Protocol of the Session on April 3, 2012

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Eben!)

Was ist mit Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen?

Bei mir war in der letzten Bürgersprechstunde ein 62-jähriger Maurer. Dabei ging es um Gesundheitspolitik. Er hat gesagt, dass er gern arbeiten würde, damit er mit seiner Krankenversicherung keine Probleme hat, sondern ganz normal Beiträge abführen kann. Das ist für einen 62-Jährigen schwierig. Er war noch nicht einmal krank, sondern in einer guten körperlichen Verfassung. Er findet natürlich keine Arbeit, denn mit 62 Jahren als Maurer eine Arbeit zu finden ist enorm schwierig. Das müssen wir anerkennen; da müssen wir uns nichts vormachen. Es wird sehr schwierig sein, solche Menschen, sosehr man es auch wünscht, wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Sich hier über Hilfsprogramme Gedanken zu machen ist richtig.

Wenn wir uns andere Problemfälle im Land anschauen, dann wird das noch deutlicher. Das betrifft zum Beispiel alkoholkranke Menschen. Nehmen wir zum Beispiel den Beruf des Schweißers, den der Minister angesprochen hat. Ich kann natürlich einem Alkoholkranken kein Schweißgerät in die Hand drücken, wenn ich nicht vorher dafür sorge, dass er mit seiner Alkoholkrankheit zurechtkommt. Das setzt eine große Leistungsbereitschaft des Mitarbeiters voraus, der sein Leben ändern und in den Griff bekommen muss. Es setzt aber auch sehr viel Verständnis des Arbeitgebers voraus, das sicher nicht vom ersten Tag an vorliegt. Deshalb ist es wichtig, diese Menschen an die Arbeit heranzuführen. Das bekommt man nicht in vier Wochen hin. Dafür braucht man Zeit. Dafür brauchen wir Arbeitsmarktprogramme.

Ich denke auch an manche schwer vermittelbare Jugendliche, bei denen der Weg auch sehr lang ist. Wenn sie keinen Schulabschluss haben, ist es schwierig, sie in Arbeit zu bringen. Das werden wir nicht von heute auf morgen schaffen. Hier müssen wir wirklich Hilfsangebote machen. Wir haben aber auch Möglichkeiten, gerade über den Europäischen Sozialfonds, dort Mittel zu akquirieren. Unsere Aufgabe ist, hier etwas zu tun.

Weil alle über Schlecker gesprochen haben, will ich auch noch einen Satz dazu sagen. Ich will weniger über den Sinn oder Unsinn einer Transfergesellschaft sprechen, sondern den Blick nach vorn richten. Es ist wichtig, dass die Verkäuferinnen, die davon betroffen sind, Unterstützung bekommen. Natürlich betrifft das in erster Linie die Bundesagentur für Arbeit, das ist klar. Ich nehme mir aber

auch das zu Herzen, was der Herr Staatsminister bei MDR Info gesagt hat. Sie haben gesagt, Sie rechnen damit, dass 80 % der Frauen innerhalb eines halben Jahres in den Arbeitsmarkt integriert sind. Das ist eine gute Zielmarke, die ich unterstütze. Das setzt aber voraus, dass wir die Bundesagentur für Arbeit nicht alleinlassen, sondern diese unterstützen.

Wir müssen sehen, wie wir mit Landes- oder ESF-Mitteln die Frauen unterstützen können, damit diese wirklich in Arbeit kommen. Wir reden über 472 Frauen, die es betrifft. Wenn wir wissen, dass wir nur 60 offene Stellen im Drogeriebereich haben, dann ist klar, dass diese Frauen auch umgeschult werden müssen. Ich denke, dass wir Arbeit haben. Das ist aber nicht nur im Verkaufsbereich der Fall. Ich denke gerade an die Altenhilfe, bei der wir einen sehr großen Bedarf haben. Wenn es uns gelingt, diesen Menschen eine Jobperspektive gerade auch in ihren Heimatregionen zu geben, dann wäre allen sehr geholfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ende kommen. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass wir eine sehr gute Arbeitsmarktlage haben. Darüber können wir froh sein, darauf können wir stolz sein. Wir von den regierungstragenden Fraktionen sind es auch.

