Ich möchte gern auf Studien eingehen, die auch neueren Datums sind und die unsere Forderungen belegen. Zunächst möchte ich aus der Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes der Hans-BöcklerStiftung zitieren, die sich mit der Armutssituation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland und den Bundesländern beschäftigt hat.
Das Ergebnis ist erschreckend: In Deutschland hat sich die Armutsquote von Minderjährigen auf hohem Niveau stabilisiert. Nach einem leichten Rückgang seit 2005 ist sie von 2010 zu 2011 wieder angestiegen und liegt derzeit bei 18,9 %. 2005 waren es 19,5 %. Das bedeutet, dass Armut unter Kindern und Jugendlichen größer ist als
unter der Gesamtbevölkerung; deren Armutsquote liegt 3,8 % darunter. Nicht verschweigen sollte man hier auch, dass die Armutsgefährdung von Minderjährigen mit Migrationshintergrund besonders hoch ist.
Was uns aber alle besonders betroffen machen sollte, ist die Untersuchung nach Bundesländern. Ich finde es unerträglich, wo das Musterland Sachsen sich in dieser Frage eingeordnet hat. Im bundesweiten Durchschnitt liegt Sachsen auf Platz 5. Vor uns finden sich nur noch Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Berlin. Sachsens Armutsquote liegt bei 26,4 %. Das heißt, über ein Viertel aller Kinder in Sachsen ist arm. Besonders hoch ist diese Quote unter den 15- bis 18-Jährigen; hier liegt die Armutsquote bei 31,4 %.
Wir wissen, was Armut bedeutet: Sie äußert sich in einem Mangel an Bildung, Gesundheit, Mobilität, Freizeitgestaltungsmöglichkeiten und Kultur bis hin zu einem Mangel an gesunder Ernährung. Real bedeutet das für jedes einzelne betroffene Kind einen Ausschluss von sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe für den Moment, und es führt zur Verfestigung dieser Lebenssituation.
Mich beschäftigt das sehr. Ich muss deswegen die letzte Landtagsdebatte dazu aufgreifen. Wir wissen – –
Wir wissen, dass Armut Auswirkungen auf die Bildungschancen junger Menschen hat sowie auf die Perspektiven, die junge Menschen für sich sehen. Mich hat deswegen die Debatte um die Jugendstudie sehr beschäftigt. Ich habe Ihnen von der Koalition damals vorgeworfen, dass Sie sich nur auf die Spitze fokussieren; Sie meinten, auf die Mehrheit. Ich fragte, was mit den 15 % Jugendlichen ist, die sich im sogenannten „Abstiegsstrudel“ befinden. Darauf antwortete ein Kollege der CDU, dass das „der Rand“ sei. Ich finde das verachtend. Hat denn nicht jeder Mensch das Recht, an Gesellschaft teilzuhaben? Wir können doch nicht in „Mehrheit“ und „Rand“ einteilen. Ziel muss es doch sein, dass jeder an Gesellschaft teilhaben und einen eigenen Platz für sich finden kann, dass er sich wertgeschätzt und willkommen fühlt. Den Wert einer Gesellschaft macht doch aus, ob und wie sie es schafft, den Schwächeren, den Benachteiligten Teilhabe zu ermöglichen.
Um also Armut und den damit verbundenen Entwicklungen zu begegnen, braucht es eine Vielzahl politischer Aktivitäten. Kindliches Wohlergehen braucht Geld, Infrastruktur und Zeit mit Eltern. Wir greifen heute den Aspekt „verfügbares Einkommen“ auf, wohl wissend, dass viel mehr vonnöten ist; an anderer Stelle haben wir dazu schon Anträge gestellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie auf den neuen Forschungsbericht „Zukunft mit Kindern“ hinweisen. Dieser ist unter anderem von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Berlin
„Wir empfehlen, die Transferleistungen für Kinder in Richtung einer universellen Kindergrundsicherung weiterzuentwickeln. Eine Kindergrundsicherung bündelt sämtliche kindbezogenen Transferleistungen in einer einzigen existenzsichernden und zu besteuernden Leistung für alle Kinder. […] Ziel ist die unmittelbare Sicherung des materiellen Wohlbefindens von allen Kindern, eine erwünschte Folge ist die Gleichstellung unterschiedlicher familialer Lebensformen. Gleichzeitig hat die Kindergrundsicherung den Vorteil, eine Stigmatisierung von Familien durch Bedürftigkeitsprüfungen zu vermeiden, da grundsätzlich alle Familien von der Leistung profitieren und eine entsprechende Umverteilung über die Besteuerung erfolgt.“
Das sieht DIE LINKE genauso. Die derzeitigen sozialstaatlichen Antworten sind alles andere als ausreichend. Insbesondere Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kinderzuschlag sind – in ihrer gegenwärtigen Form – zur Verhinderung von Kinderarmut unzureichend, sie sind dringend reformbedürftig. Das gegenwärtige Leistungssystem wird dem Anspruch, das Existenzminimum von Kindern eigenständig und unabhängig vom sozialen Status der Familie abzusichern, einfach nicht gerecht. Es ignoriert darüber hinaus, dass Kinder eine eigenständige Bevölkerungsgruppe sind mit einem eigenständigen Anspruch auf einen Teil der gesellschaftlichen Ressourcen.
