Protocol of the Session on December 14, 2006

Frau Herrmann, bitte zum Schluss kommen.

Unsere Änderungsanträge liegen Ihnen vor. Ich bitte Sie um Zustimmung und kann es Ihnen nicht ersparen – Ihr Antrag ist so detailliert, deshalb sind unsere Änderungsanträge so detailliert –, um punktweise Abstimmung zu bitten.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Die Fraktion GRÜNE hat punktweise Abstimmung beantragt.

(Marko Schiemann, CDU, meldet Redebedarf an.)

Aussprachemöglichkeit zum Änderungsantrag besteht natürlich. Herr Schiemann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte hat auf eine Vielzahl der vom Änderungsantrag betroffenen Punkte reagiert und bis auf die Familienseminare alles aufgegriffen. Sie haben das Anliegen mit anderen Worten formuliert. Ich gehe davon aus, dass in einer inhaltlichen Debatte zum Gesetzentwurf viele Aspekte noch einmal beleuchtet werden, und bitte Sie deshalb, dem Antrag der Fraktion GRÜNE nicht zu folgen.

Gibt es weiteren Redebedarf dazu? – Das kann ich nicht erkennen.

Dann kommen wir zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE in der Drucksache 4/7363. Wir stimmen zunächst über Ziffer 1 ab. Wer dieser Ziffer seine Zustimmung geben kann, den bitte ich das jetzt zu zeigen. – Danke schön. Ich frage nach Gegenstimmen. – Ich frage nach Stimmenthaltungen. – Bei einer größeren Anzahl von Stimmen dafür und einer Stimmenthaltung ist Ziffer 1 dennoch nicht beschlossen.

Ich rufe im Änderungsantrag der GRÜNEN die Ziffer 2 auf. Wer stimmt zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer größeren Anzahl von Stimmen dafür und einer Stimmenthaltung ist Ziffer 2 mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich rufe Ziffer 3 auf. Wer stimmt zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Gleiches Abstimmungs

verhalten wie vorher, Ziffer 3 ist nicht positiv beschieden worden.

Ich rufe Ziffer 4 auf. Wer stimmt zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmen dafür und zwei Enthaltungen ist Ziffer 4 dennoch abgelehnt worden.

Ich rufe Ziffer 5 auf. Hier geht es um die Ergänzungen zum ursprünglichen Antrag. Wer stimmt Ziffer 5 zu? – Ich frage nach Gegenstimmen. – Ich frage nach Stimmenthaltungen. – Das Abstimmungsverhalten zog sich durch. Wir haben festgestellt, dass Punkt 5 mehrheitlich abgelehnt wurde. Damit ist der Änderungsantrag in seiner Zusammenstellung abgelehnt worden.

Wir kommen zur Abstimmung über den ursprünglichen Antrag der Fraktionen CDU und SPD in der Drucksache 4/7124. Frau Herrmann, wollen Sie auch hier punktweise Abstimmung?

(Kopfschütteln der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Nein. Über diesen Antrag kann ich in Gänze abstimmen lassen. Wer kann ihm zustimmen? – Wer ist dagegen? – Keine Gegenstimme. Ich frage nach Stimmenthaltungen. – Eine Reihe von Stimmenthaltungen. Somit ist der Antrag von CDU- und SPD-Fraktion mehrheitlich beschlossen worden.

Damit können wir den Tagesordnungspunkt 5 beenden.

Wir treten an dieser Stelle in die Mittagspause ein und setzen unsere Beratung 14:25 Uhr fort.

(Unterbrechung von 13:24 bis 14:25 Uhr)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kommen nun zum

Tagesordnungspunkt 6

Keine Aufhebung von Artikel 15 des Grundgesetzes

Drucksache 4/7148, Antrag der Linksfraktion.PDS

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet: Linksfraktion.PDS, CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun der Linksfraktion.PDS als Einreicherin das Wort. Herr Abg. Bartl, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, Kollege Dr. Martens, dass wir Auge um Auge, das Thema behandeln können. Ich gebe zunächst zu, dass der Antrag in gewisser Weise im ersten Zorn nach Kenntnisnahme von diesem aus unserer Sicht unsäglichen Gesetzentwurf Ihrer Mutterfraktion im 16. Deutschen Bundestag zustande gekommen ist. Diese hat, zeichnend durch ihre Abgeordneten, am 08.11.2006 zu Drucksache 16/3301 einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht für ein „Gesetz zur Abschaffung der Sozialisierung“.

Der Entwurf hat zwei Paragrafen und ist auch ansonsten höchst übersichtlich und schlicht in der Machart. § 1 lautet unter der Überschrift „Abschaffung der Sozialisierung“ kurz und prägnant: „Artikel 15 Grundgesetz wird ersatzlos gestrichen.“ § 2 regelt das Inkrafttreten „mit Veröffentlichung im Gesetzblatt“.

(Dr. Jürgen Martens, FDP: So macht man Gesetze!)

