Protocol of the Session on April 29, 2010

So weit der Sächsische Landkreistag.

(Unruhe)

Frau Klepsch, Sie entschuldigen bitte. – Meine Damen und Herren, halten wir uns doch nah bei unseren Kindern und schenken dem Antrag die entsprechende Aufmerksamkeit. – Ich bedanke mich.

Sie können weitermachen.

Vielen Dank. – Doch während in Sachsen aktuell wieder 37 Schulen der Mitwirkungsentzug durch das Kultusministerium droht, sind sich die Fachleute längst einig, dass in der Bildungspolitik – damit meine ich nicht nur Schule – neue Wege gegangen werden müssen, wie im Bericht der Expertenkommission „Demografischer Wandel Sachsen“ von 2008 nachzulesen ist. In der „Empfehlung 20 – Kooperationen im Bildungsbereich stärken“ heißt es:

„Abnehmende Ressourcen sollen nicht dazu führen, das breite Spektrum an Bildungsangeboten in Sachsen zu vermindern. Dazu können Kooperationen in allen Bildungsbereichen beitragen. Durch verstärkte Kooperation der Schulen in dünner besiedelten Regionen können Angebote aufrechterhalten werden, die ansonsten wegen

fehlender Schüler nicht mehr von jeder einzelnen Schule aufrechterhalten werden können. Die Bündelung von Bildungsangeboten kann zu einem effektiveren Einsatz personeller, räumlicher und sächlicher Ressourcen führen.“

Schulen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind in jeder Kommune nicht nur Einrichtungen der Wissensvermittlung oder der Vorbereitung auf ein Arbeitsleben. Schulen sind Einrichtungen zur Bildung der ganzen Persönlichkeit. Ihr gesellschaftlicher Stellenwert bemisst sich darüber hinaus nach ihrer Funktion als Einrichtungen des Gemeinwesens. Wenn alle anderen öffentlichen Kommunikationsorte längst geschlossen sind, kein Kulturhaus, keine Post, keine Begegnungsstätte, keine Einkaufsmöglichkeit, keine Gaststätte, kein Jugendhaus mehr existieren, dann ist die Schule als Ort des Miteinanders umso wichtiger.

Wenn wir eine nachhaltige, zukunftsorientierte Bildungspolitik in Sachsen für alle Gebiete aufrechterhalten wollen, dann dürfen wir nicht nur über ein Schulsystem reden, das am Arbeitsmarkt orientiert ist, sondern dann müssen wir bei weiter zurückgehenden Ressourcen und sinkenden Einwohnerzahlen auch darüber reden, wie wir Bildungs-, Kultur-, Jugend- und Sozialeinrichtungen und den öffentlichen Personennahverkehr so gestalten, finanzieren und vernetzen, dass auch im ländlichen Raum das Leben für alle Generationen attraktiv ist, nicht nur für Menschen mit eigenem Auto oder für Menschen, die aus persönlichen Gründen an ihre Heimat gebunden sind.

Ich komme zum Schluss. Für die Bildungspolitik in Sachsen heißt das: wohnortnahe Schulen erhalten und das längere gemeinsame Lernen Wirklichkeit werden lassen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich danke Ihnen, Frau Klepsch.

Meine Damen und Herren, gibt es weitere Wortmeldungen? – Ich frage die FDP. – GRÜNE? – NPD? – Damit, denke ich, ist dem Wunsch nach Stellungnahmen seitens der Fraktionen nachgekommen.

Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Prof. Dr. Wöller.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe es im Rahmen der Aktuellen Debatte heute Vormittag schon gesagt: Im Zentrum der Schulpolitik des Freistaates Sachsen steht die Qualität der Bildung. Wir möchten jungen Menschen Wissen, Kompetenzen und Werte vermitteln, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. In diesem Sinne ist das sächsische Schulsystem leistungsorientiert, anschlussfähig und damit chancengerecht. Um das weiter sichern zu können, müssen die im Schulgesetz

vorgegebenen Rahmenbedingungen eingehalten und umgesetzt werden.

Der Antragsteller möchte, dass zur Sicherung einer wohnortnahen Beschulung Mittelschulen auch einzügig und Gymnasien zweizügig zugelassen werden. Damit, meine Damen und Herren, rennt er offene Türen ein; denn diesem Ansinnen wird mit dem geltenden Sächsischen Schulgesetz bereits entsprochen.

