Protocol of the Session on January 20, 2010

Dann sind Sie aber auf die Statistik eingegangen. Da sagen Sie einerseits, dass daran herummanipuliert wird, aber andererseits, dass früher auch daran herummanipuliert wurde. Wenn früher daran herummanipuliert wurde und jetzt wieder, dann muss man sich doch fragen: Wieso ist die Quote gesunken?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Immer weiter heruntergerechnet!)

Das kann ich ehrlich gesagt nicht ganz verstehen.

Sie gehen auch auf Abwanderer ein. Herr Pellmann, wer wandert denn ab? Sind es die Arbeitslosen, die abwandern und aus der Statistik fallen?

(Dr. Dietmar Pellmann: Auch!)

Oder ist es nicht so, dass die, die sich bemühen und einen Ausbildungsplatz im Westen antreten, aus der Statistik fallen, weil sie in einem anderen Bundesland sind? Das ist doch die übergroße Zahl. Das ist das Problem. Wir sehen das auch, wenn wir in der Jugendarbeit darüber reden, dass diejenigen, die Probleme haben, im Regelfall nicht in ein anderes Bundesland ziehen.

Nun zum Thema Armut. Herr Pellmann, man muss dann immer fragen: Wie wird denn der Armutsbegriff definiert? Wenn ich das prozentual mache und sage, dass jemand, der 60 % unter dem Durchschnitt liegt, arm ist, dann führt das zu Problemen. Deshalb muss man über diese Definition nachdenken.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das sind internationale Kriterien!)

Wenn Sie zum Beispiel am Tegernsee wohnen, sind Sie wahrscheinlich mit 2 000 Euro Einkommen rein statistisch arm.

(Dr. Edith Franke, Linksfraktion: Wir reden von der EU!)

Würde man jetzt zum Beispiel Ihren Vorschlag aufgreifen und die Hartz-IV-Sätze erhöhen, dann würde das nicht dazu führen, dass die Zahl der Armen statistisch gesehen sinkt, sondern diese Zahl deutlich steigt. Deswegen muss man diesen Begriff der Armut hinterfragen.

Ich glaube, der Ansatz bei Hartz IV ist richtig. Man schaut sich dabei 60 000 Haushalte an, sieht, was jemand be

kommt, der den ganzen Tag lang arbeitet und zu den unteren 10 % gehört. Man stellt fest, welche Ausgaben er für Essen und Kleidung hat. Dann sagt man: Das, was die unteren 10 % bekommen, die jeden Tag arbeiten gehen, soll jemand bei uns im Land bekommen, der arbeitslos ist.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Das Herangehen bei Hartz IV finde ich in diesem Punkt richtig.

Jetzt möchte ich zu den Themen kommen, bei denen wir Verbesserungsbedarf sehen, und drei Punkte herausgreifen.

Kollegin Schütz hat schon die Erhöhung des Schonvermögens angesprochen. Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob jemand 30 Jahre gearbeitet und in die Kassen eingezahlt hat oder nur drei Jahre. Jemand, der lange Zeit eingezahlt hat, der sein Leben lang Geld zurückgelegt hat und nicht drei Mal im Jahr in den Urlaub gefahren ist, der muss doch anders behandelt werden als jemand, der noch nie gearbeitet hat.

Darf eine erneute Zwischenfrage gestellt werden?

Ich würde den einen Satz zu Ende bringen und dann gern die Zwischenfrage zulassen.

Deswegen fand ich es richtig, dass die Koalition auf Bundesebene gesagt hat: Wir wollen das ändern. Wir wollen das Schonvermögen von 250 Euro pro Lebensjahr auf 750 Euro pro Lebensjahr erhöhen. Das hat mit der neuen Koalition funktioniert, während die SPD sich lange Zeit gegen diese Änderung gesperrt hat. Es freut mich, dass es auch bei der SPD mittlerweile ein Umdenken dazu gibt.

Bitte schön.

Herr Krauß, würden Sie mir zustimmen, dass die Anhebung des Schonvermögens, die – das nur am Rande – nur für die Altersvorsorge gilt, laut Berechnungen von Ökonomen, insbesondere auch von Gewerkschaftern, nur 0,2 % der heute auf Arbeitslosengeld II Angewiesenen und damit etwa 11 000 Menschen in Deutschland betrifft? Würden Sie mir dann zustimmen, dass das mehr Wahlpropaganda denn wirkliche Hilfe ist?

Darin würde ich Ihnen, Herr Kollege Pellmann, leider nicht zustimmen. Wenn ich aus einem Gesetz ablesen kann, dass ich keinen Anspruch habe, weil mein Vermögen zu hoch ist, käme ich nicht auf die Idee, einen Antrag zu stellen. Wir reden über diese 0,2 %, bei denen die Anträge abgelehnt worden sind. Ich käme nie auf die Idee, einen Hartz-IV-Antrag zu stellen, weil ich weiß, dass der abgelehnt wird. Wenn die gesetzliche Situation anders ist, werden Leute, die das betrifft, einen Antrag stellen. Deswegen geht Ihre Frage in die falsche Richtung.

Lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Herrmann zu?

Bitte schön.

Herr Kollege Krauß, ich habe eine Frage zur selben Problematik. Ich will sie aber ein wenig anders formulieren.

