Protocol of the Session on September 15, 2006

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Ich meine, das ist eine absurde Begründung für die Müllimporte.

Meine Damen und Herren! Herr Tillich hat in derselben Ausgabe der „LVZ“ leider vehement die Meinung vertreten, dass das so sein und so bleiben müsse. Ich meine, Sachsen hat nach Recht und Gesetz Möglichkeiten, die

Müllimporte verbindlich einzuschränken. Wir fordern Sie dringend auf, dies auch zu tun.

Meine Damen und Herren der Koalition, springen Sie über Ihre eigenen Schatten! Sachsen darf nicht weiter zur Müllkippe Europas werden. Wir haben andere, anspruchsvollere Entwicklungsziele. Tun Sie noch etwas Gutes vor dem Wochenende! Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die CDUFraktion. Herr Mannsfeld, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat uns gerade aufgefordert, vor dem Wochenende noch etwas Gutes zu tun. Das will ich auch, denn ich möchte mit aller Entschiedenheit und auch inhaltlich begründet das zurückweisen, Kollege Lichdi, was Sie hier verbreitet haben.

(Beifall bei der CDU)

Selbst wenn wir dem Antragsteller zurechnen wollen, dass sein Motiv für den Antrag die Erhaltung einer geordneten Abfallwirtschaft ist, so ist eingangs schon festzustellen, dass die Forderung an der Realität vorbeigeht und leider auch unterstützt durch Medien etwas heraufbeschworen wird, was in Sachsen überhaupt kein Problem ist.

Lassen Sie mich zu dieser einen Aussage vielleicht die konkrete Darstellung geben. Sie haben sich in Ihrer blumigen Sprache dazu hinreißen lassen, Sachsen als die Müllhalde Europas zu bezeichnen. Die sächsischen Importe machen von den Gesamtmüllimporten der Bundesrepublik Deutschland 2,5 % aus. Nun können Sie Ihren eigenen Ausspruch an dieser statistisch untersetzten Größe betrachten.

Meine Damen und Herren! Bereits im ersten Satz der Begründung wird schlaglichtartig deutlich, dass hier etwas an der Realität vorbei argumentiert wird. Dort steht: „Die Entsorgungsnähe ist das Kernstück einer nachhaltigen Abfallwirtschaft.“

Da Sie, Kollege Lichdi, so gern Zensuren verteilen, möchte ich mich auch an dieser Übung beteiligen und sagen: Völlig falsch, denn es muss heißen, wenn man etwas von Abfallwirtschaft versteht oder verstehen will: Die Entsorgungssicherheit ist und bleibt das Kernstück einer dauerhaft umweltgerechten Abfallwirtschaft.

(Beifall bei der CDU)

Da ich den Prozess der Herausbildung einer solchen Abfallpolitik in Sachsen von 1990 an auch wirklich erlebt habe, weiß ich sehr wohl, dass der heute erreichte Stand der Entsorgungssicherheit eine gewaltige Anstrengung der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und einer Begleitung durch Parlament und Regierung gewesen ist.

In diesem Sinne muss ich noch einmal auf etwas kommen, was mir heute interessanterweise aus der Presse entgegensprang. Dass es in Anführungszeichen steht, Kollege Lichdi, lässt mich annehmen, es ist Ihre wörtliche Aussage, was im Bericht der „Freien Presse“ steht: „Viele Deponien mussten in den Neunzigerjahren auf Druck der Regierung zu groß geplant werden.“

Ich muss einfach sagen, wenn wir uns etwas Gutes an diesem Wochenende tun wollen, dann müssen wir diesen Schwachsinn aus der Welt schaffen,

(Beifall bei der CDU)

denn im Jahre 1989/90 existierten in Sachsen rund 1 500 Deponien und Ablagerungsstellen. In diesem vorhin von mir genannten großen Anstrengungsprozess ist die Zahl bereits im Jahr 1991 auf 93 Deponien gesunken. Im Moment haben wir mehr oder weniger noch drei große Deponien für Siedlungsabfälle. Da möchte ich wissen, wo die Regierung die Mehrzahl von überdimensionierten Deponieanlagen gefördert oder durch ihren Druck heraufbeschworen haben soll. So kann man in der Öffentlichkeit keine seriöse Politik zu diesem wichtigen und sensiblen Thema machen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS)

So geht es nicht. Zu diesem rein abfallpolitischen Kriterium gehört auch das Kriterium der Wirtschaftlichkeit. Sie haben es ja angesprochen, wenn auch mit einem anderen Inhalt. Es ist gerade durch unsere parlamentarischen Entscheidungen verhindert worden, dass bei dem sinkenden Müllaufkommen eine unangemessene Zahl von Deponien oder Restabfallbehandlungsanlagen hier in Sachsen entstand, die dann nicht ausgelastet wären. Insofern hat der Grundsatz einer Verwertung oder geordneten Beseitigung des Abfalls im eigenen Bundesland nie infrage gestanden.

