Protocol of the Session on April 20, 2011

Wir gehen jetzt in die zweite Runde und ich rufe wieder die CDU-Fraktion auf; Frau Abg. Fiedler, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben es schon gesagt: 2008 ist die Lutherdekade feierlich eröffnet worden, und weil sie einfach noch zu gering in der Wahrnehmung im gesellschaftlichen Leben bewusst ist, haben wir, sehr geehrter Herr Prof. Besier, diesen Antrag gestellt.

(Beifall bei der CDU)

Mich wundert es schon etwas, Frau Dr. Stange, wenn Sie die Staatsregierung fragen, warum das bislang noch nicht so präsent war, wenn Sie doch 2008 auch politische Verantwortung hatten, gerade im Wissenschafts- und Kunstministerium.

(Zurufe von der SPD)

Das Kunstministerium hat Frau Stange geleitet, das kann sie nun einmal nicht leugnen, und auch nicht entsprechende Vorarbeit geleistet. Deshalb sind wir froh, dass wir heute hier dieses Thema präsentieren können.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Das können Sie gar nicht einschätzen, Frau Fiedler!)

Ich möchte gern zum Inhalt unseres Antrages zurückkommen und von unserer Seite betonen, dass die Lutherdekade für uns kein touristisches Event ist, sondern dass die vielfältigen Facetten des Lebens mit betrachtet werden sollen. Eine davon ist die kulturelle Bildung, auf die ich mich mit meinem Beitrag als Kulturpolitikern konzentrieren möchte. Die Lutherdekade, Luther und die Reformation bieten wirklich eine gute Grundlage, um verschiedene Fragen der heutigen Zeit zu diskutieren. Wir wollen – so viel noch einmal zu dem, was Sie angesprochen haben –, dass das Thema kulturelle Bildung eine Rolle in der Steuerungsgruppe der Lutherdekade und auch in den verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen spielt.

Wie kann das konkret aussehen? Beispielsweise durch Projekttage zum Thema oder durch das Aufgreifen der Thematik in den Kultureinrichtungen, deren Bezug zu Luther und die Darstellung der aufgeworfenen Fragen. Dazu gibt es nun nicht für jede Kultureinrichtung ein einzelnes Budget – ich denke, das ist nachvollziehbar –,

sondern es gibt für die Lutherdekade insgesamt ein Budget.

Ich bin mir sicher: Wenn das Thema Lutherdekade/Luther an die Kultureinrichtungen herangetragen wird, wird auch von deren Seite noch eine Vielzahl an Ideen und Vorschlägen kommen. Es gibt zahlreiche Bereiche, die man ansprechen kann: Reformation und Bildung, Reformation und Musik, Reformation und Sprache, Reformation und Freiheit – das Jahresthema 2011 lautet so –, Reformation und Glaube, Reformation und Politik. Es geht um Fragen von Frieden, Gerechtigkeit und Toleranz, aber auch um die Bedeutung von Macht. All diese Stichworte haben etwas mit der Lutherdekade und mit Luther zu tun. Das Thema Reformation ist aktuell – damals wie heute. Wir wollen eine Spurensuche in unserer Geschichte anstoßen. Es geht uns um die Werte, die unsere Gesellschaft zusammenhalten.

Sehr geehrter Herr Prof. Besier, die Reformation hat zu weit mehr geführt als nur zur Trennung in katholischen und evangelischen Glauben. Sie hat unser Land nicht nur in religiöser, sondern auch in kultureller, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht verändert.

(Beifall bei der CDU)

Selbst wenn der Anteil der Protestanten in Sachsen wohl nur bei gut 20 % liegt, so hat das Christentum unsere Kultur, unsere Identität, unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben – auch unsere Werte – entscheidend geprägt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn wir diesen Hintergrund nicht kennen, sind für uns verschiedene Lebensweisen einfach nicht verständlich. Damit ist die Lutherdekade eine wunderbare Gelegenheit, Probleme der Geschichte mit Fragen der heutigen Zeit zu verbinden, geschichtliche Orte erlebbar zu machen und einen Bezug zur heutigen Zeit herzustellen.

