Protocol of the Session on November 16, 2006

Sexuelle Gewalt findet zu zwei Dritteln aller Fälle im sozialen Nahraum von Familie und Haushalt statt. Untersuchungen haben weiter bestätigt, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen in allen Schichten und Altersgruppen vorkommt und dass die Opfer oft über Jahre hinweg misshandelt werden. Nach Angaben der Bundesregierung – so steht es auch in den Antworten der Staatsregierung auf die Große Anfrage – rechnet man mit rund 15 Milliarden Euro, die diese Männergewalt den Staat kostet, Strafverfolgung und Betreuung der Täter nicht eingerechnet.

Der Fall Stephanie, denke ich, zeigt drastisch, welches Leid die Betroffenen und deren Angehörige durchleben.

Der stärkere Opferschutz, der hier angesprochen wird, denke ich, ist unser aller Anliegen.

Kollegin Ernst, Sie sprachen davon, dass Gewalt in Familien normal sei. Ich finde das nicht normal, auch wenn es im Alltag häufig vorkommt.

(Beifall bei der CDU)

Nun waren der Sächsische Landtag und die Staatsregierung in den letzten Jahren nicht tatenlos.

An Mikrofon 1 Frau Dr. Ernst mit einer Zwischenfrage.

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Frau Dr. Schwarz, sind Sie mit mir der Meinung, die ich vorhin zum Ausdruck bringen wollte, dass leider Gewalt in vielen Elternhäusern, in vielen Haushalten Normalität ist, was ich nicht gut finde, aber eben leider an der Tagesordnung ist?

Es mag leider in vielen Familien so sein. Ich teile aber nicht Ihre Auffassung, dass es die Mehrheit der Familien ist,

(Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Das habe ich nicht gesagt!)

sondern dass es ein Phänomen ist, das eine Minderheitenposition hat.

Das klang bei Ihnen nicht so, deshalb habe ich mir das bewusst aufgeschrieben. Das kann nicht die Normalität sein und es ist auch nicht die Mehrheit, sondern eher eine Minderheit. Genau dort müssen wir aber ansetzen, um denjenigen zu helfen, aus der Gewaltspirale herauszukommen.

Vielfältige Initiativen und Anhörungen zu diesem Themenkomplex von Ihrer Fraktion und anderen Fraktionen haben eine Fülle von Erkenntnissen und Anregungen gebracht, und zwar auch schon in der letzten Legislaturperiode. Neben den Beratungsmöglichkeiten in den Frauen- und Kinderschutzhäusern wurden die Kriseninterventions- und -koordinierungsstellen aufgebaut und es sollen noch weitere installiert werden.

Die steigenden Fallzahlen der Schutzanordnungen belegen, dass das Gewaltschutzgesetz in der Praxis Wirkung entfaltet. Die Wegweisungsfrist in Sachsen von sieben Tagen wird auf 14 Tage erhöht. Das wird im Zuge der Novellierung des Polizeigesetzes im kommenden Jahr erfolgen.

Aber es gilt auch, fachübergreifend Verantwortung wahrzunehmen. Das Staatsministerium für Kultus erarbeitet derzeit einen Orientierungsrahmen für die Familien- und Sexualerziehung an sächsischen Schulen, welcher sowohl Probleme der heute in Rede stehenden Anfrage aufgreift als auch über Hilfsangebote informiert.

Im Bereich der Polizei und Justiz lag der Schwerpunkt in der Fortbildung. Ich zitiere aus einer Antwort zur Großen Anfrage: „Hinsichtlich der im Zusammenhang mit dem polizeilichen Einschreiten und der anfänglich nicht genügend wirksamen Intervention bei Fällen häuslicher Gewalt wurden die erkannten Defizite durch nachhaltige Fortbildungsmaßnahmen für den Polizeivollzugsdienst kontinuierlich abgestellt.“ Ich teile diese Meinung. Ich bin froh, dass Sie das auch festgestellt haben. Besonders hilfreich war es dabei, dass sich auch Mitarbeiterinnen der Interventionsstellen an diesen Fortbildungsmaßnahmen beteiligt haben.

Die früh einsetzenden Schulungen der Richter und Staatsanwälte zum Gewaltschutzgesetz und angrenzenden Themen werden von der Staatsregierung als gut bewertet.

Sicherlich kann man in diesem Bereich noch mehr tun. Ich sehe aber zum Beispiel, dass sich inzwischen auch viele Kinderärzte mit diesem Problem beschäftigen, darüber schon auf Kongressen gesprochen haben und vielfältige Anregungen geben.

