Protocol of the Session on September 15, 2006

Mit den Kürzungen treffen Sie direkt die Kommunen. Diese profitieren nämlich in großem Maße von den Angeboten der überörtlichen Jugendhilfe. Kommunale und überörtliche Jugendarbeit ergänzen sich. Es macht keinen Sinn, sie gegeneinander auszuspielen. Sie wissen auch, dass es in der Vergangenheit bereits Kommunen gab, die die Jugendpauschale nicht vollständig abrufen konnten – nicht, weil ihnen nicht eingefallen wäre, was sie mit dem Geld anstellen könnten, sondern weil ihnen schlicht und einfach die Eigenmittel fehlten.

Sie sprechen von Straffung der Verwaltung und kürzen einem überörtlichen Träger der Jugendarbeit eine von zwei Personalstellen. Das ist absurd! Wie stellen Sie sich denn die Weiterarbeit des Trägers vor? Die LAG „Mädchen und junge Frauen“ entwickelt geschlechtsspezifische Angebote für Mädchen und hat sich die Gender-Arbeit im Jugendhilfebereich zur Aufgabe gemacht. Dazu gehört beispielsweise die geschlechtsbewusste pädagogische und methodische Umsetzung des Sächsischen Bildungsplanes in Kita und Hort.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP)

Schauen wir uns die Kürzungen einmal an. Wen betreffen sie und was werden die Folgen sein? Geht denn die Formel wirklich auf: weniger Kinder und Jugendliche ist gleich weniger Geld? Die Situation von Kindern und Jugendlichen wird nicht einfacher. Die Welt wird für sie komplizierter, die Sicherheiten schwinden und die Anforderungen in Schule und Ausbildung sind hoch. Viele Jugendliche fühlen sich dem nicht gewachsen. Woher bekommen sie Unterstützung? Die Eltern sind leider häufig nicht oder nicht ausreichend dazu in der Lage. Wo können sich Jugendliche treffen und miteinander etwas erleben? Wie können sie andere Seiten und ihre Stärken an sich entdecken? Die zurückgehende Zahl kann doch nicht der ausschlaggebende Faktor sein!

Erst im Juli dieses Jahres wurde die Förderung der Mädchen- und Jungenarbeit in Sachsen auf Antrag der Koalition, Drucksache 4/4616, beschlossen. Darin heißt es unter Punkt 2 als Auftrag an die Staatsregierung, sie möge bedarfsgerechte Angebote zur Qualifizierung und Fachberatung in der Mädchen- und Jungenarbeit stärker fördern. Das SMS selbst verweist im Ausschuss auf die Anfrage der Abg. Klinger unter anderem auf die Förderung des Pilotprojektes der LAG „Mädchen und junge Frauen“ in Kooperation mit der Sächsischen Landjugend. Dabei arbeitet die Bildungsreferentin mit Teams der mobilen Jugendarbeit daran, eigene Lebenswirklichkeit wahrzunehmen. Wen erreichen unsere Angebote im ländlichen Raum? Kommen Jungen und Mädchen oder doch eher Jungen? Was brauchen sie? Was bedeutet es, wenn Mädchen nur als Freundinnen mitkommen? Welche Angebote suchen Mädchen? Das SMS und die Koalition waren damals der Meinung, dass das eine unverzichtbare Arbeit ist, um zielgenaue Antworten auf den demografischen Wandel zu geben.

Wir reden immer davon, dass wir auf dem Weg in die Wissensgesellschaft sind und wie wichtig Bildung ist. Sie wird nicht nur in der Schule vermittelt. Bildung ist viel umfassender und wird zu 70 % außerhalb der traditionellen Bildungseinrichtung vermittelt. Dabei tragen die landesweiten Jugendverbände und ihre Fachkräfte der Jugendhilfe große Verantwortung. Gerade im außerschulischen Bereich lernen Kinder und Jugendliche Selbstorganisation. Sie erleben demokratische Aushandlungsprozesse und erfahren dort Wertschätzung. Sehen Sie das heute, nach gerade einmal drei Monaten, anders, Frau Orosz? Die Träger der Jugendhilfe sind unsere Partner. Wir brauchen ihre Kompetenz und ihr meist nicht angemessen bezahltes, überdurchschnittliches Engagement.

Was bedeutet Investition auf dem Weg in die Wissensgesellschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wo müssen wir investieren, wenn wir den Ansprüchen der Wissensgesellschaft gerecht werden wollen? Der alte Begriff der Investition taugt nichts mehr. Wir müssen die Arbeit der Mitarbeiter der Jugendhilfe als Investition verstehen, als Investition in die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen hier in Sachsen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Nur dann können wir gemeinsam die Jugendhilfe in Sachsen weiterentwickeln. Ihre Kürzungspläne sind fachlich nicht fundiert. Sie opfern außerschulische Bildungsangebote und Vielfalt in überörtlicher Jugendarbeit. Wir hoffen, dass in der Haushaltsdebatte – und dann wirklich mit Zahlen untersetzt – darüber noch zu diskutieren sein wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Deshalb brauchen wir keine toll sanierten Jugendklubs, in denen dann Ein-Euro-Jobber für die jungen Leute da sind.

