Protocol of the Session on April 20, 2011

suchen viele Touristen nach Entschleunigung und Besinnung, nach Innehalten und Nachdenken, nach Kunstbetrachtung und Ruhe in Sakralgebäuden als Gegenentwurf zum Turbotourismus und der Jagd nach dem nächsten

Hype und Event. Menschen, die für solche Themen ansprechbar sind, verfügen mehrheitlich, so zeigen es Untersuchungen, auch über entsprechende Kaufkraft und/oder über einen höheren Bildungsgrad. Aber es gibt auch hierzu den Gegenentwurf in Form der klassischen Pilgerreisenden, die ihre Ansprüche auf das Wesentliche reduzieren. Für beide Gruppen müssen entsprechende Angebote entwickelt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den vorangegangenen Beiträgen ist bereits über den interministeriellen und ressortübergreifenden Ansatz der Lutherdekade gesprochen worden. Vielfältige Initiativen sind inzwischen in Vorbereitung. Das Themenjahr 2012 ist eines davon.

Die Lutherdekade ist aber auch eine gute Chance, dem konstruktiven Miteinander von Staat und Kirche Ausdruck zu verleihen. Organisatorisch drückt sich das in der Zusammenarbeit von staatlichen, kommunalen, politischen und kirchlichen Vertretern in der regionalen Steuerungsgruppe Sachsen aus, deren Aufgabe es ist, Ansprechpartner der beteiligten Ministerien zu sein, die Koordinierung und Vernetzung der Informationen vorzunehmen und die Begleitung bei der Umsetzung von zentral gefassten Entscheidungen zu leisten. Die Staatsregierung hat hier mit Christian Otto und die evangelischlutherische Landeskirche Sachsen mit Oberkirchenrat Dr. Seele ihre jeweiligen Beauftragten bzw. Verantwortlichen für die Lutherdekade benannt, die den Freistaat bzw. die evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsen in den bundesweiten Arbeitsgremien vertreten. Auf Landesebene sind sie unter anderem auch aktiv in ein touristisches Schlüsselprojekt eingebunden, das derzeit durch den Tourismusverband „Burgen- und Heideland“ konzipiert wird, den sächsischen Teil des Lutherweges, der im Norden bei Bad Düben die Verbindung zum bereits fertigen sachsen-anhaltischen Weg und im Westen nach Altenburg zum Thüringer Weg darstellt.

Auf der ITB im März dieses Jahres wurde mit einem ersten Flyer auf das Projekt aufmerksam gemacht. Der sächsische Lutherweg verbindet Orte, die Martin Luther und andere Reformatoren persönlich, zum Teil auch mehrfach besuchten, wie beispielsweise Eilenburg, Grimma, Leipzig, Torgau oder Zwickau. Aber hier gibt es auch einen Wermutstropfen. Leider machen noch nicht alle Orte, die an dieser Route liegen und die davon eigentlich profitieren könnten, in der Initiative mit. Hier ist noch ein bisschen Aufklärungsarbeit zu leisten.

Das Projekt Sächsischer Lutherweg besteht aus fünf Modulen. Das erste ist in Arbeit, die weiteren sind in der Projektierung und auch schon wesentlich fortgeschritten. Ich bedanke mich hier ausdrücklich, dass das SMUL mit EU-Fördermitteln eine sehr aktive Unterstützung gibt. Die Kommunen und auch die Kirchen beteiligen sich mit eigenen Beiträgen. Hier geht es eben nicht darum, Herr Prof. Besier, die Kirchen zu alimentieren. Ohne die aktive Beteiligung der Kirchen, ohne dass Kirch-Gebäude saniert und hergerichtet werden, ohne dass Ehrenamtliche

dafür sorgen, dass die Kirchen offen sind und besichtigt werden können, ohne all dieses Engagement würde dieses Projekt nicht funktionieren. Deshalb auch herzlichen Dank an alle, die sich hierbei aktiv einbringen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der Lutherweg ist auch nicht nur als ein Projekt gedacht, das man eben im Rahmen dieser Dekade macht, sondern er soll nachhaltig angelegt werden und über die Lutherdekade hinaus als touristischer Wanderweg durch Sachsen funktionieren und ständig weiterentwickelt werden.

Die evangelisch-lutherische Kirche ist sehr bemüht, die Gemeinden, die am Lutherweg liegen, intensiv zu beteiligen, insbesondere mit der Kampagne „Zuverlässig geöffnete Kirchen“, sodass nicht allein touristische Aspekte zum Tragen kommen, sondern die Reformation als ein historisches Ereignis vor Ort – hier können auch die Schulen eingebunden werden – zu entdecken ist und damit eine große heimatgeschichtliche und identitätsstiftende Bedeutung bekommt.

