Protocol of the Session on May 12, 2006

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Ich erteile der SPD-Fraktion das Wort. Herr Brangs, jetzt sind Sie an der Reihe.

(Heiterkeit bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich ernsthaft gefragt: Warum eine Aktuelle Debatte zu einem solchen Thema? Ich denke, es wäre genauso aktuell, wenn wir uns darüber unterhalten würden, wie denn die mögliche Kanzlerschaft von Frau Hermenau Auswirkungen auf Sachsen zeigen würde.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Um Gottes willen!)

Insofern ist für mich nicht ganz klar, warum wir uns im Rahmen einer Aktuellen Debatte diesem Thema hier nähern müssen.

Ich denke, der Vorwurf, der gekommen ist, gerade auch an Vertreter meiner Partei, greift einfach zu kurz. Wenn wir Politik ernst nehmen, dann müssen wir in der Tat Perspektiven aufzeigen und den Menschen natürlich auch sagen, wie, mit und unter welchen Bedingungen wir Politik gestalten wollen. Deshalb sollten wir reformfreudiger werden und nicht reformunfähig. Die bisherige Mitteldeutschland-Debatte wird leider Gottes in der Regel immer nur von zwei Gruppen geführt.

Die eine Gruppe, das sind Kräfte, die versuchen, das Land voranzubringen, die versuchen, darüber nachzudenken, ob es auch andere Möglichkeiten gibt.

Dann gibt es eine andere Gruppe. Ich will sie einmal die Souvenirpolitiker nennen. Die Souvenirpolitiker haben eigentlich nichts anderes vor, als dass sie mit dieser Debatte über die Identität von Sachsen von den eigentlichen Problemen im Land ablenken wollen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Quatsch!)

Die SPD-Fraktion – und das ist das Entscheidende, Kollege Schiemann – bekennt sich genau zu diesem Land. Wir bekennen uns zu Sachsen. Weil dem so ist, gibt es in meiner Partei zahlreiche gute und fähige Köpfe, die sich Gedanken darüber machen, wie es denn mit der Zukunft dieses Landes aussehen soll. Dabei – das will ich auch noch einmal sagen – handelt es sich nicht um Optionen, die morgen oder übermorgen stattfinden sollen, sondern es geht einfach darum, dass wir darüber nachdenken müssen, wie wir mit den sich verändernden Realitäten umgehen.

Ich will auch noch einmal sagen, dass wir immer erklärt haben, dass diese Vorschläge nur dann umgesetzt werden können, wenn die Menschen in den Ländern und im Land sie mittragen.

Wir haben vor gut zwei Wochen als sächsische SPD einen überaus erfolgreichen Zukunftskongress mit 600 Teilnehmern durchgeführt. Wir haben auf diesem Kongress genau diese Fragen gestellt, nämlich die zukünftigen Herausforderungen in diesem Land gesehen. Wir wollen Antworten darauf finden. Insofern, denke ich, ist es

richtig und sinnhaft, dass wir über den Tellerrand hinausschauen.

Wenn Sie zur Kenntnis nehmen würden, dass es eben Verflechtungen im mitteldeutschen Raum gibt, die zur Kooperation zwingen, dann müssten Sie auch darüber nachdenken, in welcher geeigneten Form denn eine solche Zusammenarbeit möglich ist.

Da will ich ganz deutlich sagen: Wenn man einen Funken Verantwortung für die Zukunft des Landes hat, dann muss man über seinen Schatten springen. Dann darf man keine Angst davor haben, dass man in eine Ecke gestellt wird, dass man, wenn man über die Zukunft Sachsens spricht, die Identität der Menschen hier in Abrede stellen würde. Darum geht es überhaupt nicht, sondern es geht darum, Antworten darauf zu finden, dass sich auch die Entwicklung des Landes verändern wird. Ich will nicht die Demografie allein anführen.

