Als Einbringerin spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE. Es folgen in der ersten Runde CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun der Linksfraktion das Wort; Herr Abg. Pellmann, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das heute erneut aufgerufene Thema hat im Sächsischen Landtag und darüber hinaus bereits eine bewegte Entwicklung hinter sich. Ich darf vorausschicken: Das wird sicherlich einige Jahre auch noch so sein.
Als ich vor zehn Jahren an diesem Pult stand und diese Problematik ansprach, war seitens der damals noch allein regierenden CDU die Botschaft zu vernehmen: Das sei nicht so wichtig. Es müsse nicht in Angriff genommen werden.
In der Zwischenzeit – das hebe ich durchaus hervor – gibt es auch bei den Christdemokraten ein differenzierteres Bild. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass der Druck seitens der Betroffenen, der Gewerkschaften und der Sozialverbände, nach über 20 Jahren endlich zur deutschen Renteneinheit zu kommen, auch an der CDU nicht spurlos vorübergehen konnte.
Ich attestiere der Koalition in gewissem Sinne – auch wenn ich auf den Koalitionsvertrag der aktuellen Koalition in Berlin schaue – durchaus Lernfähigkeit. Es wird bekanntlich versprochen, dass das Problem der Renteneinheit – ich verkürze einmal die lange Formulierung – noch in dieser Legislaturperiode gelöst werden soll. Hört, hört! Das ist durchaus ein Fortschritt, den man zunächst anerkennen muss. Aber diese These steht bisher nur auf dem Papier.
Wir haben uns sehr wohl gefragt, wann wir den bereits zu Beginn der jetzigen Legislaturperiode eingereichten Antrag auf die Tagesordnung setzen sollten. Wir haben uns deshalb für die heutige Sitzung entschieden, weil wir meinen, dass wir der Regierung nach fast anderthalb Jahren die Chance geben sollten, Farbe zu bekennen. Sie sollte uns heute deutlich machen, wie weit sie bei der Umsetzung des Versprechens im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vorangekommen ist. Aber hierbei sollte auch die Sächsische Staatsregierung mitwirken.
Deshalb sollte uns Frau Staatsministerin Clauß mit ihrer dann folgenden Stellungnahme ergänzend zu dem, was sie vor einem reichlichen Jahr geschrieben hat, zwei Fragen beantworten: Was hat sich in diesem reichlichen Jahr inzwischen getan? Was hat vor allem die hiesige Staatsregierung dazu beigetragen, dass wir das hehre Versprechen im Koalitionsvertrag umgesetzt sehen?
Wenn wir uns auf die gegenwärtige Situation besinnen, ergibt sich ein völlig anderes Bild: Sei etwa zehn Jahren stagniert die Angleichung des aktuellen Rentenwertes Ost an den aktuellen Rentenwert West. Wir haben heute – das bewegte sich in den letzten Jahren immer um etwa 12 % – noch eine Differenz von 11,3 %. Mit anderen Worten: Ein Rentenpunkt Ost ist 24,13 Euro wert, während ein Rentenpunkt West 27,20 Euro wert ist.
Mit einer Angleichung der Rentenwerte – das wird optimistisch prognostiziert, wenn sich nichts ereignet, also unserem Ansinnen nicht Rechnung getragen würde – wäre bei aller optimistischen Wirtschaftsentwicklung frühestens im Jahre 2030 zu rechnen. Diese Prognose treffen aber bekanntlich nur die allergrößten Optimisten. Meine Voraussage – ich werde es nicht erleben – ist, dass sich das eher weiter nach hinten bewegen wird. Wenn wir uns das anschauen, stellen wir fest, dass das Einkommen im Osten gegenüber dem Einkommen im Westen in den letzten zehn Jahren nicht nur stagniert, sondern – das wurde gestern auch angesprochen – sogar zurückgegangen ist. Die Schere hat sich also zuungunsten der ostdeutschen Einkommensbezieher weiter geöffnet.
Es wird dann immer gefragt: Was wollen Sie eigentlich? Diese Frage werde ich sicherlich auch heute wieder hören. Es wird gesagt, dass die Ostdeutschen doch einen höheren Rentenzahlbetrag als ihre westdeutschen Brüder und Schwestern erhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch hierbei muss ich an die Realitäten erinnern. Das ist in der Tat so. Allerdings gibt es dafür Ursachen. Es liegt an der längeren rentenanwartschaftszeitstiftenden Arbeitszeit der Ostdeutschen, insbesondere bei Frauen, und es liegt vor allem daran, dass vergleichbare Berufsgruppen, zum Beispiel westdeutsche Beamte, in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, weil sie keine Pensionsträger sind. Das verfälscht das Bild.
