Protocol of the Session on January 21, 2005

Nun will ich keinesfalls diese Methode pauschal in Misskredit bringen. Sie hat auch ihre Vorteile. Das weiß ich. Sie kann ziemlich sensibel zeigen, ob eine bestimmte eingeleitete und beabsichtigte wirtschaftliche und politische Maßnahme in die gewünschte Richtung wirkt oder nicht und in welchem Maße sie das tut. Aber sie erweckt gleichzeitig in der Öffentlichkeit immer den Anschein, man könne äußerst komplexe Sachverhalte unmittelbar vergleichen. Darin sehe ich ihre Gefahr.

(Karl Nolle, SPD: Sehr richtig!)

Schon Journalisten, die darüber schreiben, verstehen in der Mehrzahl nicht, was da passiert, das breite Publikum schon gar nicht. Übrig bleiben zu guter Letzt – darauf läuft es immer wieder hinaus – ganz ordinäre Ziffern: Platz 1, Platz 2 und Platz 3. Wenn diese Werte dann auch noch absichtsvoll in der politischen Auseinandersetzung eingesetzt werden – so wie heute –, kann man nur noch von bewusster Manipulation sprechen.

Übrigens geschieht dies auch ohne Rücksicht auf sich eben aus dieser Methodik ergebende Absurditäten, die den sonstig geäußerten Ansichten geradezu konträr entgegenstehen können. So rutschte das so lang gescholtene Sachsen-Anhalt nunmehr auf Platz 4 hoch, obwohl die absolute Verschuldung und Neuverschuldung mittlerweile astronomische Höhen erreicht haben und auch die – nicht mehr ganz so neue – CDU-geführte Regierung bisher keinen Ausweg aus diesem strategischen Dilemma gefunden hat, ganz im Gegenteil.

Auch CDU-Kollege Althaus aus Thüringen konnte sich nur mit Hilfe feinsinniger Rechentricks bei der Neuverschuldung knapp unter der Milliardengrenze halten, und

das wohlgemerkt bei einer Zinslast von ebenfalls einer Milliarde Euro und einem Haushaltsvolumen von etwa 10 Milliarden Euro. Das heißt, die Relationen sind völlig anders als in Sachsen.

Kurz zu den bereits hier angedeuteten Ungereimtheiten beim zeitlichen Bezug: Da wird einmal die Spanne von 1991 bis 2003 zugrunde gelegt, bei einem anderen Kriterium die von 2001 bis 2003, und zwar ohne jede Erklärung, warum das so ist. Aber natürlich bestimme ich mit der Festlegung des Zeitintervalls einen hohen oder einen geringeren Wert oder gar einen rückläufigen. Es kommt immer darauf an, was ich beabsichtige.

Damit mir nicht unterstellt werden kann, ich wolle alles nur schlechtreden: Ja auch ich werte die Entwicklung in wichtigen Bereichen als außerordentlich positiv, zum Beispiel dass die originäre Steuerkraft gegen den Trend um 134 Euro je Einwohner in Sachsen gewachsen ist, während sie im Vergleichszeitraum im Schnitt der Bundesländer um zehn Euro gesunken ist. Ja, das ist hervorragend. Aber es gehört auch zur ganzen Prawda bzw. Wahrheit – um es deutsch zu sagen –: Wir sind weiterhin ein zu rund 50 % fremdfinanziertes Unternehmen.

Wie würden wir ohne Länderfinanzausgleich und Solidarpakt im gleichen Wettbewerb dastehen?, frage ich. Die Auswirkungen dieser solidarischen Ausgleichsmechanismen, die ich richtig gut finde – darum geht es überhaupt nicht –, bewirken, dass uns genau dieser stolze vermeintliche Überschuss bei diesen Ausgleichszahlungen gegengerechnet wird. Es ist bekannt, aber sagen muss man es. Ich beklage das nicht, aber man muss es wissen und sagen. Dann kann man sich auch zur Bewertung dieser Zahlen, die diesem Ranking zugrunde liegen, eine vernünftige Meinung bilden. Es geht uns nur gut, wenn es dem gesamten Land gut geht. Uns in Sachsen nützt es nicht wirklich, wenn es allen nicht gut geht, uns dabei relativ am besten.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sehr richtig!)

