Protocol of the Session on June 29, 2011

(Beifall bei der FDP und des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Vielen Dank. – Teilen Sie also mein Interesse, zu erfahren, ob es sich bei den 644 Anordnungen, die angeordnet wurden, nicht bloß um einzelne Verdächtige handelt, sondern ob es sich dabei um die Anwendung der TKÜ-Abfrage bei Versammlungen gehandelt hat? Meinen Sie nicht auch, dass wir genau das heute erfahren müssten?

Ich kenne diese Zahlen nicht genau.

(Julia Bonk, DIE LINKE: Das ist vom SMI veröffentlicht worden!)

Ich denke, wir sollten sehr sorgfältig prüfen, wie wir mit § 100g weiter umgehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang beiden Ministern dafür danken, wie ausführlich sie uns bisher in den Ausschüssen informiert haben. Ich denke, angesichts des Standes der Ermittlungen war es sehr viel, was die beiden Minister uns zur Verfügung gestellt haben. Ich denke, sie werden auch weiterhin so verfahren. Weitergehenden Aufklärungsbedarf sehe ich derzeit nicht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu dem Ausblick kommen, was wir zukünftig machen müssen. Wir müssen die bestehenden Rechtsgrundlagen – ich habe es bei den Zwischenfragen schon gesagt – sehr deutlich darauf überprüfen, ob wir sie nicht enger fassen müssen. Wir dürfen sie nicht hin zu einer Vorratsdatenspeicherung erweitern, sondern wir müssen jetzt schon sehen, ob die bestehenden Regelungen Möglichkeiten zum Missbrauch von Daten bieten. Daran müssen wir arbeiten.

Und wir müssen die Position des Datenschutzbeauftragten stärken. Er muss in solchen Verfahren sehr frühzeitig einbezogen werden, damit er uns auch entsprechend berichten kann, was mit unseren persönlichen Daten, wenn wir uns ganz normal verhalten, nämlich mit dem Handy durch die Stadt laufen, tatsächlich passiert.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Das war für die FDPFraktion Herr Kollege Biesok. – Für die Fraktion GRÜNE spricht jetzt der Kollege Lichdi. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben meine beiden Vorredner schon einen sehr hohen Ton angeschlagen. Ich halte aber sehr viel davon, dass wir uns, bevor wir über die politischen Konsequenzen debattieren, noch einmal über den Sachverhalt austauschen.

Ich glaube, die Funkzellendatenerfassung ist bekannt. Es ist vielleicht durchaus schwierig, dort den Überblick zu behalten. Mir ist aufgefallen, dass laut Berichterstattung

der letzten Tage – die „Sächsische Zeitung“ hat das berichtet – von diesen 896 027 Mobilfunkverbindungsdaten bei mehreren Hundert Bestandsdaten erfasst werden. Das geschieht auch in dem Augenblick, wo wir hier miteinander sprechen. Das heißt, wir reden nicht über einen Skandal, der abgeschlossen ist, sondern wir reden über einen Skandal, der gerade stattfindet.

Herr Staatsminister Ulbig, es ist zwar honorig, dass Sie hier als Erster vor das Plenum getreten sind und versucht haben, Aufklärung zu schaffen, aber Sie haben es eben nicht geschafft, Aufklärung zu schaffen. Ich werde darauf zurückkommen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie zu den Maßnahmen, die jetzt im Augenblick laufen, und zu deren Rechtmäßigkeit Stellung nehmen. Das haben Sie vermieden. Ihre Auskünfte, die Sie uns im Ausschuss gegeben haben, kann ich nicht glauben. Ich sage Ihnen das ganz offen.

Sie haben uns berichtet, dass die über eine Million Datensätze auf bestimmte Funkzellen zu bestimmten Zeiten beschränkt gewesen sein sollen. Herr Staatsminister, mir liegen Akten vor, bei denen ich eine Funkzellenauswertung zwischen 11:30 Uhr und 17:30 Uhr, und zwar laufend sieben oder acht Stück, sehe. Mir ist daraus nicht ersichtlich, dass das tatsächlich zeitlich und räumlich eingeschränkt war. Das, was mir vorliegt, sieht anders aus.

Sie haben versichert, dass Berufsgeheimnisträger – Anwälte, Journalisten, Abgeordnete – nicht erfasst werden. Warum läuft dann das Strafverfahren gegen meine Fraktionskollegin Eva Jähnigen, die eindeutig in Ausübung ihres Mandats vor Ort war, die sich nicht, wie beispielsweise ich, worauf ich stolz bin, auf die Straße gesetzt hat, um gegen Nazis zu demonstrieren?