Geben Sie mir recht, dass in der heutigen Situation der Langzeitarbeitslosigkeit die Möglichkeit, das Schonvermögen zu erhöhen, das Problem der Altersarmut nicht löst? Das ist allein aus dem Grund so, dass ein Langzeitarbeitsloser die Summe, die geschont würde, gar nicht besitzt und im Alter trotzdem arm sein wird.

Ich gebe Ihnen recht, dass das zwei unterschiedliche Probleme sind. Die Frage ist, wie man es erreicht, dass jemand, der ein geringes Einkommen hat, später eine Alterssicherung hat, von der er leben kann. Das ist ein anderes Problem. Wir reden jetzt aber gerade über diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet, die 30 oder 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt und ihr Geld gespart haben, und die dann, wenn sie Arbeitslosengeld-II-Bezieher bzw. langzeitarbeitslos sind, mit jemandem gleichgestellt werden, der nie in seinem Leben gearbeitet hat. Dafür muss man eine Lösung finden. Da – glaube ich – ist der Ansatz, den die Bundesregierung gefunden hat, richtig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch auf zwei andere Punkte eingehen, über die wir auch schon diskutiert haben.

Das betrifft zum einen die eigenen Eckregelsätze für Kinder – eine Forderung, die wir auch haben. Wie man bei den Erwachsenen schaut, was ein Erwachsener für Lebensmittel und seine Kleidung ausgibt, sollte man auch bei Kindern betrachten, was diese für Kleidung, Lebensmittel und Schulbedarf brauchen, und danach den Eckregelsatz für Kinder berechnen.

(Zuruf von der NPD: Das wird aber nicht gemacht!)

Man kann das nicht prozentual machen und sagen, dass ein Kind 70 % eines Erwachsenen entspricht. Hier sollte eine individuelle Berechnung stattfinden. Darüber sind wir uns in diesem Haus einig.

Herr Kollege Krauß, würden Sie noch eine Frage zulassen?

Ja. Bitte schön.

Es sind zwei kurze Fragen.

Die erste ist: Sind Sie nach Einführung von Hartz IV in der letzten Zeit schon einmal in einer Beratungsstelle für Jugendliche gewesen, auch für jugendliche Obdachlose, die es zum Beispiel auch in Dresden gibt?

Die zweite Frage lautet: Wann haben Sie eine Beratungsstelle aufgesucht, in der Hartz-IV-Empfänger sitzen, die mit den Bescheiden, die sie haben, die mit den Lebensmöglichkeiten, die ihnen bleiben, die mit der hohen Verschuldung, der sie unterliegen, nicht mehr klarkommen?

Wann haben Sie solche Beratungsstellen besucht? – Danke.

Vielen Dank für die Frage, Frau Kollegin Franke.

Hartz-IV-Empfänger können bei mir im Büro immer Beratungen in Anspruch nehmen. Ich habe einen Mitarbeiter, der sich damit beschäftigt. Ich muss noch nicht einmal außer Haus gehen.

(Demonstrativer Beifall bei der NPD)

Ich weiß deswegen auch um die Probleme und wie schwierig es manchem fällt, einen Antrag auszufüllen, oder welche Probleme es mit der Wohnung gibt. Das ist keine Frage. Es wird aber nicht nur lamentiert, dass alles schlecht wäre. Das will ich an dieser Stelle auch mal sagen.

(Jürgen Gansel, NPD: Zu Ihnen kommen nur glückliche Hartz-IV-Empfänger ins Büro, oder?)

Kommen wir zum dritten Punkt, den Kosten der Unterkunft. Auch dort – das steht im Koalitionsvertrag – soll es eine Veränderung geben. Das ist ein Thema, das die Kommunen an uns herantragen. Sie sagen uns, dass wir darüber nachdenken sollten, ob sich diese Leistungen für die Kosten der Unterkunft, also Miete, Energie- und Nebenkosten, pauschalieren lassen, weil es in diesem Bereich sehr viele Klagen gibt. Darüber sollten wir wirklich nachdenken, um dort zu einer Lösung zu kommen.

Auch das Thema Hinzuverdienst wurde angesprochen. Wie viel darf man hinzuverdienen? Auf der anderen Seite gibt es die Frage des Lohnabstandes. Wir wissen ja – dazu gibt es die Untersuchungen vom IAB in Nürnberg oder von anderen –, wenn man Arbeitslosengeld-II-Empfänger und alleinlebend ist, entspricht das einem Stundenlohn von 4,90 Euro. Wenn man verheiratet und die Ehefrau ebenfalls arbeitslos ist und man zwei Kinder hat, lohnt sich eine Arbeitsaufnahme erst, wenn man einen Stundenlohn über 9,30 Euro erzielt. Das führt natürlich zu einem gewissen Dilemma, weil sich für einige die Arbeitsaufnahme nicht lohnt. Auch hier müssen wir nach Lösungsmöglichkeiten suchen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Mindestlohn!)

Ein Thema wären hier Lohnzuschüsse. Darüber sollten wir nachdenken.

Wir werden uns dieser Debatte stellen. Wir hoffen auch, dass Sie sich konstruktiv an der Diskussion beteiligen werden.

(Elke Herrmann, GRÜNE, tritt ans Saalmikrofon.)

Jetzt überlege ich noch, ob ich eine Zwischenfrage der Kollegin gestatte.

Nein, die kann ich nicht mehr zulassen. Aber, Kollege Krauß, Sie haben noch so viel Redezeit, dass Sie dann noch einmal ans Mikro treten können.