Sie dürfen sich vielleicht einmal ein bisschen mitfreuen, nicht so düster dreinschauen, sondern wirklich auch mit Blick auf die betreffenden Menschen, die in den letzten Jahren wieder in Arbeit gekommen sind. Bei uns im Freistaat Sachsen – aber auch in den anderen Bundesländern, keine Frage – gibt es noch Aufgaben zu erledigen, und ich bin mir sicher, wir werden sie anpacken. Wir werden uns die Arbeit machen.

Glück auf!

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Eine Kurzintervention.

Ich möchte vom Mittel der Kurzintervention Gebrauch machen, weil ich den sächsischen „Schlecker-Weg“ als eine absolute Sackgasse empfinde. Hier wird der Öffentlichkeit schon wieder Sand in die Augen gestreut. Es wird erzählt, dass den 25 000 betroffenen Frauen auf dem Arbeitsmarkt 26 000 offene Stellen gegenüberstehen. 26 003 Stellen sind frei. Das stimmt. Nur, wenn man wirklich einmal in die Statistik schaut, dann stellt man fest, dass wir allein 303 000 Verkäuferinnen und Verkäufer haben, die arbeitslos gemeldet sind. Wenn Sie das gegenrechnen, haben wir 275 000, die nicht vermittelt werden. Denen wollen Sie jetzt noch 25 000 arbeitslose Schlecker-Frauen hinzufügen? Diese Logik müssen Sie mir einmal erklären.

Ich verstehe auch nicht, warum Frau Cordt und der Handelsverband in Sachsen so untertänigst diesen Schwarzen Peter übernehmen wollen.

(Zuruf des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Genau. Weil Sie eigentlich Ahnung hat, was es bedeutet, diesen Leuten Arbeitsperspektiven zu geben. Sie kennt die Zahlen. Sie weiß doch, wie die Arbeitsmarktsituation ist.

Selbst wenn die Hälfte der Frauen wieder in Beschäftigung kommt, kostet uns die gesamte Betreuungsmaßnahe 100 Millionen Euro. Dafür, dass Sachsen 3,6 Millionen Euro Bürgschaften nicht zahlen will, bezahlen wir aber 100 % der 100 Millionen Euro. Diese Logik muss man mir einmal erklären. Das ist die Logik dieser Sächsischen Staatsregierung.

Herr Krauß, möchten Sie reagieren? – Bitte schön.

Kollege Dulig ist zwar nicht auf meinen Redebeitrag eingegangen, aber ich möchte gern auf seinen eingehen. Ich habe darauf verwiesen, dass wir jetzt – wenn wir einmal die sächsischen Zahlen, nicht die bundesweiten Zahlen, sehen – 472 arbeitslose Schlecker-Frauen haben. Wir haben in der Tat das Problem, dass der Arbeitsmarkt nicht von heute auf morgen aufnahmefähig ist, weil wir 60 freie Stellen im Drogeriebereich haben. Dazu kommen sicherlich noch andere Verkäufer-Stellen. Wir haben auch noch 152 Arbeitslose, die in diesem Bereich tätig sind. Das ist keine leichte Aufgabe.

Mir ging es darum, das auch deutlich zu machen. Dass es nicht einfach ist, das hinzubekommen, zu sagen, die Bundesagentur ist jetzt gefordert zu schauen, wie man die Menschen in Arbeit bringen kann, und dabei das SMWA mit zur Unterstützung zu haben, mit der Unterstützungsleistung und mit der Zielmarke, die der Wirtschaftsminister angekündigt hat, dass man also sagt, nach einem halben Jahr sind 80 % der Betroffenen integriert, gebe ich zu, halte es dennoch für richtig. Diese Benchmark, dieses Ziel sollten wir alle vertreten; denn damit hätten wir wahnsinnig viel erreicht, wenn uns das gelingt. Höher wäre die Zielsetzung bei der Transfergesellschaft in dem Fall auch nicht gewesen, auch wenn ich sie für sinnvoll gehalten habe.

