Protocol of the Session on September 1, 2010

Von wem wird die Mobilität durch den öffentlichen Personennahverkehr in erster Linie genutzt? Sie wird in erster Linie selbstverständlich von denen genutzt, die kein Auto haben. Das sind a) unsere Schülerinnen und Schüler und b) die Seniorinnen und Senioren unseres Freistaates. Das sind jene, die kein Auto haben, und das sind in der Regel die Armen und Benachteiligten, die sozial Schwachen in dieser Gesellschaft.

Was bedeuten diese Kürzungen? Die Verkehrsverbünde sagen übereinstimmend aus, dass diese Kürzungen realisiert werden, indem die Fahrpreise durchschnittlich zwischen 7 und 10 % erhöht werden müssen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass man mit einem Kfz einen Kilometer für circa 15 bis 20 Cent – inklusive Abschreibung – fährt, dann kommt man mit 2 Euro circa 10 Kilometer weit. Eine Kurzstrecke, zum Beispiel in

einer Stadt, kostet mittlerweile etwas mehr als 2 Euro. Da kommen Sie gerade einmal, wenn es gut geht, 4 bis 5 Kilometer weit. Das heißt, durch die weitere Verteuerung des öffentlichen Personennahverkehrs, die durch die Kürzungen in diesem Bereich droht, treffen Sie diejenigen, die darauf angewiesen sind – die Alten, die Schwachen, die Schüler – und bevorteilen den Individualverkehr, der noch attraktiver wird. Man muss sich vergegenwärtigen, dass mit einem Auto durchaus zwei oder drei Personen befördert werden können, während man im öffentlichen Personennahverkehr den Fahrschein für jede einzelne Person bezahlen muss.

Das alles hat System, wenn man sich die Haushaltsveranschlagung ansieht. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mit einem kleinen Märchen aufzuräumen. Der Freistaat ist nicht arm. Wir wissen, dass der Freistaat in der Veranschlagung einen Konsolidierungsbedarf von gerade einmal 400 Millionen Euro hat und 1,2 Milliarden Euro werden angesetzt. Auch die sogenannte SoBEZ-Lüge, dass die Solidarpaktmittelabschmelzung den Freistaat besonders böse trifft, ist an den Haaren herbeigezogen. Wir wissen, dass das mit dem Rückgang der Investitionen kompensiert werden muss, weil sich die Infrastrukturlücke schließt. So war es bei den SoBEZ von Anfang an angesetzt.

Nun fordern wir die Rücknahme dieser Kürzungen bzw. fordern wir die Koalitionsfraktionen in den Haushaltsdebatten auf, diese Kürzungen nicht zu vollziehen. Bei der Mobilität muss insbesondere die Demografie im ländlichen Raum berücksichtigt werden, wo der Linienverkehr teilweise nur noch über den Schülerverkehr aufrechterhalten wird. Wenn Sie diese Kürzungen weiter realisieren und dort Linien eingestellt werden, dann machen Sie den ländlichen Raum noch unattraktiver und damit den Standort Sachsen insgesamt.

Zu den Investitionen, insbesondere Stichwort Leipzig. Herr Morlok kennt sich da ja aus, denn er war im Aufsichtsrat der LVB und hat selbst die Investitionsplanung sowie die Fördermittelanträge mit vorangetrieben, nachdem er mit seinem PWP gescheitert ist. Der Investitionsstau, den wir in diesem Bereich organisieren, ist eine Frage der Verlässlichkeit, wie das hier in diesem Zitat auch genannt wurde. Eine Verlässlichkeit und Planungssicherheit gibt es mit diesen Beiträgen nicht mehr.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Für die einbringende Fraktion sprach der Abg. Pecher. Als Nächstes in der

Rednerfolge kommt die CDU-Fraktion mit Frau Kollegin Springer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin erst einmal sprachlos, was Herr Pecher alles unter dieser Überschrift untergebracht hat. Aber meine Sprachlosigkeit hält sich in Grenzen.

(Stefan Brangs, SPD: Schade!)

Das können wir später diskutieren.

Sie haben eine Überschrift mit einem Gedankenstrich gewählt. Für mein Dafürhalten haben die beiden Seiten vor und hinter dem Gedankenstrich nur sehr wenig miteinander zu tun. Versuchen wir uns doch einmal, über Merkmale der Definition der Mobilität zu nähern.

