Protocol of the Session on October 12, 2011

(Jürgen Gansel, NPD: Singsang!)

Dann entdecken wir nämlich auch, wie wir die verschiedenen Stärken der verschiedenen Kulturen verbinden. Die Systemforschung, meine Damen und Herren, lehrt uns das Gesetz der notwendigen Vielfalt: Nur Vielfalt besiegt Vielfalt. Sichern wir unseren Erfolg in der immer komplexer werdenden Weltwirtschaft, werden wir vielfältiger.

Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: das Menschliche. Denken Sie sich in die Situation vieler Spätaussiedler hinein. Wie erhält man die deutsche Kultur, wenn man im Ausland lebt, über seine deutsche Sprache? Wir haben vielen Deutschlehrerinnen die Chance gegeben, zu uns nach Deutschland zu kommen. Sie leben jetzt bei uns. Sie sind uns willkommen als Deutsche, aber sie haben zum größten Teil keine Chance, das, was sie erlernt haben, bei uns tatsächlich einzubringen. Geben wir ihnen diese Chance.

Es gibt 10 000 Menschen im Freistaat Sachsen, die nicht entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten dürfen.

(Jürgen Gansel, NPD: Genau, Deutsche!)

Das ist volkswirtschaftlich unsinnig. Sind sie uns etwa als Sozialhilfeempfänger lieber, als wenn sie auf ihren eigenen Beinen stehen, für sich selbst sorgen und unsere Gesellschaft bereichern?

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deswegen, meine Damen und Herren, lassen Sie uns Gesetze machen, die das Sinnvolle und das Menschliche miteinander verbinden, die Sachsen als Lebens- und Arbeitsmittelpunkt noch attraktiver machen. In diesem Bestreben ziehen – davon bin ich überzeugt – alle demokratischen Fraktionen des Hohen Hauses an einem Strang. Unterstützen Sie unseren Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP sowie vereinzelt bei den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Vielen Dank, Herr Prof. Gillo. – Für die FDP-Fraktion Herr Abg. Herbst. Herr Herbst, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ist es sinnvoll, dass ein ukrainischer Ingenieur in Dresden Taxi fährt? Ist es sinnvoll, dass eine jordanische Krankenschwester in einem Krankenhaus putzt, anstelle sich um das zu kümmern, was sie am besten kann, nämlich Patienten zu pflegen?

Ich glaube, die meisten hier im Plenum sind mit mir einer Meinung,

(Andreas Storr, NPD: Nein!)

dass das nicht sinnvoll ist. Dass wir Handlungsbedarf haben, zeigen mehrere Dimensionen des Problems. Wir haben zum einen unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Verschwendung von beruflichen Talenten in einer Situation, in der wir an vielen Stellen Fachkräfte suchen. Persönlich für die Betroffenen ist es frustrierend, wenn sie in Jobs arbeiten, die mit ihrer eigentlichen Qualifikation nichts zu tun haben, obwohl sie ja gerade mit eigenen Händen ihren Lebensunterhalt verdienen wollen.

Auch integrationspolitisch ist es falsch, wenn wir diejenigen, die zu uns kommen, in Jobs versauern lassen, die eigentlich nicht ihrer Ursprungsqualifikation entsprechen. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir die Bedingungen für die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse verbessern. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir heute über diesen Antrag diskutieren.

Um eines vorwegzunehmen – Martin Gillo hat schon darauf verwiesen –: Das ist nur ein kleiner Baustein insgesamt bei dem ganzen Thema Fachkräfte. Allein die bessere Anerkennung wird nicht unsere Probleme lösen; es gibt noch ganz andere Baustellen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Aber es ist absolut unsinnig, dass wir berufliche Talente ausländischer Mitbürger brachliegen lassen; hier müssen wir schlichtweg handeln.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ein Teil der Betroffenen lebt schon eine ganze Reihe von Jahren hier und ist mit Kultur und Sprache vertraut. Deshalb sollten wir ihnen Steine aus dem Weg räumen und lieber Brücken bauen.

Sachsen sieht sich selbst als wirtschaftliches Aufsteigerland – mit Recht. Dass wir gerade diejenigen, die sich hier mit eigener Arbeit einbringen wollen, behindern, kann eigentlich nicht sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir einen Unterschied machen zwischen denen, die hier arbeiten wollen, die arbeiten können und die wir integrieren wollen – was wir über Zuwanderung steuern –, und

einer nicht gewollten Zuwanderung in unsere Sozialsysteme; auch darauf hat Martin Gillo hingewiesen.