Die erwähnten Verwertungs- und Vermeidungseffekte werden auch weiterhin, wenn man so will, das Aufkommen reduzieren. Deswegen ist ein vertretbarer Anteil an Abfallimporten zur Auslastung kommunaler wie privater Anlagen durchaus ein richtiger Weg. Entscheidend ist und bleibt – das gehört dazu –, dass die strengen gesetzlichen Kriterien eingehalten werden und wir kein Dumping hinsichtlich der Umweltstandards in Sachsen zulassen. Genau das ist bei dem hier bestehenden Nachweissystem und der gesamten Rechtslage auch nicht zu befürchten.

Es bleibt daher eigentlich nur eine Feststellung: Das auch von der EU immer wieder eingeforderte Prinzip der Freizügigkeit und Durchlässigkeit bei allen wirtschaftlichen und sozialen Prozessen wird von Sachsen nicht durch eine kleinkarierte Abschottungspolitik außer Kraft gesetzt werden, wobei der Umfang der Importe und der Grad an Bedenklichkeit immer zu kontrollieren und zu überwachen sind. Bei einer solchen Grundhaltung ist ein respektiertes Lokalitätsprinzip durchaus immer in Kraft, aber es darf nicht zu neuen bürokratischen Hürden führen, wie es Ihnen offensichtlich vorschwebt, wenn Sie fordern,

dass für jede Entsorgungsanlage ein Einzugsgebiet festgelegt werden soll.

Unabhängig davon, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass Sachsen die Entsorgung aller Sonderabfälle Mitte der Neunzigerjahre voll privatisiert hat – es läuft völlig problem- und geräuschlos im Lande –, scheint Ihnen auch verborgen geblieben zu sein, dass eine geordnete erfolgreiche Verwertungswirtschaft zur Ressourcenschonung und damit zum Umweltschutz beiträgt, wie eben auch kommunale Haushalte und Privatunternehmen einen wirtschaftlichen Faktor darstellen. Das heißt im Umkehrschluss: Wir Politiker müssten allergrößtes Interesse daran haben, dass die Gebührenentwicklung für den Bürger in Sachsen im Abfallsektor nicht weiter ansteigt. Es wäre schon eine sehr interessante Botschaft an die Öffentlichkeit in Sachsen, wenn wir auf der Basis Ihres Antrages – das ist die Konsequenz, ob Sie diese bedacht haben oder nicht – feststellen müssen, dass mit Ihrem Antrag, wenn ihn das Haus annehmen würde, in Sachsen zwingend Gebührenerhöhungen im Müllsektor verbunden wären.

(Beifall bei der CDU)

So ist es gerade folgerichtig, dass der Zweckverband Abfallwirtschaft Westsachsen oder der Landesverband der Recyclingwirtschaft Sachsen gegenüber dem Parlament in Statements spontan darauf hingewiesen haben, dass Ihr Antrag ein riskantes Spiel mit Arbeitsplätzen und Refinanzierungsstrategien der Entsorgungswirtschaft ist.

Ich füge deswegen hinzu, er ist dann auch politisch unverantwortlich, denn – lassen Sie mich das zum Schluss sagen – bei den in Sachsen erreichten hohen Standards geht von der Abfallwirtschaft keine Beeinträchtigung der Umwelt aus. Ein gewisser Anteil von Ablagerungen und Verwertungen aus anderen europäischen Ländern oder anderen Bundesländern steht mit allen nationalen und internationalen Gesetzen und Richtlinien in Übereinstimmung. Wirtschaftliche Gesichtspunkte zu beachten ist neben den ökologischen Aspekten Ausdruck einer Umwelt- und Wirtschaftspolitik, die sich dann in der Tat nachhaltig nennen darf. Insofern empfehle ich dem Sächsischen Landtag, die Drucksache 4/6173 abzulehnen.

(Beifall bei der CDU)

Die Linksfraktion.PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich will jetzt, was eigentlich sonst die Art von Herrn Hahn ist, zur Versachlichung des Themas beitragen.

(Lachen bei der CDU)

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will mit dem Antrag „Abfallimporte nach Sachsen“, dass wir heute beschließen.

Ich zitiere aus der Beschlussempfehlung, damit wir überhaupt wissen, worüber wir reden: „Die Staatsregierung wird aufgefordert, die grenzüberschreitende Einfuhr

von Abfällen nach Sachsen durch einen rechtlich für verbindlich erklärten Abfallwirtschaftsplan, in dem die Einzugsgebiete für einzelne Abfallentsorgungsanlagen ausgewiesen sind, oder durch andere geeignete rechtliche Regelungen zu beschränken.“

Dazu gibt es zwei Seiten Begründung. Sie brauchen keine Angst haben, ich lese Ihnen die Begründung nicht auch noch vor. Aber auch diese lange Begründung half mir nicht zu verstehen, was das vordringlichste Ziel dieses Antrages ist.

Erst die vor drei Tagen veröffentlichten Pressemitteilungen offenbarten mir den Zweck des Antrages: Sachsens Deponien sollen nicht als „Eldorado“ für ausländischen Müll dienen. So weit, so gut. Trotzdem bleiben meine Fragen. Warum wollen Sie nur die Abfallimporte stoppen und nicht auch die Exporte, zum Beispiel nach Tschechien, Brandenburg und Thüringen?

