Protocol of the Session on June 30, 2011

Ich frage Sie: Warum kofinanziert das Land Fördermaßnahmen für benachteiligte Jugendliche, die aus ESFMitteln finanziert werden, wenn es nicht die Aufgabe des Staates ist, Jugendliche zu fördern, sondern die Aufgabe der Jugendlichen selbst?

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Frau Dr. Stange, wenn Sie noch einen Moment Geduld gehabt hätten, hätten Sie gemerkt, dass der nächste Absatz, der mit dem Wort „gleichwohl“ beginnt, die Antwort auf Ihre Frage sein wird.

Gleichwohl gilt: Dort, wo es aus unterschiedlichen Gesichtspunkten junge Menschen nicht schaffen, muss der Staat mit seinen ergänzenden Hilfen bereitstehen. Das wird auch getan, meine Damen und Herren. Aus der Stellungnahme zum Antrag wird dies deutlich. Nachdem die Bundesförderung weiterlaufen wird, ist der Antrag der SPD hinfällig. Eine zusätzliche Landesförderung wird seitens der Staatsregierung nicht als erforderlich angesehen, zumal damit die Gefahr von Verwässerungen und Mitnahmeeffekten erhöht wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Wir kommen zum Schlusswort für die SPD-Fraktion. Frau Dr. Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin schon einmal sehr froh, lieber Kollege Schreiber und liebe Frau Jonas, dass wir, glaube ich, zumindest in der Sache darüber einig sind, dass wir in Sachsen ein Problem damit haben, auch wenn wir PISA-Sieger sind, dass es mittlerweile stabil jährlich 10 % Jugendliche gibt – mehr als

2 600, fast 3 000 –, die keinen Berufsabschluss und keine Chance haben und die wir dringend unterstützen müssen, weil es eben die familiären Verhältnisse in der Regel nicht ermöglichen, diese jungen Leute erfolgreich zum Schulabschluss und erfolgreich zu einer Berufsausbildung zu führen.

Ich möchte noch einmal ganz klar und deutlich sagen, dass es uns nicht darum ging, unkritisch irgendwelche Programme des Bundes oder des Landes für benachteiligte Jugendliche über den Förderzeitraum 2013 hinaus fortzusetzen, ohne dass sie evaluiert werden. Der Antrag lautet ganz klar und deutlich, dass es – ich sage es jetzt einmal in einfacher Sprache – eigener Anstrengungen des Landes bedarf, nach 2013 Jugendlichen mit schlechten Startchancen unter die Arme zu greifen, damit sie einen Schulabschluss bekommen. Mann kann sich auf die ESFFörderung, auf die EU an dieser Stelle nicht mehr verlassen. Darum ging es ganz klar, und wir haben keine Antwort auf die positive Evaluierung bekommen.

Uns ging es nicht um ein zusätzliches Landesförderprogramm, sondern uns ging es um die Anschlüsse. Ich wundere mich ein bisschen, dass sich der Kultusminister hier völlig heraushält. Sie wissen, Herr Schreiber, dass wir dieses Thema im Schulausschuss bereits angesprochen haben und dass ich schon vor einem halben Jahr angemahnt habe, über die Zeit nach 2013 nachzudenken.

Ich habe heute leider keine Lösung gehört. Ich habe von Frau Jonas als einzige Begründung, die dagegenspricht, gehört, dass wir im Land kein Geld haben. Aber es ist von Frau Herrmann sehr deutlich gemacht worden, dass alles das, was wir jetzt nicht tun, alles das, was wir den Jugendlichen zukünftig über Sozialleistungen zumuten, uns als Gesellschaft viel, viel teuer kommen wird als Leistungen, die wir jetzt in dieses Fördersystem hineinstecken.

Herr Schreiber, ich stimme Ihnen auch zu, dass ich auch einen gewissen Frust über die Bundesprogramme habe, die an Landesprogrammen vorbei zum Beispiel mit dem Berufseinstiegsbegleiter und was es da noch so Nettes gibt in die Schulen direkt hineingehen. Wir als SPD haben deshalb – und das wissen Sie auch – statt dieses Bildungs- und Teilhabepakets auf dem Bildungsgipfel eine Umverteilung von 2 Mehrwertsteuerprozentpunkten in die Länder gefordert, damit die Länder in die Lage versetzt werden, eigene Maßnahmen regionalspezifisch, auf die Situation zugeschnitten im Bildungsbereich umsetzen zu können. Bis heute weigern sich aber CDU und FDP leider, dieser Forderung nachzukommen. Stattdessen redet man über Steuersenkungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie nochmals: Stimmen Sie diesem Antrag zu, denn wir werden im nächsten Jahr wieder Haushaltsverhandlungen für die Jahre 2013 und 2014 haben, und die ESFFörderung wird mit Sicherheit nicht auf dem heutigen Niveau fortgesetzt, sondern sie wird vermutlich mit drastischen Einschnitten auch bei diesem Programm einhergehen. Wir müssen uns jetzt an den Tisch setzen, von dem hier schon die Rede gewesen ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Freya- Maria Klinger und Heike Werner, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, ich stelle nun die Drucksache 5/5781

zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimmenthaltungen und zahlreichen DafürStimmen ist die Drucksache 5/5781 nicht beschlossen. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 8

Sonderungsverbot einhalten – Streichung der Schulgelderstattung zurücknehmen

Drucksache 5/4894, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: GRÜNE, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD; Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile der Fraktion GRÜNE als Einreicherin das Wort; Frau Giegengack.