Viele, die mit Anerkennungshürden zu kämpfen haben, besitzen eine hohe Motivation. Sie wollen anpacken, sie wollen ihren Lebensunterhalt mit eigener Arbeit verdienen, und wir sollten ihnen die Freiheit dafür bieten, dies auch zu tun. Bisher tun wir uns in ganz Deutschland – das ist kein spezifisch sächsisches Problem – sehr schwer mit der Anerkennung von Abschlüssen und Qualifikationen. Ausländische Qualifizierungen werden nicht anerkannt, nicht berücksichtigt;

(Andreas Storr, NPD: Dafür gibt es auch fachliche Gründe!)

oder ausländische Fachkräfte verlaufen sich im Anerkennungsdschungel bei einer Vielzahl von Anerkennungsstellen, wobei noch nicht einmal die Bundesagentur für Arbeit sagen kann, wie viele es eigentlich sind. Martin Gillo hat darauf hingewiesen: allein 60 in Sachsen. Ich glaube, wenn wir als Deutsche in ein anderes Land gehen und uns zwischen 60 Stellen informieren sollen, dann würden selbst wir die Orientierung verlieren. Auch hier macht es Sinn, eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen.

Im Abschlussbericht des runden Tisches zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse wurden die Beispiele beschrieben, bei denen es keinen Sinn macht, dass diese Menschen eigentlich die richtige Qualifikation haben, dass sie den Nachweis haben und dass sie hier in ihrem Bereich arbeiten wollen, aber nicht können. Nicht umsonst gibt es eine ganze Reihe Handlungsempfehlungen. Ich finde die Initiative gut und richtig und ich möchte den Teilnehmern am runden Tisch und auch Martin Gillo für diese Initiative ganz herzlich danken.

(Beifall bei der FDP sowie vereinzelt bei der CDU und der Staatsregierung)

Worum geht es uns in diesem Antrag? Wir wollen zum einen den neuen rechtlichen Rahmen nutzen, der durch das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz auf Bundesebene geschaffen wurde, und wir müssen auch die entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen schaffen. Wir wollen in der Praxis, und zwar unterhalb der Gesetze, die Anerkennung durch eine vernünftige Handhabung erleichtern – durch eine zentrale Anlaufstelle, durch bessere Information der Betroffenen und durch einen konstruktiven Umgang mit denjenigen, die sich ihre Qualifikation anerkennen lassen möchten.

Wir wollen die Nachqualifizierung erleichtern, indem wir die Hürden absenken und den Zugang zur staatlichen Unterstützung öffnen. Ich sage aber auch: Es ist nicht nur eine Frage des Staates. Auch diejenigen, die sich nachqualifizieren wollen, müssen Eigenverantwortung zeigen; es muss eine Win-win-Situation für beide Seiten geschaffen werden.

(Andreas Storr, NPD: Qualifizierung für Deutsche!)

Meine Damen und Herren, wir wollen natürlich auch eine einheitliche Anerkennung, möglichst bundesweit in verschiedenen Ländern. Wer in Halle als Ingenieur arbeiten darf, sollte es in Leipzig auch können; alles andere wäre nicht zu vermitteln.

Lassen Sie mich abschließend ein Wort zum Thema Integration sagen, weil das immer extrem leidenschaftlich in Deutschland diskutiert wird. Wir alle wissen, dass Arbeit der ganz wesentliche Faktor für Integration und für Identifikation mit einem Land ist. Wir sollten die Chance nutzen, eine gemeinsame Gewinnersituation für unser Land, für unsere Unternehmen und für die Zuwanderer zu schaffen. Wir haben in Sachsen in den letzten Jahren mit Fleiß, mit Eigenverantwortung und in Freiheit eine Menge geschaffen und wir haben noch viel vor. Wir sollten diejenigen Ausländer, die motiviert sind, die qualifiziert sind, die wollen, einladen, an dieser sächsischen Erfolgsgeschichte mitzuschreiben.

Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Staatsregierung)

Nun ist die Fraktion DIE LINKE an der Reihe, Frau Abg. Klinger. Frau Klinger, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bessere Anerkennung ausländischer Berufsausbildung und Abschlüsse ist in Deutschland seit Langem überfällig. Das Problem ist spätestens seit dem Jahr 2005 bekannt, als der 6. Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland vorgelegt wurde. Das Problem ist auf die lange Bank geschoben worden. Es ist vor allem Initiativen der LINKEN und der GRÜNEN auf Bundesebene zu verdanken, dass die Bundesregierung nicht umhin kam zu reagieren und das Anerkennungsgesetz bzw. das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz vorzulegen.

Dafür, dass es so lange gedauert hat, ist es relativ dürftig; das muss ich leider doch sagen. Relativ dürftig finde ich auch den Antrag, den die Koalitionsfraktionen heute hier vorgelegt haben.

(Zuruf von der CDU: Wo ist denn Ihrer?)

Ich komme konkret dazu. Zu Punkt 2 des Antrages, Anpassung des Landesrechtes an das Bundesrecht, sprich zum Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz: Positiv ist zu bewerten, dass es jetzt nach Gleichwertigkeit, nicht nach Gleichartigkeit der Qualifikation geht, dass die erworbene Berufserfahrung auch schon einbezogen wird und dass die Festsetzung der Verfahrensdauer auf drei Monate vorgenommen worden ist.