Was mich bei der Debatte dann doch ein wenig positiv stimmt, ist die Tatsache, dass es durchaus auch CDUPolitikerinnen und -Politiker gibt, die dem Ganzen recht offen gegenüberstehen. Ich will nur zwei zitieren. Einmal ist es der Kultusminister. Er hat im Juli letzten Jahres gesagt – Zitat: „Ich finde die Idee eines Mitteldeutschlands ganz sympathisch. Weiter so!“

Der Kanzleramtsminister Thomas de Maizière hat am 13. März erklärt: Das Thema steht nicht auf der Tagesordnung, aber vieles würde vereinfacht, gäbe es starke Länder.

Es geht darum: Wir wollen keine Denkverbote.

(Marko Schiemann, CDU: Starke Länder!)

Wir wollen, dass es hier um Arbeit geht, dass es um Wohlstand und um die Zukunft der Menschen geht. Wenn nun einmal davon gesprochen wird, dass Politiker keine Antworten und Angst vor manchen Entscheidungen hätten und sich vor ihnen drücken, weil sie unpopulär sind, dann sollten wir zumindest den Mut haben, darüber zu diskutieren. Denn Wirtschaftsförderung, Infrastruktur und gleiche Problemsituationen lassen eben ein immer stärkeres Band zwischen den Ländern in Mitteldeutschland entstehen. So war es richtig, 2002 gemeinsam mit Sachsen-Anhalt und Thüringen die Initiative Mitteldeutschland und eine Agenda für eine attraktive Region im Herzen Europas auszurufen. Die dort aufgestellten Grundsätze sind der erste Schritt zu einer optimalen Entwicklung der drei Partnerländer. Ob dies dann wirklich eines Tages auf eine Fusion hinausläuft, ist vollkommen offen und steht auch heute überhaupt nicht zur Debatte.

Aber man muss über die Frage nachdenken können, ob Sachsen im Vergleich mit großen Flächenländern im Westen noch vernünftig aufgestellt ist. Dies genau ist die Frage, die Tiefensee und de Maizière aufgeworfen haben.

Man muss auch darüber nachdenken, dass eine Länderfusion im Moment für meine Fraktion nicht auf der Agenda steht. Aber angesichts der deutlichen Begünstigungen von einwohnerstarken Flächenländern im bisherigen Konzept

der Föderalismusreform müssen wir auch darüber nachdenken, dass wir mit Blick auf die europäische Ebene auf Dauer einem Land wie Nordrhein-Westfalen nicht gewachsen sind, wenn wir nicht andere Räume und andere Verflechtungen herstellen.

Also noch einmal: Denkverbote sind, glaube ich, immer der schlechteste Rat, den man Politikern geben kann. Wir müssen über eine Perspektive sprechen, die länger als 20 Jahre Bestand hat. Aber eine Länderfusion ohne oder gar gegen den Willen der Menschen in unserem Land, die kann es nicht geben, und die wird es auch nicht geben.

Ich will nur auf die Erfahrungen von Berlin und Brandenburg hinweisen, wobei es auch da Bewegung gibt. Wer heute die Zeitung aufgeschlagen hat, hat festgestellt: Auch Wowereit und Matthias Platzeck reden wieder miteinander. Die Menschen haben das zu entscheiden; aber diskutieren sollten wir als Politiker darüber. Denkverbote sind der falsche Weg.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE – Dr. André Hahn: Denkverbote sind der falsche Weg!)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort. Herr Gansel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Diskussion über die „Länderfusion Mitteldeutschland“ muss man unwillkürlich an das geflügelte Wort denken: Wenn du mal nicht weiter weißt, dann bilde einen Arbeitskreis.