Die Lutherdekade bietet außerdem eine Bandbreite an Möglichkeiten, deutlich zu machen, welchen Lernprozess eine Gesellschaft in den vergangenen 500 Jahren durchschritten hat und welche Erkenntnisse sich daraus ziehen lassen. „Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe der Lutherdekade, das kulturelle Gedächtnis zu stärken und unserem kulturellen Bewusstsein das nötige Maß an historischer Tiefenschärfe zu verleihen“, hat Wolfgang Huber zur Eröffnung der Lutherdekade gesagt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lutherdekade ist kein Jubeljahrzehnt. Es geht durchaus auch darum, die widersprüchlichen Seiten Luthers, den Missbrauch seiner Intentionen – wie wir es leider gerade wieder vonseiten der NPD erleben mussten –,

(Arne Schimmer, NPD: Das ist doch völliger Blödsinn! Wo habe ich das denn gemacht?)

aber auch die Schwierigkeiten von Glauben und Religion zu diskutieren. Wir sollten die Jahre bis 2017 nutzen, auch die Frage nach dem Verhältnis des Christentums zu

anderen Religionen anzusprechen. Religion und Glauben haben viel Gutes, waren aber auch Anlass zu Diskriminierung und militärischen Ausschreitungen. Religion verbindet viele Menschen, kann aber leider auch trennen. Auch dieser Zwiespalt gehört zur Auseinandersetzung mit der Reformation und ihrer Geschichte.

Auch wenn es diese Seiten zu beleuchten gilt – Martin Luther und sein Wirken sind für uns nach wie vor beispielhaft. Aus seinem Leben und seinem Wirken lassen sich Rückschlüsse für das heutige Zusammenleben ziehen: Freiheit ist nichts Selbstverständliches. Wie weit reicht die Freiheit des Menschen? Wo liegen die Grenzen? – All das sind Fragen, die 1517 so aktuell waren wie heute und die wir insbesondere an die jungen Menschen herantragen und mit ihnen diskutieren wollen.

Die Lutherdekade ist nicht Vergangenheit. Reformation ist Gegenwart und Zukunft. Die Lutherdekade reicht bis 2017. Damit geht sie über das Haushaltsjahr 2012 hinaus. Deshalb heißt es unter Punkt 1 unseres Antrags, dass die Aktivitäten zur Lutherdekade weiter gefördert werden sollen, weil sie eben nicht 2012, sondern erst 2017 beendet ist.

(Beifall bei der CDU und FDP)

Religion, Politik, Kultur und Bildung können am Beispiel der Lutherdekade lebensnah diskutiert werden. Deshalb wollen – und sollten – wir die Lutherdekade stärker in unser Bewusstsein rücken. Der vorliegende Antrag und die heutige Befassung mit diesem Thema in diesem Haus sind ein guter Auftakt dafür.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Gibt es vonseiten der Fraktionen noch Redebedarf? Mir liegt noch eine Wortmeldung von Frau Windisch vor. Ich frage aber zunächst die anderen Fraktionen. – Herr Prof. Besier, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bitte nicht sofort allergisch reagieren, wenn auch einmal Kritisches bzw. Bedenken aufkommen. Es geht mir auch um die Ambiguitäten. Das genau ist doch hier demonstriert worden. Ich meine, einige wollen zu schnell einen Transfer, einen Wechsel vom Mittelalter über die Neuzeit zur Gegenwart vornehmen. War Luther wirklich ein neuzeitlicher Mensch? Sie wissen doch: Das ist heftig umstritten. Sein Freiheitsverständnis jedenfalls hat nichts mit unserem modernen Freiheitsverständnis zu tun. Wir sollten keine triumphale Geschichtsschreibung betreiben und damit jenen den Weg ebnen, die schon wieder von einem „deutschen Luther“ reden.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Was hat Preuß zu Luther und den Deutschen geschrieben – Preuß wurde nach 1945 der Lehrstuhl entzogen –: „Die

Deutschen haben dreimal geliebt: Luther, Bismarck und Adolf Hitler.“

(Arne Schimmer, NPD: Das ist aber auch etwas zu einfach, Herr Prof. Besier!)

Nein, genauso steht es in dem Buch „Luther und die Deutschen“. – Das ist doch Unsinn. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht auf diese leicht abschüssige Bahn geraten. Wir haben also beides zu beleuchten.

(Zurufe von der CDU: Dass er das am 20. April sagt! – Was erzählt der denn da für einen Blödsinn!)

Rufen Sie doch nicht in dieser Weise dazwischen und ebnen Sie nicht jenen den Weg, denen Sie doch politisch fernstehen wollen.