In der Antwort der Staatsregierung wird festgestellt, dass sich derzeit kein tragfähiges Konzept abzeichne, das gesellschaftlich umsetzbar und finanzierbar sei. Zudem wird nach der Höhe gefragt. Ich kann dazu nur sagen: Schade, dass Sie die Initiativen der letzten Jahre – beispielsweise des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, des Zukunftsforums Familie oder des „Bündnisses Kindergrundsicherung“ – nicht zur Kenntnis genommen haben. Aber auch die vorhin von mir benannte Studie setzt sich mit Ausgestaltung und Finanzierung auseinander und verweist beispielsweise auf die Einsparmöglichkeiten durch das Entfallen von Kinderfreibeträgen im Einkommensteuerrecht sowie anderer kindbedingter Elemente. Einsparungen wären auch bei den Verwaltungskosten möglich. Ferner wird festgestellt, dass man den Nutzen im Sinne von nicht anfallenden gesellschaftlichen Folgekosten in solch einer Rechnung berücksichtigen muss. Bei Berücksichtigung aller Komponenten ist der Vorschlag also keine Utopie.
Uns ist klar, dass die Einführung kein Schnellschuss sein kann. Aber es muss endlich begonnen werden. Zudem braucht es Übergangsregelungen, um die derzeitige Armut von Kindern und Jugendlichen endlich zu lindern. Damit setzt sich Punkt 2 unseres Antrags auseinander. Das Bildungs- und Teilhabepaket war insofern bemerkenswert, als erstmals auch vonseiten der CDU öffentlich über die schlechteren Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten sozial benachteiligter Kinder gesprochen wurde. Frau von der Leyen wollte den Teufelskreis vererbter Armut durch
brechen und hat sehr richtig erkannt – besser gesagt: die Forderung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen –, dass auch Bildung und Freiheit zur gesellschaftlichen Teilhabe gehören. Leider hat sie die falschen Konsequenzen gezogen. Sie ist somit aus unserer Sicht gescheitert.
Das Bildungs- und Teilhabepaket hat eben nicht die Infrastruktur verändert. Es schafft weitere Bürokratie, kommt nicht bei allen an, kann wegen fehlender Angebote oder fehlender Mobilität zum Teil nicht wirken und wird zum Teil auch zweckentfremdet. Ich will das am Beispiel der Schulsozialarbeit aufzeigen: Im Vermittlungsausschuss ist vereinbart worden, dass die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft erhöht wird, damit diese Mittel für Schulsozialarbeit eingesetzt werden. Das ist nur zum Teil bis gar nicht geschehen. Stattdessen wurden diese Mittel für die Sanierung kommunaler Haushalte genutzt. Ich kann zwar die Not der Kommunen verstehen. Aber es bleibt dabei: Die Mittel wurden zweckentfremdet.
Ich will als weiteres Beispiel die Lernförderung herausgreifen. Hierzu gab es in den Kommunen die meisten Ablehnungen von Anträgen. Das heißt aber auch, dass ein entsprechend hoher Bedarf besteht, den die Schule augenscheinlich nicht kompensieren kann. Heute ist es gang und gäbe, dass Eltern, die es sich leisten können, privat und gegen Geld Nachhilfe für ihre Kinder organisieren. Das hat Frau von der Leyen ebenso richtig erkannt wie die Tatsache, dass auch arme Kinder diesen Bedarf haben. Aber sie gesteht entsprechende Hilfe nur in eine Richtung zu, nämlich um Versetzungsgefährdung zu vermeiden. Ich frage: Wie verachtend ist das denn? Haben arme Kinder keinen Anspruch auf höhere Schulabschlüsse? Sind sie nur dann interessant, wenn Sie durch Versetzungsgefährdung gesellschaftliche Mehrkosten verursachen?