Wenn wir uns – das ist das entscheidende Kriterium – die Alterseinkünfte generell anschauen, dann – –
darin liegt, dass der Hochwertungsfaktor für die Ostrenten deutlich über dem Wert liegt, welcher der Unterschied zum aktuellen Rentenwert ist?
Frau Schütz, ich tue es sehr ungern, denn ich kann Ihnen nur teilweise zustimmen. Der Hochwertungsfaktor ist sehr wohl entscheidend. Darauf wäre ich noch zu sprechen gekommen. Das ist auch politisch gewollt. Allerdings gleicht er die Differenz im aktuellen Rentenwert nicht aus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Differenz, die gegenwärtig noch zwischen dem Zahlbetrag besteht, wird sich in der Zukunft umkehren; denn im Unterschied zu den westdeutschen Renten haben wir bei den Neurentnern in Sachsen im Vergleich zum Jahr 2009 einen objektiv – durch Erwerbsbiografieunterbrechungen – bedingten Rentenverlust von schon heute 60 Euro. Somit ist auch mit dieser Sichtweise die Angleichung des Rentenwertes geboten, zumal bereits heute ein Unterschied in den Alterseinkünften zwischen Ost und West von circa 20 % besteht.
Lassen Sie mich fünf Ziele unseres Antrages nennen: Erstens. Wir brauchen eine rasche Anhebung der Einkünfte ostdeutscher Rentner, und zwar sowohl der Bestandsrentner als auch der künftigen Rentner. Das kann man mit der Angleichung der Rentenwerte erreichen.
Zweitens. Wir dürfen auch keine – das sage ich ausdrücklich – Verschlechterung der Lebensverhältnisse westdeutscher Rentner zulassen. Es gibt gelegentlich die Auffassung einiger Leute, die sagen: Wenn ihr schon für die Angleichung der Rentenwerte seid, dann bitte schön an das ostdeutsche Niveau. Meine Damen und Herren, das wird von uns aus prinzipiellen Gründen abgelehnt!
Drittens. Wir brauchen endlich eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost an West. Hier dürfen die Rentner nicht auf Dauer zurückgelassen werden.
Viertens. Die Angleichung der Rentenwerte, meine Damen und Herren, ist keine Sache, die vornehmlich und in erster Linie von der gesetzlichen Rentenversicherung gestemmt werden kann. Es ist ein gesamtgesellschaftliches, politisches Anliegen, dem wir Rechnung tragen müssen.
Fünftens. Die Angleichung des Rentenwertes Ost an den aktuellen Rentenwert West muss aus Steuermitteln finanziert werden. Wir haben das immer betont und wir bleiben bei dieser Entscheidung. Deshalb gibt es einen Vorschlag – –
Herr Dr. Pellmann, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Frau Herrmann. Lassen Sie diese zu?
Danke schön. – Ich habe soeben gegrübelt. Als einen Ihrer Punkte – es war nicht der letzte, sondern einer der vorherigen – haben Sie gesagt: Wir brauchen eine Angleichung der Lebensverhältnisse. Das haben Sie so unvermittelt gesagt. Ich habe soeben gegrübelt, was Sie damit über die Angleichung des Rentensystems hinaus meinen. „Lebensverhältnisse“ ist ein Begriff, den man sehr vielfältig interpretieren kann. Das ist mir in diesem Zusammenhang etwas zu schwammig. Können Sie das ein wenig verdeutlichen?
Ich bedanke mich sehr selten für Fragen, die einen vielleicht korrigieren könnten. Aber ich tue das jetzt ausdrücklich, Frau Herrmann, weil ich Ihnen völlig zustimme, dass die von mir gemeinten Einkommensverhältnisse selbstverständlich zwar ein Kernproblem der Lebensverhältnisse sind und sein müssen, aber Lebensverhältnisse natürlich nicht in Gänze adäquat ersetzen. Insofern haben Sie völlig recht. Präziser hätte ich von Einkommensverhältnissen sprechen müssen, um deutlich zu machen, dass diese allerdings der Kern der Angleichung von Lebensverhältnissen sein müssen. Wir sind in keiner visionären Gesellschaft, sondern wir sind in einer realkapitalistischen Gesellschaft und da spielen nun mal Einkünfte eine entscheidende Rolle.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zu dem Vorschlag kommen, der sich hinter unseren heutigen Antragsformulierungen nach einem Stufenprogramm verbirgt. Hier greifen wir – und das nicht zum ersten Mal – auf einen Vorschlag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zurück.