Natürlich ist eine Stellenstreichung, die für den jeweiligen Jugendverband ausgesprochen ist, eine Kürzung. Aber dieser Umbau findet nun einmal statt. Da sehe ich es als richtiges Zeichen an, zu versuchen, die kommunale Jugendhilfe zu stärken. Wenn es die vor Ort nicht mehr gibt, wird es auch auf Landesebene schwieriger, eine gute Jugendarbeit zu leisten.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Rohwer, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin in der Debatte schon angesprochen worden. Auch auf die Expertenkommission „Überörtliche Jugendhilfeplanung“ hat Frau Herrmann hingewiesen. Sie hat noch einmal daran erinnert, dass mir das Thema Bildung im Zusammenhang mit der Jugendhilfe immer wichtig gewesen ist. Das ist richtig, und genau deshalb möchte ich noch einmal das Wort ergreifen, um zu erläutern, wo dieses Thema Bildung vorkommen muss.

In der Jugendhilfelandschaft ist seit Jahren bekannt, dass es Kritik und Veränderungsbedarf gibt. Wir haben diese Veränderungen im Vergleich zu anderen Bereichen, bei denen es schon früher Kürzungen gegeben hat, lange verschoben. Bei zurückgehenden Haushaltsansätzen sind sie aber unvermeidlich. Wir sollten diese Debatte deshalb in ruhiger, sachlicher Art bestreiten, und zwar bis hin zur Beschlussfassung des Haushaltes. Es ist schon mehrfach angesprochen worden, dass wir hier keine vorgezogene Haushaltsdebatte führen wollen. Wenn Sie sich die Landschaft anschauen, die sich in der Jugendhilfe entwickelt hat, Frau Herrmann, dann werden Sie sehen, dass wir eine sehr breit gefächerte und gut organisierte Landschaft haben, sowohl auf der kommunalen als auch auf der landesweiten Ebene. Im Vergleich zu anderen Bundesländern lässt sich das in der Tat sagen. Das hat auch der Jugendhilfeausschuss in seiner Stellungnahme zum 2. Jugendbericht dargelegt. Er hat deutlich gemacht, dass es darum geht, die demografische Entwicklung in der Jugendhilfe in den nächsten Jahren abzuzeichnen. Das war ein Schwerpunkt der Stellungnahme. Ein anderer war, das Thema Bildung immer weiter in den Vordergrund zu heben.

Es ist gesagt worden, dass damit eine Übertragung auf die kommunale Ebene stattfinden würde. Aber darum geht es gerade nicht, sondern um eine Stärkung und Unterstützung der kommunalen Ebene mit den Mitteln des Freistaates Sachsen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Frau Klinger, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf da fortfahren, wo ich vorhin aufgrund der Kürze der Zeit aufhören musste.

Daraufhin ist die Expertenkommission „Überörtliche Jugendhilfeplanung“ im Landesjugendhilfeausschuss ins Leben gerufen worden, die ich mit anderen zusammen durchgeführt habe. Ich habe diese Arbeitsgruppe auch geleitet. Dabei haben wir eine Anhörung aller landesweiten Jugendverbände durchgeführt. Von den vielen Jugendverbänden, die angehört wurden, haben es zwei – ich wiederhole: zwei – Jugendverbände geschafft, Jugendliche aus der Zielgruppe mitzubringen. Ansonsten waren – man könnte es so nennen – „Berufsjugendliche“ anwesend und haben mit uns über ihre Jobs gesprochen.

Ich habe aber zwei Vorbemerkungen. Die erste richtet sich an Herrn Rohwer. Herr Rohwer, was wir seit fünf Jahren haben, sind Kürzungen und kein konstruktiver Umbau.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Dulig, ich weiß nicht, ob Sie sich mit Ihrem Koalitionskollegen Herrn Krauß abgesprochen haben. Sie wollten keine Haushaltsverhandlungen vorziehen und nicht über konkrete Zahlen sprechen. Herr Krauß hat vor zehn Minuten eine Pressemitteilung herausgegeben, in der die Erhöhung der Jugendpauschale auf mindestens 13 Euro proklamiert wurde.