Insofern muss man sagen, dass auch für die Eltern dieses Paket eine Zumutung ist; denn ihnen wird per se unterstellt, sie wollten das Geld nicht für ihre Kinder verwenden. Deswegen gibt es die Ausreichung als Sachleistung. Aber auch zu dieser Frage sind aus dem Bundesfamilienministerium neue Töne zu hören. Im „Familienreport“ wird nämlich festgestellt:
„Auch unter schwierigen materiellen Voraussetzungen bemühten sich Eltern, gute Bedingungen für die Entfaltung ihrer Kinder zu schaffen. Insbesondere Mütter verzichteten dafür oft auf die Realisierung eigener Wünsche.“
Dass das Gesetz auch handwerklich schlecht gemacht ist, erkennt man daran, dass selbst der Landkreistag Neuregelungen, zum Beispiel zur Reduzierung von Verwaltungsaufwand, fordert. Auch der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge sagt, dass eine Vielzahl verfahrensorientierter und organisatorischer Fragen gewachsen ist. Er hat weitere Empfehlungen gegeben. Besonders hervorheben möchte ich, dass beispielsweise die Beantragung im Rahmen eines Globalantrags angeregt wird.
Unsere Forderung ist, das Bildungs- und Teilhabepaket langfristig abzuwickeln. Stattdessen braucht es die Einführung einer Kindergrundsicherung zur Verbesserung des Wohlergehens von Kindern.
Kurzfristig notwendig wäre eine Reform des Bildungs- und Teilhabepakets, das natürlich realitätsnah und finanziell bedarfsdeckend ausgestaltet werden muss. Das gibt uns die Zeit, um an der Kindergrundsicherung zu arbeiten. Wir brauchen eine bedarfsgerechte Anpassung der Regelsätze sowie tatsächlich einklagbare Teilhabe- und Förderleistungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es muss endlich Schluss damit sein, dass die ökonomische Leistungsfähigkeit der Eltern die Teilhabemöglichkeiten der Kinder bestimmt. Kinder sind Träger eines eigenen Rechtsanspruchs. Sie haben eigene, individuelle Rechte. Sie bilden eine eigenständige Bevölkerungsgruppe mit eigenem Anspruch auf gesellschaftliche Ressourcen und brauchen somit eine eigenständige ökonomische Sicherung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst festhalten – das ist dem geneigten Zeitungsleser bekannt –, dass die Zahl der Kinder, die in Haushalten mit ALG-II-Bezug leben, abgenommen hat. Die immer wieder vorgetragene Behauptung, die Kinderarmut steige, ist falsch. Auch wenn das nicht in das Weltbild der Linken passt, muss es doch klargestellt werden.
Ich will auch deutlich sagen: Nicht jeder, der Arbeitslosengeld II bezieht bzw. dessen Eltern Arbeitslosengeld II beziehen, ist arm. Die Grundsicherungselemente sich doch genau deshalb geschaffen worden, damit niemand vollkommen abrutscht. Das ist Sinn und Zweck unseres staatlichen Systems: Niemand soll im Keller landen und mit nichts auskommen müssen.
Lassen Sie mich zu den wesentlichen Punkten kommen! Ich beginne mit der „Kindergrundsicherung“. Das hört sich zunächst ganz nett an. Ich finde, dass die Eltern eine Verantwortung haben. Wir haben in unserem Sozialstaat ein Grundprinzip: das Subsidiaritätsprinzip. Man sagt, es sorgt erst einmal jeder für sich und mit seiner Familie dafür, dass er zurechtkommt. Nach dem Motto, dass ein Baby schon ein Konto haben muss und ja nichts mit seinen Eltern zu tun hat, ist doch vollkommener Unsinn.
Natürlich haben die Eltern Verantwortung, sich um ihr Kind zu kümmern. Das ist die Grundverantwortung. Wenn die Eltern dazu nicht in der Lage sind, dann muss der Staat helfen. Aber der Grundsatz muss erst einmal sein: Jeder kümmert sich um sich. Jeder sieht zu, dass
seine Familie funktioniert. Das ist der Hauptansatzpunkt. Ansonsten würde unsere Gesellschaft kaputtgehen, wenn wir als Erstes nur auf den Staat setzen.
Ich weiß nicht, ob Sie Diskussionen mit Familien verfolgen, wo die Mutter Krankenschwester oder der Vater in der Fabrik arbeitet. Denen wird meistens nicht die Kindergartengebühr, die das meiste ausmacht im Familienbudget, vom Staat bezahlt. Das müssen die im Regelfall selber bezahlen, während die anderen befreit sind. Die fragen sich dann schon: Wie weit soll das eigentlich gehen? Wir müssen ein ausgewogenes Verhältnis schaffen, dass die Krankenschwester nicht sagt, warum gehe ich eigentlich arbeiten. Andererseits muss es natürlich so sein, dass bei demjenigen, der nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, der Staat einspringt und dafür sorgt, dass sich Kinder gut entwickeln können.