In den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen ist es zulässig, von den geltenden Vorgaben zur Mindestschülerzahl abzuweichen. Das gilt insbesondere bei unzumutbaren Schulwegebedingungen oder Schulwegeentfernungen, aber zum Beispiel auch bei Schulen mit überregionaler Bedeutung, beispielsweise bei den sorbischen Schulen.

Für den Bereich der Mittelschulen sind Ausnahmen nur in Einzelfällen vertretbar und grundsätzlich auch nur dann, wenn das Bildungsangebot im Grundbereich gesichert werden kann. Für den Anspruch, den die Allgemeinheit an unser Schulwesen stellt, kann jahrgangsübergreifender Unterricht in der Sekundarstufe I nicht in Erwägung gezogen werden. An Mittelschulen ist in den Neigungskursen und im fächerverbindenden Unterricht ein jahrgangsübergreifender Unterricht möglich, weil der Unterricht hier sehr offen gestaltet werden kann. Dagegen liegt dem Fachunterricht ein landesweit gültiger Lehrplan zugrunde. Die Lehrpläne der einzelnen Klassenstufen bauen aufeinander auf. Daran festzuhalten ist eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss der Schüler. Der reguläre leistungsdifferenzierende Unterricht kann also schon deshalb nicht jahrgangsübergreifend erfolgen. Wir würden den Erfolg unserer Schüler, wie er sich im guten Abschneiden Sachsens bei nationalen und internationalen Leistungsvergleichen widerspiegelt, gefährden, und wir würden die Chancen unserer Schüler, über die Mittelschule und das Berufliche Gymnasium das Abitur abzulegen, massiv verringern.

(Cornelia Falken, Linksfraktion: So ein Quatsch!)

Das, meine Damen und Herren, ist mit mir nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

An Grundschulen ist jahrgangsübergreifender Unterricht bereits zulässig, wenn ein entsprechendes pädagogisches Konzept und entsprechend qualifiziertes Lehrpersonal vorhanden ist. Jahrgangsübergreifender Unterricht kann und darf nicht auf eine Variante zur Sicherung wohnortnaher Schulen reduziert werden.

Zu der Forderung nach Zweizügigkeit an Gymnasien: Zweizügige Gymnasien können unserem Qualitätsanspruch nicht gerecht werden. Um die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe planen zu können, ist die Dreizügigkeit des Gymnasiums zwingend erforderlich. Nur so kann ein entsprechend breit gefächertes Kursangebot gesichert werden. Das gilt auch und insbesondere unter den Bedingungen der reformierten Oberstufe.

Zu den genannten Vorschlägen zur Unterstützung der Schulträger: Das Sächsische Staatsministerium für Kultus und Sport prüft derzeit die Revision der Schulnetzplanungsverordnung. Prüfgegenstand sind unter anderem die Richtwerte zur Klassenbildung. Diese werden auf der Grundlage schulrechtlicher Vorgaben einerseits und der Anforderungen des Landesentwicklungsplans andererseits ermittelt und entziehen sich daher sowohl einer isolierten Betrachtung als auch einer verbindlichen Vorfestlegung.

Die Schulwegezeit bezeichnet die Zeit zwischen dem Verlassen des Hauses und dem Erreichen der Schule. Die Richtwerte sind 30 Minuten für Grundschüler und 45 Minuten für Schüler der Sekundarstufe I je Richtung. Diese Richtwerte sind gerade vor dem Hintergrund der Rechtsprechung angemessen.

Zur Forderung nach Wohnortnähe und sonderpädagogischer Förderung: In den zurückliegenden Jahren entwickelte sich die sonderpädagogische Förderung und die Schulart „Förderschule“ zu einem festen Bestandteil des sächsischen Schulwesens. Sie wird Symbol des Kindes und – darauf kommt es an – weiterentwickelt.

Die sonderpädagogische Förderung im Freistaat Sachsen hat auch in den kommenden Jahren das Ziel, ein wohnortnahes und bedarfsgerechtes Angebot zu gewährleisten. Ein Schritt in diese Richtung ist die Profilierung der Förderzentren und Förderschulzentren zur Sicherung eines differenzierten regionalen und sonderpädagogischen Bildungsangebotes.

Im Rahmen der Fortschreibung der Schulnetzpläne der Landkreise drängt das Sächsische Staatsministerium für Kultus und Sport darauf, in einem ersten Schritt für Schulen aller Schularten in Mittelzentren die baulichen Voraussetzungen für Integration zu schaffen. Diesbezügliche Initiativen der Schulträger werden im Rahmen der Möglichkeiten des Landeshaushaltes unterstützt.

