Protocol of the Session on April 3, 2012

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Wir gehen jetzt in die dritte Runde. Ich frage die CDU-Fraktion: Gibt es noch Redebedarf? – Bitte, Herr Abg. Krauß.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es gehört: Wir haben eine deutliche Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Das kann man nicht häufig genug sagen, damit uns bewusst wird, was sich dort grundsätzlich geändert hat. Die Zahl der Arbeitslosen ist in Deutschland deutlich gesunken. Es gab im Jahr 2005, dem letzten Regierungsjahr von Rot-Grün, über fünf Millionen Arbeitslose; wir haben jetzt ungefähr drei Millionen. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist nur halb so hoch wie im europäischen Durchschnitt und in einigen Regionen von Deutschland, die auch an Sachsen grenzen, haben wir nahezu Vollbeschäftigung, wie in Teilen von Bayern.

Die Arbeitslosenquote war im Freistaat Sachsen im vergangenen Jahr in einigen Monaten zum ersten Mal nur noch einstellig. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass wir in Sachsen eine einstellige Arbeitslosenquote zustande bekommen würden? Im vergangenen Jahr hatten wir zum ersten Mal eine bessere Arbeitslosenquote und hatten mehr Menschen in Arbeit als das letzte westdeutsche Bundesland. Wir haben das erste westdeutsche Bundesland – Bremen – mittlerweile überholt. Auch das zeigt, dass bei uns eine ganze Menge in Bewegung ist.

Wir haben in Deutschland die geringste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Das liegt an der dualen Ausbildung. Der Minister ist bereits auf dieses Thema eingegangen. Wir können nicht dankbar genug dafür sein, dass das bei uns der Fall ist. Wenn Sie nach Spanien oder nach anderen Teilen der Welt schauen, ist dort die Hälfte der Jugendlichen langzeitarbeitslos und bei uns sind es 9 %, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe.

Dann wird wieder, bevorzugt von der NPD, der Vorwurf gemacht, die Statistik sei geschönt. Ich bitte, sich doch einmal die Zahl der Jobs anzuschauen. Wir hatten im

Jahr 2011 über 41 Millionen erwerbstätige Menschen. Wir hatten in Deutschland noch nie so viele Menschen, die erwerbtätig waren. Im vergangenen Jahr sind täglich 1 500 neue Jobs in Deutschland entstanden, davon auch welche bei uns im Freistaat Sachsen. In dem Jahr zuvor – 2010 – waren es täglich 1 100. Damit man das einmal in einen Vergleich setzen kann: Im letzten Regierungsjahr von Rot-Grün, dem Jahr 2005, sind täglich 2 000 Arbeitsplätze verloren gegangen.

Die Wirtschaft brummt, ich brauche es nicht weiter auszuführen. Wir haben aber auch noch ein paar Aufgaben zu erledigen und auf diese möchte ich jetzt näher eingehen.

Der Minister hatte das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ angesprochen. Das ist ein Thema, dem wir uns weiter widmen müssen. Ich will einmal eine Geschichte aus der täglichen Arbeit eines Abgeordneten erzählen. Bei einem Ehepaar, das Zwillinge hat, hat sich die Frau entschieden, nach der Kindererziehungszeit wieder arbeiten zu gehen. Sie hat eine amerikanische Firma als Arbeitgeber. – Es liegt aber nicht an den Amerikanern, es ist egal, was für ein Arbeitgeber es wäre. – Sie ist dort hingegangen, um wieder zu arbeiten, und man hat ihr gesagt: Wir müssen jetzt einen Aufhebungsvertrag machen, denn wenn Sie zwei Kinder haben, bekommen Sie das doch mit der Arbeit gar nicht mehr hin.

Dazu muss man sehr deutlich sagen: Abgesehen davon, dass das eine asoziale Einstellung zum Thema „Kinder und Familie“ ist, werden wir es uns, wenn wir über Fachkräftebedarf oder -mangel sprechen, auf Dauer nicht leisten können, hoch qualifizierte Frauen nach Hause zu schicken und zu sagen: Auf dich können wir verzichten, dich brauchen wir nicht mehr. – Die Zeiten sind vorbei. Deswegen müssen wir etwas tun, damit jedem klar wird: Diese Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig. – Ich glaube, die meisten Unternehmen haben es begriffen. Es gibt aber noch eine Minderheit, die es leider Gottes nicht begriffen hat.

(Frank Heidan, CDU: Deswegen fördern wir Betriebskindergärten!)

Richtig. Das ist ein Ansatzpunkt, sich Betriebskindergärten anzuschauen.

(Zuruf von der CDU)

Ja, wir haben auch sonst gute Kitas. Wer dort mal war, weiß das. Ich glaube, da gibt es sehr viele Bemühungen, eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen oder aber über Kindertagespflege Arbeit und Berufsausübung möglich zu machen.

