Protocol of the Session on October 16, 2013

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Hartmann und lieber Herr Karabinski! Liebe CDU und FDP! Das war ein wenig flach. Ich fände es schön, wenn wir etwas mehr analytische Schärfe in die Debatte hineinbekämen.

Wenn man ein Problem lösen möchte, dann muss man es vorher verstehen. Aus diesem Grund hat sich das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen bereits vor zehn Jahren der Frage angenommen, wie es mit der Gewalt gegen Polizeibeamte aussieht. Sie untersuchen seit zehn Jahren die Vorfälle, die Tatverdächtigen, die Auswirkungen und die Frage, was man tun kann, um diesem Problem zu begegnen. Dazu wurden 20 000 Polizisten in zehn Bundesländern befragt. Die Sächsische Staatsregierung hat den sächsischen Polizeibeamten leider nicht erlaubt, an dieser Studie teilzunehmen. Ich denke

aber, dass sich die Ergebnisse aus den anderen Bundesländern übertragen lassen.

Wir haben in den letzten Redebeiträgen sehr viel über Gewalt gegen Polizisten, die im Rahmen von Demonstrationen ausgeübt wurden, gehört. Das sind 7 % aller Fälle. Sie können sich gern über diese 7 % streiten. Ich möchte mich mit den 93 % beschäftigen, in denen sich Polizeibeamtinnen und -beamte Gewalttaten gegenübersehen. Das ist insbesondere bei der Festnahme von Verdächtigen, bei Streitsituationen im familiären und außerfamiliären Bereich, bei der Störung öffentlicher Ordnung und bei Verkehrskontrollen der Fall. Wie begegnet ihnen Gewalt? In 82 % der Fälle begegnet Ihnen Gewalt als verbale Gewalt. Das ist schlimm genug. 27 % der Einsatzbeamtinnen und -beamten werden geschlagen und getreten. 15 % werden mit der Waffe bedroht. 8 % werden tatsächlich mit dieser Waffe angegriffen.

Was wissen wir über die Tatverdächtigen und Täter? 89 % von ihnen sind Männer, zum überwiegenden Teil Männer deutscher Staatsangehörigkeit. Das sei einmal in Richtung NPD gesagt. 60 % sind Erwachsene. Zwei Drittel stehen unter Alkoholeinfluss. 90 % von ihnen handeln allein.

Die Studie untersucht, wie es zu solchen Vorfällen kommen kann, welche Folgen sie haben und was man tun müsste, um solche Vorfälle künftig zu vermeiden. Folgendes ist völlig klar: Einsatzsituationen sind immer gefährlich. Einsatzsituationen bergen immer die Möglichkeit, dass die Beamtinnen und Beamten ihrem Einsatz nicht in Ruhe nachgehen können, sondern von denen, die Gegenstand des Einsatzes sind, angegriffen werden.

Folgendes hat man herausgefunden – ein wichtiger Punkt –: Wenn den angerückten Polizeibeamten vor dem Einsatz bekannt ist, dass der Tatverdächtige unter Alkoholeinfluss steht oder schon polizeibekannt ist, ist das Verletzungsrisiko viel geringer. Woran liegt das? Es liegt daran, dass sich die Beamten besser auf den Einsatz vorbereiten und die Situation besser einschätzen können. Zweitens wurde Folgendes festgestellt: Wenn weibliche Polizeibeamte anwesend sind, ist die Gewalterfahrung viel geringer. Weibliche Polizeibeamte wirken offenbar deeskalierend. Drittens: Wenn eine Kommunikation mit den Tatverdächtigen möglich ist – das ist bei Alkoholeinfluss nicht immer der Fall – ist die Anzahl der verletzten Polizeibeamten geringer.

Viertens: Es gibt bestimmte Bereiche des Körpers der Polizeibeamten, die besonders schlecht geschützt sind und die besonders oft Gegenstand von Gewalt werden. Nacken, Hals und Schultern sind die Bereiche, bei denen es beim Eigenschutz bezüglich der Schutzausstattung momentan noch nicht so besonders gut aussieht.

Ich sehe, ich habe keine Zeit mehr.

Sie werden handgestoppt, Frau Kollegin.