Genauso hilflos erscheint es, wenn jetzt, 15 Jahre nach der Einheit und als ob es keine drängenderen Probleme gäbe, plötzlich das Thema Länderfusion aus dem Zylinder gezaubert wird. Das sehen im Übrigen auch Vertreter der Altparteien so, und das gerade auch in den von Fusionsspekulationen betroffenen Bundesländern selbst, so etwa der thüringische SPD-Partei- und Fraktionschef Matschie, der in der ganzen Diskussion ein Zeichen bloßer Orientierungslosigkeit sieht. Die „Dresdner Neuesten Nachrichten“ zitierten Matschie letzte Woche mit den Worten: „Diese Diskussion ist ein Ausdruck von Ratlosigkeit. Wir brauchen keine Geisterdiskussion über Länderfusionen, sondern neue, stimmige Rezepte für den weiteren Aufbau Ost.“ Mehr wäre zu dieser Angelegenheit eigentlich auch nicht zu sagen.

Das einzig Positive am Gedankenexperiment „Länderfusion Mitteldeutschland“ vermag die NPD-Fraktion darin zu erblicken, dass sich auch bei Vertretern der etablierten Parteien wieder der Begriff „Mitteldeutschland“ für eine historische Region unseres Vaterlandes durchsetzt, eine Region, die tatsächlich nie etwas anderes als „Mitteldeutschland“ und schon gar nicht „Ostdeutschland“ war, wie man uns seit der Vereinigung geschichtsblind einzureden versucht.

Der zitierte thüringische SPD-Chef Matschie spricht etwas ganz Richtiges an: wie man denn überhaupt auf die

Idee kommen kann, gerade einmal 15 Jahre nach der Einheit wieder ganz neue innerdeutsche Landesgrenzen ziehen und völlig willkürliche Verwaltungseinheiten aus dem Boden stampfen zu wollen, Verwaltungseinheiten, für die es weder historisch noch politisch oder wirtschaftlich irgendein gewichtiges Argument gibt.

Herr Schiemann hat richtigerweise auf die fatalen wirtschaftlichen Auswirkungen eines Zusammengehens von finanzschwachen und finanzstarken Ländern hingewiesen. Da fragt man sich aber bei gesundem Menschenverstand, wie man dann gleichzeitig das Wahnsinnsprojekt EU mit der Osterweiterung durchpeitschen konnte, obwohl hier doch Länder mit denkbar größten Entwicklungsunterschieden zusammengefasst werden. Aber da denkt sich manch einer, dass es der deutsche Steuerzahler schon richten wird.

Die Befürworter der Länderfusion machen es sich entschieden zu leicht. Sie behaupten wie zum Beispiel der neue SPD-Vize Bullerjahn: „Zwei Bundesländer im Osten reichen völlig aus.“ Solche Kurzschlüssigkeit eines stellvertretenden Ministerpräsidenten ist schon staunenswert. Genauso gut könnte man auch sagen, vier Bundesländer im Westen reichen aus oder drei Bundesländer überhaupt. Oder warum Bundesländer generell noch?

Und tun Sie, meine Damen und Herren von den Altparteien, bitte nicht so, als wären solche Gedankenspiele völlig gegenstandslos! Man sieht doch, was Sie mit der Föderalismusreform im Schilde führen. Wenn es nach Ihren Vorstellungen geht, bräuchten wir künftig die Bundesländer sowieso nur noch als willige Vollstreckungsinstanzen der Europäischen Union, als weitgehend autonome Verwaltungseinheiten ohne den größeren Rahmen eines intakten Nationalstaates.

In diesem Zusammenhang genügt das Stichwort „Rahmengesetzgebung des Bundes“, die Sie ja weitgehend abschaffen wollen, damit die Bundesländer als reine Verwaltungs- und Umsetzungsinstanzen der Brüsseler Bürokratur übrig bleiben. Wenn man dieser Logik folgt, reichen in der Tat ein paar aufgeblähte Bundesländer mit Phantasienamen und ohne jede Landesidentität. Das Beispiel „Föderalismusreform“ zeigt, dass die Diskussion über die „Länderfusion Mitteldeutschland“ nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern in einem größeren Zusammenhang mit der Schaffung bürokratischzentralistischer Großstrukturen mit großen Entmündigungs- und Entfremdungsgefahren für die Menschen steht.

