möglich zu minimieren. Der Vollzug der Jugendstrafe sei als besonders gravierender Grundrechtseingriff nur dann verfassungsgemäß, wenn er konsequent auf eine straffreie Zukunft des Betroffenen gerichtet sei. – So weit Karlsruhe.
Nach der Föderalismusreform steht die Gesetzgebungsbefugnis für den Strafvollzug nunmehr den Ländern zu. Damit sind Sie, sind wir in der Pflicht, dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen. Es ist für mich selbstverständlich: Wir werden die Maßgaben aus Karlsruhe für den Jugendstrafvollzug umsetzen. Um Bedenkenträger zu beruhigen: Wir werden uns dabei auch an das Grundgesetz und an die Sächsische Verfassung halten.
Vieles ist im sächsischen Jugendstrafvollzug bereits jetzt gute Praxis. Ich erinnere daran, dass die Bundesjustizministerin in ihrem Gesetzentwurf maßgeblich von dem positiven Eindruck beeinflusst wurde, den sie von ihrem Besuch der JVA Zeithain mitgenommen hat.
Lassen Sie mich die fünf wichtigsten Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die beabsichtigte gesetzliche Umsetzung hier bei uns im Freistaat kurz darstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat besonderen Regelungsbedarf im Hinblick auf die Kontakte der jungen Gefangenen gesehen, insbesondere zu ihren Familien. Unser Gesetzentwurf wird daher die bisher begrenzten Besuchsmöglichkeiten erweitern und dabei die Familien der Gefangenen durch Gewährung zusätzlicher Besuchszeiten besonders einbinden, aber auch fordern. Wir werden in diesem Punkt über die Anforderungen aus Karlsruhe deutlich hinausgehen.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt weiter, dass die Regelungen zur Sanktionierung von Pflichtverstößen im Vollzug die besondere Empfindlichkeit von Jugendlichen berücksichtigen. Ich möchte bei solchen Pflichtverstößen Erziehungsmaßnahmen den Vorrang vor Disziplinarmaßnahmen einräumen. Die Disziplinarmaßnahmen selbst werden in ihrer Eingriffsintensität hinter denen des Erwachsenenstrafvollzugs zurückzubleiben haben.
Eine dritte wichtige Forderung des Urteils ist es, dass die jungen Gefangenen in der Anstalt so untergebracht sind, dass einerseits positive soziale Kontakte möglich sind, andererseits ein ausreichender Schutz vor wechselseitigen Übergriffen gewährleistet ist. Dieser auch nach meiner persönlichen Überzeugung wichtigen Forderung werden wir entsprechen. Junge Gefangene sollen künftig regelmäßig in überschaubaren Wohngruppen untergebracht werden, die auch eine differenzierte Unterbringung der jungen Gefangenen unter Berücksichtigung von Alter, Strafzeit und Straftat ermöglichen. Daneben wollen wir – Frau Abg. Dombois hatte es angesprochen – neue Formen des Vollzuges im Zusammenwirken mit freien Trägern ermöglichen.
Viertens: Jeder verantwortungsbewusste Strafvollzug setzt als Grundlage ein wirksames Resozialisierungskonzept voraus. Auch Karlsruhe hat dies ausdrücklich hervorgehoben und den Gesetzgeber verpflichtet, allgemein als
erfolgsnotwendig anerkannte Vollzugsbedingungen und -maßnahmen kontinuierlich zu gewährleisten und zu evaluieren. Auch dieser Forderung werden wir nachkommen. Die Sozialtherapie für junge Gefangene beispielsweise, die wegen einer schweren Sexual- oder Gewaltstraftat verurteilt wurden, werden wir gesetzlich verankern und weiter ausbauen. Im Rahmen einer solchen „Sotha“ erhalten besonders gefährliche und damit besonders behandlungsbedürftige Tätergruppen eine wissenschaftlich fundierte, personalintensive Betreuung, die speziell auf die Defizite dieser Tätergruppen eingeht.
Obwohl es Ihnen bekannt ist, möchte ich noch einmal hervorheben: Sachsen hat als eines der ersten Länder vor nunmehr mehr als sieben Jahren in Zeithain eine Sozialtherapie für Jugendliche eingerichtet, die damals nicht gesetzlich vorgeschrieben war. Mit ihren 37 Haftplätzen ist diese Jugendsozialtherapie eine der größten im Bundesgebiet. Konsequenterweise ist auch in der neuen Jugendstrafanstalt Regis eine sozialtherapeutische Abteilung mit 39 Plätzen vorgesehen.