Ich möchte Ihnen noch ein anderes Beispiel aus dieser Anhörung vortragen. Da gibt es die Landesvereinigung „Kulturelle Jugendbildung“, die im Moment nicht von den Kürzungsplänen des Sozialministeriums betroffen ist. Deren Vertreter haben sehr plastisch und nachvollziehbar dargestellt, wie sie mit einer 75-%-Stelle wirklich sehr viele kleine kulturelle Initiativen in diesem Land fördern, beraten, ihnen bei der Abrechnung helfen usw. Dann habe ich die anderen Jugendverbände gefragt, ob sie es ähnlich machen. Das Ergebnis war nicht so berauschend, wie wir es bei der LKJ aus Leipzig sehen konnten. Deshalb ist das für mich ein hervorzuhebendes Beispiel.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört! – Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Da ist bei der Absprache vielleicht etwas schiefgegangen.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Da funktioniert irgendetwas nicht!)

Ich komme zurück zum Thema. Ich habe die Praxis der Erhöhungen im Kita-Bereich angesprochen, die von Frau Orosz gegen die Kürzungen im Jugendbereich aufgerechnet werden. Ich bin der Meinung, dass Sie, wenn Sie ehrlich wären, zugeben müssten, dass die Erhöhungen

Nun wird so getan, als ob diese Kürzung in der überörtlichen Jugendhilfe von heute auf morgen kommt. Seit fünf Jahren wurde immer wieder signalisiert, dass wir etwas umbauen, etwas verändern müssen.

bei den Kitas ausschließlich dem Anwachsen der Kinderzahlen geschuldet sind. Der Kita-Bereich wird über eine Pro-Kopf-Pauschale finanziert, 1 800 Euro pro Kind. Das muss logischerweise dazu führen, dass mit steigenden Kinderzahlen auch die Ausgaben steigen. Wenn die zusätzlichen Kinder in Krippen und Kindergärten für Sie die Begründung sind, in der Jugendhilfe zu sparen, und sich diese Logik durchsetzt, dann kann man nur vor einem Ansteigen der Geburtenzahlen warnen. Für die Arbeit mit den Jugendlichen bliebe dann überhaupt nichts mehr übrig. So spielen Sie Kinder und Jugendliche gegeneinander aus, Frau Orosz.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Nun komme ich zur demografischen Entwicklung. Sie argumentieren hier spiegelbildlich zu dem eben Gesagten, weniger Jugendliche müssten weniger Ausgaben in der Jugendhilfe zur Folge haben. Meine Kollegin Frau Herrmann ist schon auf die sich verschärfenden Probleme eingegangen, die es trotz des Rückgangs der Anzahl von Jugendlichen gibt.

Wenn wir uns die Anzahl der Jugendlichen anschauen, dann stellen wir fest, dass in diesem Bereich laut dem letzten Sächsischen Kinder- und Jugendbericht 1996 noch umgerechnet fast 60 Millionen Euro ausgegeben wurden. 2001 waren es immerhin noch 27 Millionen Euro. Im vorgelegten Haushalt sind es ganze 18 Millionen Euro pro Jahr.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Ich wiederhole es: Von 60 Millionen auf 18 Millionen – das ist ein Rückgang von 70 %.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: So viel weniger Kinder werden geboren? – Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Mit Ihren Kürzungsplänen übertreffen Sie die negative Bevölkerungsentwicklung bei Weitem. Sie eilen ihr geradezu voraus.

Herr Dulig, Sie haben vorhin von vorauseilendem Gehorsam gesprochen. Aber ich möchte hier von Ihrem vorauseilendem Gehorsam reden. Der ist nämlich genau das falsche Mittel.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist eine unfruchtbare Politik!)

Damit tragen Sie zu einer negativen demografischen Entwicklung bei.

Natürlich weiß auch ich, dass sich junge Menschen nicht vordergründig wegen der Jugendhilfeangebote für oder gegen Sachsen entscheiden. Dabei geht es um handfestere Dinge, um Studienplätze, Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze für sich selbst, die Partnerin oder den Partner.

Aber auch die ausgebildeten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die hier für überflüssig gehalten werden,

können sich eine Perspektive jenseits der sächsischen Grenzen vorstellen.

Manche junge Familie wird bei der Entscheidung für oder gegen Sachsen sicher mit in Erwägung ziehen, ob sie ihre Kinder zukünftig der Dominanz nazibrauner Jugendarbeit aussetzen möchte.

Attraktiver wird der Lebensstandort Sachsen durch die Kürzungen in der Jugendhilfe jedenfalls nicht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Außerdem müsste Ihnen auch auffallen, dass die größere Zahl der Kinder in Kinderkrippen und Kindergärten irgendwann, sagen wir in zehn Jahren, auch zu mehr Nutzern von Kinder- und Jugendhilfeangeboten führen wird. Glauben Sie wirklich, dass es wirtschaftlicher ist, jetzt Angebote der Jugendhilfe kaputt zu machen, um sie in ein paar Jahren wieder aufzubauen? Was hier geschieht, ist die Zerstörung einer funktionierenden Jugendhilfelandschaft, die so nicht wieder aufgebaut werden kann.