Protocol of the Session on September 14, 2011

(Zurufe des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Ich sage es noch einmal: Es ist einfach nicht hinnehmbar, wenn Sie am Tag vor der Pressekonferenz im Ausschuss sitzen und kein Wort darüber verlieren,

(Zurufe des Abg. Alexander Krauß, CDU)

der Haushaltsausschuss aber am nächsten Tag aus der Tageszeitung erfahren kann, welche tollen Erfolge der Freistaat Sachsen vorzuweisen hat.

Kommen wir zu dem eigentlichen Bericht.

(Zurufe von der CDU)

Ich freue mich, dass ich so viel Anteilnahme bei der CDU finde; das ist doch schön. Ich hoffe nur, dass sich das auch irgendwann in den Debattenbeiträgen Ihrer eigenen Fraktion widerspiegelt.

(Einzelbeifall bei der SPD)

Ich muss leider mit zwei Beispielen etwas Wasser in den Wein schütten. Das eine Beispiel ist, dass eine neue Anbindung, nämlich die der Stadt Zwickau an die A 72, finanziert wurde; es ist bestimmt toll, 41 Millionen Euro dafür auszugeben. Endlich haben wir die Anschlussstelle, haben Zwickau-West angeschlossen, ganz toll! Dass es aber der gleiche Freistaat in den letzten zehn Jahren nicht hinbekommen hat, mindestens Planungsrecht für den Rest der A 72 auf die Reihe zu kriegen, muss man dabei auch anmerken,

(Beifall bei den LINKEN)

Dass es also nicht gelingt, eines der wichtigsten Infrastrukturvorhaben in diesem Land, nämlich die Anbindung der Stadt Chemnitz an die Stadt Leipzig, voranzubringen – dies war einmal ein großes landesplanerisches Ziel –, gehört zur Wahrheit dazu.

Zur Wahrheit gehört auch: Wenn Sie sich feiern lassen oder feiern lassen wollen, dass die Stadt Chemnitz endlich – jetzt muss ich leider wieder die Stadt Chemnitz nehmen – eine Stadt-Umland-Beziehung hat und eine schöne Vernetzung stattgefunden hat, ein schöner Bahnhof da ist, gehört zur Wahrheit auch, dass diese Stadt Chemnitz leider bis heute keine Möglichkeit hat, in das mitteldeutsche S-Bahn-Netz eingebunden zu werden.

Zur Wirklichkeit gehört ebenfalls, dass wir keine Elektrifizierung haben, dass wir kein zweites Gleis haben, dass gar nicht die Möglichkeit besteht, diesen superteuren Citytunnel für die Stadt Chemnitz nutzbar zu machen.

(Zuruf des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Auch dies ist kein Fortschritt – darum geht es heute, Herr Krauß – in diesem Land für die Menschen. Da kann man nur sagen: Dieses Land dümpelt vor sich hin, weil die wichtigen Aufgaben eben nicht in Angriff genommen werden.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Damit kommen wir zur eigentlichen Frage: Was steht denn – Herr Krauß, Sie können dann gern nach vorn kommen, ich möchte jetzt zu Ende reden – nicht im Bericht drin? Im Bericht steht mindestens ein Punkt nicht, und der ist nun einmal relevant: In den nächsten zehn, 20 Jahren werden uns 500 000 erwerbsfähige Menschen in diesem Land fehlen. Und wer es da zulässt und nicht alle Kraftanstrengungen unternimmt, dass eben nicht 10 % der Schüler ohne Abschluss aus der Schule gehen, der vergeht sich an diesem Land.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Kollege Scheel, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich komme zum Ende.

(Alexander Krauß, CDU: Zum Anfang müssen Sie kommen! Sie haben nichts gesagt!)

Deshalb gebe ich die Erfolge zu, stelle fest, dass wir viel investiert haben, merke aber an: Die Kosten, die zu tragen sind, und die Aufgaben, die vor uns stehen, werden in diesem Bericht nicht tangiert.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Scheel. Als Nächster spricht Kollege Pecher für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Investieren statt Konsumieren“ ist die Überschrift dieser Aktuellen Debatte. Das ist schon ein bisschen erstaunlich. Ich habe immer gedacht: Bedarf – Stichwort Konsum – produziert Investitionen; denn wofür investiert man denn, wenn es danach nicht konsumiert werden soll? Das vielleicht als Einstieg in diese Aktuelle Debatte.

Wer definiert denn jetzt eigentlich, was Konsum ist? Ist zum Beispiel der Kommunalkombi Konsum gewesen, wo wir Menschen in Beschäftigung gebracht haben, die dann wieder Steuern gezahlt haben? Gut. Oder wäre zum Beispiel die Investition in den Sachsenring, wohin jedes Jahr 280 000 Zuschauer zum Grand Prix kommen, Konsum? Oder ist das Investition? Das sind nur einige Beispiele.