Aber noch einmal zugegebenermaßen ein abstruser Vergleich im Kontext der Debatte von heute früh: Wenn irgendjemand einmal auf die Idee käme, den Zuwachs bei der Zahl der NPD-Wähler in vergleichbarer Weise auszuwerten, wären wir dann Weltmeister durch die sächsischen Nazis? Nein, alle diese Rechnereien haben einen innerwissenschaftlichen Wert und können helfen, Handlungsstrategien zu optimieren; zu einem öffentlich ausgetragenen Wettrennen taugen sie nicht. Für mich wäre ein wirkliches Kriterium für unseren Erfolg, wenn wir Probleme hätten, die ins Land drängenden jungen Menschen samt ihren Familien mit Wohnraum zu versorgen. Darum geht es, Herr Rasch.

(Beifall bei der PDS)

Bleiben wir also auf dem Teppich! So viel Scharlatanerie, wie Sie mit diesem Antrag vorgetragen haben, bin ich eigentlich nicht gewohnt, und ich bitte Sie: Lassen Sie uns endlich zu seriöser Arbeit zurückkehren!

(Beifall bei der PDS)

Gründen wir meinethalben zu solchen methodischen Fragen, die wirklich wichtig sind, eine weitere Enquete

Kommission. Dann können wir uns ausgiebig und gründlich mit solchen Dingen beschäftigen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Von der NPD-Fraktion ist mir kein Redner gemeldet. – Herr Leichsenring.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den vorliegenden Antrag halten wir für sehr wichtig, vielleicht ist er der wichtigste, den wir bisher gehört haben. Deswegen möchte ich auch den anwesenden Gästen noch einmal den Titel verlesen: „Der Landtag möge beschließen, die Staatsregierung zu ersuchen, über den Wettbewerb ‚Region the Future 2004/2005‘ des in London erscheinenden ‚Foreign Direct Investment Magazine‘ (fDi) zu berichten, bei dem Sachsen einen hervorragenden 2. Platz in ganz Europa belegt hat.“ Wir alle kennen dieses Magazin, wir alle schätzen und lieben es seit Jahren.

(Lachen bei der CDU)

Etwa nicht?

Meine Damen und Herren! Es gibt Millionen Magazine auf dieser Welt und noch mehr Millionen Wettbewerbe. Deshalb gestatten Sie mir, in aller Bescheidenheit zu sagen, dass ich diesen Antrag für sehr banal halte. Vielleicht hätten Sie konsequent sein können und hätten gleich noch einen zweiten Punkt angefügt. Wir hätten gleich noch die Auflösung des Kreuzworträtsels in der „SZ“ bekannt geben können. Dann wäre das auch gut gewesen.

Nein, Sie brauchen so einen Wettbewerb, um von 400 000 Arbeitslosen und noch viel mehr Hartz-IV-Empfängern im Land abzulenken. Das ist der ganze Grund, warum Sie heute diesen Antrag auf die Tagesordnung gehoben haben. Das ist, denke ich, schon bezeichnend.

Es steht mir als Abgeordneten nicht an, die Präsidentin zu kritisieren. Das weiß ich. Deswegen möchte ich es in eine Bitte fassen. Für gewisse Fraktionen werden Sonderpräsidien eingerichtet. Wenn ein anderer Abgeordneter verbal entgleist mit „brauner Brut“ und anderen Dingen, dann halten Sie es nicht für nötig einzuschreiten. Ich bitte Sie, in Zukunft auch darauf zu achten, was die vermeintlich demokratischen Fraktionen so von sich geben.

Danke schön.