Es gibt zum Beispiel barrierefreie Mobilität. Diese bezieht sich im Wesentlichen auf Bereiche von Informationen und im Medizinbereich. Dann gibt es, auch nur als Beispiel, die physikalische Mobilität, die Sie in der Mechanik, in der Elektrodynamik und auch in anderen Bereichen der Physik finden. Dann gibt es natürlich auch die geistige Mobilität. Da muss ich manchmal sagen, dass wir uns hin und wieder alle gemeinsam an die Nase fassen und uns mehr anstrengen sollten.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Insbesondere bei der CDU!)

Reden wir doch einmal über die räumliche Mobilität, die Sie ja versucht haben, hier anzusprechen. Die räumliche Mobilität setzt voraus, dass wir alle die Bereitschaft zur Bewegung in uns haben. Selbstverständlich beinhaltet das auch individuelle Anforderungen.

Die räumliche Mobilität wird im Allgemeinen in zwei große Gruppen aufgeteilt, einmal die, die man als zirkulär bezeichnet – das ist die Mobilität, wenn man früh auf Arbeit fährt und abends wieder nach Hause kommt. Dann gibt es auch noch die Mobilität, die einer Sitzveränderung ihre Basis gibt – das sind Umzüge, man kann auch vom Tourismus sprechen. Diese ganze Breite, so glaube ich, schafft es nicht, die heutige Debatte überhaupt zu beleuchten.

(Enrico Stange, Linksfraktion: Ihr Beitrag erst recht nicht!)

Wir kommen jetzt weiter zu differenzierten Betrachtungen der Mobilität, nämlich zur Grundvoraussetzung, dass wir räumliche Distanzen damit überwinden wollen. Aber wer sagt Ihnen denn, dass wir die räumlichen Distanzen unbedingt nur mit einem motorgetriebenen Fahrzeug überwinden müssen? Wir haben hier in unseren Reihen einen Kollegen, der von Oederan nach Dresden mit dem Fahrrad fährt.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Stefan Brangs, SPD: Fahrrad für alle!)

Ich glaube, dass es auch zuzumuten ist, dass man innerhalb einer Stadt oder einer Gemeinde zu Fuß geht oder mit dem Fahrrad fährt. Auch das ist Mobilität.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein, jetzt nicht.

Die Qualität der Mobilität ist nicht davon abhängig, womit man fährt oder womit man sich bewegt,

(Stefan Brangs, SPD: … sondern wohin man fährt!)

sondern was man auf seinen Wegen erledigt. Wenn Sie sich bemühen und in der wissenschaftlichen Betrachtung der letzten 40 Jahre einmal in die Tiefe gehen, dann werden Sie merken, dass jeder 3,3 Wege am Tag erledigt, nicht mit dem Ziel der Aktivität, sondern mit dem Ziel, etwas zu erledigen. Irrtümlicherweise wird heute in unserer Diskussion immer Motorisierungsgrad mit Mobilität gleichgesetzt. Das ist, gelinde gesagt, Blödsinn.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Hört, hört!)

Da jetzt meine Zeit fast abgelaufen ist,

(Beifall bei der Linksfraktion)

werde ich Sie nicht weiter mit vielen Zahlen nerven. Aber eines sollten Sie sich dennoch anhören: 8 % der Gesamtwege werden mit ÖPNV-Mitteln zurückgelegt, und – das kommt auf die Quelle an – circa 20 bis 33 % werden zu Fuß zurückgelegt. Es ist unsere Aufgabe und unser Anliegen, dass wir hier die Verkehrsplanung und die Verkehrsverbünde so unterstützen, dass damit der Anteil am Gesamtbudget verschoben wird. Wir wollen hier eine Steigerung erreichen. Aber ob das Mobilitätsbedürfnis unbedingt davon abhängt, was der ÖPNV macht, wage ich zu bezweifeln, wobei ich Ihnen recht gebe, dass über die Kürzungen noch zu reden ist. Wir haben die sachliche Debatte vorbereitet, indem wir eine Anhörung beantragt haben.

(Starker Beifall bei der CDU)

Das war die Frau Kollegin Springer von der CDU-Fraktion. Als Nächstes die Fraktion DIE LINKE mit Herrn Stange.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Es kann nur besser werden!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Frau Springer! Zuerst zur Klarstellung: Die Anhörung haben Kollege Brangs und ich im Ausschuss beantragt, weil der Antrag der CDU/FDP-Koalition, im Übrigen Ihnen mittlerweile ja auf die Füße fallend, wohl doch etwas unklar war.

Zweitens. Wenn Sie zur Mobilität Klärungsbedarf haben, wie sie hier mit dem Haushaltsansatz zur Rede steht, dann hätten Sie auch Ihren parlamentarischen Geschäftsführer losschicken können, der es Ihnen irgendwann erklärt hätte.