Ob wir die fünfte und letzte Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer Neugestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes umsetzen können, prüfe ich noch. Da es sich der Materie nach nicht um eine Regelung des Strafvollzuges, sondern des gerichtlichen Verfahrens handelt, liegt – so meinen manche – die Gesetzgebungskompetenz beim Bund. Herr Dr. Martens, entsprechende Gutachten gibt es sogar aus dem BMJ. Ich jedenfalls wünsche mir hierbei eine sachgerechte Regelung, die den Belangen der jungen Gefangenen angemessen Rechnung trägt und die bisherige Vielfalt der Rechtsbehelfe und -mittel möglichst beseitigt. Wenn es einen weiten verfassungsrechtlichen Spielraum gibt, habe ich die feste Absicht, Ihnen vorzuschlagen, diesen Spielraum auszunutzen. Herr Dr. Martens, die konstruktive Mitarbeit Ihrer Partei erwarten wir gerade hier mit besonderer Freude. Auch das wird wieder ein Beispiel für die Gestaltungskraft dieser Koalition werden. – So weit zu den Forderungen aus Karlsruhe.
Ich sehe allerdings über diese Forderungen hinaus Änderungsbedarf. Der Zwang, nunmehr ein neues sächsisches Jugendstrafvollzugsgesetz vorzulegen, bietet uns die fast einmalige Gelegenheit, im sächsischen Strafvollzug insgesamt nachzujustieren. So möchte ich unseren Strafvollzug stringenter als bisher am Vollzugsziel der Resozialisierung ausrichten. Den Gefangenen möchte ich einerseits zur Steigerung seiner Motivation verstärkt informieren und beteiligen und andererseits stärker in die Pflicht nehmen, Stichwort Chancenvollzug. Beispielsweise denke ich darüber nach, dass es Vollzugslockerungen unter anderen nur dann geben soll, wenn dies der Erreichung des Vollzugszieles dient und der Gefangene seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.
Neben den Gefangenen müssen wir in dem neuen sächsischen Gesetz auch die berechtigten Interessen des Opfers einer Straftat in den Blick nehmen. Bei der Gestaltung des
Meine Damen und Herren! Bereits die beiden zuletzt genannten Punkte – stringente Orientierung am Vollzugsziel und die Berücksichtigung der Opferinteressen – haben ihre Berechtigung nicht nur im System des Jugendvollzuges, sondern fraglos auch im Vollzug der Freiheitsstrafe an Erwachsenen. Daher möchte ich – ich habe es angedeutet – zusammen mit der gesetzlichen Regelung des Jugendstrafvollzuges auch den sächsischen Erwachsenenstrafvollzug modernisieren. Die derzeitige gesetzliche Regelung aus dem Jahre 1976 ist in weiten Teilen überholt, bürokratisch und vernachlässigt neuere wissenschaftliche und vollzugliche Erkenntnisse.
Ich möchte beispielsweise auch im Erwachsenenbereich die Besuchszeiten deutlich erhöhen, die Familien der Gefangenen stärker einbinden, die gute sächsische Praxis etwa des Ersttätervollzuges zur Verhinderung überstarker krimineller Einflüsse und den Grundsatz der heimatnahen Unterbringung im Gesetz festschreiben.
All dies müssen wir – Herr Abg. Schiemann hat es gesagt – in ein ausgewogenes Verhältnis zu den auch weiterhin unverzichtbaren Sicherheitsanforderungen jedes Vollzuges bringen.
Ich wende mich, meine Damen und Herren, gegen beides: gegen verklärende Sozialromantik auf der einen Seite. Ich darf daran erinnern: Jeder Verurteilung zur Jugendstrafe ist ein Urteil, in dem ein unabhängiges Gericht „im Namen des Volkes“ schädliche Neigungen des Täters festgestellt hat, vorausgegangen. Wir haben es also nicht ausschließlich mit Chorknaben oder Waisenmädchen zu tun, und ob dabei der offene Vollzug als Regelvollzugsform geeignet ist – darüber werden wir uns hier im Hohen Hause möglicherweise auseinanderzusetzen und zu streiten haben. Ich setze derzeit dahinter noch ein Fragezeichen.