Welche haushälterischen Schlüsse kann man nun aus diesem Fortschrittsbericht ziehen, ohne jetzt im Detail auf die Lobpreisung im Anhang einzugehen? Fakt ist: Der Beitrag der Kommunen ist mit 36, 37 % zu gering, das steht auch eindeutig darin. Auf die Frage, warum der so gering ist, was man da tun kann, gibt es in diesem Fortschrittsbericht leider kaum Antworten.

Was viel besser ist, stellt man fest, wenn man sieht, dass von 137 % quasi Übererfüllung und 37 % der SoBEZs die Rede ist. Guckt man einmal in die einzelnen Bereiche, dann reden wir zum Beispiel über rund 25 bis 30 % Straßenbau. Da gibt es ein schönes Gutachten vom ifoInstitut Dresden, von der Staatskanzlei in Auftrag gegeben, vom Oktober. Darin steht auf Seite 71: „Nimmt man alle Straßen zusammen, so ist die Netzdichte in Sachsen höher als im Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer.“

(Zuruf von der SPD)

Aha! Nun ist ja Quantität noch keine Auszeichnung für Qualität. Aber dort heißt es nach den Erreichbarkeitsindikatoren des Bundesamtes – Zitat –: „Sachsen weist hier ähnliche Fahrzeiten auf wie die westdeutschen Länder

und liegt damit deutlich vor dem ostdeutschen Durchschnitt.“

Warum also nach wie vor 25 bis 30 % Investitionen in diesem Bereich?

Ich behaupte – wenn man parallel dazu sieht, dass wir über Level in den Investitionen fahren und parallel dazu alle Rücklagen, einschließlich der Landesbankrücklage, erfüllt haben –, dass diese überproportionale Mittelverwendung zulasten derjenigen geht, deren Mittel in dieser Gesellschaft 2010 und mit dem Doppelhaushalt 2011 und 2012 gekürzt wurden. Dieser Fortschrittsbericht ist für mich der eindeutige Beweis dafür. Es ist die Brandrodung in diesem gesamten gesellschaftlichen Bereich, die hier stattfindet, die sich in diesem Fortschrittsbericht widerspiegelt. Sie können es sich aussuchen, ob Sie es als überproportionale Investition oder als die Erfüllung der Rücklagen nehmen. Fakt ist: Die Ehrenamtler, die Jugendhilfe, der Sport, die Schüler, die Lehrer, die Polizisten zahlen die Zeche. Das ist das Ergebnis dieses Fortschrittberichts.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Ich möchte es auch an einem Bild festmachen: Der Freistaat Sachsen in seinem Boot auf hoher See. Wenn ein großer Sturm kommt, könnte man kentern. Was macht der Freistaat? Er bunkert das Trinkwasser und lässt die Kuh verdursten. So sieht es aus! Man könnte ja kentern.

Nur, eines ist doch auch klar: Die Rücklagen, die der Freistaat Sachsen hat, schützen doch nicht vor den Auswirkungen einer eventuell eintretenden europäischen Krise. Es macht doch keinen Sinn, dieses Land gesellschaftlich verdursten zu lassen.

Und dann hat dieser Freistaat Sachsen in seinem Boot jemanden wie Herrn Zastrow, der noch fleißig Löcher hineinklopft – Stichwort Solidaritätszulage abschaffen und solche Geschichten. Herr Zastrow, Ihnen sei auch mal ins Stammbuch geschrieben: Wenn Sachsen so blendend wirtschaftet, gegenüber den wesentlich schlechteren anderen neuen Bundesländern so hervorragend mit den Mitteln umgeht, dann erklären Sie mir doch einmal eines – dies stammt nicht von mir, sondern vom ifo-Institut im Auftrag Staatskanzlei –: Entgegen verbreiteter Meinung sind die Unterschiede des BIPs je Einwohner zumindest auf den Landesebenen recht gering, nämlich zu rund 70 % gleich. Jetzt müssten Sie ja nach Ihrer wirtschaftlichen Bewertung, wenn die anders arbeiten, also weniger investieren und das Gleiche BIP erzielen wie Sachsen, fragen: Wer wirtschaftet hier besser? Fakt ist doch eines: dass uns die anderen – wie Sachsen-Anhalt – in diesem Bereich auch schon überholen.

Ich glaube, dass dieser Fortschrittsbericht eine eindeutige Fehlinterpretation enthält. Ich glaube, durch vernünftiges Umsteuern im Bereich der Investitionen in Instandsetzung, in Ersatzinvestitionen brauchten wir keine 3 Milliarden Euro und könnten den Haushalt bis 2025 damit zukunftsfest und finanziell sicher machen. Das steht auch in dem Gutachten, das wissen auch alle. Und ich

behaupte: Konsumieren schafft die Voraussetzungen für vernünftige Investitionen und nicht andersherum.