Es geht darum, dass wir beides beleuchten, zunächst das, was behaltenswert ist. Dabei müssen wir uns stets der historischen Distanz bewusst bleiben. Wir können nicht historische Figuren einfach für die Gegenwart konsumierbar machen. Das funktioniert so nicht. Dieser Transfer ist mit vielen Widerständen verbunden. Selbstverständlich können wir in historischer Absicht an große Gestalten und deren Wirken erinnern. Wir müssen dann aber ebenfalls – das habe ich in meinem ersten Redebeitrag zu sagen versucht – an den Missbrauch erinnern, dem Luther ausgesetzt war und den er mit vielem, was er gesagt hat, auch provoziert hat; einige Vorredner haben dies angedeutet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Sinne werden wir Ihrem Antrag zustimmen. Wir verbinden damit die Bitte, dass Sie die Ambivalenzen bzw. Ambiguitäten berücksichtigen und nicht vorschnell Transfers von der Historie in die Gegenwart vornehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Jetzt Frau Abg. Windisch, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bedeutung der Reformation für Sachsen darstellen und erlebbar machen – dazu bedarf es handfester Initiativen und keines professoralen Geschwätzes. So viel zum vorangegangen Beitrag.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN: Und Prof. Schneider?)

Die Lutherdekade ist nicht nur als religiöses und kulturgeschichtliches Ereignis zu verstehen. Es sind auch wirtschaftliche Auswirkungen ins Blickfeld zu rücken; denn für Sachsen sind vielfältige positive touristische und ökonomische Synergieeffekte zu erwarten. Das sage ich bewusst. Ich widme mich diesem Teil, auch wenn mir natürlich die geistesgeschichtlichen Wurzeln näher liegen als nur das Reden über das Geschäft. Aber man muss auch diesen Teil hier beleuchten.

Zum Reformationsjubiläum rechnet die Deutsche Zentrale für Tourismus – DZT – mit einem erhöhten nationalen und internationalen Besucheraufkommen. Das KulturReiseland Deutschland wird im internationalen Wettbewerb weiter gestärkt. Sachsen muss davon profitieren.

Unter den weltweit über 400 Millionen Protestanten, die hauptsächlich in Nordamerika – USA und Kanada –, in Mitteleuropa und den nördlichen europäischen Ländern zu finden sind, in wachsender Zahl aber auch in Asien und Afrika, identifiziert die DZT ein hohes touristisches Potenzial. Dieses muss auch Sachsen mit interessanten touristischen Angeboten als Zielgruppe besonders in den Fokus nehmen.

Der Deutsche Bundestag hat bereits 2009 einen Antrag beschlossen, das Reformationsjubiläum als welthistorisches Ereignis zu würdigen, und der DZT für das internationale Marketing entsprechende finanzielle Mittel an die Hand gegeben, insbesondere für die Vermarktung der touristisch relevanten Jahre 2012, 2015 und 2017. Alle diese drei Themenjahre sind in touristischer Hinsicht für Sachsen relevant. Jetzt kommt es darauf an, dass die sächsischen Lutherstätten und Lutherstädte – ich denke da besonders an Torgau, Zwickau, Leipzig, Dresden, Kloster Nimbschen bei Grimma und viele weitere Sakralgebäude und historische Bauten, die mit der Reformation in Verbindung stehen, mit entsprechend interessanten Bausteinen sowohl in den DZT-Angeboten als auch in den internationalen Marketingmaßnahmen, die von der Geschäftsstelle „Luther 2017“ in Sachsen-Anhalt geplant werden – vertreten sind.

Meine Damen und Herren! Wir wissen, insbesondere Touristen aus Übersee fragen Komplettangebote und Rundreisen nach, die nicht auf ein bestimmtes Bundesland fixiert sind. Sie wissen nicht, ob die Wartburg in Thüringen liegt oder Wittenberg in Sachsen-Anhalt oder Torgau in Sachsen. Sie reisen in das Kernland der Reformation, und das sind nun einmal diese drei mitteldeutschen Länder. Auch wenn Thüringen mit der Wartburg und Sachsen-Anhalt mit Wittenberg auf den ersten Blick bekanntere Lutherstätten besitzen, kommt es auf die Cleverness der sächsischen Touristiker an, jetzt und mit zeitlich ausreichendem Vorlauf ihre kulturellen und historischen Schätze ins rechte Licht zu setzen. Für die Reisenden ist der Besuch der authentischen Orte von besonderer Bedeutung.

Meine Damen und Herren! Ein weiterer Aspekt ist: Spirituelle Reisen sind in, und das nicht erst, seitdem Hape Kerkelings Buch über seine Pilgerreise nach Santiago de Compostella erschienen ist. In unserer immer schneller und oberflächlicher werdenden Welt

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Oberflächlich war das richtige Stichwort!)

suchen viele Touristen nach Entschleunigung und Besinnung, nach Innehalten und Nachdenken, nach Kunstbetrachtung und Ruhe in Sakralgebäuden als Gegenentwurf zum Turbotourismus und der Jagd nach dem nächsten