Gehen wir auf das Thema Lohnentwicklung ein. Ich teile Ihre These, Herr Wirtschaftsministers Morlok, wenn Sie sagen: Die Löhne werden steigen. – Das ist auch meine Grundannahme. Wenn ein Gut besonders nachgefragt wird, wird das dazu führen, dass der Preis steigt. In diesem Fall wird das der Lohn sein. Wenn Sie also sagen: „Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell nur auf den

niedrigen Löhnen in Ostdeutschland aufbauen, werden keine Zukunft haben“, dann haben Sie das, finde ich, richtig erkannt.

Von der SPD ist das Thema Aufstocker diskutiert worden. Ich glaube, dazu muss man die Statistik etwas differenzierter anschauen. Wenn eine Frau Teilzeit arbeitet, weil sie zum Beispiel drei Kinder hat und alleinerziehend ist, dann ist es, glaube ich, normal und legitim, dass der Lohn aufgestockt wird. Über diejenigen brauchen wird nicht zu sprechen. Sie machen übrigens einen großen Teil in der Statistik aus.

Aber wir müssen uns anschauen, wie es insgesamt hinsichtlich der Löhne aussieht, vor allem bei denen, die Vollzeit arbeiten. Wenn wir uns heute umschauen, dann wissen wir – darüber können Sie sich mit Unternehmern unterhalten –: Wenn ein Unternehmer jetzt jemanden sucht, eine Stelle anbietet und bereit ist, etwas über sechs Euro zu bezahlen, dann wird er derzeit niemanden finden. Es gibt bei uns Unternehmen – jedenfalls in der Region, aus der ich komme, im Erzgebirge –, die händeringend Leute suchen und glauben, dass man das mit etwas mehr als sechs Euro hinbekommt. Das wird nicht mehr funktionieren, das geht nicht mehr. Ich wünsche jedem die Einsicht, dass dem so ist.

Ich habe mir angeschaut, wie viele Menschen im Erzgebirgskreis, also dort, wo ich herkomme, wenn sie Vollzeit arbeiten, weniger als 1 000 Euro brutto verdienen.

Das sind 7 600, fast alles Frauen, die unter 1 000 Euro verdienen, obwohl sie acht Stunden am Tag arbeiten gehen. Wenn man das bei 1 000 Euro als Grenze einmal auf Stundenlohn annimmt, dann weiß man, dass das alles unter 5,77 Euro liegt. Das sind also Leute, die jeden Tag arbeiten gehen und dann vier oder fünf Euro verdienen oder was auch immer. Es ist relativ schwierig, von dem Geld leben zu können. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie wir mit der Situation umgehen, abgesehen davon, dass die Arbeitgeber mit diesen Angeboten keine neuen Kräfte mehr finden werden, weil sie woanders hingehen. Wir müssen natürlich auch schauen, was mit diesen 7 600 Arbeitskräften ist – sachsenweit kann man die Zahl dann hochrechnen.

In Deutschland sind wir schon einige Schritte gegangen, angefangen 1996, als die ersten branchenspezifischen Mindestlöhne im Baubereich unter der damaligen Regierung Helmut Kohl auf den Weg gebracht wurden. Es gab dann unter der Großen Koalition – CDU/SPD – und jetzt auch unter Schwarz-Gelb weitere branchenspezifische Mindestlöhne bei den Pflegehilfskräften, bei den Dachdeckern, in der Entsorgungswirtschaft, in der Zeitarbeit. Der Ansatz war, glaube ich, richtig, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam hingesetzt und gesagt haben: Wir wollen einen Mindestlohn aushandeln, der dann für die ganze Branche gelten soll. Wichtig war, dass dies nicht irgendjemand par ordre du mufti festgelegt hat oder sich der Staat hingestellt und den Mindestlohn bestimmt hat, sondern dass das Arbeitgeber und Arbeitnehmer

gemeinschaftlich ausgehandelt haben, weil das dazu führt, dass die Arbeitsplätze nicht wegfallen.

Jetzt wissen wir, dass es nicht nur Branchen gibt, bei denen die Arbeitgeber die 50 % der Beschäftigten haben, die man braucht, um branchenspezifische Mindestlöhne aushandeln zu können. Es gibt eben auch Branchen, bei denen das nicht zustande kommt, zum Beispiel in der Gastronomie.

Wir haben als CDU auf unserem letzten Bundesparteitag in Leipzig beschlossen, dass es eine allgemeine Lohnuntergrenze geben soll, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam ausgehandelt wird. Das ist mir sehr wichtig. Das soll nicht etwas sein, was der Staat aufdrückt, sondern das soll wirklich durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschlossen werden. Ich hoffe, dass wir das alsbald auf den Weg bringen können.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte sehr.

Herr Krauß, bei den letzten Ausführungen bin ich ganz bei Ihnen. Aber erklären Sie mir bitte einmal, warum die Regierung gegen elf von 18 gestellten Anträgen zur Anerkennung von Branchenmindestlöhnen gestimmt hat.

