Protocol of the Session on November 9, 2007

(Holger Zastrow, FDP: Das Gutachten ist falsch!)

Das Gutachten ist nicht falsch. Das Gutachten wendet eine Methode an, die man die „Offene Methode der Koordinierung“ nennt, die ursprünglich für die Wirtschaftspolitik geschaffen wurde und die für die Gesundheitspolitik vollkommen in den Anfängen steht, weil nämlich der Europäische Rat erst 2002 drei Ziele in Barcelona festgelegt hat. Es gibt überhaupt noch keine qualitativen Indikatoren!

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Wofür?)

Sie können es nachlesen. Es ist also schon sehr fragwürdig, dass Sie, werte FDP, die Sie normalerweise großen Wert auf qualitative Aussagen legen, sich auf nicht nachvollziehbare und nichtakzeptable Daten berufen, die nur anhand von quantitativen Größen und Ausgabengrößen erstellt wurden. Heute zählt Qualität mehr denn je.

(Beifall der Staatsministerin Helma Orosz)

Das heißt, das Gutachten bricht quantitative Werte von der EU auf den Bund und auf die Länder herunter, ohne selbst eine gute und eigentlich schon vereinbarte qualitative Datengrundlage zu haben.

Die Gutachter sagen selbst, dass sie keine qualitativen Indikatoren haben. Wenn Sie auf der letzten Seite in der Kurzfassung den letzten Absatz lesen, steht durch die Gutachter geschrieben: „Qualität, Prävention, Innovation sowie Personaleinsatz und Wirtschaftlichkeit sind Themenbereiche, die im gegenwärtigen Indikatorenansatz nicht ausreichend abgebildet werden.“ Das ist absolut wichtig, um etwas einschätzen zu können.

Ich kann Ihnen, Herr Zastrow, eine zweite Peinlichkeit nicht ersparen. Am 23. Oktober fand ein lange angekündigter Parlamentarischer Abend des Verbandes der Angestelltenkrankenkassen statt. Wissen Sie, zu welchem Thema? – „Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in Sachsen“. Ihre Fraktion hat mit Abwesenheit geglänzt!

(Volker Bandmann, CDU: Hört, hört!)

Sie sprechen über Dinge, die dort dargelegt wurden durch – weiß Gott! – von politischer Polemik freie Sachverständige. Der Verband der Angestelltenkrankenkassen hat dargestellt, wie gut die Zusammenarbeit mit dem SMS ist und wie erfolgreich schon Maßnahmen greifen, die wir seit 2004 in Sachsen nachvollziehen können.

(Holger Zastrow, FDP: Machen Sie sich nicht lächerlich, Frau Strempel!)

Herr Dr. Helm von der Sächsischen Krankenhausgesellschaft lobte die Zusammenarbeit mit der Ministerin. Er stellte natürlich die Probleme dar und sagte, die Zusammenarbeit müsse genauso fortgeführt und noch intensiviert werden.

(Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Sie waren nicht da und wissen nicht, wovon ich rede.

Außerdem sprach Herr Prof. Hoffmann, der geistige Vater des Projektes AGnES. Auch er sagte: Sachsen hat AGnES umgesetzt, es muss nur noch vervollkommnet werden. Dazu spreche ich später.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

Ich erteile der Linksfraktion das Wort. Frau Lauterbach, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das Thema Ärztemangel beschäftigte uns in diesem Jahr bereits einige Male. Aber es reicht nicht aus, nur darüber zu debattieren. Davon wird die Situation nicht besser.

Bleiben wir hier in Sachsen. Der Sicherstellungsauftrag für eine allumfassende ärztliche Versorgung liegt bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Hier wird festgelegt, welche Ärzte in welchen Regionen benötigt werden. Es wäre zu schlussfolgern, dass ein Mangel an Ärzten zuerst bei der Kassenärztlichen Vereinigung sichtbar werden müsste. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Statistiken zeigen ein anderes Bild. Demnach gibt es gar keinen Ärztemangel.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Lediglich die Landkreise Döbeln mit aktuell 94 % und Torgau-Oschatz mit 93 % im hausärztlichen Bereich kämen in Zukunft an eine dramatische Grenze. Auch der Versorgungsgrad bei Fachärzten ist laut Statistik nicht so problematisch. Hier liegen nur die Augenärzte in einigen Regionen bei 76 %. Anscheinend ist das so und es wird so bleiben, wenn man die Richtlinien der ärztlichen Versorgung zugrunde legt und wenn diese Richtlinien so bleiben.