Wenn Sie also über die 7 % der Vorfälle reden, die auf Demonstrationen passieren, und

dann die großen politischen Reden schwingen, dann lassen Sie 93 % der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die Erfahrungen mit Gewalt haben, alleine und außen vor. Das halten wir für nicht gut.

Was muss man nun tun, um dieser Gewalterfahrung Einhalt zu gebieten? Was muss man tun, um die Anzahl gewalttätiger Übergriffe gegen Polizeibeamte zu senken? Zum einen gibt es Dinge, die die Polizei selbst tun kann, zum anderen gibt es Dinge, die dem Zugriff der Polizei entzogen sind. Ich habe gesagt: Einsatzsituationen sind besser vor- und nachzubereiten. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Das erfordert natürlich Zeit.

Das, was Sie als CDU- und FDP-geführte Staatsregierung unseren Beamten in den letzten Jahren genommen haben, ist nicht zuletzt Zeit. Durch den massiven Stellenabbau und die Schließung von Revieren haben wir immer mehr Einsätze pro Polizist und immer weniger Zeit zur Vor- und Nachbereitung. Das hat Folgen.

Was kann man noch tun? Man kann für mehr weibliche Polizeibeamte in unseren Reihen sorgen. Da sind wir schon auf einem guten Weg. Es kann nicht schaden, diesen weiter zu beschreiten.

Was kann man noch tun?

Die Redezeit geht zu Ende.

Danke schön. – Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, vor allem im Bereich der Kommunikation, der Einschätzung von Gefahrensituationen, bei der psychologischen Einschätzung solcher Situationen und – nicht zuletzt –: Man kann auch bei der Schutzausstattung etwas verbessern.

Noch schnell zum Gesellschaftlichen:

Nein, die Redezeit ist abgelaufen, Frau Kollegin. Sie war großzügig bemessen, weil unsere Zeitangabe ausgefallen ist. Bitte letzter Satz.

Herr Präsident, vielen Dank. Ich nenne den letzten Satz in der zweiten Runde. Er ist mir zu wichtig, um ihn jetzt hier hinzuschleudern.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Das war Frau Kollegin Friedel für die SPD-Fraktion. Jetzt erhält Frau Jähnigen für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Wie gesagt, unsere Zeitangabe funktioniert nicht so recht. Wir würden Sie handstoppen. Lassen Sie sich bitte nicht irritieren, dass die Zeit nicht mitläuft. – Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gerade, weil wir in einer gewaltfreien Gesellschaft leben wollen, und gerade, weil das staatliche Gewaltmonopol und die Polizeiarbeit so wichtig sind und wir großen Respekt vor dieser haben, hätte dieses sensible Thema einer fachlichen Debatte

bedurft, bei der über konkrete Maßnahmen, über konkrete Lagebilder und über den Alltag der sächsischen Polizei gesprochen wird; das habe ich vermisst.

Reden wir einmal über den Alltag in Sachsen. Sie als Regierung haben es leider abgelehnt, sich an der Studie aus Niedersachsen zu beteiligen – schade, da hätten wir mehr erfahren –, und die eigenen Forschungen unserer Polizeifachhochschule in Sachsen bestätigen dieses Bild. Hauptphänomen der Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten sind nicht die Großeinlagen, Herr Karabinski, Herr Hartmann, sind nicht die Demonstrationen, sondern das ist der Alltag: alkoholisierte Täter, die festgenommen werden müssen, sowie Konfliktschlichtung. Glauben Sie wirklich, dass sich alkoholisierte Täter vom Strafrahmen abschrecken lassen oder vorher überlegen, ob sie drei oder fünf Jahre Freiheitsstrafe erhalten könnten? Das geht leider an der Realität vorbei. Deshalb sind die Vorschläge, die Sie bisher unterbreitet haben, für die Polizei nicht sehr hilfreich.

Wir als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben 2010 mit einem Antrag Vorschläge unterbreitet, wie in Auswertung der Studie zur Gewalt gegen Polizeibedienstete durch unsere eigene Fachhochschule Maßnahmen ergriffen werden können, wie weiter Ursachenforschung betrieben werden kann – wir haben dazu eine Sachverständigenanhörung beantragt. Das Innenministerium hielt diesen Antrag damals für völlig unnötig. Sie haben ihn abgelehnt. Sie haben auch bis heute keine eigenen Forschungen unternommen.