(Michael Weichert, GRÜNE steht am Mikrofon.)

Ich stelle fest, Frau Giegengack ist nicht im Raum. Herr Weichert, Sie springen ein? Jetzt ist die Frage, was Sie möchten. Sie können die Redezeit für die Fraktion in Anspruch nehmen. Sie müssten das eigentlich von hier vorn tun. Aber bitte.

Ich wollte einfach nur sagen und damit ein wenig die Zeit überbrücken, dass Frau Giegengack auf dem Weg ist und sofort hier sein wird.

(Heiterkeit und Beifall)

Vielen Dank, Herr Weichert. – Damit kommen wir zum nächsten Redner. Für die CDU-Fraktion Herr Colditz. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn Frau Giegengack ihren Beitrag noch nicht vorgetragen hat, denke ich, dass ich um ihre Argumentation, die sie vortragen wird, weiß.

(Zuruf des Abg. Alexander Krauß, CDU – Christian Piwarz, CDU: So wichtig ist den GRÜNEN das Thema offensichtlich!)

Es wäre auch zu kurz gegriffen, wenn ich das Problem, das diesem Antrag zugrunde liegt, kleinreden würde oder ignorieren wollte. Das will ich nicht tun. Aber der Ansatz in dem Antrag, die Schulgelderstattung für die freien Schulen wieder zu aktivieren und so das Problem zu

lösen, ist nicht der Ansatz, der dem Problem wirklich zielführend gerecht wird.

Meine Damen und Herren! Ich will zunächst einmal ein Stück zurückblicken. Wir haben im Rahmen der Schulgesetzgebung, und zwar der Gesetzgebung für die Schulen in freier Trägerschaft – das war etwa im Jahr 1992 – die Grundlagen dafür geschaffen, dass sich freie Schulen im Freistaat Sachsen etablieren können. Wir haben auch die Grundlagen dafür geschaffen, dass sie eine entsprechende bedarfsgerechte Finanzierung erhalten.

Wir haben damals auch die Diskussion dazu geführt, wie wir mit der Schulgelderstattung umgehen. Wir hatten als Vorlage zum Vergleich unterschiedliche Modelle. Wir hatten die Mehrheit der Modelle aus den Altbundesländern und wir hatten die Vorlage aus Bayern. Letztere war schon damals, zu diesem Zeitpunkt, die einzige, die davon ausging, dass für sozial schwache Familien die Schulgelderstattung durch den Staat erfolgen soll. Wir haben uns damals dieser Regelung angeschlossen. Es gab für diese Regelung der Schulgelderstattung aus dem staatlichen Bereich heraus keine Rechtsgrundlage. Diese gibt es bis heute nicht. Schon damals gab es also keine Festlegung, etwa im Grundgesetz oder in der Verfassung, aus der sich herleitet, dass die Schulgelderstattung durch den Staat stattfinden muss.

Das zu tun, war schon damals eine politische Entscheidung. Wir haben uns deshalb damals darauf festgelegt, die Schulgelderstattung staatlicherseits vorzunehmen, weil wir gesagt haben: Das System der freien Schulen ist im Aufbau begriffen. Wir wollen freie Schulen im Land und wir wollen optimale Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich auch die Schulen in freier Trägerschaft entfalten können.

Man muss sicherlich sagen, dass diese Festlegung in den letzten 20 Jahren zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist und dass daraus – auch aufgrund der Gesetzeslage – ein Rechtsanspruch entstanden ist. Im Rahmen der Haushaltsdiskussion des letzten Jahres sind landesrechtli

che Vorgaben einer kritischen Begutachtung unterstellt worden, insbesondere seitens der Staatsregierung, auch seitens des Finanzministeriums und auch seitens des Finanzausschusses. Das hat selbstverständlich dazu geführt, dass auch diese spezielle Regelung kritisch hinterfragt worden ist.

Meine Damen und Herren! Ich sage es ganz ehrlich: Es wäre schon wünschenswert gewesen, wenn wir – auch in Anlehnung der Festlegung von damals – diese Schulgelderstattung hätten einfach problemlos fortführen können. Aber man muss feststellen und hat das getan, dass es für diese Erstattungsregelung keinen wirklich übergeordneten rechtlichen Zusammenhang gibt. Wenn man versucht, das verfassungsrechtlich herzuleiten, gibt es zwar das Sonderungsverbot, aber das Sonderungsverbot – auch das haben wir zur Haushaltsdiskussion im Dezember vorigen Jahres deutlich artikuliert – richtet sich zuerst gegen den Schulträger und nicht gegen den Staat.