Ja, das ist okay. – Wir hatten festgestellt: Es geht faktisch darum, dass ver.di vorschlägt, in einem zeitlichen Prozess, am 1. Januar 2012 beginnend bis 2016, durch sogenannte Zuschläge die Differenz im Rentenwert schrittweise auszugleichen, also nicht die 5 bis 6 Milliarden Euro in einem Hieb und dann ständig zu zahlen, sondern in Jahresscheiben nach oben steigend.
Der Vorschlag von ver.di enthält zugleich die von mir sehr wohl zu unterstützende Position, dass sich selbstverständlich der Zuschuss, der aus Steuermitteln zu finanzieren wäre, in der Zukunft in dem Maße reduzieren kann, wie sich der reale Rentenwert aus den Einkommensverhältnissen in Ostdeutschland angleichen würde. Das ist ein
Alles in allem geht es darum, dass wir auf einen Vorschlag zurückgreifen, der inzwischen auch von Sozialverbänden, Wohlfahrtsverbänden und zum Teil von weiteren Gewerkschaften ausgearbeitet wurde. Da die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme uns erneut deutlich macht, dass das ein sehr kompliziertes Problem, ein sehr kompliziertes Verfahren sei, könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass man diesen Vorschlag aufgreifen sollte, um eine reale Basis zu haben, das Problem lösen zu können. Denn wir sollten alle gemeinsam Interesse daran haben, dass sich die Rentenangleichung in einer Zeit vollzieht, in der die meisten Bestandsrentner und die Neurentner ohnehin noch etwas davon haben, und dass dies nicht einer biologischen Lösung überantwortet wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesondere von der CDU, machen Sie deshalb mit uns gemeinsam Nägel mit Köpfen! Erfüllen Sie mit uns gemeinsam das Versprechen der Bundeskanzlerin und der Koalition in Berlin! Beauftragen wir unsere Staatsregierung erneut, aktiv zu werden, um ein Stufenprogramm zur Angleichung des aktuellen Rentenwertes Ost an den aktuellen Rentenwert West bis 2016 zu erreichen!
Wenn die Koalition wenigstens innerhalb der jetzigen Legislaturperiode deutlich machen würde, dass sie sich genau diesem Programm anschließen könnte, dann würde ich gar nicht von ihr erwarten, das Problem – wie man auch interpretieren könnte – bis 2013, also zum Ende der jetzigen Legislaturperiode, zu lösen. Aber vielleicht wäre es sinnvoll und möglich, dass Sie sich dem annehmen könnten. Dann hätte unsere heutige Debatte, der ich damit bewusst vorgreife, einen Sinn.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bekanntermaßen ist das Thema der Angleichung der Rentenwerte nicht neu für uns. Wir haben in den verschiedenen Parteien dazu Beschlusslagen. Als CDU haben wir voriges Jahr eine entsprechende Beschlussfassung herbeigeführt.
Kollege Pellmann hatte angesprochen, dass auch im Koalitionsvertrag eine entsprechende Regelung zur Angleichung der Rentenwerte Ost und West verankert ist. Wir haben hier im Landtag bereits über dieses Thema diskutiert. Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass es einen Entschließungsantrag der ostdeutschen Bundesländer im Bundesrat gibt, der am 06.11.2008 eingebracht worden ist.
Ich denke, wir dürfen auch sagen: Wenn wir über das Thema Rente sprechen, dann spielt Sachsen im Bundesrat insgesamt eine sehr bedeutsame Rolle. Wir haben uns dort immer mit sehr viel Fachwissen eingebracht. Ich denke an den vorherigen Referatsleiter, der eine sehr hohe Aner
kennung genossen hat. Christine Lieberknecht, die Thüringer Ministerpräsidentin, hatte mir vor nicht allzu langer Zeit gesagt, dass wir wirklich mit Experten ausgestattet sind. Ich denke, dass wir weiterhin führend an diesem recht komplizierten Thema dranbleiben.
Ich möchte ein wenig ausholen, um das Thema Rente richtig zu beleuchten. Ein Mann im Osten hat eine Rente von circa 1 000 Euro aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das muss man unterscheiden. Ein Mann im Westen bekommt aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Regelfall 36 Euro weniger. Bei Frauen ist der Unterschied noch größer. Die Ostrenten sind im Zahlbetrag deutlich höher als im Westen.