Drittens. Diese Aktuelle Debatte fügt sich tatsächlich in die Kontinuität der Befragung ein. Wir haben bereits zwei Anhörungen zur Mobilität in diesem Haus hinter uns gebracht, und zwar zur räumlichen Mobilität, sehr geehrte Frau Springer, um das noch einmal zu klären, und wir werden am 14.09. den dritten Aufschlag dazu haben, sodass diese Debatte im Wesentlichen eher ein Zwischenbericht ist, wie wir in den Anhörungen Erfahrungen sammeln konnten.

Zu Herrn Staatsminister. Sehr geehrter Herr Morlok, Sie haben den Haushaltsentwurf als „großen Wurf“ bezeichnet. Das war überall zu lesen. Lieber Kollege Pecher, da muss ich etwas berichtigen. Wenn man nämlich die Jahre 2011 und 2012 in den wesentlichen Positionen zusammenzählt, um die es hier geht, sagen Sie, dass es um einen Entzug geht. Ich sage dazu, dass Sie dem ÖPNV hier Geld auf der einen Seite in einer Größenordnung von knapp 170 Millionen Euro klauen, wenn man es zusammenzählt, und zwar im investiven und im Grundfinanzierungsbereich. Das ist eine Größenordnung, die man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte. Sie klauen 170 Millionen Euro, obwohl der Bund im Vergleich zum Jahr 2010 19 Millionen Euro in diesen Positionen dazugibt. Das muss man erst einmal hinbekommen.

Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht. Sehen Sie einmal in den Haushalt hinein! Da taucht eine Position auf, die dort vorher nicht stand: City-Tunnel – beide Jahre zusammen 100 Millionen Euro! Dahin versenken Sie das Geld, das Sie dem ÖPNV entziehen, und das nennen Sie „großen Wurf“! Sehr geehrter Herr Morlok, ich darf Ihnen ankündigen, dass wir bei der kommenden Anhörung im Wirtschaftsausschuss zur ÖPNV-Finanzierung, zu der die Geschäftsführer der Verkehrsverbünde geladen sind, diese hochnotpeinlich zu folgender These befragen werden: Staatsminister Morlok, „Freie Presse“, 4. August 2010 – Frage: „Sie wollen dem ÖPNV 2011/12 ganze 7,5 % weniger Zuschüsse geben – warum?“ Darauf die Antwort: „Ich bin mir sicher, das können die Verkehrsverbünde verkraften; sie haben Reserven.“

Abgesehen davon, dass ich diesen Ausspruch „Wir haben Reserven“ von früher kenne, werden wir die Verkehrsverbünde sehr wohl hochnotpeinlich fragen und in der weiteren Behandlung in der Haushaltsdebatte, Herr Morlok, sehr gespannt sein, welche geheimen Informationen Ihnen vorliegen, wo denn diese Reserven angehäuft wurden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht bei der Mobilität darum, den ländlichen Raum nicht abzuhängen. Kollege Pecher hat genau darauf hingewiesen; das kann ich nur ausdrücklich unterstützen. Es geht darum: Barrierefreie Mobilität, sehr geehrte Frau Springer, gibt es auch in der räumlichen Mobilitätsfrage. Schauen Sie sich

unsere Bahnhöfe und unsere Haltestellen an – da ist genug zu tun. Aber wenn man natürlich den investiven Zuschuss von 102 Millionen Euro auf 35 oder 38 Millionen Euro abrollt, dann wissen Sie, wie viel an Investitionsmöglichkeiten im ÖPNV überhaupt noch vorhanden sein wird.

Es handelt sich im Wesentlichen wohl eher um eine – warum auch immer – stattfindende Strafaktion gegen den Öffentlichen Personennahverkehr, das muss man in aller Deutlichkeit sagen; denn die wissen mittlerweile auch nicht mehr, was sie von Ihnen halten sollen.

Klar, man kann sich – das ist Staatsmodernisierung auf andere Art und Weise –sicherlich auf den Weg machen, ein Ministerium abzuschaffen. Zum Teil wird es ja schon von anderen Kollegen Ihrer Regierung geplündert; das kann man ja auch betrachten, wenn man sich den Haushalt anschaut. Vielleicht schaffen Sie sich im nächsten Haushalt dann selbst ab. Das wäre natürlich ein Weg, dann brauchen Sie auch keine ÖPNV-Finanzierung.

Wir werden auf jeden Fall – der CDU-Fraktionsvorsitzende im Kreistag der Sächsischen Schweiz hat es bereits gesagt – die Gegenwehr aus den Kreisen –

Ihre Zeit läuft ab, Herr Kollege.

– unterstützen; das sei hier schon in aller Deutlichkeit angekündigt.

Danke schön.