Meine Damen und Herren, auch die Anordnung der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts Dresden war eindeutig rechtswidrig. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie, Herr Staatsminister der Justiz, und auch Sie, Herr Innenminister, das endlich öffentlich einräumen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Denn der § 100g ist gegen den Beschuldigten zu richten und nicht gegen Tausende, Zehntausende, man muss fast sagen Hunderttausende von Unbeteiligten.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Genau!)

Diese Maßnahme ist per se unzulässig. Was Sie gemacht haben, ist keine übliche Funkzellenabfrage im Sinne von § 100g, sondern eine Rasterfahndung, ein Verdachtschöpfungsinstrument. Dafür haben Sie diese Rechtsgrundlage missbraucht. Nichts anderes haben Sie getan!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, es handelt sich eindeutig um einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle

Selbstbestimmung, in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und bei den Journalisten um Eingriffe in die Recherchefreiheit, Artikel 5.

Schwere Straftaten wie Landfriedensbruch haben stattgefunden. Ob das auch hinsichtlich einer kriminellen Vereinigung gilt, wissen wir nicht. Aber nehmen wir an, diese Straftaten wurden begangen. Dann dienen sie nur als Türöffner für etwas ganz anderes, nicht zur Ermittlung dieser Straftaten, sondern zu einer Generalüberwachung der gesamten Stadt Dresden am 19. Februar.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Herr Staatsminister, ich muss Ihnen widersprechen, und zwar sehr deutlich. Sie haben gerade gesagt, Ihnen liege eine dienstliche Erklärung vor, dass am 19. Februar kein IMSI-Catcher eingesetzt worden sei.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, DIE LINKE)

Ich sage hier vor dem Plenum des Hohen Hauses: Das entspricht nicht der Wahrheit:

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Jawohl!)

Mir liegt ein Dokument vor, das nachweist, dass am 19. Februar auf dem Territorium der Landeshauptstadt Dresden ein IMSI-Catcher eingesetzt wurde. Wir wissen alle, wofür man dieses Teil braucht: Man braucht es zur Feststellung der Mobilverbindungsdaten und zum Abhören der Inhalte. Genau das haben Sie am 19. Februar gemacht, das hat Ihre Polizei gemacht! Und Sie legen heute immer noch nicht alles auf den Tisch. Das ist empörend, Herr Staatsminister!

(Beifall bei den GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Biesok hat es in seiner bemerkenswerten Rede, der ich in großen Teilen zustimmen kann, gesagt: Wir müssen in der Strafprozessordnung einiges ändern. Wir sehen erheblichen Änderungsbedarf. Die Anordnung einer Funkzellenabfrage darf nur noch bei Straftaten von tatsächlich erheblicher Bedeutung im Einzelfall erfolgen. Das muss klargestellt werden. Die Begründungs- und Darlegungspflichten der Staatsanwaltschaft und der Richter müssen erhöht werden. Es darf nicht so sein wie bisher, dass ein Richter einfach ein Formblatt abzeichnet, wie das hier geschehen ist.

(Beifall der Abg. Julia Bonk, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Richtervorbehalt, wenn auf der Grundlage der Mobilverbindungsdaten Bestandsdaten abgefragt werden.

Herr Kollege, Ihr Redezeit läuft ab.

Nein, meine Damen und Herren, wir sind noch lange nicht am Ende. Ich habe den Eindruck, wir sind gerade am Anfang der Aufklärung. Sie, Herr Staatsminister Ulbig, aber auch Sie, Herr Staatsminister Dr. Martens – ich möchte Sie ausdrücklich nicht

auslassen –, Sie haben bisher wenig dazu getan, Aufklärung zu schaffen, und das müssen Sie endlich leisten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Der Abg. Lichdi sprach für die Fraktion GRÜNE.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Für die NPD-Fraktion spricht jetzt – – Oh, ich sehe, es wird eine Kurzintervention gewünscht. Entschuldigung, Herr Dr. Hahn.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Lichdi hat eben darauf hingewiesen, dass ihm Unterlagen vorliegen, wonach der Catcher an diesem Tag in Dresden eingesetzt worden sei. Mir liegen keine Unterlagen vor. Informationen dazu habe ich aber auch erhalten. Ich denke, wir können jetzt diese Sitzung nicht fortsetzen, ohne dass sich der Innenminister gegenüber dem Parlament erklärt, ob er vorhin in seiner Eingangsrede die Unwahrheit gesagt hat.

(Beifall den LINKEN – Unruhe bei der CDU)

Gibt es jetzt eine Reaktion auf die Kurzintervention? – Die Staatsregierung hat noch Redezeit. Der Herr Staatsminister kann zwar jederzeit das Wort ergreifen, aber er kann nicht auf die Kurzintervention reagieren.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Er kann aber reden, wenn er will!)

Wollen Sie gleich sprechen? –