Das eigentliche Potenzial der Lutherdekade liegt aber im Auslandsmarketing. Das kommt dem Ziel entgegen, das das SMWK verfolgt, nämlich den Anteil der ausländischen Touristen in Sachsen zu erhöhen. Er beträgt gegenwärtig 11 % und liegt damit noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Hier tut sich für unseren Freistaat eine große Chance auf, diesen Anteil zu erhöhen. Herr Tippelt hat gestern in der Debatte zur Industriekultur in Sachsen das Beispiel „Ruhr 21“ angebracht. Auch dahin sind sehr viele Touristen aus dem Ausland und von Übersee gekommen. Für uns kommt es darauf an, alles, was wir in Sachsen haben und touristisch von Rang und Bedeutung ist, in entsprechende buchbare Angebotspakete einfließen zu lassen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Windisch?

Ja, bitte.

Frau Dr. Pinka, bitte.

Vielen Dank. – Frau Windisch, ich komme noch einmal auf Ihren Redebeitrag zurück. Sie sprachen davon, dass Sie diesen Lutherweg nachhaltig anlegen wollen und er für viele Generationen verfügbar sein soll. Meine Frage an Sie: Ist dieser nachhaltig angelegte Lutherweg barrierefrei?

(Zuruf von den LINKEN: Er ist asphaltiert!)

Das ist in der Planung mit vorgesehen, Frau Dr. Pinka. Wir sind im Moment in der Umsetzung. Der Weg ist noch nicht fertig. Aber es ist ja bekannt, dass bei allen neuen Projekten der Aspekt der Barrierefreiheit eine große Rolle spielt.

Wir waren bei dem internationalen Marketing. Für den Bereich des internationalen Marketings und die Zuarbeit auf die entsprechenden thematischen Initiativen der DZT

ist die TMGS zuständig. Sie ist bereits jetzt in vielen Arbeitsgremien vertreten, aber der Vorlauf für die Durchdringung des internationalen Marktes beträgt mehrere Jahre und es muss frühzeitig mit der Produktentwicklung und Vermarktung begonnen werden. Dafür ist auch die Bereitstellung entsprechender Marketingmittel für die TMGS für dieses Projekt nötig. Ich gehe davon aus, dass dieses durch das SMWA auch zeitnah erfolgen wird, damit wir hier gegenüber den beiden anderen beteiligten mitteldeutschen Ländern nicht ins Hintertreffen geraten.

Unser Land hat zum Thema Lutherdekade und Reformationsjubiläum unendlich viel zu bieten. Diese Schätze gilt es zu heben, der Welt zu zeigen und für unser Land touristisch sowie als Imagegewinn in Wert zu setzen. Das ist eine einmalige Chance, meine Damen und Herren, wenn man nur alle Facetten und Möglichkeiten erkennt, Sachsen als weltoffenes kultur- und religionsgeschichtliches Tourismusland international zu präsentieren.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP – Antje Hermenau, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Frau Hermenau, bitte.

Ich möchte gern eine Kurzintervention machen. Ich habe einen Moment gebraucht, um mich nach dem Schock zu erholen. Ich möchte gern zu Ihnen, Herr Prof. Besier, kurz Stellung nehmen.

(Arne Schimmer, NPD, steht am Mikrofon.)

Ich habe mit einer gewissen Befremdung wahrgenommen, was Sie hier vorgetragen haben, auch wenn der Ton konziliant gewesen ist. Jede Zeit hat ihre Rahmenbedingungen. Als Luther lebte, waren das vielleicht auch Armut und Kleinstaaterei, was Deutschland weiter arm gehalten hat. Wenn ein Adolf Hitler in der Denktradition zeitgenössischer Christen in Österreich denkt, sich auf Luther berufen zu können, schändet das meiner Meinung nach noch lange nicht Luther, denn er hat mit Interpreten von Luther gesprochen.

(Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Wenn wir das auf Ihre Klientel anwenden und sagen, ein von Ihnen sehr geschätzter Philosoph, der sich verdient gemacht hat um die Analyse des Kapitals, nämlich Karl Marx, wäre durch seine Interpreten beschmutzt worden, zum Beispiel Stalin, auf dessen Konto Millionen von toten Menschen im letzten Jahrhundert gingen, dann würde das bedeuten, dass jeder, der in seinen Rahmenbedingungen etwas Besonderes geleistet hat, relativiert werden müsste und man nicht anerkennt, dass in jeder Zeit bestimmte Rahmenbedingungen bestimmte Handlungen zu etwas Besonderem machen, sondern jeder Mensch, der das macht, nichtig wäre. Ich halte das für unverschämt.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Herr Prof. Besier, bitte.