So wünschenswert – auch für uns politisch wünschenswert – es also gewesen wäre, trotzdem diesen Schuldgeldersatz weiterhin zu realisieren, mussten wir auch eingestehen, dass die finanziellen Handlungsbedingungen, die wir in diesem Land nach 20 Jahren mittlerweile haben, nicht mehr derart optimal sind, dass wir uns alles, was politisch wünschenswert ist, noch leisten können. Deshalb kam es zur Korrektur dieser Vorgabe. Wir haben damit nicht die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft generell infrage gestellt. Wir haben auch das Sonderungsverbot nicht generell infrage gestellt. Wir haben lediglich die Frage erörtern müssen und wir haben sie kritisch auch in unserer eigenen Fraktion erörtert: Welchen rechtlichen Rahmen gibt es, welchen Anspruch gibt es für diese Schulgelderstattung? – Dabei mussten wir feststellen, dass dieser Anspruch sich nicht an den Freistaat richtet, sondern, wie gesagt, zuerst an den Schulträger.

Wir haben mittlerweile in Sachsen – deshalb habe ich den Blick noch einmal in die Vergangenheit geworfen, meine Damen und Herren – ein etabliertes System von freien Schulen. Im berufsbildenden Bereich ist die Situation sogar so, dass wir einen prozentualen Anteil von freien Schulen am Gesamtsystem von 25 % haben. Ob dieser Anteil wirklich bedarfsgerecht vorgehalten werden muss, sei einmal dahingestellt. Aber auf jeden Fall kann man feststellen, dass dieser Anteil von freien beruflichen Schulen am Markt wesentlich höher ist als in den Altbundesländern.

(Staatsminister Prof. Dr. Roland Wöller: Richtig!)

Das führt zu der Analyse, dass wir mittlerweile ein leistungsfähiges, etabliertes freies Schulsystem in Sachsen haben, das nicht mehr im Aufbau begriffen ist und das möglicherweise – gerade in dieser speziellen Frage – mit Abstrichen an der bisherigen staatlichen Unterstützung leben kann und leben muss.

Ich habe anfangs gesagt, dass ich die Probleme, die mit der Streichung des Schulgeldersatzes einhergehen, nicht

leugne. Das stellt die Schulträger vor neue Herausforderungen und führt sicherlich auch dazu, dass die Kostenstruktur bei den freien Trägern kritisch analysiert werden muss. Gerade deshalb haben wir in der Gesetzgebung einen Übergangszeitraum geschaffen und haben gesagt: Für die Kinder, die sich in Bildungsgängen befinden, lassen wir einen Übergangszeitraum zu. – Das bietet auch die Möglichkeit, sich auf diese neue Kostenstruktur einzurichten. Es ist aber zuvörderst die Aufgabe der freien Träger, zunächst einmal selbst darüber nachzudenken, wie die Finanzierung optimiert werden kann und welche Möglichkeiten der zusätzlichen Finanzierung außer der staatlichen Finanzierung bereits existieren.

Meine Damen und Herren! Ich sage es ganz ehrlich: Bei mir sind sehr unterschiedliche Botschaften angekommen. Ich habe Schreiben bekommen und die Fraktion hat sie bekommen, auch über Kollegen sind sie an mich herangetragen worden, in denen dargestellt wurde, dass 50 % der Schüler an der Einrichtung bisher auf diesen Schulgeldersatz angewiesen waren. Ich habe aber auch – schon im Dezember vorigen Jahres – andere Botschaften bekommen. Diese sagten deutlich, dass die Schulträger vor Ort, die Schulvereine durchaus in der Lage sind, dieses Problem zu schultern und dass es den freien Trägern viel wichtiger war – das wurde auch in der Diskussion deutlich, die wir im vorigen Jahr zur Finanzierung der freien Schulen geführt haben –, dass wir die Gesamtfinanzierung gesichert haben. Es wurde gesagt, dass wir diesen Teil der Schulerstattungsfinanzierung hätten fortführen sollen, aber dass es nicht solche existenziellen Probleme mit sich bringt, wenn das nicht der Fall ist, wie es jetzt teilweise propagiert wird. Insofern sollten wir meines Erachtens auch die Diskussion sehr differenziert und sehr kritisch führen.

Meine Damen und Herren! Weil jetzt auch die Rede davon ist, wir würden damit im Nachgang das System der freien Schulen im Sinne der Existenz von freien Schulen doch noch infrage stellen: Wir müssen uns einmal die Gutachten vergegenwärtigen, die wir im vorigen Jahr alle miteinander in die Hand bekommen haben. Die Schulgelderstattung macht an der Gesamtfinanzierung der freien Schulen ganze 2 % aus. 2 %, Frau Stange!

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Aber 2 %!)

Es kann mir beim besten Willen wirklich keiner klar und bewusst machen – das kann ich am wenigsten gegenüber dem Finanzminister argumentativ so herantragen, so gern ich das möglicherweise wollte, aber da fehlen mir die Argumente –, dass ein Verlust von 2 % an der Gesamtfinanzierung die Existenz von Schulen in freier Trägerschaft generell gefährdet.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.)