Protocol of the Session on July 20, 2006

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir uns die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von 1970 bis 2005 ansehen, dann stiegen diese um 1 000 %. Das Bruttoinlandsprodukt stieg in der gleichen Zeit um 538 %. Noch eine Zahl: 1995 waren 28,2 Millionen Beschäftigte sozialversicherungspflichtig – 2005 waren es nur noch 26,1 Millionen, also 7 % weniger. Wo bleibt da die demografische Absicherung der Gesundheitsausgaben?

Der Fonds soll alters- und risikoadjustierte Zuschläge aufgrund von Krankheit und Geschlecht ausgleichen. Was bedeutet denn das konkret für die Krankenkassen in Sachsen? Wie sollen denn dann die Zuschläge im Fonds finanziert werden? Und warum führt man bei der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auch eine Altersrücklage ein, ähnlich wie es in Sachsen für die Pension der Beamten getan wird?

Nach den neuesten Untersuchungen der Stiftung Marktwirtschaft vom 12.07.2006 unter dem Stichwort Generationenbilanz heißt es: „Die Nachhaltigkeitslücke bei der gesetzlichen Krankenversicherung ohne medizinischen Fortschritt beträgt aktuell 1,7 Billionen Euro. Das entspricht ungefähr 77 % des Bruttoinlandsproduktes. So groß müsste jetzt eine Rücklage sein, damit das heutige Leistungsniveau auch in Zukunft finanzierbar bleibt. Bei Berücksichtigung des medizinischen Fortschrittes beträgt sie 4,8 Billionen Euro.“ – Die Zahlen kann ich mir kaum vorstellen, aber wenn wir über Zukunftsabsicherung sprechen wollen, dann müssen wir es doch ehrlich tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort; Herr Prof. Schneider, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns jedenfalls darin einig, Frau Schütz, dass wir offensichtlich einen Reformbedarf haben – das räumt hier auch jeder ein.

Ich prophezeie, meine Damen und Herren, dass die drei Faktoren, die ich eben genannt habe – Volkswirtschaft/Arbeitslosigkeit, medizinischer Erkenntniszuwachs und Demografie –, zu einer nachhaltigen Reform zwingen werden. Die Eckpunkte, die uns vorliegen, haben jedenfalls immerhin einige Ansätze – das haben Sie auch eingeräumt –, die in die Zukunft reichen können. Ob sie es tun, muss man sehen, wenn der Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt. Ich sehe jedenfalls in der Debatte, die heute im Hohen Hause geführt wird, eine Chance, deutlich zu machen, dass es erforderlich ist, den Versicherten, den Menschen im Land, ein Stück Eigenverantwortung und Selbstständigkeit zurückzugeben. Wenn die Reform in diese Richtung ginge, wäre ich damit zufrieden und glücklich.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren, aus ordnungspolitischer Sicht brauchen wir – Herr Gerlach, an dieser Stelle liegen wir völlig deckungsgleich – eine Neubestimmung von Solidarität und Eigenverantwortung. Ein Stichwort, das in diese Richtung zielt und auf das es sich stützt, ist beispielsweise, die Voraussetzung für einen echten Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu schaffen.

Bezogen auf den Status der privaten Krankenversicherungsträger will ich so viel sagen: Im Unterschied zu gesetzlichen Krankenkassen handeln sie im Rahmen der Gesetze frei, während die gesetzlichen Kassen eine gesetzliche Ermächtigung für ihr Handeln brauchen. Und: Private Kassen sind in der Verfassung in ihrem Bestand als freie Unternehmen geschützt, und daran sollten wir denken.

Das Stichwort Kostenerstattung greift das Eckpunktepapier in dankenswerter Weise auf. Hier liegen Elemente, die Kosten für in Anspruch genommene Leistungen transparent zu machen, auch deutlich zu machen, dass man auf diese Weise nicht medizinisch indizierte Doppeluntersuchungen wahrscheinlich doch auch vermeiden kann – was bisher so beim Sachleistungsprinzip nicht glückt.

Meine Damen und Herren! Wir sind uns, wie ich denke, auch insoweit einig, als es um das Thema Vorsorge und Früherkennung geht. Hier liegen Kostenansätze, Effizienzansätze, die letztlich den Menschen, um die es ja schließlich geht, zugute kommen. Wir brauchen insgesamt, meine Damen und Herren, Herr Zastrow, einen freiheitlichen Ansatz im Gesundheitswesen.

(Bravo! von und Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das bedeutet, ein bedarfsorientiertes, wettbewerbsrechtlich geschütztes Vertragskonzept im Rahmen der Leistungserbringung zu implementieren. Dies wiederum bedeutet – und das ist die Haltung meiner Fraktion und wohl auch die Ihre –, verstärkt auf dem Prinzip der Freiberuflichkeit aufzubauen. Genau an dieser Stelle ist es gut, dass dieses Eckpunktepapier in die Richtung geht, auch bei der bisherigen punktwertorien

tierten Vergütung eine euroorientierte feste Vergütung einzubauen. Sie wird in der Lage sein, den sächsischen Vertragsärzten und Vertragszahnärzten tatsächlich zu helfen.

Meine Damen und Herren, das bedeutet schließlich, Herr Zastrow, dass der Bereich des Gesundheitsdienstes kein öffentlicher Gesundheitsdienst sein darf. In diesen Bereichen grenzen wir uns ganz erheblich von den rechten und den linken Sozialisten im Hause ab. Das verlangt, ganz deutlich gegen Staatsintervention, gegen weiteren Dirigismus zu sein.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS, steht am Mikrofon.)

Ich komme zum Schluss und, Herr Präsident, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage mehr zu.