Aber: Allein der Rechtsanspruch auf die Überprüfung der Qualifikation nützt an sich noch relativ wenig. Das haben zum Beispiel die Erfahrungen bei den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern gezeigt. Es müssen natürlich unter

stützende Maßnahmen kommen; darauf werde ich im Folgenden noch eingehen.

Es gibt noch viele Probleme und offene Fragen, zum Beispiel der Beratung. Es gibt keine Regelung mehr zu den begleitenden Beratungsangeboten, wie sie zum Beispiel in den Eckpunkten, die 2009 vorgelegt worden sind, vorgeschlagen wurden. Es ist anscheinend auch in Sachsen nicht vorgesehen. In Punkt 5 des Antrages findet sich ebenfalls nur die Formulierung des Einstieges in das Anerkennungsverfahren. Gute Beratung, und zwar begleitend, ist aber eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche, selbstbestimmte Wahrnehmung dieses Rechtsanspruches. Die Beratung muss unabhängig von der Stelle stattfinden, die dann die Empfehlung bzw. Zertifizierung auch abgibt – so wie es ähnlich beispielsweise in Dänemark gehandhabt wird.

Außerdem ist anzumerken: Wenn die Dreimonatsfrist gewahrt werden soll, muss dafür Sorge getragen werden, dass die Beratungsstellen personell gut ausgestattet sind. Dafür ist auch Geld in die Hand zu nehmen.

Nun zum Thema Anpassungs- bzw. Nachqualifizierung: Das ganze Gesetz wird ins Leere laufen und seinen Zweck verfehlen, wenn es nicht ein entsprechendes Angebot an Anpassungsqualifizierungen einerseits und an Sprachkursen für berufsspezifisches Deutsch andererseits gibt. Insoweit scheint mir eine Bund-Länder-Kontroverse vorprogrammiert zu sein, die zum Leidwesen der Betroffenen auf deren Rücken ausgetragen würde. Hoffentlich wird sie das nicht; ich hoffe, es kommt noch zu einer guten Regelung.

Die vollständige Anerkennung der Abschlüsse ohne Nachqualifizierung wird sicherlich eher die Ausnahme denn die Regel sein. Ich will klarstellen, dass es nicht um die Erleichterung bzw. Verbesserung des Zugangs zum Anerkennungsverfahren geht, sondern um die Erleichterung bzw. Verbesserung der Anerkennung an sich. Herr Herbst, es reicht nicht, wenn Sie sagen, dass Sie den Zugang zum Verfahren erleichtern und Hürden abbauen wollen. Ich begrüße das zwar, aber die Anerkennung an sich muss im Mittelpunkt stehen. Wir müssen leider konstatieren: Derzeit gibt es diese Nachqualifizierungsangebote de facto nicht; sie müssen geschaffen werden.

Damit bin ich bei dem Punkt Finanzierung/Gebühren. Erstens muss sichergestellt werden, dass die entsprechenden Anpassungsqualifizierungen überhaupt angeboten werden. Zweitens muss sichergestellt werden, dass die Teilnahme an diesen Maßnahmen überhaupt möglich wird. Es geht also nicht nur um die Finanzierung von Kurs- und Prüfungsgebühren, sondern auch um die Sicherung des Lebensunterhaltes während dieser Maßnahmen. Wenn der Mensch, der an einer Maßnahme der Nachqualifizierung zur Sicherung der Zukunftsperspektive teilnimmt, über Monate hinweg keiner regulären Erwerbstätigkeit nachgehen kann, muss für die Sicherung seines Lebensunterhalts gesorgt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, unter Punkt 6 Ihres Antrags schlagen Sie leider

lediglich Kredite als Finanzierungsmöglichkeiten vor. Das greift uns eindeutig zu kurz. Was ist mit Förderprogrammen auf Bundesebene, die man anpassen bzw. erweitern kann? Wie wäre es, an dieser Stelle den Empfehlungen des runden Tisches „Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse“ zu folgen und die Gewährung von Bildungsschecks oder -gutscheinen für die Nachqualifizierung in Betracht zu ziehen?

Erlauben Sie mir zum runden Tisch noch ein kurzes Wort: Dieser hat meines Erachtens sehr gute Arbeit geleistet. Die Empfehlungen sind eindeutig und unterstützenswert. Auch ich möchte im Namen meiner Fraktion Herrn Dr. Gillo und allen Mitwirkenden recht herzlich für ihre dort geleistete Arbeit danken.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Dann muss ich mich aber sofort wieder an die CDU- und die FDP-Fraktion wenden und durchaus fragend in die Runde schauen: Haben Sie die Empfehlungen tatsächlich gelesen? Wenn ja, dann wäre der Antrag anders – wahrscheinlich qualifizierter – ausgefallen.

Das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz wurde am 29. September im Bundestag verabschiedet; am 14. Oktober, also übermorgen, wird darüber im Bundesrat beraten. Anstelle des recht schwammigen Antrags, den Sie auf die heutige Tagesordnung setzen ließen, hätten Sie Ihre Kräfte vielleicht besser darauf verwenden sollen, eine konkrete Bundesratsinitiative zu initiieren.