Nochmals: Wohnortnähe ist ein Kriterium, ein wichtiges Kriterium, aber ein Kriterium unter vielen. Entscheidend und vorrangig, meine Damen und Herren, ist jedoch die Qualität der schulischen Bildung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Zumutbarkeit des Schulweges muss gewahrt bleiben. Das ist unstrittig. Aber, meine Damen und Herren, unsere Schülerinnen und Schüler werden in ihrem weiteren Weg in Ausbildung und Beruf nicht nach der Länge ihres Schulweges, sondern nach ihrer Qualifikation und nach ihren Abschlüssen gefragt werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deshalb kann ich Anträge, die diese vorrangige Aufgabe hintanstellen und die Qualität unserer schulischen Bildung gefährden, nicht befürworten; sie sind daher abzulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatsminister, für Ihre Stellungnahme.

Meine Damen und Herren! Die Aussprache ist beendet und wir kommen zum Schlusswort. Das hat die Fraktion der SPD. Es spricht Frau Dr. Stange; Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wöller, das war enttäuschend.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Wir konnten alle mitlesen. Die Stellungnahme lag uns schriftlich vor. Ich hätte schon erwartet, dass Sie ein bisschen mehr Kreativität auf die Argumente verwenden, die hier gekommen sind, unter anderem auch, Herr Bläsner, zu Ihrem Argument, was das Thema mehr Eigenverantwortung für die Schulen anbelangt. Wir sind ganz auf Ihrer Seite. Die Denkanstöße werden wir gern unterstützen, mehr Eigenverantwortung und mehr Eigenentscheidung für die Schulen, bitte aber in verlässlichen Rahmenbedingungen und nicht unter den Bedingungen, dass nur die Kürzungen zu verwalten sind. Aber daran haben Sie an dieser Stelle sicher nicht gedacht.

Ich gehe noch einmal kurz auf das ein, was heute früh eine Rolle gespielt hat, Herr Wöller. Es bedurfte keiner Belehrung, zumindest nicht für mich, vielleicht für andere im Landtag, zu wissen, dass Schulen in freier Trägerschaft sich auf der Grundlage unseres Grundgesetzes selbst bilden dürfen, die Bürgerinnen und Bürger dazu das gute Recht haben und der Landtag nicht das Recht hat, das einzuschränken. Das war auch gar nicht die Frage gewesen, sondern es ging darum, von Ihrer Seite als Sächsischer Staatsminister für Kultus zu überprüfen, wo die Ursachen liegen, dass sich in Sachsen doppelt so viele Schulen in freier Trägerschaft in kurzer Zeit gegründet haben, wie es im bundesweiten Durchschnitt der Fall ist. Darauf erwarte ich nach wie vor eine Antwort.

Ich will noch auf einen zweiten Punkt eingehen, der mich mittlerweile auch schon ziemlich ärgert. Sonderpädagogische Förderung heißt nicht, dass allein Rampen gebaut werden müssen. Der größte Teil unserer Schüler, der sich in Förderschulen befindet, befindet sich in Lernförderschulen oder in Erziehungshilfeschulen. Die brauchen in der Regel keine Rampen. Die brauchen keine bauliche Veränderung, sondern sie benötigen qualifizierte Lehrkräfte und eine qualifizierte sonderpädagogische Förderung. Diese muss nicht in Förderschulen stattfinden, sondern sie kann wohnortnah in den Regelschulen stattfinden.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Ich hoffe, dass im Laufe des nächsten Jahres auch im Kultusministerium ein Umdenken in ihrer Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention erfolgt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Colditz, es ging uns nicht darum, die Qualität der Schulen in Sachsen auszuhöhlen. Im Gegenteil, Sie wissen das am allerbesten, dass das nicht unser Anliegen ist, sondern unser Anliegen

war, die Chancen zu nutzen, die wir haben. Ich erinnere an das Beispiel Grundschulen. Vor wenigen Jahren haben wir hier im Raum mit unerhörten Argumenten damals von Herrn Flath diskutiert, ob es in Grundschulen möglich sein kann, jahrgangsübergreifenden Unterricht durchzuführen. Heute wissen wir, dass das sehr wohl und gut geht, obwohl es dort auch in den Grundschulen Lehrpläne gibt, Herr Wöller.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Antrag, weil er eine Chance zur qualitativen Weiterentwicklung unserer Schulen auch in einer Zeit bietet, in der es vielleicht an Finanzen mangelt. Gerade dieser Antrag gibt die Möglichkeit, auch Schule effektiver zu gestalten. Ich bitte deshalb in der namentlichen Abstimmung um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)