Zur heutigen Aktuellen Debatte: Was bringt sie der Polizei?

(Andreas Storr, NPD: Gar nichts!)

War es das Ziel, den Minister zu loben, die bedauerliche Statistik vorzutragen und sich ansonsten in hilflosen Worten zu ergehen? Ich glaube, das braucht die Polizei nicht. Die Polizei braucht ausreichend sachliche und personelle Ausrüstung und Ausstattung, Schutzausrüstung, gute Ausbildung, gute Forschung – ich möchte noch einmal anmerken, dass die Forschungstätigkeit an der Polizeifachhochschule zurzeit sehr eingeschränkt worden ist, und Sie wussten auch, dass Sie mit den neuen gesetzlichen Regelungen dort die Säge anlegen, das ist in der Anhörung zum Fachhochschulgesetz gesagt worden –, gute Weiterbildung, genügend Zeit für die Aufarbeitung, Deeskalationstraining und nicht zuletzt, glaube ich, brauchen wir auch einen gesellschaftlichen Vertrauensbildungsprozess zwischen Polizei und Bürgern.

Wir haben Ihnen bezüglich einer unabhängigen Polizeikommission Vorschläge unterbreitet, wie man sich einerseits mit der Situation in der Polizei befassen kann – als Parlament da auch konkrete Informationen bekommt –, und andererseits das Vertrauen zwischen Bürgern – ob sie nun Fußballfans sind oder Bürger auf der Straße, im Alltag sind – und Polizisten stärken kann. Auch diese Vorschläge haben Sie bisher nicht angenommen. Neue

Vorschläge von Ihnen habe ich nicht gehört – außer Richterschelte. Das war wenig.

Die Polizei braucht die konkrete Forschung, die konkrete politische Debatte, aber nicht allgemeine Schlagabtausche. Ich erwarte, dass Sie diese Taktik ändern und nachdenken, wie Sie der Situation der Polizistinnen und Polizisten in Sachsen wirklich gerecht werden können, und hier nicht mit Plattitüden über Demonstrationen in Hamburg die Stimmung pushen. Denken Sie nach! Lassen Sie forschen! Unterbreiten Sie konkrete Vorschläge, um die Arbeitsbedingungen der Polizistinnen und Polizisten zu verbessern, und stärken Sie den Zusammenhalt zwischen Bürgerschaft und Polizei! Das ist das Mittel gegen Gewalt, die wir verachten – aber eben auch konkret bekämpfen sollten.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Das war Frau Jähnigen für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt noch fünf Minuten Redezeit. Wir haben die eine Minute eingepreist, unser System läuft jetzt wieder. – Als Nächstes erhält Herr Storr das Wort, der für die NPD-Fraktion spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für mich ist der bisherige mentale Verlauf dieser Debatte eigentlich schon bezeichnend für das Thema selbst. Ich persönlich habe bisher in diesem Parlament keine so müde Debatte erlebt wie die heutige. Das liegt vielleicht auch daran, dass dieses Thema nicht neu ist. Das, was heute bislang gesagt worden ist, ist eigentlich schon zu einem anderen Zeitpunkt, nämlich als wir die Aktuelle Debatte zum gleichen Thema am 21. Januar 2010 geführt haben, gesagt worden. Was wir bisher gehört haben, war eigentlich nichts anderes als ein neuer Aufguss der alten Dinge. Das zeigt auch: Das Problem ist nicht gelöst worden, obwohl die Staatsregierung bzw. der Staatsminister Ulbig in Person für die Staatsregierung damals groß angekündigt hat, man werde jetzt mit einer Gesetzesinitiative die Regelungslücken schließen und den Strafrahmen erhöhen, und damit sei ein deutliches Signal gegen Gewalt gegen und andere Vollstreckungsbeamte gesetzt, und damit hätte man sich jetzt um das Problem gekümmert.