Meine Damen und Herren, meine Erwägungen sind von einem freiheitlichen Ansatz geprägt. Die Positivliste hilft nicht weiter, sie vertreibt allenfalls Unternehmer aus diesem Land.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ach Gott! – Beifall bei der FDP)

Obgleich in Deutschland Anpassungsbedarf besteht, wird sich, Herr Porsch, dieser freiheitliche Ansatz glücklicherweise durchsetzen.

Globalsteuerung im Gesundheitswesen, Staatsintervention

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS: … dann wird sich auch der Globalisierungsgrundsatz durchsetzen!)

und Dirigismus sind nun wirklich überholt. Sie haben es doch mit Ihren Vorgängern bewiesen, dass es nicht geht.

Meine Damen und Herren, wir werden das Thema Gesundheitsreform in den nächsten Jahren immer wieder auf die Tagesordnung bringen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Wir werden dann auch sehen, dass ein freiheitlicher Ansatz im Gesundheitswesen unverzichtbar ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsministerin Helma Orosz – Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort; Herr Wehner, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Prof. Dr. Schneider, ich finde es sehr schade, dass Sie oftmals so undifferenziert sind und hier immer diese Gleichmacherei abziehen; das ist langsam ganz schön anstrengend und unsachlich zugleich.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Frau Nicolaus und Herr Prof. Schneider, die Eckpunkte sind auf dem Plan, sie sind zu diskutieren, der Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Ich bin allerdings überrascht von Ihren Ausführungen. Ich halte es lieber mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Dr. Hähle, der sich vor Kurzem mit der Staatsregierung dazu geäußert hat – immerhin war das eine Pressenotiz wert – und sich resignierend darüber beklagt hat, dass die gegenwärtig von der Bundesregierung vorgeschlagenen Eckpunkte zur Gesundheitsreform in der Bevölkerung nicht vermittelt werden können. Das kann ich nachvollziehen. Mir geht es schon seit Langem so. Ihre neoliberale Gesundheitspolitik kann man nicht nachvollziehen, geschweige denn vermitteln.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Mir fällt heute auf, Herr Prof. Schneider, dass nur über ein Ausgabenproblem in der gesetzlichen Krankenversicherung diskutiert wird. Wir haben überhaupt noch nicht über die Einnahmenseite gesprochen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Hier haben wir ein Riesenproblem in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn Sie jetzt die Staatsregierung auffordern, Herr Dr. Hähle, ihre Vorschläge zur Diskussion der Eckpunkte mit in die Debatte einzubringen, dann sollten Sie vielleicht auch auf unsere Vorschläge eingehen.

Herr Prof. Schneider, Herr Gerlach, Sie favorisieren den Solidargedanken. Ja, was meinen Sie denn eigentlich damit? Tatsächlich endet doch die Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung derzeit an der Beitragsbemessungsgrenze bzw. spätestens an der Versicherungspflichtgrenze, denn nicht wenige Besserverdienende zahlen keinen ihrem Einkommen entsprechenden prozentualen Beitrag in die gesetzliche Krankenversicherung ein bzw. weichen auf die private Krankenversicherung aus. Das favorisieren Sie.

Da halte ich es mit Frau Herrmann. Wir brauchen eine Bürgerversicherung, das ist richtig. Ich meine nur, es sollten alle einbezogen sein und wir sollten konsequent sein. Wir halten es für die Sicherung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung für unablässig, dass alle Einkommensarten beitragspflichtig werden und dass hierbei der Grundsatz der entgeltbezogenen paritätischen Beitragsfinanzierung nicht aufgegeben wird.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Hier haben Sie in den Verhandlungen verloren, Herr Gerlach. Es müssen also Einkommen aus unselbstständiger und selbstständiger Arbeit sowie Kapital-, Miet- und Zinseinkünfte und sonstige Einkommen zur Beitragszahlung herangezogen werden. Die Beitragsbemessungsgrenze wird mittels eines Stufenplans anzuheben und in der Perspektive aufzuheben sein. Alle Einkommen werden mit einem einheitlichen Beitragssatz belegt. Das halten wir für wichtig. Schließlich sollte das Konzept für eine Sozialversicherungsabgabe aus der Wertschöpfung, das es

schon seit den siebziger Jahren gibt, wieder aus der Schublade geholt und in die Debatte für eine Reform der Krankenversicherung eingebracht werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die zusätzlichen Einnahmen werden die Finanzierungsbasis der GKV stärken sowie die Leistungsverbesserungen ermöglichen. Da haben Sie insoweit Recht, Herr Prof. Schneider. Einseitige Belastungen aber, wie Sonderbeiträge, Praxisgebühren und Zuzahlungen, sind unsozial. Sie gehören zurückgenommen. Für sozial Bedürftige ist der Versicherungsschutz zu garantieren.

Zur Gliederung des Krankenversicherungssystems gibt es in unseren Reihen – das muss ich gestehen – unterschiedliche Auffassungen. Einigkeit besteht aber darin, dass die Zahl der Krankenkassen deutlich zu reduzieren ist. Frau Schütz, wenn Wettbewerb gewollt ist, dann muss er sich auf die Qualität und die Leistung und nicht auf die Auslese von Versicherten konzentrieren.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Dazu ist die Einführung eines krankheitsbezogenen Risikostrukturausgleichs erforderlich.

Meine Damen und Herren, Solidarausgleich, Parität, Sachleistungsprinzip, Umlageverfahren, Kontrahierungszwang – das sind die Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung, die sich bewährt haben und die in der Bevölkerung akzeptiert sind. Diese Prinzipien gilt es weiter auszugestalten und nicht aufzuopfern.

Ich bedanke mich.