(Einzelbeifall bei der FDP)

Herr Zais, eine Kurzintervention? – Sie möchten noch von Ihrer Redezeit Gebrauch machen. Gut, 7 Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte es kurz machen. Herr Krauß, Sie haben mich herausgefordert: Wie können Sie erklären, dass DIE LINKE nicht über den ersten Arbeitsmarkt spricht? Unsere gesamte Arbeitsmarktpolitik, unsere gesamte Wirtschaftspolitik richtet sich darauf, dass Menschen im ersten Arbeitsmarkt einen Job haben, mit dem sie ihre Familie ernähren und damit auch ihre Entwicklung sichern können. Also nehmen Sie das zur Kenntnis: Ihre abfälligen Bemerkungen sind völlig falsch.

Wenn wir vom öffentlichen Beschäftigungssektor sprechen, dann sprechen wir von 275 000 Langzeitarbeitslo

sen. Bei dieser Armut, die wir haben, und bei allen Anstrengungen – die gehen nicht von der Staatsregierung aus, das muss ich Herrn Minister sagen; es gibt nichts, kein Programm, gar nichts – bleiben sie weiter in diesem Dilemma Hartz IV. Über diese sprechen wir, wenn wir für sie im öffentlichen Sektor Arbeit fordern – damit Sie das einmal grundsätzlich unterscheiden, Herr Krauß.

(Alexander Krauß, CDU: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist gesunken!)

Was ist denn mit den Menschen, die im arbeitsfähigen Alter langzeitarbeitslos sind? Sie sagen hier mal ganz kurz: "Deren Vermittlung ist schwer." Das gebe ich zu, aber ich kann sie doch nicht einfach im Stich lassen als Politiker. – Das, Herr Krauß, ist der Vorwurf.

Vom ersten Arbeitsmarkt bleibt nur eines: Natürlich hat es in sonnigen Zeiten – jetzt sogar zweimal, wir hatten bereits im letzten Plenum das Thema Arbeitsmarkt, jetzt haben wir es wieder –, wenn man gute Zeiten hat, Konjunktur. Dann kann man schon einmal mit seinen Zahlen pranzen. Das nehme ich Ihnen nicht übel, Herr Minister. Aber eines bleibt, das möchte ich noch einmal sagen: Für Ihren aktiven Anteil an diesen ganzen Zahlen sind Sie den Nachweis schuldig geblieben. Was haben Sie eigentlich dafür gemacht?

Ich will es einmal kurz begründen. Sie haben gesagt, Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell nur auf Niedriglöhnen in Ostdeutschland aufbauen, werden keine Zukunft haben. Das sagen Sie. Sie haben meine volle Zustimmung, ich bin da voll bei Ihnen, das hat Ihr vorheriger Wirtschaftsminister gesagt – lassen Sie es mich als älteres Mitglied in diesem Landtag sagen: Das hat schon Schommer gesagt.

Aber was wird denn dazu getan, dass diese Niedriglöhne – diese können ja auch nur langsam steigen – in Sachsen verändert werden? Nennen Sie mir eine Maßnahme. Nein, Herr Krauß, Herr Herbst, Sie weigern sich, dass man über Mindestlohn spricht. Wo fangen Sie an zu sagen: Wir stellen einen fairen Wettbewerb her, der allen Menschen, die einer Arbeit nachgehen, ein auskömmliches Leben sichert? Nein, Herr Staatsminister, Sie können keinen einzigen Nachweis für die Zahlen bringen, die Sie vorgetragen haben.

