Protocol of the Session on October 12, 2011

2. Aktuelle Debatte Staatsmodernisierung sieht anders aus – Standortegesetz stoppen

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Als Einbringerin hat die Fraktion DIE LINKE das Wort; Herr Kollege Stange, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sie wünschten heute früh, dass ich das Wort ergreife, und da mache ich es auch. Sie hören meine Stimme.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese tatsächlich anlassbezogene Aktuelle Debatte auf die Tagesordnung gesetzt, weil uns die Staatsregierung einen Gesetzentwurf zugeleitet hat und wir als Parlament uns in einer Serie von Anhörungen mit dem Standortegesetz befasst haben. Wenn ich sage „wir als Parlament“, muss ich zugleich konstatieren, dass von den Abgeordneten dieses Hauses nur ein recht bescheidener Teil an den Anhörungen teilgenommen hat. Das wird dem Thema nicht gerecht. Umso wichtiger ist die Auswertung der Anhörung in dieser Aktuellen Debatte, weil es die genuine Aufgabe dieses Parlaments, nämlich der Mitglieder des Landtags ist, einen Gesetzentwurf zu prüfen, zu bewerten, zu verbessern und zu beschließen. Deshalb auch die Anhörung.

Ich darf, was der Ausgangspunkt Ihres Gesetzentwurfs war, auf Ihren Koalitionsvertrag zurückkommen. Dort haben Sie gesagt, Sie wollen, um die sächsische Verwaltung fit für die Zukunft zu machen, eine umfassende Aufgaben-, Ausgaben- und Strukturkritik vornehmen. Na ja. Davon übrig geblieben ist ein reines Standortegesetz. Also nichts mit Aufgabenkritik. Das war auch der Konsens in den Anhörungen.

Ich darf als Erstes, meine sehr geehrten Damen und Herren, den Präsidenten unseres Rechnungshofes zitieren: „Die strategischen Überlegungen des Rechnungshofes im Interesse einer effizienten Wahrnehmung seiner hoheitlichen Aufgaben sind im Vorfeld bisher weder angefragt noch berücksichtigt worden.“ Klarer kann man nicht zeichnen, dass es keinerlei Aufgabenkritik gab. Ich darf fortsetzen: „Der Gesetzentwurf verletzt in der vorliegenden Form folglich mit der vorgeschlagenen Festlegung des Sitzes des Rechnungshofes außerhalb eines Oberzentrums das Gebot der Systemgerechtigkeit gegenüber der

Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes.“

Sehr geehrte Damen und Herren! Hier geht es darum, was Sie einerseits als Leitlinien Ihres Gesetzentwurfs formulieren, nämlich die Orientierung am Landesentwicklungsplan 2003 mit dem Zentrale-Orte-Konzept und auch bezüglich der Verwaltungsstruktur, und andererseits, was Sie tatsächlich in diesem Standortegesetz formulieren. Das passt nicht zusammen.

Bleibt die Frage der Ausgabenkritik. Dazu darf ich Herrn Schade, Vorsitzender des Sächsischen Richtervereins, zitieren: „Wie mein Vorredner schon sagte, fehlt eine Kosten-Nutzen-Analyse. Die Staatsregierung hat zu diesem Entwurf keine Rechnung vorgelegt, was konkret wodurch gespart wird, und vor allen Dingen nicht vorgerechnet, was eventuell an Mehrkosten zu Buche schlagen würde. Deswegen sollen Sie sich von der Staatsregierung vorrechnen lassen, welche Kosten eingespart wurden und welche zusätzlich anfallen werden, damit Sie eine seriöse Grundlage für Ihre Entscheidung haben. Das ist angesichts einer so umfassenden Strukturreform, wie sie hier im Freistaat geplant ist, unerlässlich.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was bleibt als Fazit von den Anhörungen in Bezug auf dieses Standortegesetz? Es ist vollkommen richtig zu sagen, dass das Standortegesetz den Landtag in dieser Form nicht passieren kann. Das wäre ein Unding und würde diese gesamte Anhörungsserie ad absurdum führen. Wir brauchen tatsächlich eine echte Aufgabenkritik für die Verwaltung im Freistaat. Wir brauchen eine Evaluierung der Reform von 2008. Das war eine tief greifende Funktional- und Verwaltungsreform, bei der noch nicht einmal nachgedacht wird, welche Ergebnisse sie gebracht hat. Wir brauchen eine echte Wirtschaftlichkeitsberechnung für dieses Standortegesetz, meine Damen und Herren, und nicht das, was hier geliefert wurde.

Ein beredter Ansatz hierfür könnte die Beratende Äußerung des Rechnungshofes zur Immobilienbewirtschaftung des Freistaates sein.

Herr Stange, ich bitte Sie zum Schluss zu kommen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den LINKEN)

Wir fahren in der 2. Aktuellen Debatte mit Herrn Modschiedler für die CDU-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stange, jetzt verstehe ich es. Hätte Kollege Bartl jetzt hier gestanden, hätte ich gesagt, ich verstehe die Welt nicht mehr. Da scheinen Sie sich nicht informiert zu haben. Schade. Warum? Das gehört nämlich heute gar nicht hierher.

25. Sitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses am 31.08.2011: Aufgerufen wurde da unter Tagesordnungspunkt 6 dieses Sächsische Standortegesetz, zugeleitet vom Landtagspräsidenten an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss federführend, mitberatend durch den Haushalts- und Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, den Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft, den Innenausschuss, den Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz und den Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien. Sechs Blöcke haben wir im Einvernehmen aus der ganzen Geschichte gemacht. Wir haben den 26., 27. und 30. September vorgeschlagen. So weit sind wir noch d’accord, Herr Stange.

Dann haben wir gesagt, wir nutzen den ganzen Oktober inklusive der Ferien und wollen am 9. November in der Ausschusssitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses – das ist ein kleines, ein Fachparlament, in dem das vorab diskutiert wird, bevor wir in den großen Ausschuss gehen, sprich in den Plenarsaal – dies diskutieren. Dazu gab es leichte Differenzen.

(Enrico Stange, DIE LINKE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Lassen Sie mich inhaltlich noch dazu ausführen. Wir haben festgestellt, dass wir noch einen Antrag zu diesem Thema haben, den wir noch mit am 9. November einreichen wollen. Dann bestand Konsens.

Herr Modschiedler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Stange, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Modschiedler, würden Sie mir zumindest recht geben, dass gegenüber einem nicht stattgefundenen Seminar ein bereits zugeleitetes Gesetz durchaus ein Anlass für eine Aktuelle Debatte sein könnte?

Das steht Ihnen anheim. Sie dürfen alles beantragen.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Vielen Dank, Herr Kollege! – Heiterkeit bei den LINKEN)

Na ja, gut, das ist jetzt eine schlechte Frage, aber bitte, Herr Stange, dann machen wir das halt so. Die Frage ist einfach: Diskutieren wir dies, wenn wir einen gemeinsamen parlamentarischen Weg beschritten haben. Wir sagen, wir gehen nach den Anhörungen in die Arbeitskreise, dort diskutieren wir und warten ab. Das ist genau der Punkt – wir warten die mitberatenden Entscheidungen der jeweiligen Ausschüsse ab. Haben Sie doch gar nicht! Sie haben ja noch nicht einmal alle Protokolle. Sie sagen, es waren nicht alle anwesend. Ja, eben! Wir wollen alle die Protokolle studieren. Es soll in allen Fraktionen diskutiert werden, und dann kommen wir hierher. Wir wollen nicht mit Halbwissen agieren und sagen, die Presse hat es ja nicht mitbekommen, jetzt müssen wir was dazu erzählen. Genau das ist passiert, und das gehört jetzt nicht hierher.

Wir haben es verbindlich beschlossen und das sollten wir auch einhalten.

Am 9. November – das sage ich noch einmal – gehen wir in den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss, nicht hierher. Danach wollen wir vielleicht im Dezember die mitberatenden Ausschüsse im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss haben. Anschließend gehen wir im Januar ins Plenum. Ich finde, dann sollten wir genau die Themen wie Polizeistandorte, Sächsische Aufbaubank, Rechnungshof behandeln, ebenso die Gerichtsstandorte mit Änderungs- und Ersetzungsanträgen oder mit dem Antrag, wie Sie es hier formuliert haben, das Gesetz ganz kippen.

Sie können damit dann im Plenum kommen, wenn wir es vorher in den Fachausschüssen besprochen haben. Nichts anderes tun wir. Deswegen werden Sie von uns, von der CDU-Fraktion, heute zu diesem Thema bis zur Endberatung keine inhaltlichen Statements hören.

(Beifall bei der CDU)

Wir fahren fort. Für die SPD-Fraktion spricht Frau Friedel. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nicht mehr so viel Zeit in dieser Aktuellen Debatte. Wir haben in den Anhörungen festgestellt, dass keiner der Sachverständigen tatsächlich gute Argumente aufbringen konnte, warum diese Entscheidungen so fallen sollten, wie sie fallen. Das gilt auch für die Sachverständigen, die von den Koalitionsfraktionen benannt worden sind, und selbst für jene, die die unangenehme Aufgabe hatten, hier den Standpunkt der Staatsregierung verteidigen zu müssen.

Gut zusammengefasst hat das nach meiner Erinnerung die Anhörung am Freitag, dem 30. September, als uns der

Präsident des Rechnungshofes deutlich machte, dass er die vorgeschlagenen Maßnahmen – sowohl was sein eigenes Haus betrifft als auch das, was andere Behörden des Freistaates betrifft – überhaupt nicht bewerten kann, weil er sie dazu auf Wirtschaftlichkeit und Sinnhaftigkeit untersuchen müsste. Das kann er nicht, weil nicht eine einzige handfeste Zahl vorliegt, um eine solche Untersuchung anzustellen.