Ich wende mich ebenso – Herr Bräunig hat es angesprochen – gegen Stammtischparolen, nach denen ausnahmslos bei allen Strafgefangenen von vornherein Hopfen und Malz verloren sei – nach dem Motto: Wegsperren, aber für immer!
Im Gesetzentwurf wollen wir einen sächsischen Weg finden. Ich freue mich auf die Diskussionen hierüber in unserem Landtag – ein Ergebnis der viel gescholtenen Föderalismusreform.
Ich darf daran erinnern: Als wir diese Kompetenz für den Strafvollzug erhielten, wurden Befürchtungen geäußert, die Länder würden ihre neue Kompetenz primär dazu benutzen, im Vollzug massiv zu sparen – Begriffe: „Wettlauf der Schäbigkeit“, „Wettlauf um den härtesten, billigsten Knast“. So etwas wird es weder mit Ihnen noch mit mir im Freistaat Sachsen geben.
Ich sehe unsere Aufgabe darin, ein Gesetz zu erarbeiten und zu verabschieden, welches sich unter Berücksichtigung der Vorgaben unserer Verfassung und des Grundgesetzes sowie der Vorgaben des Bundesverfassungsgerich
tes verantwortungsbewusst und konsequent am Grundsatz der Resozialisierung des Gefangenen orientiert und diesen Grundsatz mit dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und den Interessen des Opfers in ein angemessenes und ausgewogenes Verhältnis bringt.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich über die große Zustimmung zu unserem Vorstoß. Vielleicht zwei Worte an die Nörgler von den GRÜNEN und der FDP: Wir wollen mit unserem Antrag die parlamentarische Debatte anstoßen. Unsere Vorschläge sind als Eckpunkte zu verstehen, keinesfalls abschließend. Wir freuen uns auf die Diskussion in den zuständigen Ausschüssen.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal kurz stichpunktartig darlegen, was wir im Detail wollen. Es ist schon einiges angesprochen worden. Es geht uns um die Bedeutung der Familienbeziehungen und die Möglichkeit, diese aus der Haft heraus zu pflegen – wobei Besuchsmöglichkeiten natürlich um ein Mehrfaches über denen der Erwachsenen liegen müssen.
Uns geht es um die Möglichkeiten zur körperlichen Bewegung und die Nachrangigkeit von Disziplinarmaßnahmen, um Vorkehrungen zum Aufbau und zur Pflege von Kontakten innerhalb der Anstalt, die positivem sozialem Lernen dienen können; um Vorkehrungen zum Schutz vor wechselseitigen Übergriffen der Gefangenen, um die Unterbringung in kleineren Wohngruppen mit besonderen Betreuungsmöglichkeiten, um konkrete Vorgaben zur erforderlichen Ausstattung mit personellen und finanziellen Mitteln, um ausreichende Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, die auch bei kurzer Haft sinnvoll genutzt werden können, um therapeutische pädagogische Betreuung, um eine verzahnte Entlassungsvorbereitung, die Unterstützung der Gefangenen in der Entwicklung und der Bereitschaft zur eigenverantwortlichen und gemeinschaftlichen Lebensführung, um die Verantwortung für die begangenen Taten zu übernehmen und sich mit deren Folgen auseinanderzusetzen, und um die Förderung der beruflichen Integration nach der Entlassung.
Zur angemessenen Ausstattung des Jugendstrafvollzuges. Wir brauchen im Vergleich zum Erwachsenenstrafvollzug mehr Personal. Dieses Personal muss für die Erziehungsaufgabe besonders qualifiziert sein. Die Ausbildungs- und Unterrichtsmöglichkeiten müssen auf hohem Niveau und auf höchstem Stand sein und die Jugendstrafe soll grundsätzlich in besonderen Jugendstrafanstalten vollstreckt werden.
Neben dem geschlossenen ist die gleichrangige Möglichkeit zum offenen Vollzug notwendig. Wichtig ist eine starke Sozialtherapie. Der Tagesablauf der Gefangenen soll grundsätzlich in der Gemeinschaft stattfinden; dagegen soll die Nachtzeit grundsätzlich in Einzelhafträumen verbracht werden.
Wir wissen, dass eine zielführende Aus- und Weiterbildung Vorrang gegenüber der Zuweisung von Arbeit haben muss. Bei einer entsprechenden Eignung soll es eine Pflicht zur Teilnahme an Bildungsmaßnahmen geben. Wegen der häufig sehr kurzen Verweildauer in den Anstalten sollten nicht nur komplette Ausbildungsgänge, sondern auch zeitlich begrenzte berufliche Fördermaßnahmen angeboten werden. Die Anstalten sollen Hauptschul-, Förderschul- und Berufsbildungsunterricht anbieten und schließlich spezielle Maßnahmen wie Deutsch für Ausländer, Alphabetisierungs- oder Antiaggressionskurse.