Wir haben in Sachsen eine Beratungs- und Hilfsinfrastruktur, die sicher noch weiter gestärkt werden muss. Wir wollen nicht behaupten – auch Kollegin Henke hat das nicht getan –, dass das heute schon tutti paletti ist, wie

man so schön sagt. Wir wissen, dass noch einiges zu tun ist.

Wir begrüßen, dass die Staatsregierung die regionale Ausgewogenheit im Blick hat und beabsichtigt, das bestehende Netz aus Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen weitestgehend zu erhalten. Es hat schon einen beträchtlichen Abbau gegeben, was mitunter auch an den Auslastungen lag. Nun kann man sich natürlich fragen, ob wir froh sind, dass es weniger Auslastung gibt. Aber natürlich muss ein flächendeckendes Angebot für die Betroffenen erhalten bleiben.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Vielen Dank. – Ich wollte Sie fragen, Frau Dr. Schwarz: Während der Demonstration der Frauen- und Kinderschutzhäuser hier vor dem Landtag wurde uns ein Material übergeben, das die Finanzierung der Arbeit der Frauenschutzhäuser sowie der Interventionsstellen angeht. Hier geht es um haushalterische Fragen. Ich bitte Sie, dazu einmal kurz die Position Ihrer Fraktion oder der Koalition darzulegen.

Frau Dr. Ernst, Sie müssten versuchen, eine Frage zu stellen.

Welche Meinung haben Sie dazu?

Sie haben mich aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. Ich komme gleich dazu, Frau Dr. Ernst.

Die Ausgewogenheit oder das Netz der Frauen- und Kinderschutzhäuser soll erhalten bleiben und wird auf gleichem Niveau gefördert wie im vergangenen Doppelhaushalt. Es wird durch sieben Interventions- und Koordinierungsstellen und fünf Täterberatungsstellen ergänzt. Das ist eine Weiterentwicklung. Wir werden das auch mit entsprechender Absicherung im Haushalt untersetzen.

Aber auch die Kommunen dürfen wir nicht aus der Pflicht entlassen, auch wenn es zu den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben kommunaler Gebietskörperschaften gehört, Beratungs- und Hilfseinrichtungen im Bereich häuslicher und Beziehungsgewalt zu betreiben. Ich stehe zu diesem Teil kommunaler Selbstverwaltung und zum Prinzip der Subsidiarität, denn ich denke, es kann nicht alles von oben verordnet werden. Wir brauchen das Bewusstsein auch und gerade vor Ort. Genau dieses Thema gehört zur Sensibilisierung in der breiten Bevölkerung.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wir müssen es bezahlen können!)

Für die ALG-II-Bezieherinnen hat der Bundesgesetzgeber geregelt, dass es einen Ausgleich für die kommunalen Träger gibt, wenn sich eine Frau in einem Frauenhaus befindet, das nicht im eigenen Landkreis liegt.

Frau Dr. Schwarz, es gibt noch einen Wunsch zu einer Zwischenfrage.

Halten Sie es für angemessen und richtig, dass der Freistaat zwischen 15 und 20 % der Kosten für Frauenschutzhäuser trägt und nicht mehr, wie das in anderen Bundesländern üblich ist?

Wir haben darüber schon lange diskutiert, wie man die Finanzierung von Frauenhäusern lösen kann. Es gab dazu auch eine Anhörung. Aber ich habe gesagt, ich stehe zur Subsidiarität, weil ich denke, dass wir die Kommunen nicht aus der Pflicht lassen können.

In den Antworten der Staatsregierung finden wir eine Fülle von statistischem Material. Es klang zwar so, dass sie nicht ganz zufrieden damit sind. Man muss vielleicht auch nicht immer mit viel Zahlenmaterial agieren. Aber Sie als Fragestellerin haben auch Fragen gestellt, von denen ich denke, dass es darauf schlecht eine Antwort geben kann. – So zum „Stand des öffentlichen Bewusstseins“ zu diesem Problem oder auch zu den Fragen nach dem Dunkelfeld.

Inzwischen liegen zum Thema der Großen Anfrage vielfältige Untersuchungen, Berichte, Studien und Kongressprotokolle vor. Wenn man sich dort ins Internet „eingoogelt“, findet man eine Fülle von Untersuchungen und Berichten.