Wir haben hier im Freistaat gleichzeitig die Diskussion über die Kreisgebietsreform. Ähnliche Reformvorhaben gibt es auch in anderen Bundesländern, etwa Mecklenburg-Vorpommern. Auch dort wird seit Langem über die Zusammenlegung bestehender Landkreise zu einigen wenigen Großkreisen diskutiert, was bei den Menschen im Norden im Übrigen auf genauso wenig Gegenliebe stößt wie die Pläne zur Kreisgebietsreform hier im Freistaat. Die Menschen ahnen nämlich, dass der Rückzug des Staates aus der Fläche – nichts anderes bedeutet der Trend

zu immer größeren Verwaltungseinheiten – zu einem weiteren Verlust an Identität, an sozialer Sicherheit und damit an Lebensqualität führen und somit den Abwanderungsdrang aus Mitteldeutschland noch verstärken wird. Da kann man es nur als zynisch bezeichnen, wenn die politische Klasse, die durch ihre falschen politischen Weichenstellungen die Abwanderung perspektivloser Menschen erst hervorruft, mit ebendiesem Bevölkerungsschwund in Mitteldeutschland die Straffung von Behörden, die Schließung von Schulen und Polizeidienststellen rechtfertigt. Selbstverständlich wird mit der sinkenden Bevölkerungszahl auch die Fusionsdebatte angeführt.

Die NPD-Fraktion – es wird Sie nicht verwundern – sieht in der Fusionsdebatte eine reine Gespensterdebatte mit Ablenkungscharakter. Die politische Klasse hat bei der Restrukturierung Mitteldeutschlands nach 1990 grandios versagt und zettelt deshalb zur Beschäftigung der Öffentlichkeit eine Ablenkungsdebatte nach der anderen an.

Als NPD lehnen wir Länderfusionen ab, weil sämtliche Kräfte in Mitteldeutschland auf ein nationales Aufbauwerk konzentriert werden müssen, das alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfasst. Länderfusionen hingegen würden jahrelang Energien und Ressourcen binden, bis unterschiedlich gewachsene Länder- und Gebietsstrukturen auf Krampf zusammengefasst werden. Nur 15 Jahre nach der Einheit haben wir keinen Grund, schon wieder über die Schaffung neuer innerdeutscher Landesgrenzen nachzudenken und bürokratische Wahnsinnsprojekte wie Länderfusionen ins Werk zu setzen, die letztlich nur der Europäischen Union in die Hände spielen.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Herr Zastrow, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir ist schon klar, warum die Diskussion um Länderfusion vor allem von zwei Personen angestoßen worden ist. Wir haben auf der einen Seite den Leipzig-Flüchtling Tiefensee.

(Allgemeine Heiterkeit)

Er denkt ja immer ganz, ganz gerne in gaaanz großen Dimensionen. Ich glaube, das sollten wir nicht mehr sehr ernst nehmen, weil wir Herrn Tiefensee inzwischen kennen: Immer dann, wenn es um Verantwortung geht, verlässt er sowieso das sinkende Schiff, meine Damen und Herren.

(Beifall und Heiterkeit bei der FDP)

Der Zweite ist Herr Bullerjahn, der sicherlich zwei Ziele hat: Das erste Ziel – endlich einmal im sächsischen Landtagsprotokoll zu erscheinen – hat er geschafft, und das andere Ziel ist natürlich – er macht es sich sehr einfach –, dass er die Probleme, die er in Sachsen-Anhalt hat, die er nicht bereit ist, selbst in seinem eigenen Land zu lösen, selbst die eigenen Hausaufgaben vor Ort zu

erfüllen, auf andere abwälzen will. Das ist für uns als Sachsen nicht akzeptabel.