Wir müssen heute feststellen, dass diese Gesetzesinitiative offenbar keinerlei Wirkung erzielt hat, dass damals nur eine Ankündigungsrhetorik stattgefunden hat und offenbar – zu dem Ergebnis kann man kommen – eine Gesetzesinitiative allein doch nicht ausreichend ist, um das Problem zu lösen oder zumindest zurückzudrängen.

Das liegt an ganz anderen Dingen, nicht nur daran, dass es an den richtigen gesetzlichen Regelungen fehlt, sondern daran, dass man mit diesem Thema doppelbödig – man kann es auch deutlicher sagen: heuchlerisch – umgeht. Es fängt schon damit an, dass man sich, wenn es um Gewalt gegen Polizeibeamte geht, offenbar scheut, die Gewalttäter auch einmal beim Namen zu nennen.

(Beifall bei der NPD)

Die Gewalttäter, mit denen wir es zu tun haben, sind nicht immer „böse Rechtsradikale“ – die tatsächliche bzw. angebliche Gewalt von rechts wird ja immer thematisiert. Wenn die Gewalt von links oder vielleicht von Ausländern verübt wird, dann verschweigt man oft die Täterherkunft, was natürlich den Blick auf eine Analyse ganz deutlich verstellt.

Natürlich muss man sich die Frage stellen, warum beispielsweise die Linksextremisten auf Demonstrationen gewalttätig sind, oder warum Ausländer beispielsweise in einer Asylunterkunft in Chemnitz gewalttätig sind.

Eine Diskussion, die man losgelöst von der Tätergruppe führt, kann im Grunde genommen keine vernünftige Analyse und damit auch keine vernünftigen Ergebnisse liefern. Genau daran krankt schon das ganze Thema. Wenn man sich einmal mit dem Thema beschäftigt, gibt es noch einen anderen Aspekt. Es gibt hier viele Ursachen. Wenn wir über Gewalt gegenüber Polizeibeamten sprechen, ist eines der Kernprobleme, dass heute der Polizist auch einem Verlust an Autorität ausgesetzt ist, dass das öffentliche Ansehen unserer Polizei nicht mehr das ist, was es vielleicht einmal vor einigen Jahrzehnten war. Auch das Selbstwertgefühl der Polizei leidet selbstverständlich unter dieser ganzen Diskussion, weil Polizeibeamte im Vollzug ihres Dienstes einem Selbstrechtfertigungsdruck mit politischen Anwürfen ausgesetzt werden, denen sie nicht ohne Weiteres ausweichen können, weil sie auch zu einer gewissen Loyalität ihrem Dienstherren gegenüber verpflichtet sind.

Eine Kuscheljustiz stellt letztendlich das Ergebnis der Ermittlungsarbeit der Polizei auch noch infrage, indem schwere Straftaten mit Bewährungsstrafen oder sogar mit Therapieangeboten des Staates beantwortet werden und sicherlich dann auch keine abschreckende Wirkung für Straftäter haben.

(Beifall bei der NPD)

Liebe Freunde und auch liebe Feinde, das alles bedarf nicht eines intensiven Studiums. Das sind im Grunde Dinge, die sich jedem gesunden Menschenverstand erschließen, die jeder interessierte Bürger nachvollziehen und bestätigen kann. Dass aber die Politik sich dieses gesunden Menschenverstandes nicht bedienen kann, das hier einfach nicht auszusprechen wagt und im Grunde genommen nur um den heißen Brei herumredet – –

Herr Hahn, man kann sicherlich über viele Missstände reden, auch was die Polizeistärke in Sachsen und was die Bezahlung angeht. Das ist aber heute nicht das Thema. Das Thema ist Gewalt gegen Polizeibeamte und nicht die vielleicht nicht ausreichende Bezahlung, worüber man auch an anderer Stelle reden könnte.

(Beifall bei der NPD)

Das zeigt mir, dass Sie von den etablierten Parteien sich allesamt verweigern, zum Kern des Problems vorzudrin

gen. Ich sage es einmal so: Was uns fehlt, ist ein gewisser Realitätssinn –

Die Redezeit ist abgelaufen, Herr Storr.

– und dass wir den Menschen so erkennen, wie er ist. Dann werden wir auch die richtigen Antworten zu dem Problem finden. Ich werde mich in einer zweiten Runde noch einmal zu dem Thema äußern.