Ja, kurz und überschaubar und ohne große Ansprüche. Wsjo, alles.

Abgesehen davon, dass jeder halbwegs beschlagene Abgeordnete wissen sollte, dass Verfassungsartikel aufgehoben und nicht gestrichen werden, ist der Gesetzentwurf auch sonst in vielfältiger Hinsicht der Gipfel neoliberaler Einfalt.

Da wir alle, die wir im Hohen Hause sitzen, noch unter das Grundgesetz und seine Werte und Segnungen fallen, geht es den Sächsischer Landtag sehr wohl etwas an, ob, wie von den 49 zeichnenden FDPlern und deren Fraktion gefordert, die in Artikel 15 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verankerte Norm mit dem Wortlaut „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 und 4 entsprechend“ aus der Verfassung dieses Gemeinwesens verschwindet.

Das berührt sehr wohl die Interessen der Bürgerinnen und Bürger Sachsens, und dies umso mehr, als wir im Artikel 32 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung eine wortgleiche Bestimmung haben. Wenn Sie es im Grundgesetz streichen, wäre ja unsere eigene Bestimmung verfassungsrechtlich obsolet. Insofern sind wir völlig an der richtigen Adresse, uns hier damit zu befassen.

Verschwinden soll die sogenannte Sozialisierungsklausel, nach dem, was der Gesetzentwurf als Problem definiert, mit folgender Begründung: „Die Durchsetzung wirtschaftspolitischer Vorstellungen durch Sozialisierungen sowie die Vergesellschaftung als Mittel der Wirtschaftspolitik haben sich generell überlebt. Allein die Existenz des Artikels 15 Grundgesetz stellt daher eine potenzielle Bedrohung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland dar, da sie eine gesetzliche Ermächtigung zu Grundrechtseingriffen bedeutet.“

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Herr Westerwelle war betrunken!)

Herr im Himmel, welcher Praktikant hat Ihnen denn diesen Gesetzentwurf zusammengebastelt?

(Vereinzelt Heiterkeit bei der NPD)

Abgesehen davon, dass es im Grundgesetz wie in der Sächsischen Verfassung etliche Artikel gibt, die Ermächtigungen zu gesetzlichen Regelungen enthalten, die in Grundrechte eingreifen, so Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz, betreffend das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Artikel 3 Gleichheit der Person, Artikel 8 Abs. 2 betreffend die Versammlungsfreiheit, Artikel 11 Abs. 2 betreffend Freizügigkeit der Deutschen. Selbst Artikel 14, der Eigentumsartikel, hat in Abs. 1 Satz 2 diesen Wortlaut, dass Inhalt und Schranken des Rechts auf Eigentum und des Erbrechts durch Gesetz bestimmt werden. „Schranken“ bedeutet auch Eingriff.

Das wäre noch hinzuzufügen, natürlich. Sie wollen uns, Herr Dr. Martens, der Sie jetzt hier allein die FDP vertreten, nicht allen Ernstes weismachen, dass Artikel 15, als er 1949 in dem von Westalliierten besetzten Deutschland in Kraft getreten ist, die verdeckte Durchgriffs- und Ermächtigungsnorm zur Errichtung des Sozialismus gewesen ist, gedacht und geduldet quasi als potenzielle Bedrohung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland. In der Konsequenz diesen Ansatz zu Ende

gedacht, hätte das nämlich folgendes Schmeckerchen: Es würde bedeuten, als im Mai 1992 der Sächsische Landtag mit den Stimmen der FDP, der CDU, der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Sächsische Verfassung mit dem wortgleichen Artikel angenommen hat, dass Sie praktisch zwei Jahre nach Abschaffung des Sozialismus via Wende und Beitritt schon wieder den Weg zum Sozialismus etablieren wollten. Dann wären Sie alle sozialistische Schläfer gewesen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Insofern ist das ein höchst bemerkenswerter Gedankengang. Das betrifft Herrn Kröber, Herrn Rade, Frau Georgi – alle, wie sie dahergeritten kamen, wären sozialistische Schläfer gewesen.

In jedem halbwegs gängigen Kommentar zum Grundgesetz ist betreffend der Entstehungsgeschichte des Artikels 15 nachzulesen, dass Artikel 15, etwa entgegen der Annahme der progressiven Staatsrechtslehre, von Anfang an gerade keine verfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage zur legalen Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, sondern umgekehrt, ein spezifisches wirtschaftspolitisches Handlungsinstrument des Staates zur Aufrechtherhaltung der Funktionsbedingungen und privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung sein sollte. Tatsächlich erscheint es im Ausgangspunkt höchst schwer vorstellbar, dass das Grundgesetz mit einer Kannvorschrift die Möglichkeit eröffnet haben sollte, sie durch die grundrechtsgarantierte Form kapitalistischer Vergesellschaftung aufzuheben, das heißt im Widerspruch zum Begriff der Gewährleistung der Grundrechte von Eigentum, Freiheit und Koalitionsfreiheit die Geltung ihrer Grundrechte zur Disposition zu stellen.