(Beifall bei der NPD – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Für die Fraktion der FDP hat sich Herr Morlok gemeldet. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Man kann sich wirklich fragen, was dieser Antrag eigentlich soll. Herr Weckesser hat auf den Zusammenhang zwischen der Nominierung als „Ministerpräsident des Jahres“ und dem Wahlergebnis der letzten Landtagswahl hingewiesen. Ich wollte da noch einmal ein bisschen was erläutern.

Ich glaube, das Wahlergebnis ist begründet, weil die Wählerinnen und Wähler in Sachsen nämlich intelligenter sind, als es die CDU und offensichtlich inzwischen auch die SPD denken. Die Wähler haben wohl gemerkt, dass dieses Ranking nur zustande gekommen ist, weil Sachsen von den Fluthilfegeldern profitiert und eine erhebliche Abwanderung an Arbeitskräften hat. Daher kam das Ergebnis zustande.

Die Wählerinnen und Wähler haben auch realisiert, wann wir denn einen neuen Ministerpräsidenten gewählt haben, nämlich am 18.4.2002. Das Ranking ging um den Zeitraum 2001 bis 2003. Sie wissen alle hier in diesem Hause, wie lange das Umsetzen von politischen Entscheidungen dauert. Die Wählerinnen und Wähler haben sehr wohl kapiert, dass es nicht Herr Milbradt war, der dieses verdient hat. Deshalb wurde er auch abgestraft, beinahe abgewählt.

Sie haben das nicht kapiert. Gestern sprach Frau Nicolaus davon, dass es uns wirtschaftlich gut geht. Heute spricht Herr Rasch davon, dass es einen Grund zum Feiern gibt. Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie haben das Wahlergebnis vom letzten Jahr auch nicht verstanden.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der NPD und des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Es ist nicht die Zeit zum Feiern, es ist die Zeit zum Ärmel hochkrempeln!

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen und daraus keine Konsequenzen ziehen, werden Sie bei der nächsten Landtagswahl in vier Jahren noch einmal abgestraft.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Ist das schlimm?)

Ich kann schon verstehen, dass man Herrn Jurk gern einmal die Gelegenheit geben wollte, Ergebnisse zu präsentieren, für die er noch viel, viel weniger kann. Ich will nicht von vornherein sagen, dass Herr Jurk eine schlechte Politik machen wird. Wir kennen sie noch nicht. Aber so zu tun, als ob das auch ein Erfolg der Staatsregierung wäre, die hier momentan auf den Regierungssesseln sitzt, das ist doch ein bisschen weit hergeholt.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Staatsministers Thomas Jurk)

Ihr Problem ist doch, dass Sie aktuell keine Erfolge vorweisen können und deswegen mühsam nach Erfolgen in der Vergangenheit suchen.

Es waren die Investitionen, die Sachsen in dem Ranking nach vorn gebracht haben. Und auch diese Investitionsentscheidungen wurden getroffen, lange bevor Herr Milbradt zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Da war er Finanzminister!)

Wo stehen wir denn eigentlich? Ich habe mir einmal einen Ausdruck vom Bruttoinlandsprodukt ausgewählter Regionen besorgt. Da hat zum Beispiel Chemnitz 2001

als Kreisfreie Stadt ein Bruttoinlandsprodukt von 5 Milliarden Euro gehabt. Das ist genauso viel wie zum Beispiel Martinique. Das ist wirklich keine wirtschaftliche Großmacht. Da stehen wir und Sie klopfen sich ständig auf die Schultern und wollen feiern. Das ist nicht angebracht. Die Wählerin und der Wähler haben das kapiert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU)

Ich rufe die Fraktion der GRÜNEN auf. Herr Abg. Weichert.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich herzlichen Glückwunsch für diesen hervorragenden zweiten Platz gleich hinter Schottland. Frage: Welche praktische wirtschafts- und sozialpolitische Relevanz kann man denn daraus ableiten?

(Ronald Weckesser, PDS: Gar keine!)

Antwort: Keine. Die Fragen bleiben, beispielsweise die nach der hohen Arbeitslosigkeit, insbesondere der Frauen- und Jugendarbeitslosigkeit, auch unter demografischem Aspekt, oder die zum Thema Abwanderung.