Ich glaube, mit den Hartz-IV-Sätzen sind wir genau an dem Punkt, dass das ordentlich funktioniert. Sie wissen, wie die Hartz-IV-Sätze zustande kommen. Wenn man sich die Menschen anschaut, die jeden Morgen um 6 Uhr aufstehen und auf Arbeit gehen, die unteren 20 % der Einkommensbezieher, und sagt, dass das, was diejenigen bekommen, jemand bekommen soll, der nicht arbeitet. Das halte ich für sehr gerecht. Also auf jeden Fall ist es nicht so, dass sie deutlich weniger bekommen.
Nochmal: Es gibt einen ganz großen Teil, die arbeiten den ganzen Tag über und bekommen das Gleiche wie jemand, der Arbeitslosengeld-II-Empfänger ist. Das ist die Realität. Zu behaupten, dass die sozusagen zu wenig Geld bekämen, erschließt sich für mich nicht. Dass man davon nicht auf großem Fuß leben kann, ist klar, aber man kann damit auskömmlich leben.
Kommen wir zum Bildungs- und Teilhabepaket. Ich höre, dass es abgeschafft werden soll. Ich kann mich noch an Debatten erinnern, in denen gesagt wurde, dass man es unbedingt einführen muss. CDU und FDP haben es zusammen auf Bundesebene eingeführt, weil es uns ein wichtiges Thema war. Sie wissen, dass 2,5 Millionen Kinder in diesem Land von Leistungen, wie einem Zuschuss zum Mittagessen, der Bezahlung von Nachhilfe, Klassenfahrten, der Schülerbeförderung und Beiträgen zum Sportverein, profitieren. Entschuldigung, nennen Sie mir ein Land auf dieser Welt, in dem es das noch gibt.
Man kann über das Sachleistungsprinzip streiten. Sie wissen ja, dass es die von mir aufgezählten Leistungen entweder als Gutschein gibt oder der Sportverein mit dem Jobcenter den Beitrag abrechnet. Man kann darüber streiten, ob das richtig ist. Ich kann mich aber auch an Debatten erinnern, in denen es um die Kinderbetreuung ging, wie da DIE LINKE argumentierte. Sie sagten, man kann den Eltern auf keinen Fall das Geld geben, das man für Kinderbetreuung ausgibt, denn sie würden es ja versaufen, wenn man die Kinder zu Hause lässt.
Das ist Ihre Argumentation. 150 Euro darf man den Eltern nicht in die Hand drücken, weil sie das Geld versaufen würden. Sie würden es jedenfalls nicht für ihre Kinder einsetzen. Heute kommen Sie mit einem Antrag, der beinhaltet, das Geld muss man der Familie geben, weil die am besten damit umgehen kann. Ich halte das für eine leichte Doppelmoral.
Heute war ein interessanter Artikel vom Landtagspräsidenten von Baden-Württemberg, Guido Wolf, zu lesen. Sie können die Farben gerne austauschen. Er hat folgendes gereimt: „Sagt ein Schwarzer mal zu dir, zwei und nochmal zwei gibt vier, musst als Roter du verneinen, dir zuliebe und den deinen.“ Ich habe den Eindruck, es wird so lange hin- und hergedreht bei Ihnen und man darf auf keinen Fall der CDU recht geben, wenn die mal etwas sagt oder beschließt. Es muss auf jeden Fall immer genau das Gegenteil sein.
Wäre heute eine Geldzahlung beschlossen worden, hätten Sie gefordert, dass das unbedingt auf ein Gutscheinsystem oder Direktzahlung umgestellt werden muss.
Herr Krauß, ich komme auf Ihr Grundprinzip zurück, dass Sie hier immer ehrlich Ihre Meinung sagen. Deswegen möchte ich Sie fragen: Können Sie mir eine Protokollstelle aus den letzten zehn Jahren im Sächsischen Landtag nennen, aus der hervorginge, dass DIE LINKE, vorher PDS, irgendwann geäußert hätte, den Eltern kein Geld geben zu wollen, weil sie es bloß versaufen? Ich finde, diese Unterstellung ist ehrenrührig. Heute werden Sie es nicht können, aber ich warte darauf, dass Sie mir solche Stellen benennen. Ansonsten muss ich Sie als Lügner bezeichnen.