Lassen Sie mich darauf kurz erwidern. Es geht doch gar nicht darum, Luther in irgendeiner Weise abträglich darzustellen, sondern es geht darum, den Missbrauch mit Luther – dieses Wort „Missbrauch“ habe ich verwandt – ebenfalls mit zu erzählen und deutlich zu machen, was mit Luther angestellt wurde, in welcher Richtung er instrumentalisiert wurde. Wir haben doch hier anschaulich erlebt, dass dies wieder eingetreten ist. Luther und die Deutschen – hören Sie es nicht scheppern? Darauf habe ich abgehoben und gesagt, wir müssen beides zeigen. Beides!

(Zuruf von der NPD)

Vielleicht bei Ihnen nicht.

Wir müssen diese Ambivalenzen deutlich machen, um davor zu warnen, dass wir wiederum einem Missbrauch Vorschub leisten. Um nichts sonst geht es. Wir müssen immer beides darstellen. Wir müssen in der Tat die historische Distanz deutlich machen, die zwischen Luther und uns heute liegt. Wir können nicht einfach historische Elemente instrumentalisieren. Nichts sonst, Frau Hermenau, habe ich sagen wollen. Ich hoffe, wenn es denn nicht klar war – Sie haben immerhin eingeräumt, dass ich konziliant geredet hätte –, dass ich es jetzt hinreichend klarstellen konnte.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN – Widerspruch der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Der Abg. Pellmann hatte sich gemeldet. Ist das noch aktuell?

Bitte, Herr Pellmann, und danach Herr Schimmer.

Frau Präsidentin! Es kommt mir nicht zu, aber ich hatte angenommen, dass Frau Hermenau sich zum vorangegangenen Redebeitrag von Frau Windisch im Sinne einer Kurzintervention äußern wollte. Das wollte ich nämlich. Das würde ich jetzt auch gern tun.

Bitte.

Ich bin fast genauso erschüttert wie Frau Hermenau in anderem Zusammenhang, nämlich zu dem Redebeitrag von Frau Windisch. Sie bezeichnete in einem lapidaren Satz den vorhergehenden Disput zwischen einem gestandenen Hochschullehrer und einem anderen Professor als professorales Geschwätz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn dieser Landtag nicht mehr in der Lage ist, einen intellektuellen Disput zu begreifen bzw. nachzuvollziehen, dann sind wir arm dran. Und ich füge hinzu: Was Sie, Frau Windisch, dann zu dem Tagesordnungspunkt beizutragen pflegten war fraglich im Sinne von Luther, der dereinst gegen finanzielle und andere Machenschaften der herrschenden Kirche auftrat und insbesondere den Ablasshandel rügte und manches Gute für die Menschen getan hat. Wenn Sie sich nach Ihrem Einleitungssatz vom professoralen Geschwätz auf die Ebene eines Werbeblocks herablassen, war das wirklich nicht im Sinne von Luther und hat Sie auch irgendwo selbst diskreditiert.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD – Uta Windisch, CDU, steht am Mikrofon.)

Jetzt gebe ich Frau Windisch die Gelegenheit sich zu äußern.

Herr Dr. Pellmann, ich habe nicht den wissenschaftlichen Disput zwischen Herrn Prof. Besier und dem anderen Wissenschaftler bewertet, sondern die Art und Weise, wie er das vorgetragen hat. Diese belehrende Art, das darf ich hier so sagen, denn ich habe das freie Rederecht, geht mir im wahrsten Sinne des Wortes auf den Geist.

(Beifall bei der CDU)

Das muss man nicht gut finden, und das muss man hier auch sagen dürfen.

(Karl Nolle, SPD: Frau Windisch, hören Sie mit dem Geschwätz auf!)

Des Weiteren hat es sich nicht um einen Werbeblock gehandelt. Welche Funktion haben wir denn als Sächsischer Landtag? Wir stehen in Verantwortung für dieses Land. Und dazu gehört doch wohl auch, auf die kulturellen Schätze zu verweisen und diese im Ausland zu bewerben.

(Zuruf von den LINKEN: Das macht die Marketinggesellschaft!)