Wenn Sie eine Frage an die Staatsregierung haben, müssen Sie sie an die Staatsregierung stellen. Ich bin nicht der Sprecher der Staatsregierung, sondern der Sprecher der CDU-Fraktion.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Wer trägt denn die Regierung?)

Ich sage aber auch: Wir dürfen nicht nur über den Mindestlohn reden, auch das ist falsch. Manchmal spreche ich mit Handwerkern. Man kommt zum Beispiel in einen Handwerksbetrieb, dann sagt der Meister, dass er Tariflohn bezahlt. Er meint aber eigentlich nicht, dass er Tariflohn zahlt, sondern den Mindestlohn in seiner Branche. Hier müssen wir aufpassen. Der Mindestlohn soll nicht der allgemeine Lohn sein. Wir wollen gern, dass die Menschen ordentlich bezahlt werden, dass es also auch dort ein Aushandeln des Lohnes zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt. Das setzt voraus, dass die Arbeitgeber nach Möglichkeit im Arbeitgeberverband sind. Noch viel wichtiger ist, dass die Beschäftigten, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gewerkschaft sind, die ihre Interessen vertritt.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Wenn wir schauen, wie die Entwicklung hier in Sachsen ist, dann sehen wir, dass sie bei den Gewerkschaften zum ersten Mal positiv ist. Das ist übrigens auch ein Ergebnis der guten wirtschaftlichen Lage. Den Zuwachs der Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften hat man auch der

derzeitigen Regierungskoalition auf Bundes- und Landesebene zu verdanken. Wir brauchen dort natürlich noch ein bisschen mehr. Ich wünsche mir, dass die Gewerkschaften noch stärker sind, dass noch mehr Tarifverträge zustande kommen und in noch mehr Betrieben Tarifverträge zur Anwendung kommen. Das setzt voraus, dass sich die Beschäftigten engagieren und sich selbst einbringen.

Das Thema Zeitarbeit wurde angesprochen. Wir sollten die Zeitarbeit nicht verteufeln. Sie kann eine Brücke in die reguläre Beschäftigung sein. Sie darf allerdings nicht missbraucht werden. Wenn wir über Zeitarbeit reden, dann wissen wir, dass es einige Bereiche gibt, in denen die Zeitarbeit missbraucht wird, wo also nicht nur Auftragsspitzen abgedeckt werden, sondern in der Belegschaft 20, 30 oder 40 % der Mitarbeiter Leiharbeiter sind. Das geht natürlich nicht.

(Thomas Kind, DIE LINKE: Bei BMW!)

Das war auch nicht Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel auch bei BMW. Das ist nicht legitim, keine Frage. Gerade ein Unternehmen, das relativ gut verdient, sollte seine Leute ordentlich bezahlen.

Wir haben auf dem Bundesparteitag in Leipzig – wenn wir gerade bei BMW Leipzig sind, kann man das auch einmal sagen – einen Beschluss gefasst, der lautet: gleiches Geld für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Das ist auch nachvollziehbar. Wenn zwei Leute an der gleichen Maschine stehen und die gleiche Arbeit leisten, dann ist es nicht vermittelbar, dass der eine die Hälfte von dem anderen verdient.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Ich glaube, dass wir dort Nachsteuerungsbedarf haben. Wir müssen dafür sorgen, dass wir dorthin kommen, dass Leiharbeit in unserem Land nicht missbraucht wird.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Gehen wir zu dem Thema aktive Arbeitsmarktpolitik über.

Wichtig ist, was der Minister zum Thema Schulabschlüsse gesagt hat. Wir müssen schauen, dass keiner durchs Netz fällt und jeder einen Schulabschluss macht und dass wir unser wirklich gutes Schulsystem weiterentwickeln. Mir war auch wichtig, dass Sie das Thema Weiterbildung und lebenslanges Lernen angesprochen haben. Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft ist das wichtig. Beim lebenslangen Lernen einen Schwerpunkt zu setzen ist richtig.

Wichtig ist auch der Vorrang für den ersten Arbeitsmarkt. Wir sollten zuerst fragen: Wie bekommen wir die Menschen in eine Arbeit – zum Beispiel bei einem Industrieunternehmen –, von der sie leben können? Ich würde mir wünschen, und zwar auch von den LINKEN, dass man dort eine klare Priorität setzt. Das haben Sie leider nicht in Ihrer Strategie. Das Thema erster Arbeitsmarkt spielt bei Ihnen so gut wie keine Rolle.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Was?)

Ja, schauen Sie sich Ihre Anträge und das, was Sie gesagt haben, an.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Diese Prioritätensetzung fehlt bei Ihnen. Ich glaube, dass wir diese haben.

Wenn man sagt, dass die Priorität beim ersten Arbeitsmarkt liegt, schließt das natürlich nicht aus, dass man sich auch ansieht: Was ist mit dem zweiten Arbeitsmarkt?

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Eben!)