Doch es ist schon bemerkenswert, dass die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen einen akuten Ärztemangel spüren. Ein Grund ist sicher, dass ambulant tätige Ärzte zum Teil

eine Woche im Monat ihre Praxis schließen. Ihr Budget ist ausgeschöpft und alle weiteren Behandlungen werden schlecht bezahlt, zum Beispiel bei einer Ohrenärztin in der Nähe von Dresden, die ihre Punkte mit 3,75 Euro vergütet bekommt. Ist das Budget aufgebraucht, werden alle weiteren Punkte nur mit 8 Cent vergütet. So bekommen Patienten am Monats- oder Quartalsende öfter keinen Termin beim Arzt. Schlechte Noten für die Gesundheitspolitik – allerdings des Bundes! Denn das ist auf Landesebene nicht zu regeln. Die Budgetierung ist ungerecht, gehört abgeschafft, und dafür sollten wir uns einsetzen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Werte Abgeordnete! Die Anzahl der Ärzte ist seit 1992 um circa 20 % gestiegen. Sie wurden in allen Bereichen gebraucht. Damit werden zukünftig mehr Ärzte benötigt, um die ausscheidenden Kollegen zu ersetzen. Der Ersatzbedarf wächst wegen der Überalterung der Ärzteschaft immer schneller.

Der Ärztemangel ist aber nicht nur bei niedergelassenen Ärzten fühlbar. Im Krankenhausbereich gibt es bereits 280 offene Arztstellen. Die Krankenhäuser weisen auf Ärztemangel und Pflegenotstand hin. Hier also schlechte Noten für die Gesundheitspolitik!

Auch in den Amtsstuben des öffentlichen Gesundheitsdienstes fehlen Ärzte. Die Attraktivität dieser Arztstellen lässt sehr zu wünschen übrig. Eine Bezahlung als Arzt, nicht als Verwaltungsangestellter, wäre wohl eine Bedingung, um solche Stellen künftig zu besetzen. Auch hier schlechte Noten für die Gesundheitspolitik!

Mit einzelnen Aktivitäten versuchten wir in Sachsen, dem Ärztemangel entgegenzuwirken. Der Lösungsansatz, medizinische Versorgungszentren in Sachsen aufzubauen, ist in Städten sicher umsetzbar, da diese Einrichtungen mit Bus und Bahn erreicht werden können. Auf dem flachen Land ist diese Variante eher unrentabel. Hier ist das Projekt der Schwester Agnes – initiiert von den Linken – eine hilfreiche Unterstützung des Arztes.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: So ist es!)

Aber es ist kein Ersatz für einen Landarzt. Sicher kann Schwester Agnes viele Aufgaben und Wege abnehmen. In dieser Zeit kann der Arzt zahlreiche Patienten mehr in seiner Praxis versorgen. Aber, liebe Abgeordnete, bekommt er das auch bezahlt? Dem steht zurzeit noch die leidliche Budgetierung im Weg. Also auch hier ist eine Leistungssteigerung für die Gesundheitspolitik durchaus möglich.

Mein Fazit: Noch viel zu viele schlechte Noten für die Gesundheitspolitik, denn bisher wurde der Ärztemangel nicht wirklich wirksam bekämpft. Die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte steht und fällt mit ihrer Bezahlung. Deshalb sollten wir den Ansatz, die Budgetierung abzuschaffen, auf jeden Fall im Bundesrat unterstützen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Gerlach, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das deutsche Gesundheitswesen – Herr Zastrow ist nicht mehr da, das ist auch nicht so schlimm, denn es hielt sich ja in Grenzen – schneidet in allen Länderumfragen und vergleichenden Studien mit Spitzenplätzen ab. Kolleginnen und Kollegen mit Auslandserfahrung werden dem schneller zustimmen können als jene, die nur hier gewesen sind. Meiner Kollegin Strempel kann ich in allem nur zustimmen.

Die im Thema der heutigen Debatte implizierte Behauptung, zum Thema Ärztemangel sei bisher wenig Wirksames passiert, kann man leicht widerlegen. Das muss ich nicht wiederholen. Es reicht eben nicht, dass man seine Anzeigen für eine Aktuelle Debatte geschaltet hat und hier eine flammende Rede hält, wenn diese Rede vom Inhalt her sehr dürftig ist. Ich sage es ganz vorsichtig.