Ich bleibe bei der Feststellung: Es ist schön, dass Sachsens Wirtschaft so glänzt, dass sie solche Erfolge ausweist. Es ist den Unternehmern zu danken, und es ist besonders den Beschäftigten zu danken, weil – trotz dieses Wirtschaftsministers – diese Ergebnisse erreicht wurden.

(Beifall bei den LINKEN)

Die NPD-Fraktion hat noch Redezeit. Möchten Sie sie nutzen? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, es gibt jetzt keine weiteren Redebeiträge, deshalb kann ich den Entschließungsantrag der Linksfraktion aufrufen. Ich bitte um Einbringung, wenn das gewünscht ist.

Frau Präsidentin! Zu dem Tagesordnungspunkt hat die Fraktion DIE LINKE einen Entschließungsantrag in den Geschäftsgang gebracht. Ich möchte ihn noch einmal kurz begründen und um Ihre Zustimmung werben. Lassen Sie mich noch einige Worte dazu verlieren.

Herr Krauß, Ihr Versuch, Dissens zwischen der "sorgenden" CDU und der versagenden FDP aufzubauen, wird nicht mehr lange tragen. Vieles von dem, was in den letzten Jahren falsch gelaufen ist, hat genau die CDU ebenfalls mit zu verantworten. Versuchen Sie also jetzt nicht, den braven, wohlsorgenden Kollegen von der Heimat aus dem Erzgebirge zu spielen. Sie tragen genauso mit Verantwortung.

Deshalb unser Entschließungsantrag: Der Landtag möge feststellen, dass die Staatsregierung bis jetzt kein Arbeitsmarktprogramm auf den Weg gebracht hat, dass sie den Maßnahmen zur Kürzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik mit den Instrumenten Kommunal-Kombi und Bürgerarbeit nicht gegengesteuert hat, dass sie keine eigenen Initiativen und Ersatzinstrumente entwickelt hat oder sich auf Bundesebene auch nur dafür eingesetzt hätte, dass etwas passiert.

Der Landtag möge weiterhin feststellen, dass die Staatsregierung die ESF-Richtlinien viel zu spät überarbeitet hat und damit die Gefahr droht, dass EU-Gelder nicht genutzt werden können, der Mittelabfluss nicht gesichert ist und am Ende der Laufzeit die Gefahr besteht, dass Mittel zurückgegeben werden müssen, obwohl hier dringender Bedarf besteht. 84 000 Langzeitarbeitslose könnten davon profitieren, wenn durch die Staatsregierung geeignete Instrumente entwickelt würden.

Der Landtag fordert nach unserem Entschließungsantrag die Staatsregierung auf, sich von der Niedriglohnstrategie abzuwenden, Branchentarifverträge und Allgemeinverbindlichkeitserklärungen zu unterstützen und im Rahmen der Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2013 aktiv gegenüber dem Bund und der Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass der durch die Bundesregierung vollzogene Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik rückgängig gemacht wird.

Ich fordere Sie auf und werbe um Unterstützung zu unserem Entschließungsantrag.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Abg. Heidan zum Entschließungsantrag.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kind, was Sie jetzt hier vorgetragen haben und auch in Ihrem Entschließungsan

trag unter Punkt I 1 steht – – Ja, wir setzten die Priorität auf den ersten Arbeitsmarkt.

(Beifall des Abg. Thomas Kind, DIE LINKE)

Das kritisieren Sie ja gerade. Das wollen Sie aushebeln. Das werden wir Ihnen nicht zulassen!

(Thomas Kind, DIE LINKE: Sag mal, hast du nicht zugehört?)

Wir haben die Instrumentarien, dass der erste Arbeitsmarkt belegt wird. Ich glaube, das hat die eben geführte Debatte deutlich gemacht. Wir sind für den ersten Arbeitsmarkt, und wir haben dementsprechend auch die Förderprogramme.