Meine Damen und Herren! Sicherlich sind diese Eckpunkte sehr anspruchsvoll, aber die Koalition wird sie angehen, und ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.
Wir kommen zur Abstimmung. Meine Damen und Herren! Zur Drucksache 4/7124 gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN mit der Drucksachennummer 4/7363. Die Fraktion wünscht die Neufassung einzelner Ziffern im vorliegenden Antrag und die Ergänzung des Antrages. Frau Abg. Herrmann, Sie haben das Wort zur Einbringung des Antrages.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bräunig, was wollen Sie eigentlich? Zum einen wollen Sie eine Debatte anstoßen, und wenn wir auf Ihren Anstoß eingehen und die Debatte aufnehmen, dann sagen Sie, wir seien Nörgler.
Wir haben Ihre Einladung angenommen und wir diskutieren genau zu diesem Antrag, den Sie heute vorgelegt haben. Wir haben deutlich gemacht, dass wir in diesem Antrag vieles wiederfinden, was wir uns auch vorstellen könnten.
In drei wesentlichen Bereichen haben wir aber Änderungen oder Ergänzungen, ohne die nach unserer Meinung ein wirksamer Erziehungsvollzug nicht umsetzbar ist. Das sind erstens der Bereich Bildungs-, Beratungs- und Therapieangebote; zweitens der Bereich Resozialisierung und drittens die nötigen strukturellen Voraussetzungen dazu.
Zu erstens – das hatte ich schon erwähnt –: volles Programm statt voller Magen. Im Koalitionsantrag sind Bildungs- und Ausbildungsangebote auf Jugendstrafgefangene mit Defiziten beschränkt. Die Erfüllung der Schulpflicht muss aber für alle gewährleistet sein.
Ein weiteres Problem ist, dass viele Heranwachsende gar nicht beschulbar sind. In Punkt 1 unseres Änderungsantrages, der sich auf Ziffer 3 des Ursprungantrages bezieht, fordern wir deshalb niederschwellige Angebote, die elementare soziale, motorische, sprachliche und personale Kompetenzen vermitteln.
Eines der größten Probleme im Vollzugsalltag wird von Ihnen gar nicht angesprochen – darauf ist Dr. Martens schon eingegangenen –: die massive Suchtbelastung. In Punkt 3 haben wir die Ziffer 14 des Antrages deshalb neu gefasst und erweitert. Neben eher informierenden Suchtberatungen brauchen wir vor allem Therapieangebote und Angebote, die auf eine Therapie vorbereiten; die also darauf hinarbeiten, dass Jugendstrafgefangene zum Beispiel in der Gruppe über sich selbst sprechen können. Wann, wenn nicht im Jugendstrafvollzug, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es die Möglichkeit und den Ansatzpunkt, eine Drogenkarriere zu beenden und die Therapieerfolge zu stabilisieren?
Viele Jugendstrafgefangene haben selbst Kinder. Wenn wir Vernachlässigungsverhältnisse präventiv abbauen und verhindern wollen, dann müssen wir gerade hier ansetzen. Es reicht nicht aus, wenn in Zeithain junge Mütter zweimal im Jahr mit den Kindern zu Familientreffen kommen können. Es gibt in Sachsen dagegen kein einziges Ehe- und Familienseminar im Strafvollzug.
Deshalb haben wir den Punkt 5 hinzugefügt. Wenn wir über ein soziales Frühwarnsystem sprechen, dann müssen wir auch über Elternbildung junger Strafgefangener sprechen. Für Strafgefangene gibt es immer den ersten Tag: den ersten vor Gericht, den ersten im Gefängnis, den ersten in Freiheit, und für alle diese Möglichkeiten brauchen wir eine gemeinsame durchgehende Betreuung durch die Jugendgerichtshilfe. Das ist eine weitere Ergänzung zu Ihrem Antrag. – Ich mache ein bisschen schneller, weil es hier schon blinkt.
Zu den letzten beiden Punkten sage ich ganz deutlich: Wir brauchen die entsprechende personelle Ausstattung und Aufstockung und die Qualifizierung der Bediensteten.