Protocol of the Session on September 1, 2010

Bitte schön, Herr Kollege Pellmann.

Herr Krauß, Sie haben heute nicht zum ersten Mal diejenigen gewürdigt, die früh aufstehen. Ich stehe halb vier auf, aber das nur am Rande.

Wann gehen Sie schlafen, Herr Dr. Pellmann?

Aber ich brauche keine Würdigung, sondern möchte Ihnen eine Frage stellen. Sind Ihre Nöte, dass die Rente immer weiter sinkt, wie Sie es vorgerechnet haben, nicht darin begründet, dass in unserem Land zu geringe Löhne gezahlt werden und wir endlich einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen?

(Beifall bei der Linksfraktion)

Damit könnten wir die Probleme lösen. Sie zäumen das Pferd vom Schwanz auf. Fassen Sie doch endlich an die Zügel, dann werden Sie steuerungsfähig!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Nein, Herr Kollege Dr. Pellmann, ich habe es vorhin schon einmal gesagt. Das Problem ist doch Folgendes: Wir haben zu wenig junge Menschen, die in die Rentenversicherung einzahlen, und wir haben die Situation – dankenswerterweise –, dass die Menschen immer älter werden und länger von der Rente leben. Das ist doch das Problem.

Jetzt muss man aber schauen. Es gibt manche, für die ich mir wünschen würde, dass sie einen höheren Lohn hätten – das ist gar keine Frage –, und bei denen auch der Arbeitgeber in der Lage ist, einen höheren Lohn zu zahlen. Aber ich habe wenig davon, wenn wir so weit kommen, dass wir Löhne staatlich festsetzen und diese nicht mehr zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgehandelt werden, die Leute dann aber auf der Straße stehen und überhaupt keine Arbeit mehr haben. Somit hätten sie erst recht so gut wie nichts in die Rentenversicherung eingezahlt. Das würde uns nicht weiterbringen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich, da wir beim Thema Rente sind, noch auf ein anderes Thema eingehen, nämlich auf die Angleichung der Rentenwerte Ost und West. Das ist ein Punkt, der auch im Koalitionsvertrag steht.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Das Thema hätten Sie jetzt nicht aufrufen sollen!)

Ich finde aber, es ist ein spannendes Thema. Ich dachte, Sie sprechen es an, dann hätte ich reagiert, aber so spreche ich es ohne Ihre Anregung an.

Wichtig ist aber, dass die heutigen Arbeitnehmer, wenn wir über die Angleichung der Rentenwerte diskutieren, nicht die Gekniffenen sind. Wie Sie wissen, liegt der Rentenwert Ost bei 88 %, also ein Rentner bekommt für die gleiche Arbeitszeit bei gleichem Lohnniveau weniger Geld. Aber – das muss man auch wissen – es gibt eine Aufwertung der Einzahlungen in die Rentenversicherung mit dem Faktor 1,16. Es geht also darum, dass jemand, der heute arbeitet, seine Rentenwerte aufgewertet bekommt, denn – das ist gerechtfertigt – Arbeitnehmer im Osten verdienen im Durchschnitt ein Fünftel weniger als im Westen und würden demzufolge, wenn es diesen Aufwertungsfaktor nicht geben würde, eine um ein Fünftel geringere Rente bekommen.

Ich halte es für sehr wichtig, dass dieser Umrechnungsfaktor nicht von heute auf morgen wegfällt, denn das wäre für den Osten katastrophal. Deshalb meine Bitte: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Aufpassen bei der Reform! – Wir müssen schauen, dass wir die Interessen der sächsischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut vertreten. Mir ist der Status quo lieber als eine Reform, die zulasten der sächsischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht.

Ich bitte die Staatsregierung, weiterhin an diesem Thema dranzubleiben, so wie wir das in den letzten Jahren sehr erfolgreich gemacht haben. Dafür noch einmal vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war für die CDUFraktion der Abg. Krauß. – Als Nächster für die SPDFraktion Herr Kollege Brangs, bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf ein, zwei Punkte in der Debatte eingehen. Kollegin Herrmann, Sie haben, glaube ich, einen entscheidenden Punkt in den letzten Monaten verpasst. Sie werfen uns vor, dass wir jetzt überhaupt noch über die Rente mit 67 nachdenken.