Richtig jedoch bleibt: Der bisher in nur einigen ländlichen Regionen vorhandene Mangel an Ärzten verschiedener Facharztgruppen wird sich verschärfen, auch wenn sich deutschlandweit die Ärztedichte von einem Arzt pro 335 Einwohner im Jahr 1990 auf einen Arzt pro 265 Einwohner verbessert hat. Richtig ist auch, dass seit vielen Jahren in Sachsen im Krankenhausbereich im Jahresdurchschnitt zwischen 250 und 300 Stellen nicht besetzt sind. Das sind circa 3,5 bis 4 % aktuell. Die Zahl, die in der Kleinen Anfrage von Herrn Wehner genannt wurde, lautet 279.

Es wird viel getan. Erst kürzlich wurde der neue Bewertungsmaßstab zur Honorierung ärztlicher Leistungen verabschiedet, welcher als äußerst positiver Beitrag zur Verbesserung der ärztlichen Vergütung gewertet werden kann. Es gibt in Sachsen zusätzlich zu den Maßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigung – wie Sicherstellungszuschläge, zinsvergünstigte Kredite – ein Förderprogramm des Freistaates, welches zwar nicht im Gesundheitsressort angesiedelt ist, sondern im Wirtschaftsministerium, aber von dort zur Verfügung gestellt wird. Die aktuelle Gesundheitsreform bietet ab dem nächsten Haushalt 2009/2010 zusätzliche Honorarzuschläge in unterversorgten Gebieten an.

Der Ansturm auf das Medizinstudium ist nach wie vor groß. Gerade versuchen 2 200 Studentinnen und Studenten in Sachsen einen solchen Studienplatz auf dem Klageweg zu bekommen. Trotzdem fehlen nach dem Studium Ärztinnen und Ärzte.

Eine Befragung unter im erlernten Beruf nicht tätigen Ärztinnen ergab wichtige Entscheidungsgründe gegen die Berufsausübung. Daraus leiten sich folgende Forderungen ab: besseres Personalmanagement, Berücksichtigung familiärer Zeitbedarfe, flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Wiedereinstiegsprogramme mit Fortbildung, Mentoring und Hospitation sowie angemessene soziokulturelle Angebote. Das sind viele Handlungsmöglichkeiten für regionale Akteure und Krankenhäuser.

Trotzdem wird das Problem in den ländlichen Regionen bleiben. In Bayern zum Beispiel arbeitet jeder vierte Arzt in München.

Es ist doch ganz klar, dass die Ärzte, die dort zu viel sind, dann in den ländlichen Regionen fehlen. In abgeschwächter Form ist das in Dresden, Leipzig, Chemnitz und anderen großen Städten der Fall. Die Ärzte sind nicht nur in den großen Städten, weil sie sich dort höhere Vergütungen aufgrund einer größeren Anzahl von Privatpatienten erhoffen. Auch in den USA zum Beispiel fehlen 17 000 Ärzte in den ländlichen Bereichen.

Der Konkurrenzkampf der Kliniken der Regionen wird sich europaweit verschärfen. Interessanterweise wurde noch Mitte der Neunzigerjahre von der Ärzteschaft selbst eine Ärzteschwemme vorausgesagt. Solche Meldungen haben natürlich immer auch standespolitische Absichten, wie manche Dinge hier auch. Mal geht es um die Durchsetzung des Kostenerstattungsprinzips, mal um höhere Punktezahlen und Ähnliches.

Was bleibt, ist die spannende Antwort auf die Frage, wie man das Interesse an einer Tätigkeit in strukturschwachen Regionen wecken kann. Nicht alle jungen Ärzte und Ärztinnen sind so ländlich geprägt, dass sie gern in ihre Heimat zurückgehen wollen. Die auf sie wartenden vielen Dienste wiegen schwerer als die angenehme Vertrautheit einer dörflichen Umgebung, wo der Arzt, die Ärztin noch „einer oder eine von uns“ ist.

Hierfür waren die Vorträge auf dem Parlamentarischen Abend, den die Antragsteller nicht miterlebten, sehr aufschlussreich.

Unsere Dörfer – das ist mein Fazit – brauchen keine höchstspezialisierten Fachärzte, sondern vertraute Praktiker, die natürlich bei Bedarf an die Spezialisten in geeigneten Zentren überweisen werden. Deshalb begrüße ich ausdrücklich Projekte wie das Leipziger Patenschaftsmodell, die Kooperation von Medizinstudenten mit Hausärzten in Torgau-Oschatz oder zum Beispiel auch die Verknüpfung mit der Praxis bereits im Studium, wie es in Leipzig praktiziert wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte eine Bitte: Wir haben jetzt in fast jeder Landtagssitzung dieses Thema bearbeitet. Es wäre für das Plenum positiv, wenn wir es nicht schon wieder im Dezember wiederholen müssten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich erteile das Wort der Fraktion der NPD. Herr Dr. Müller, bitte.