Zum Schluss möchte ich noch feststellen, dass die Sensibilität bei Gewalt im sozialen Nahraum und Gewalt gegenüber Frauen und Kindern gestiegen ist. Dies verdanken wir einer offenen und ehrlichen Debatte zu diesem Thema, denn die Verdrängung oder Marginalisierung haben wir in letzter Zeit zu spüren bekommen, auch in diesem Hause. Aber jetzt, denke ich, wird die Debatte zeitgemäß geführt. Dies verdanken wir auch denjenigen, die sich in Netzwerken, insbesondere von engagierten Frauen geknüpft, die Bekämpfung häuslicher Gewalt auf die Fahnen geschrieben und dazu beigetragen haben, dieses Thema zu enttabuisieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die NPD-Fraktion, Herr Dr. Müller, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hierbei um eine Große Anfrage der Linksfraktion.PDS. Die ist aus unserer Sicht ausführlich und auch detailliert vom SMI beantwortet worden. In Anbetracht unserer geringen Redezeit verzichten wir auf einen eigenen Debattenbeitrag. Das Interesse der Linksfraktion.PDS sieht man an der Teilnahme der Linksfraktionäre, wo doch große Lücken sind. Bei dem Entschließungsantrag, der sich weitgehend mit Allgemeinplätzen beschäftigt, werden wir uns der Stimme enthalten.

Die NPD-Fraktion verzichtet auf den Redebeitrag. Ich bitte die FDPFraktion, Frau Abg. Schütz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lange Zeit galt ja häusliche Gewalt als ein Tabuthema. Im Inneren der eigenen vier Wände spielten und spielen sich Szenen ab, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit Ihrer und meiner Fantasie entziehen. Da werden Menschen erpresst, verletzt oder sogar getötet.

Herr Brangs, auch wenn Sie jetzt nicht da sind, an Sie gerichtet: Gerade in Familien mit schwierigen sozialen Problemlagen, zum Beispiel auch Arbeitslosigkeit, werden die meisten Straftaten gegen Kinder registriert. Nicht immer sind die Kinder am Sonntag am besten bei ihren Eltern aufgehoben.

Das verstärkte Anzeigeverhalten bei häuslicher Gewalt ist unserer Meinung nach als öffentlicher Hilferuf zu werten. Seit dem Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes ist ein Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen. Ob das jetzt gleichzusetzen ist mit mehr Gewalt oder dies nicht auch die verbesserte Sensibilisierung für dieses Thema dokumentiert, bleibt dabei offen. Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern die Täter gehören vor Gericht. Vor Gericht wird allerdings die besondere Problematik der häuslichen Gewalt dann sichtbar. Mehr als die Hälfte der Verfahren wird eingestellt. Vor allem die schwierige Beweislage erschwert eine Verurteilung der Täter.

Zum Aspekt der Frauenhäuser. Neben dem Schutzaspekt, den ein Frauenhaus den betroffenen Personen bietet, wird eine immer massivere Beratungshilfe nachgefragt. Es ist deshalb eine Gemeinschaftsaufgabe, Frauenhäuser zu fördern, die für die betroffenen Frauen und Kinder offenstehen und ihnen Schutz und Obdach bieten. Der Landesanteil an Frauenschutzhäusern ist zwar stabil, aber zu gering. Der Rückzug des Landes allein auf die Förderung der anteiligen Personalkosten und eines Festbetrages für Betriebskosten in Höhe von 2 500 Euro jährlich wird dem Charakter dieser Aufgaben mit Sicherheit nicht gerecht. Die Forderung nach einem Konzept für eine ausgewogene, gerechte und landeseinheitliche Finanzierungsstruktur unterstützen wir daher. Eine geteilte Kostenverteilung zwischen Landkreisen und kreisfreien Städten ist notwendig, denn Gewalt macht nicht an Gemeindegrenzen halt.

Öffentlichkeitsarbeit, Präventionsarbeit und externe Beratung müssen finanziert und weiterentwickelt werden. Diese Mittel wären und sind dann auch gut angelegt, denn Investitionen in Prävention sparen zukünftige Folgekosten in beträchtlicher Höhe. Steht dann die Finanzierung durch die Kommunen, wie bei uns in Görlitz, auf wackeligen Füßen, stehen die Einrichtungen dann meist kurz vor dem Aus. Fünf Frauenschutzhäuser in Löbau, Wurzen, Aue, Zittau und Plauen wurden in den letzten fünf Jahren geschlossen. Hier muss der Freistaat gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden eine Lösung finden. Der versprochene Landesaktionsplan gegen die häusliche Gewalt könnte dabei helfen. Doch das Schneckentempo

der Koalition lähmt auch hier den Kampf vor Ort gegen die häusliche Gewalt.

Unsere nächste Diskussion zu diesem Thema sollten wir daher auf der Grundlage des versprochenen Landesaktionsplanes hier oder vor dem Ausschuss führen können.

Frau Schütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?