(Alexander Krauß, CDU: Weil Sie in die Opposition gekommen sind!)

Papperlapapp! Papperlapapp, auch keine Ahnung vom Gesetz! – Das Gesetz besagt, dass es eine Evaluierung gibt, die bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein wird. Auf der Basis der Untersuchungsergebnisse wird geprüft, ob das, was man mit der Rente ab 67 erreichen wollte, nämlich mehr Beschäftigung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, erreicht worden ist.

(Zurufe der Abg. Christian Piwarz und Alexander Krauß, CDU)

Erst dann wird über die schrittweise Anhebung des Rentenalters entschieden. Deshalb ist es vollkommen richtig, wie es unsere Parteispitze gesagt hat – weil die uns vorliegenden Ergebnisse besagen, dass wir es nicht erreichen –: der Frage nicht allein über den Beginn des Renteneintrittalters zu begegnen. Wir müssen sehen, was wir uns davon versprochen haben und was die Wirtschaft uns versprochen hat, nämlich dass mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger arbeiten. Das alles ist nicht eingetreten.

(Alexander Krauß, CDU: Das ist eingetreten! Fragen Sie mal Herrn Müntefering!)

Deshalb werden wir auch den nächsten Schritt nicht umsetzen. Das ist Teil des Gesetzes. Wir haben eine solche Phase, in der wir die Daten noch einmal prüfen wollen. Erst dann wird entschieden, ob der nächste Schritt gemacht wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Frau Herrmann, bitte.

Herr Kollege Brangs, ich habe zwei Fragen. Erstens. Haben Sie gehört, dass ich auch von einer Rentenreform gesprochen habe? Ich habe nicht gesagt, dass die längere Lebensarbeitszeit, also die Rente mit 67, die allein selig machende Lösung wäre.

Zweitens. Was meinen Sie, wie lange das Umsteuern in Richtung längere Lebensarbeitszeit, mehr Wertschätzung für ältere Arbeitnehmer und andere Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmer dauert und wann wir erste Ergebnisse erwarten können, das heißt also, wann eine Evaluation über das, was in Gang gekommen ist, sinnvoll sein wird?

Meinen Sie, dass drei Jahre ausreichend sind, um ein Ergebnis zu erwarten? Nach meiner Auffassung braucht es sicherlich eine längere Zeit, wenn man berücksichtigt, dass in den letzten Jahrzehnten – wie ich bereits sagte – eine Frühverrentung subventioniert worden ist und ältere Arbeitnehmer eher geringgeschätzt wurden.

Liebe Kollegin, ich meine, dass es richtig ist, dass man die Lebenswirklichkeit zur Kenntnis nimmt. Wenn die Lebenswirklichkeit so ist, dass das, was man damit wollte, nicht eingetreten ist, dann hat die Politik zu handeln. Die Politik hat richtig gehandelt, indem sie sagt: Das, was wir als Annahme hatten, findet derzeit nicht statt, also müssen wir darüber nachdenken, wie wir das System reformieren. Wir müssen darüber nachdenken, dass es unterschiedliche Lebensbiographien gibt, zum Beispiel der Dachdecker, der 20 oder 30 Jahre auf dem Dach herumgeklettert ist, oder der Professor. Das sind unterschiedliche Belastungen, die die Menschen haben.

Deshalb muss man über solche Fragen differenziert nachdenken. Man muss darüber nachdenken, wie flexible Übergänge möglich sind – Stichwort Altersteilzeit oder Teilrente. Man muss auch darüber nachdenken, ob es Sinn macht, dass man undifferenziert an einem Alter festhält, oder ob man unterschiedliche Möglichkeiten schafft, um der Lebenswirklichkeit gerecht zu werden.

Ich bleibe dabei: Die starre Fokussierung auf die Rente mit 67 ist faktisch eine Rentenkürzung – nichts anderes wird auch bei den Menschen ankommen –, und es ist wichtig, dass man dagegen etwas tut und sagt: Wir wollen mit einer solchen Rentenreform keine Rentenkürzung betreiben. Das halte ich für richtig und politisch für notwendig.