Zweite Frage. Welche Grenzen meinen Sie, die der Abfall nicht überschreiten soll? Kreisgrenzen? Ländergrenzen? Staatsgrenzen?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: EU! – Zuruf von den GRÜNEN: Weltweit! – Volker Bandmann, CDU: Galaktische Grenzen!)

Dritte Frage. Wie wollen Sie mit Länderrecht etwas verbieten oder, wie Sie schreiben, beschränken, was durch EU-Recht schwer zu verhindern ist?

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion GRÜNE! Der ökologische Irrsinn ist doch nicht, dass Abfälle aus anderen Ländern, auch schadstoffhaltige, auf sächsischen Deponien abgelagert werden. Das sind sichere Anlagen mit den notwendigen Basisabdichtungen. Nein, wir haben es hier aus meiner Sicht nicht mit einem Abfallproblem zu tun; es ist ein Verkehrsproblem. Der ökologische Irrsinn besteht doch darin, dass Abfälle aus Italien, Spanien, Portugal, Frankreich über Hunderte und Tausende Kilometer mit dem Lkw quer durch Europa nach Cröbern oder Kodersdorf gekarrt werden; mit Lkws, die mit ihrem Ausstoß von Feinstaub, CO2 und Stickoxiden unser Klima und die Gesundheit der Menschen schädigen.

Vorgestern – Sie erinnern sich, meine Damen und Herren – wurde in der Haushaltsdebatte zum Thema Schulden immer wieder dramatisch die Verantwortung vor zukünftigen Generationen heraufbeschworen. Wann und wie, meine Damen und Herren, nehmen Sie endlich die Verantwortung dafür wahr, dass unsere Kinder und Kindeskinder nicht an den Folgen des Klimakollaps leiden müssen und von der Vielfalt und Schönheit der Natur nur noch aus Büchern oder dem Internet erfahren, weil unsere Generation Hunderte ausgestorbene Pflanzen- und Tierarten auf ihrem Konto hat? Der motorisierte Straßenverkehr, dass wissen Sie alle, spielt dabei eine unrühmlich führende Rolle.

Die jetzige Debatte schließt als konkretes Beispiel in anschaulicher Weise an die Diskussion vor der Mittagspause zum kooperativen und grenzüberschreitenden Klimaschutz an. Jetzt aber geht es nicht um wohlklingen

de Worte, sondern um konkrete Taten. Der Auftrag an die Staatsregierung muss also unter dem Klimaaspekt lauten: erstens alle Abfalltransporte auf die Schiene, und das zu erschwinglichen Preisen, und zweitens regionale – Herr Staatsminister: regionale! – Abfallwirtschaftskreisläufe fördern.

(Beifall des Abg. Heiko Kosel, Linksfraktion.PDS)

Dabei sieht unsere Fraktion Regionen im 21. Jahrhundert nicht mehr in engen nationalen oder gar Ländergrenzen, wir denken transnational. Beispiel: die Region Lausitz – Nordböhmen – polnisches Grenzgebiet oder das Vogtland, in Sachsen, Bayern, Thüringen und Böhmen. Abschottung geht nicht, auch nicht im Abfallbereich. Bei den regionalen Strukturen in der Abfallwirtschaft setzt die Linksfraktion.PDS seit Jahren auf kleine, dezentrale Abfallbehandlungsanlagen, die den ökologischen Standards entsprechen. Nur so, meine Damen und Herren, kann vermieden werden, dass Abfälle über Tausende Kilometer transportiert werden.

Teure Überkapazitäten bleiben dem Abfallgebührenzahler erspart. Leider muss ich in der Möglichkeitsform sprechen: wären dem Abfallgebührenzahler erspart geblieben. Vor Überkapazitäten warnt nun nicht mehr nur die Linksfraktion.PDS, sondern kein Geringerer im Abfallbereich als Rethmann oder auch der VKS, der Verband kommunaler Abfallwirtschaft und Straßenreinigung. Das sind Überkapazitäten, die Abfälle aus allen Teilen Europas regelrecht ansaugen, ein wirtschaftlicher, ökologischer und damit auch sozialer Teufelskreis.

Ein Vorschlag von mir als Fazit meines Redebeitrages an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ziehen Sie Ihren rechtlich unausgegorenen Antrag zurück und beantragen Sie das Thema zur Beratung im Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft. Dort könnte der Jurist Lichdi dem Ökologen Lichdi und natürlich auch den anderen Ausschussmitgliedern erklären – vielleicht mit vorheriger Nachfrage bei Umweltministerin a. D. Höhn –, wie er Landesregelungen treffen kann, die das Risiko vermeiden, vor dem Europäischen Gerichtshof zu landen. Zur Vorbereitung der Sitzung empfehle ich Ihnen außerdem die Bundestagsdrucksache 16/864 der Fraktion Die Linke zum Thema „Umsetzung der Abfallablagerungsverordnung und Technische Anleitung Siedlungsabfall“. Ein kurzes Zitat zur Frage 19:

(Unruhe bei den GRÜNEN)