Im Kommentar von Maunz/Dürig zum Artikel 15 – Kollege Dr. Martens wird mir recht geben, dass die Kollegen weit entfernt von einem linksliberalen Ansatz sind – wird die Sozialisierung als Rechtsbegriff wie folgt erklärt: „Die rechtliche Bedeutung des Artikels 15 ist nicht so sehr darin zu erblicken, dass eine Sozialisierung bestimmter Güter überhaupt für zulässig erklärt wird – das wäre notfalls, wie in Beratungen zu Artikel 15 mehrfach zum Ausdruck gebracht worden ist, auch über die Enteignungsregelung des Artikels 14 zu erreichen gewesen –, sondern sie liegt in der Klarstellung, dass die Sozialisierung ebenso wie Enteignung einer Entschädigungspflicht unterworfen ist, wodurch entschädigungslosen Maßnahmen wirksam vorgebeugt wurde. Daher“, so weiter das Zitat aus Maunz/Dürig, „kann dem Urteil, Artikel 15 sei die Achillesferse der grundgesetzlichen Demokratie, nicht zugestimmt werden. Möglicherweise ist gerade diese Entschädigungsregel des Artikels 15 Ursache dafür gewesen, dass von tiefgreifenden Wirtschaftsumgestaltungen bisher abgesehen worden ist, wohl auch in Zukunft abgesehen wird.“ – So weit das Zitat aus der aktuellen Fassung von Maunz/Dürig und so weit auch die Absurdität dieses Gesetzentwurfes im Lichte des Vorspruchs seiner Problemsicht.

Unter diesem Aspekt wäre – mit dem liberalen Denkhorizont herangegangen – höchst fragwürdig, Herr Dr. Martens, ob Sie sich nicht Steine statt Brot einhandeln werden, wenn Sie Artikel 15 Grundgesetz streichen, aber Artikel 14 Abs. 2, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, im Grundgesetz belassen. Allerdings ist es auch gut möglich, dass Sie den Gesetzentwurf zur Streichung von Artikel 14 – sprich: dessen Aufhebung – bereits in der Schublade haben. Dann sollten wir es heute gleich mit behandeln. Dann hätten wir das in einem Block weg, wenn wir die Sozialisierung des Eigentums und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums mit abschaffen wollen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist praktisch vollzogen!)

Wir wissen sehr wohl, dass wir in einer Zeit leben, meine Damen und Herren, in der alle Dämme via Aushöhlung verfassungsmäßiger Grundrechte, die das Gemeinwohl der Bürger schützen und neoliberaler Begierigkeit Schranken setzen sollen, brechen.

Im „Stern“ war vor einem halben Jahr im Zusammenhang mit den Hartz-IV-Gesetzen vom „kalten Putsch von oben“ die Rede. Die Hartz-IV-Gesetze fallen, wie gesagt, darunter, mit ihrem allerdings wesentlich verbrämteren Angriff etwa auf das Sozialstaatsprinzip; die Sicherheitsgesetzgebung à la Otto Schily mit dem inzwischen unter Schäuble erarbeiteten und am 1. Dezember in Kraft getretenen Antiterrordateigesetz als flagranter Eingriff in Grundrechte, wie zum Beispiel der Menschenwürde, Persönlichkeitsentfaltung, allgemeine Handlungsfreiheit, das Bank- und Fernmeldegeheimnis etc. Diese Eingriffe gehen bis hin zur Kappung verfassungsrechtlich geschützter Leistungen aus beitragspflichtigen Verhältnissen, die aus Rechten mit Eigentumskraft erwachsen sind, soweit sie Ostdeutsche betreffen.

Was Sie, meine Damen und Herren von der FDP, jetzt vorhaben, nämlich Artikel 15 mit der enthaltenen Möglichkeit, Teile von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln im Interesse der Allgemeinheit durch ein hierzu unabdingbar notwendiges förmliches Gesetz gewissermaßen in Gemeineigentum oder andere Form der Gemeinwirtschaft zu überführen oder gänzlich zu canceln, ist schlichtweg eine neue Dimension der verfassungsrechtlichen Etablierung des Neoliberalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Nicht Artikel 15 des Grundgesetzes, von vielen Kommentatoren als Sozialisierungsartikel und als Eigentumsgarantie gekennzeichnet, gefährdet die wirtschaftliche und aktuelle Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland, sondern der Angriff auf konstitutive Regelungen des Grundgesetzes, letztlich auch der Sächsischen Verfassung, zur Gewährleistung des sozialen Charakters der Marktwirtschaft. Das, so hoffen wir, ist der Mehrheit in diesem Landtag nicht schnuppe, und so hoffen wir, dass unser Antrag Aussicht hat, eine Mehrheit zu bekommen.

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die CDUFraktion, bitte; Herr Abg. Bolick.