Deshalb müssen wir uns darüber verständigen, ob wir, um diese strukturellen Probleme auszugleichen, über Möglichkeiten sprechen, wie wir das auffangen und es gleichzeitig dazu führt, dass die Menschen von ihrer Rente leben können und nicht auf Dauer auf staatliche Finanzierung angewiesen sind. Ich glaube, das würde auch denjenigen nicht gerecht, die ein Leben lang gearbeitet und sich

auf eine Rente eingestellt haben, von der sie leben können.

Und wenn das nicht der Fall ist, wenn die Wirtschaft versagt und wenn Politik nicht die Rahmenbedingungen schafft, dann müssen wir auch den Mut haben, eine solche Reform umzukehren oder auszusetzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das war Herr Kollege Brangs für die SPD-Fraktion.

Als Nächstes spricht die FDP-Fraktion. – Es besteht kein Redebedarf. Für die GRÜNEN, Frau Herrmann? – Kein Redebedarf. Die NPD? – Kein Redebedarf. Dann treten wir in die dritte Runde ein. Gibt es erneuten Redebedarf beim Einbringer? – Bitte, Herr Kollege Pellmann.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Debatte hat den Verlauf genommen, den ich angenommen hatte. Seitens der Koalition wurde uns erneut suggeriert, es gebe keine Alternative zu ihren Vorstellungen. Ich sage Ihnen als jemand, der einmal – allerdings schon zu DDR-Zeiten – Latein gehabt hat: Alter – das eine und das andere – heißt schlicht: Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, eine Entwicklung voranzubringen. Das sollten Sie, bitte schön, zur Kenntnis nehmen, und genau deswegen will ich Ihnen Folgendes sagen:

Sie bringen hier erneut Ihre vier Standardargumente, und das sind keine ernst zu nehmenden Vorschläge. Es sind olle Kamellen. Demografische Herausforderungen – natürlich haben wir diese; aber es kann nicht angehen, dass Sie die demografischen Herausforderungen undifferenziert als „Totschlagargument“ oder als „demografische Keule“ gebrauchen. Das kann nicht für alles herhalten. Oder Sie sprechen davon, dass die Jugend überfordert wäre – ich sage Ihnen: So ist es in keiner Weise; denn man muss dann eine Reihe von Fragen stellen, die ich gleich noch aufrufen werde – oder dass kein Geld da wäre. Ich möchte Ihnen daher einige Punkte erneut als Vorschlag unterbreiten, wie wir das Problem langfristig lösen können, wie wir endlich Mut zu wirklichen Reformen aufbringen.

Erstens. Wir brauchen eine Umkehr – Herr Zastrow, ich weiß, Ihnen geht das gegen den Strich – der gegenwärtigen Verteilungsmechanismen in dieser Gesellschaft.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Es muss aufgehört werden mit der Verteilung von unten nach oben. Ich könnte nun aufrufen, welche Steuerveränderungen, gerechte Steuersysteme nötig wären.

Zweitens. Wir brauchen eine Beibehaltung des Umlageprinzips, und ich sage Ihnen: Wer der Auffassung ist, dass man das eventuell durch ein privatkapitalgestütztes Rentenversicherungssystem ablösen könnte, der sorgt nur für den Profit derer, die uns in die Krise gestürzt haben, und das wollen wir nicht.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Dann sage ich Ihnen noch eines als Anmerkung am Rande: Nehmen Sie endlich mit Ihrer Zahl – mit 80 Milliarden Euro würden die Renten gestützt – zur Kenntnis, dass ein beträchtlicher Teil für artfremde Leistungen gezahlt wird, die die Rentenversicherungsträger erbringen.

Drittens. Wir brauchen eine solidarische Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen, und damit Sie es gleich wissen: Natürlich wird solidarisch eingezahlt, aber der Rentenauszahlungsbeitrag wird auf einer bestimmten Summe gedeckelt, damit Sie nicht sagen, dass wir dann überfordert wären.