(Beifall bei der SPD und bei den LINKEN)

Für die SPD-Fraktion sprach Herr Kollege Pecher. – Als Nächster spricht für die Fraktion GRÜNE Frau Kollegin Hermenau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Michel, es ist sicherlich richtig, den Geldgebern zu danken; das ist keine Frage. Aber der untertänige Tonfall, der ist nicht nötig. Und das hat etwas damit zu tun, wie das Maßstäbegesetz damals verhandelt worden ist, wie also der Finanzausgleich, der Solidarpakt ausgehandelt worden sind. Da wurden die ostdeutschen Länder künstlich über die kommunale Finanzkraft armgerechnet. Ich habe dem damals nicht zugestimmt und mir dafür viel Ärger eingehandelt. Untertänigkeit, Unterwürfigkeit sind nicht nötig. Das war eine Vereinbarung zwischen den Bundesländern, egal, welcher Ministerpräsident welcher Couleur sie mit dem Kanzler geschlossen hat. Da kann man sich auch selbstbewusster hinstellen.

Jetzt kommen wir einmal zu dieser Musterschülerhaltung, die ich als außerordentlich devot empfinde, und warum ich das so sehe. Zum einen finde ich es unangemessen, Herr Finanzminister, jetzt einen Buhmann zu suchen, den Sie sich jetzt durch dieses Gezeter und Geschimpfe mit anderen ostdeutschen Bundesländern ausgesucht haben, weil klar ist, dass bereits seit über einem Jahr hinter den Kulissen in Berlin darüber nachgedacht wird, ob man den Korb II des Solidarpaktes opfern muss in den nächsten Jahren oder nicht, weil man finanziell nicht zurande kommt. Da machen Sie jetzt hier ein Pfeifen im Walde auf, stigmatisieren andere und sagen dann: Die sind dran schuld, weil die nicht so mustergültig dem gefolgt sind, was vor zehn Jahren mal ausgetüftelt worden war und was uns ökonomisch nur noch teilweise voranbringt. Das ist keine aktive Politik, das ist passiv und untertänig, und ich finde das falsch.

Die FDP hat nichts anderes zu tun, als in dieser etwas schwierigen Situation auch noch am Soli zu zündeln. Unglaublich, da hat der Wahnsinn nun richtig Methode!

Ich habe sehr wohl gelesen, Herr Flath, dass Sie zu der Auffassung gelangt sind, dass in Deutschland viel mehr Griechenland herrsche als gedacht, und ich habe – wie Sie – in der Tat ein Problem damit, wie in Deutschland in einigen Regionen mit öffentlichem Geld umgegangen wird. Das ist kein Geheimnis, davon rede ich seit sechs Jahren, eigentlich schon länger. Aber die Kommunikation muss man überdenken. Genauso wie Frau Merkel – Herr Schäuble weniger – und andere es geschafft haben, in ganz Europa ein Klima gegen die Deutschen zu erzeugen, weil der Musterschülerauftritt dazu geführt hat, dass keiner mehr zuhören will und alle trotzen, genauso verhält sich diese kommunikative Situation, über die wir gerade

sprechen. Die Beschimpfung hat die strategische Rolle Sachsens zum Beispiel bei den Verhandlungen zum nächsten Länderfinanzausgleich oder auch zu anderen Fragestellungen, zum Beispiel der Weiterführung des Korb I im Solidarpakt nach 2020, beschädigt. Die strategische Rolle, die man hätte einnehmen können auf der Basis einer natürlichen Autorität, die auf guter Finanzpolitik von 20 Jahren beruht, ist beschädigt durch die Art des Auftritts. Und das finde ich hoch bedauerlich.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und des Abg. Karl Nolle, SPD)

Da hätte ich mir statt der gespielten Autorität und diesen „Fragen der Ehre“ und sonstigem Gemüse, was da alles so geredet worden ist, gewünscht, dass ganz konkrete strategische Vorschläge kommen, wie man in den nächsten Jahren – und die werden wir in Deutschland gemeinsam meistern müssen und die werden auch nicht leichter – zurecht kommt. Da hätte ich mir natürlich gewünscht, dass es einen strategischen Vorstoß zum Länderfinanzausgleich und zum Korb I Solidarpakt ab 2020 gibt. Da hätte ich mir natürlich gewünscht, dass man endlich einmal ehrlich darüber spricht, dass eine ganze Reihe der Programme, wie wir das schon in der Haushaltsdebatte im letzten Jahr ausgeführt haben, keine nennenswerten ökonomischen Effekte mehr hat. Diese könnte man ausmustern und dafür eigene Landesprogramme aufsetzen oder die Mittel anderen Zweckbestimmungen zuführen. Da muss man nicht immer dem Chefgeheiß aus Berlin folgen und das auch noch feiern.