzunehmen gewesen, dass ihnen die Reichweite des Schutzbereichs dieser Bestimmung bekannt ist. Der vorliegende Entwurf belegt das Gegenteil. Die NPD verkennt, dass Artikel 8 Grundgesetz nicht nur das Recht auf Gegendemonstrationen, sondern auch das Recht schützt, an einer Versammlung in einer Weise teilzunehmen, die Kritik an ihr oder gar ihre Ablehnung ausdrückt.

Besonders grotesk ist § 4 Abs. 3 des Entwurfs, wonach Gegenveranstaltungen die Versammlung nicht behindern dürfen und einen Mindestabstand von 150 Metern – so der geänderte Entwurf – einzuhalten haben. Auch diese Bestimmung verkennt verfassungsrechtliche Vorgaben; denn das Grundgesetz spannt den Schutzschirm der Versammlungsfreiheit grundsätzlich auch über Gegendemonstrationen auf. Die Rechte aller Grundrechtsträger sind so miteinander in eine praktische Konkordanz zu bringen. Vorrechte in eine bestimmte Richtung gibt es nicht. Auch das ist etwas, was Sie von der NPD mit Ihrem Gesetzentwurf offenkundig ausschalten wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Einschätzung der NPD, dass mit ihrem Gesetzentwurf das Vertrauen der Bevölkerung in die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung wiederhergestellt und Gerichte entlastet würden, ist nun wahrhaft abwegig. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Einheitlichkeit der Rechtsordnung war und ist in Deutschland außerordentlich hoch. Die angekündigten Entlastungseffekte bei den Gerichten würden sicherlich nicht eintreten. Es würde vielmehr eine Klagewelle gegen die eklatant verfassungswidrigen Bestimmungen dieses Gesetzentwurfs geben.

Die Absicht der NPD-Fraktion ist sonnenklar: Mit Scheinargumenten sollen fundamentale Verfassungsgrundsätze ausgehebelt werden. Wenn der Entwurf vorgaukelt, er orientiere sich an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dann ist das höchstens ein Beleg für die Gewissenlosigkeit der eigenen Konzeption, die Sie hier umtreibt.

Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf erweist sich bei genauem Hinsehen als ein ziemlich übles Machwerk, das zu verwerfen ist – zum Wohl der Verfassung und zum Schutz vor Übergriffen auf die freiheitlichdemokratische Ordnung. Deswegen empfiehlt die Staatsregierung, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.

Vielen Dank.