Ich habe ihn dann gefragt, ob die Tatsache, dass die Wirtschaftlichkeit gar nicht bewertet werden kann, weil die Informationen vonseiten der Staatsregierung nicht vorliegen, nur sein Haus betrifft oder das gesamte Gesetz. Er sagte sehr eindeutig: Das betrifft das gesamte Gesetz. Wir haben also mit dem, was gerade vorliegt, überhaupt keine Entscheidungsgrundlage. Ich teile die Kritik an dem Verfahren. Das, was wir in den nächsten Wochen in den Ausschüssen beraten und irgendwann hier im Landtag beschließen sollen, muss sich noch wesentlich ändern, damit hier auch nur irgendeine Chance besteht, dass wir Abgeordneten darüber beraten können.

Inhaltlich nur so viel: Wir hatten hier in diesem Saal am 3. Oktober eine Einheitsfeier. Es gab zwei Reden, die ich beide sehr aufmerksam verfolgt habe. Ich möchte ganz kurz auf die unseres Landtagspräsidenten zu sprechen kommen. Er sagte in seiner Rede den Satz: „Uns Deutschen ist jede Form von Zentralismus fremd und regelrecht verhasst.“ Ich dachte mir: Recht hat er. Das, was diese Standortbehördenreformierungskonzeption hier macht, ist nichts anderes als Zentralisierung. Es werden Polizeistandorte zentralisiert. Es werden Gerichte zentralisiert. Es werden Finanzämter zentralisiert. Ich würde mir wünschen, dass das, was Herr Kollege Rößler gesagt hat und wo ich im Herzen ganz bei ihm bin, nicht nur in den Festtagsreden gilt, sondern am Ende auch in dem, was wir hier politisch tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Der nächste Redner – für die FDP-Fraktion – ist der Abg. Biesok. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind heute in einer Aktuellen Debatte und diese ist meines Erachtens nicht der richtige Ort, um eine Anhörung, die in unterschiedlichen Ausschüssen – federführend vom Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss geleitet – stattfand, auszuwerten. Das hat Herr Modschiedler gerade schon deutlich vorgetragen. Meines Erachtens ist diese Diskussion um das Standortegesetz völlig aus den Fugen geraten.

Wir vergessen, warum wir uns als Staatsregierung und als regierungstragende Fraktion mit diesem Standortegesetz beschäftigen. Wir haben uns einmal vorgenommen, etwas zu tun, das uns Politikern immer vorgeworfen wird, dass wir es nicht tun. Uns wird vorgeworfen, wir würden immer nur innerhalb einer Legislaturperiode denken, und

wenn die Legislaturperiode abgeschlossen ist, ist unser Denken auch abgeschlossen. Hier haben wir jetzt einmal ein Konzept, das sich auf den Freistaat Sachsen im Jahr 2020 orientiert.

Wir haben in Sachsen eine Verwaltung, die für eine Bevölkerung von circa 4,5 Millionen Einwohnern aufgebaut wurde. Wir werden im Jahr 2020 nur 3,89 Millionen Einwohner haben. Wir haben derzeit noch Haushaltseinnahmen, die von einer hohen Förderung durch die Europäische Union und von Ergänzungszuweisungen, die wir von anderen Bundesländern und vom Bund bekommen, geprägt ist. Wir können uns heute nicht hinstellen und so tun, als ob wir hier überhaupt keine Veränderungen in der Zukunft hätten, sondern wir müssen heute schon darauf reagieren.

Dazu gehört es, dass wir die Verwaltungsstrukturen anpassen. Meines Erachtens hat die Staatsregierung hier ein angemessenes und ausgewogenes Konzept für diese Anpassung vorgelegt.

Es ist richtig: Wenn man Verwaltungsstrukturen anpassen will, dann muss man sich auch über die Verwaltungsstandorte unterhalten. Sicher, man kann darüber diskutieren, ob man sich zuerst der Aufgabenkritik stellt und dann die Standorte anpasst, oder erst die Standorte festlegt und anschließend die Aufgabenkritik macht. Meines Erachtens sind die Standortentscheidungen die Voraussetzung für eine Modernisierung der Verwaltung.

Wenn wir eines in der Diskussion über das Standortegesetz gelernt haben, dann ist es das, was das Beharrungsvermögen der Verwaltung anbelangt. Wenn ich mir die Stellungnahmen anschaue, die bislang in der Anhörung ergangen sind und die wir auch in unseren Unterlagen zum Gesetzentwurf haben, dann verstehen sich einige Beamte, Richter und Staatsanwälte des Freistaates lediglich darauf, den Bestand zu wahren und zu erklären, warum es nicht geht. Der Präsident des Rechnungshofes hat dafür ein unrühmliches Beispiel geliefert und auch die Richterinnen und Richter und Staatsanwälte am Landgericht Bautzen haben meines Erachtens der Diskussion einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)